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3. Die Entstehung der polnischen Bibliotheksgesetze

3.4 Die Vorgeschichte und die Entstehung des Gesetzes über Bibliotheken

3.4.1 Die Vorgeschichte

3.4.1.1 Die Diskussionen um einen Novellierungsversuch des

Die Vorgeschichte des neuen Bibliotheksgesetzes erstreckt sich - von einigen Unterbrechun-gen abgesehen – von den frühen 1980er Jahren bis zum Wendejahr 1989. Auf die erste bedeu-tende Anregung zur Novellierung des Bibliotheksgesetzes von 1968, die jedoch weder durch den Gesetzgeber noch durch die Bibliothekare zeitnah aufgegriffen wurde, macht Ewa Pawlikowska aufmerksam. Sie schildert, wie die Umsetzung des geltenden Bibliotheksgeset-zes in den 1970er Jahren analysiert und anschließend von der Sejmkommission für Kultur und

35 Eine katholische Gruppe von fünf bis elf Abgeordneten im Sejm. Sie agierte von 1956 bis 1976. Die Abgeordneten setzten sich für die Liberalisierung der Kirchenpolitik ein und versuchten Freiräume für die Bürger zu erlangen. Voraussetzung für die Tätigkeit der Gruppe war, dass sie die Vereinigte Arbeiterpartei (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza, PZPR) und die Zugehörigkeit Polens zum Sowjetblock akzeptierte.

(Preuße 2014, S. 36)

Kunst bewertet wurde. In Folge sprach sich die Sejmkommission nachdrücklich für eine No-vellierung des Bibliotheksgesetzes in Bezug auf die wissenschaftliche, technische und wirt-schaftliche Information. Versäumnisse im Bereich der wissenwirt-schaftlichen Bibliotheken spiel-ten hierbei eine Rolle. (Pawlikowska 1978, S. 400; Pawlikowska 1975a, S. 130).

Erst im Herbst 1980 und im Zuge der Aufbruchsstimmung des „politischen Sommers“ wurde auf Initiative des Vereins Polnischer Bibliothekare ein erster Versuch zur Änderung der beste-henden bibliotheksgesetzlichen Regelungen eingeleitet. Der SBP holte zunächst Stellungnah-men aus dem bibliothekarischen Umfeld zur Lage des Bibliothekswesens im Land ein. Ein Jahr später erbat er von seinen Vereinskreisen konkrete Vorschläge für eine Überarbeitung des geltenden Bibliotheksgesetzes. (Kubów 1982, S. 77) Die Desintegration des Bibliothekswe-sens (Kubów 1982, S. 77; Howorka 1982, S. 129) - potenziert durch wirtschaftliche Probleme – schritt voran. Am 31. August 1980 wurde die Zulassung der Gewerkschaft Solidarność er-zwungen. Die Wirtschaftskrise war in vollem Gange. Die Streikwellen, der Mordanschlag auf den Papst und der Tod von Stefan Wyszyński, dem Primas von Polen, machten die politische Situation im Land instabil. Am 13. Dezember 1981 wurde das Kriegsrecht verhängt und die Tätigkeit der Gewerkschaft Solidarność verboten. Die Kriegsrechtbestimmungen wurden Mit-te des Jahres 1982 gelockert, die Aufbruchsstimmung war ungebrochen. Laut SMit-tefan Kubów gab es im Jahr 1982 eine günstige Gelegenheit, im Zuge dieser Aufbruchsstimmung eine neue gesetzliche Grundlage für Bibliotheken zu schaffen. Als Grund führt er die Ergebnisse aus der Materialsammlung des Vereins Polnischer Bibliothekare und die Bereitschaft der Sejmkom-mission für Kultur und des Ministeriums für Kultur und Kunst zur Modernisierung des gel-tenden Bibliotheksgesetzes an. Nach seinem Dafürhalten ging aus den Unterlagen des SBP eindeutig hervor, dass grundlegende Änderungen des Bibliotheksgesetzes notwendig waren.

