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6. Methoden

6.1 Forschungsmethode

Für die Beantwortung der Forschungsfrage ist die klassische Methode des leitfadengestützten Experteninterviews besonders geeignet. Das Interview zeichnet sich aus durch ein „planmäßi-ges Vorgehen mit wissenschaftlicher Zielsetzung, bei dem die Versuchsperson durch eine Rei-he gezielter Fragen … zu verbalen Informationen veranlasst werden soll“ (Scheuch 1973, S. 70-71, im Original kursiv). Es dient also dazu, persönliche Einstellungen und

Einschätzun-gen zu spezifischen FraEinschätzun-gen zu erfraEinschätzun-gen, denn es stellt die Ansichten der Befragten in den Mit-telpunkt. Laut Michael Meuser und Ulrike Nagel hebt sich das Experteninterview als eigen-ständige Interviewform dadurch hervor, dass sich der Befragte nicht so sehr als Person, son-dern als Experte auf einem bestimmten Gebiet äußert. Der Expertenstatus definiert sich aus der Forschungsfrage und dem privilegierten Zugang der Personen zu diesbezüglichen Infor-mationen. Er ist demnach relational zum Forschungsinteresse. (Meuser, Nagel 2009, S. 37–

38).

Das Leitfadeninterview strukturiert den Gesprächsverlauf durch die theoriegeleitete Auswahl der thematischen Inhalte und Fragestellungen des Forschenden (Friebertshäuser, Langer 2013, S. 439). Meuser und Nagel betrachten für die Führung eines Experteninterviews die Erarbei-tung eines thematisch orientierten und in der Handhabung flexiblen Leitfadens als notwendig.

Ein Verzicht auf eine thematische Vorstrukturierung könnte den Experten den Eindruck eines inkompetenten Gesprächspartners vermitteln und daraufhin methodisch die falsche Richtung einnehmen (Meuser, Nagel 2009, S. 52). Der verwendete Interviewleitfaden72 beinhaltet vier Themenkomplexe. Er wurde auf Basis der Erkenntnisse aus dem theoretischen Teil entwickelt und mit offenen, nicht standardisierten Fragen gestaltet. Die Formulierung der einzelnen Fra-gen wurde in Probeinterviews optimiert. Die Reihenfolge der Themenkomplexe ist im Vorfeld festgelegt. Sie kann jedoch bei Bedarf an den Gesprächsverlauf angepasst werden. Die The-menkomplexe enthalten Leitfragen und detailliertere Fragen. Der Interviewleitfaden wurde den Interviewten im Vorfeld zugesendet, und die Leitfragen wurden jedem Interviewten ge-stellt. Damit ist die Vergleichbarkeit der Interviews sichergege-stellt. Die detaillierteren Fragen dienen vor allem der Konkretisierung. Zusätzlich obliegt es der Interviewerin, situativ nachzu-fragen oder Aussagen zu wiederholen, um Missverständnissen vorzubeugen bzw. den Ge-sprächsfaden wieder aufzunehmen. Im ersten Themenkomplex (Bibliotheksrechtsverständnis und Bibliotheksgesetzverständnis) wird der Stellenwert der Bibliotheksgesetze innerhalb des Bibliotheksrechts erfragt, im zweiten (Entstehung von Bibliotheksgesetzen) werden der Zweck und die damit zusammenhängenden Interessen während der Entstehung der Biblio-theksgesetze ermittelt, im dritten (Inhalt von BiblioBiblio-theksgesetzen) die Wichtigkeit der in den Bibliotheksgesetzen geregelten Materien thematisiert und im vierten (Realisierung der Biblio-theksgesetze) die Wirkung der Bibliotheksgesetze fokussiert.

72 Der verwendete Interviewleitfaden ist in voller Länge in polnischer und deutscher Sprache im Anhang auf Seite 264 bzw. auf Seite 268 zu finden.

