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3. Die Entstehung der polnischen Bibliotheksgesetze

3.1 Die wesentlichen Meilensteine auf dem Weg zum Dekret

3.1.2 Die Entstehung der Bibliotheksgesetzentwürfe in der

3.1.2.2 Der Inhalt der Entwürfe

Der erste Startschuss war der „Gesetzentwurf über die Pflicht zur Unterhaltung von Anfän-gerkursen für Erwachsene und über allgemeine Bibliotheken“ aus dem Jahr 1921. Neun Arti-kel des Entwurfs waren Bibliotheken gewidmet. Vorbild für den Inhalt der ArtiArti-kel waren laut Janiczek die amerikanische und englische Bibliotheksgesetzgebung (Janiczek 1946c, S. 46).

Der Entwurf regelte vor allem die Finanzierung und die Organisation der Bibliotheken. Die territorialen Selbstverwaltungen der Landkreise, die aus den territorialen Selbstverwaltungen ausgegliederten Städte und der Staat wurden als Unterhaltsträger vorgesehen. Die territorialen Selbstverwaltungen konnten aber diese Aufgabe den Bildungsverbänden übertragen. Zur Gründung von Bibliotheken verpflichtete der Entwurf nicht. Trotz der Finanzierung der Bibliotheken aus öffentlichen Geldern sollten für die Bibliotheksnutzung Gebühren erhoben werden. Die Organisation der allgemeinen Bibliotheken sollte der Minister des MWRiOP im Weg von Verordnungen bestimmen.

27 Diese Bibliotheksgesetzentwürfe sind im Anhang der Publikation „Publiczne biblioteki samorządowe w okresie międzywojennym“ [Die kommunalen Bibliotheken in der Zwischenkriegszeit] von Jadwiga Kołodziejska abgedruckt (Kołodziejska 1967, S. 168–178). Ihre Publikation ist zugleich die Grundlage für die Erstellung der Kapitel 3.1.2.2 und 3.1.2.3 Einige Entwürfe wurden in den Fachzeitschriften „Polska oświata pozaszkolna“ [Polnische außerschulische Bildung] und „Przegląd biblioteczny“

[Bibliotheksrundschau] veröffentlicht (Projekt ustawy o gminnych bibliotekach publicznych 1928; Projekt ustawy o sieci bibljotek publicznych 1929; Janiczek 1946c, S. 45–46).

Den ersten Entwurf legte der Verband Polnischer Bibliothekare dem MWRiOP vor. Der Gesetzgebungsvorschlag wurde durch den Ministerrat verabschiedet und an die Sejmkommis-sion für Bildung überwiesen. Nach Janiczek wurde der Entwurf aufgrund von Widerständen aus den Reihen der Repräsentanten der großen Bildungsorganisationen und einem allgemei-nen Desinteresse der Sejmkommission für Bildung zurückgestellt. Er landete im Archiv. Die versprochene Wiedervorlage erfolgte nicht. (Janiczek 1946c, S. 45–46)

Inhaltlich deutlich anders, moderner und den Zielen vieler polnischer Bibliothekare wesent-lich näher (Janiczek 1946c, S. 46) war der im Oktober 1927 erstellte Entwurf eines eigenstän-digen Bibliotheksgesetzes. Die Existenz nationaler Bibliotheksgesetze in mittlerweile einigen europäischen Ländern, wie z. B. Dänemark (1920), Estland (1924), Finnland (1927), dürfte bei dem Entschluss, ein autonomes Bibliotheksgesetz schaffen zu wollen, eine Rolle gespielt haben. Der Entwurf wurde vom Warschauer Kreis des ZBP erarbeitet und trug den Titel

„Entwurf über öffentliche Gemeindebibliotheken“. Auf Wunsch des Departments für Kultur und Kunst des MWRiOP musste der Entwurf in kürzester Zeit überarbeitet werden. Die revi-dierte Fassung war 1928 fertiggestellt. Der Entwurf wurde nur unwesentlich geändert, trug aber einen neuen Titel. Er wurde in „Entwurf des Gesetzes über das Netz der öffentlichen Bibliotheken“ umbenannt. (Kołodziejska 1967, S. 46–47) Der Entwurf orientierte sich an dem tschechoslowakischen Bibliotheksgesetz (Filipowska-Szemplińska 1928, S. 148). Er ver-pflichtete die territorialen Selbstverwaltungen zur Gründung und Unterhaltung von öffentli-chen Bibliotheken. Die Höhe der Finanzierung durch die Gemeinden sollte sich an der Ein-wohnerzahl orientieren, wobei sogar eine Untergrenze festgeschrieben wurde. Nach dem Entwurf sollten die kommunalen Bibliotheken als zweigliedriges Netz organisiert werden.