Er beruft sich hierbei insbesondere auf die Hinweise der Bibliothekare bezüglich der Neure-gulierung des landesweiten Bibliotheksnetzes. Das Bibliotheksnetz sollte vereinheitlicht, mit dem Netz der wissenschaftlichen Informationseinrichtungen verbunden und entsprechend als ein System verwaltet werden. Hinzu kamen die geforderte Korrelation des Bibliotheksgeset-zes mit anderen bibliotheksbezogenen Vorschriften, vor allem mit dem Hochschulgesetz, und der Ruf nach einem übergeordneten aufsichtführenden Organ für Bibliotheken. Eine Geset-zesnovelle konnte der SBP allerdings – so Kubów – nach dem Ausrufen des Kriegszustands im Dezember 1981 im Alleingang nicht mehr vorbereiten. Erst die Berufung einer Kommissi-on durch das Ministerium für Kultur und Kunst zur Vorbereitung einer Novellierung des

Bibliotheksgesetzes von 1968 leitete dies in die Wege, worüber Kubów enthusiastisch und hoffnungsvoll informiert. (Kubów 1982)

Einige Mitglieder der berufenen Kommission teilten jedoch Kubóws Meinung nicht. Dies geht aus den Stellungnahmen von Zarzębski und Wołosz in der Kommissionssitzung vom 18.

Mai 1982 hervor. Wołosz warnte vor einer schnellen grundlegenden Änderung des Biblio-theksgesetzes. Er war überzeugt, dass das Bibliotheksgesetz nicht veraltet sei. Seiner Ansicht nach hätten nicht die Bestimmungen des Bibliotheksgesetzes den Realisierungsprozess behin-dert, sondern der unzureichende Wille der entscheidenden Institutionen sowie der Mangel an den dafür benötigten Mitteln. Die vorgeschlagene Bündelung der Aufsicht und Verantwortung für die Bibliotheken in einem Staatsorgan war seiner Meinung nach mit den allgemeinen de-zentralen Tendenzen im Land nicht vereinbar. Auch den damaligen Vorschlag der Zusammen-führung der Bibliotheken mit den Informationseinrichtungen beurteilte er als wenig realis-tisch. Er empfahl für die Arbeiten am Bibliotheksgesetz vorausgehende gründliche Studien und genügend Zeit für sorgfältige Diskussionen. (Wołosz 1982) Ähnlicher Meinung im Hin-blick auf die nötigen Vorarbeiten war Zarzębski. Er schätzte die Dauer der vorbereitenden Maßnahmen auf etwa fünf Jahre. Ansonsten vertrat Zarzębski eine abweichende Meinung. Er sah den Hauptgrund für den geringen Erfolg des geltenden Bibliotheksgesetzes in seinem ver-alteten Konzept. Er berichtete, dass einige bibliothekarische Kreise das Bibliotheksgesetz von Anfang an als schlecht beurteilt hätten, weil es den Anforderungen eines modernen Biblio-thekswesens nicht entsprach. (Zarzębski 1982)

Der Artikel von Kubów und die direkt dahinter platzierten Stellungnahmen von Wołosz und Zarzębski im Heft vier der Zeitschrift „Bibliotekarz“ von 1982 blieben in der Fachwelt nicht ohne Wirkung. Vor allem die schnelle Erarbeitung eines neuen, auch das Informationswesen umfassenden Bibliotheksgesetzes, die Kubów propagierte, und seine Lösungsvorschläge führ-ten zu einer erregführ-ten Diskussion36. Obwohl das Ministerium für Kultur und Kunst zur Ände-rung des Bibliotheksgesetzes bereit war, konnte das Vorhaben wegen der unterschiedlichen Vorstellungen der Beteiligten nicht vorangetrieben werden. Der Meinungsaustausch unter den Bibliothekaren wollte kein Ende nehmen. Howorka wertete die dem Vorstand des Vereins Polnischer Bibliothekare zugeschickten Materialien nochmals aus, fasste die Ergebnisse

36 Es folgten Artikel von M. Derentowicz, W. Kubów, M. Dembowska und Howorka (Derentowicz 1983; Kubów 1983; Dembowska 1983; Howorka 1984).

sammen und umriss sogar den Inhalt eines neuen Bibliotheksgesetzes. Ihm zufolge wurde das geltende Bibliotheksgesetz vor allem von Bibliothekaren der wissenschaftlichen Bibliotheken kritisiert. Die Regelung bzw. Neuregelung folgender Sachverhalte wurde in dem Zeitraum 1980 bis 1984 von vielen Bibliothekaren als notwendig erachtet:

- korrekte Bestimmung der Aufgaben und Funktionen einer modernen Bibliothek, - Bestimmung der Aufgaben des integrierten Bibliotheks- und Informationssystems, - Korrelation der Bestimmungen des Bibliotheksgesetzes mit den Rechtsvorschriften,

die andere Institutionen der Kultur, Kunst und Bildung betreffen und somit auch für die Bibliotheken dieser Institutionen gelten,