Das Netz sollte aus Bibliotheken in den Städten und größeren Gemeinden sowie Bezirks-zentralen für Fahrbibliotheken bestehen. Es wurde eine gebührenfreie Nutzung der Biblio-theken vorgesehen. Die Leitung sollte ein Bibliothekar übernehmen, während die unmittelba-re Verwaltung durch ein Bibliothekskomitee vorgesehen war. Beunmittelba-reits bestehende Bibliotheken mit öffentlicher Funktion sollten entweder durch territoriale Selbstverwaltungen übernommen werden oder Subventionen erhalten können, wenn sie die Pflichten einer öffentlichen Gemeindebibliothek erfüllten. Die Aufsicht und die Leitung über das Bibliotheksnetz sollte der Minister des MWRiOP ausüben. Eine beratende Funktion sollte ein Bibliotheksbeirat übernehmen. Eine neue bemerkenswerte Reglung der überarbeiteten Fassung bezog sich auf den Bibliotheksbestand. Die an das Netz angeschlossenen Bibliotheken sollten nur wertvolle

wissenschaftliche, informatorische und belletristische Literatur sammeln. Dem MWRiOP wurde das Recht eingeräumt, die Bestände der Bibliotheken einzusehen und eine Liste der verbotenen Literatur zu erstellen. Der im MWRiOP eingereichte Entwurf blieb wirkungslos und verschwand in der Schublade. Die enormen Wirtschaftsprobleme und die zunehmende Inflation waren hierbei nicht ohne Belang (Janiczek 1946c, S. 47).

Die folgenden Entwürfe blieben in den wesentlichen Grundsätzen weitestgehend unverändert.

Sie hielten an der Verpflichtung der territorialen Selbstverwaltungen zur Gründung und Unterhaltung von Bibliotheken, der Unterstellung der Bibliotheken unter die Aufsicht des Staates, der Bildung von Bibliotheksnetzen, der Notwendigkeit der Zusammenarbeit der kommunalen Bibliotheken mit den Bibliotheken der gesellschaftlichen Bildungsorganisatio-nen sowie dem uneingeschränkten, kostenlosen Zugang zu Bibliotheken fest. (Janiczek 1946c, S. 47–48)

Den nächsten großen Versuch, ein Bibliotheksgesetz einzuführen, unternahmen die polnischen Bibliothekare im Jahr 1934. Eine nennenswerte Änderung in diesem Entwurf bezog sich wie-der auf den Bestandsaufbau (Janiczek 1946c, S. 47). Müde wie-der Diskussionen über den geeig-neten Bestand einer öffentlichen Bibliothek überließen die Autoren des Entwurfs die Buch-auswahl dem Minister des MWRiOP. Hierzu sollte eine spezielle, beratende Kommission be-rufen werden. (Kołodziejska 1967, S. 48–49) Obwohl auch dieser Versuch unter keinem guten Stern stand, gewann die außerschulische Bildung im Jahr 1934 zunehmend und mit positiven Auswirkungen für das Bibliothekswesen an Bedeutung. Im MWRiOP wurde ein Referat für öffentliche Bibliotheken geschaffen, und im Zeitraum 1934 bis 1939 entstanden ansehnlich viele neue Kommunalbibliotheken. (Janiczek 1946c, S. 48) Es folgten Rundschreiben des Ministers des MWRiOP, welche das Engagement der Bibliothekare unterstützten.

(Kołodziejska 1967, S. 92; Zarzębski 1991a-2000, S. 28)

Einige Bibliothekare legten das Scheitern der Entwürfe als Schwäche der bibliothekarischen Community aus und glaubten nicht mehr an einen Erfolg des Projekts (Kołodziejska 1967, S. 76). Der harte Kern der Befürworter unter den polnischen Bibliothekaren mit Grycz und Janiczek an der Spitze steckte den Misserfolg weg und feilte in den nachfolgenden Jahren unbeirrbar weiter am Text des Gesetzentwurfs. Im Jahr 1939 gelang es ihnen, aufgrund der geleisteten Vorarbeiten, des enormen Engagements auf Konferenzen und diverser Artikel in der Presse einen Bibliotheksgesetzentwurf in den Sejm einzubringen. Es gab nur wenige

Änderungen gegenüber dem Entwurf aus dem Jahr 1928: Das Bibliotheksnetz sollte um Aus-leihstellen (punkte biblioteczne) erweitert werden. Die Funktionen der Bezirkszentralen soll-ten ausgedehnt werden. Die Höhe der Finanzierung sollte jährlich neu bestimmt werden und vom Wohlstand, von der Besiedelung und dem Leseinteresse der Bevölkerung in der betref-fenden Region abhängig sein. Die Benutzung der Bibliothek sollte in der Regel kostenfrei sein, aber die territorialen Selbstverwaltungen sollten ermächtigt werden, mit Einverständnis der staatlichen Gewalt eine Benutzungsgebühr erheben zu können. Nach der ersten Lesung im Sejm brach der Zweite Weltkrieg aus. (Janiczek 1946c, S. 48; Kołodziejska 1967, S. 95)