- Bestimmung und Vereinheitlichung der Rechte und Pflichten von Beschäftigten in Bibliotheken und Informationseinrichtungen, vor allem eine einheitliche Festlegung der Gehälter, der Bedingungen für den Aufstieg und der Kriterien zur Besetzung von Leitungspositionen,

- Sicherstellung der Ausübung der Bibliothekspolitik und der Informationspolitik, - Schaffung eines erfolgreichen Verwaltungssystems für Bibliotheken und

Informati-onseinrichtungen auf nationaler Ebene,

- Zubilligung einer größeren Einflussnahme von Bibliothekaren und Nutzern auf biblio-thekarische Angelegenheiten,

- Ausbau der Rolle der Nationalbibliothek im integrierten Bibliotheks- und Informati-onssystem,

- Anpassung des Bibliotheksrechts an die Änderungen in der Verwaltungsstruktur des Staates unter Beachtung der Wirtschaftsreform und den zu erwartenden Wandel in der Gesellschaft,

- Anpassung des Bibliotheks- und Informationswesens an die internationalen Normen und Programme der UNESCO, IFLA usw. (Howorka 1984)

Alle Anstrengungen im Zeitraum von 1980 bis 1984 verliefen im Sand. Den Plan, eine Ände-rung des geltenden Bibliotheksgesetzes herbeizuführen, griff im Jahr 1985 der Staatliche Bibliotheksbeirat auf. Der Staatliche Bibliotheksbeirat berief zu diesem Zweck eine Gruppe unter der Leitung von Barbara Sordylowa. Die Gruppe prüfte für die Vorgehensweise drei Varianten:

1. eine Novellierung, die sich auf die Änderung der neuen Situation im Land bezieht, u.a.

die Reorganisation der staatlichen Verwaltung und die neue Verwaltungseinteilung im Jahr 1975,

2. fachliche Änderungen, die den aktuellen Stand des polnischen Bibliothekswesens zum Inhalt haben,

3. die Schaffung eines neuen Bibliotheksgesetzes, das die Informationseinrichtungen einbezieht.

Die Entscheidung fiel zugunsten der zweiten Variante. Die Gruppe arbeitete daran bis Ende 1985. Es gelang ihr nicht, die Arbeit abzuschließen. Danach gab der Staatliche Bibliotheksbei-rat das Projekt auf. Die Sitzungen des Staatlichen BibliotheksbeiBibliotheksbei-rats wurden in den nachfol-genden Jahren immer sporadischer, aufgelöst wurde er aber nicht. (Sordylowa 1995, S. 39–

40)

Der nächste Vorstoß der bibliothekarischen Community für die Erarbeitung einer Gesetzesno-velle erfolgte in den Jahren 1987 bis 1988. Den Grund hierfür lieferte das Informations-zentrum für Wissenschaft, Technik und Wirtschaft. Seine begonnenen Arbeiten im Kontext des Gesetzes über die wissenschaftliche Information erzeugten nach Zając heftigen Protest der bibliothekarischen Kreise. Zu einer rechtlich gefestigten organisatorischen Trennung des Net-zes der Informationseinrichtungen sollte es keinesfalls kommen. Dass der Berufsverband für Bibliothekare und Dokumentare, also der SBP, bei den Versuchen, rechtliche Lösungen für ein integriertes Bibliotheks- und Informationssystem zu finden, übergangen wurde, sorgte eben-falls für großen Unmut. Der Protest der Bibliothekswelt war erfolgreich und die Arbeiten wurden eingestellt. (Zając 1993, S. 6) Eine erneute Diskussion über eine Änderung des beste-henden Bibliotheksgesetzes war die Folge. Es verfestigte sich die Meinung der Mehrzahl der Bibliothekare und einiger Dokumentare, dass eine rechtliche Grundlage für ein integriertes Bibliotheks- und Informationssystem notwendig sei (Zając 1993, S. 6). Mangels überein-stimmender Ansichten und eines überzeugenden Konzepts für eine entsprechende Modernisie-rung des Bibliotheksgesetzes wurde ein Meinungsaustausch in der Zeitschrift „Przegląd biblioteczny“ unter dem Titel „Auf was für ein Gesetz warten wir“ initiiert37. Aus den

37 Hierzu publizierten Kołodziejska, Janusz Dunin, Żmigrodzki, Howorka (Kołodziejska 1987a; Dunin 1987;

Żmigrodzki 1987; Howorka 1988).

chen aufschlussreichen Artikeln ging wiederholt hervor, dass ein Konsens unter den Beteilig-ten nicht zu erzielen war.

3.4.1.2 Hemmende Faktoren auf dem Weg zur Modernisierung des Bibliotheksgesetzes