Um eine mögliche blockierende Haltung am Anfang des Gesprächs, die als Eisbergeffekt be-zeichnet wird (Abels, Behrens 2009, S. 170–171), aufzubrechen, startet der Leitfaden nach erfolgter persönlicher Vorstellung mit einer Frage, die auf das Engagement der Experten für die polnische Bibliotheksgesetzgebung eingeht. Sie ist leicht zu beantworten und stellt die Aktivitäten der Befragten in den Mittelpunkt. Es kann damit gerechnet werden, dass sich da-raufhin die Gesprächssituation entspannt und die Bereitschaft zur Beantwortung der Fragen steigt.

Danach beginnt der erste Themenkomplex, der zunächst die Begriffsklärung von Bibliotheks-recht und Bibliotheksgesetz anstrebt. Die Antworten sollen das den Begriffen zugrunde lie-gende aktuelle Verständnis der Befragten aufzeigen. Sie sollen klären, inwieweit die als all-gemeingültig anerkannte polnische Definition des jeweiligen Begriffs in den persönlichen Einschätzungen der befragten Bibliothekare auch nach der erfolgten rechtlichen Transforma-tion noch Bestand hat. Zur Ermittlung der Rolle der Bibliotheksgesetze innerhalb des Biblio-theksrechts ist das Begriffsverständnis von Bibliotheksrecht und Bibliotheksgesetz der Inter-viewten entscheidend. Denn nur darauf basierend kann die Rolle der Bibliotheksgesetze im Bibliotheksrecht bestimmt werden. Die Rolle der Bibliotheksgesetze in der Normenflut des polnischen Bibliotheksrechts soll deutlich werden, indem nach dem Stellenwert der Biblio-theksgesetze im Bibliotheksrecht gefragt wird. Dies ist die zentrale Frage des ersten Themen-komplexes.

Im zweiten Themenkomplex wird der Zweck der Bibliotheksgesetze ausgehend von der Frage nach den Umständen, denen die Schaffung der Bibliotheksgesetze zu verdanken ist, erforscht.

Die befragten Bibliothekare sollen mit der Fragestellung motiviert werden, über die Entste-hung der Gesetze zu berichten. Denn der Zweck der Gesetze generiert sich aus den verschie-denen Interessen bei der Gesetzesbildung und den ihnen zugrunde liegenden Umständen. Die befragten Bibliothekare sollen diese diskutieren und dabei auch die Gründe für die Schaffung der Bibliotheksgesetze und die mit ihnen verfolgten Ziele aufzeigen. Von besonderem Interes-se sind HinweiInteres-se auf die tatsächlichen und weniger auf die offiziell verkündeten Ziele. Da davon auszugehen ist, dass das Zielgefüge komplex ist, sollen vor allem die für das Zustande-kommen der Bibliotheksgesetze wesentlichen Ziele fokussiert werden. Der priorisierten Ziel-setzung ist der Wert des Zwecks zu entnehmen. Die Bedeutung der Bibliotheksgesetze für das

Bibliothekswesen ist in vielerlei Hinsicht von ihrem Zweck abhängig, wobei die wirklichen Ziele und Absichten von weitreichender Bedeutung sind.

Der dritte Themenkomplex dient dazu, die Bedeutung der Regelungen der Bibliotheksgesetze für das Bibliothekswesen zu bestimmen. Die Befragten sollen den Gesetzesinhalt reflektieren.

Daher wird gefragt, welche Bestimmungen der Bibliotheksgesetze für sinnvoll erachtet wer-den. Dabei sollen der Regelungsanspruch der Gesetze und die Bedeutung der Regelungsmate-rien für das Bibliothekswesen erörtert werden. Da viele polnische Bibliothekare mit den Bibliotheksgesetzen vorrangig ein einheitliches Bibliothekssystem im Land und eine einheit-liche Bibliothekspolitik realisieren wollten und wollen, wird die Sinnhaftigkeit dieser verfolg-ten Ziele separat erfragt. Zudem werden die Interviewpartner um die Nennung von Qualitäts-kriterien für Bibliotheksgesetze gebeten. Denn die Bedeutung der Inhalte der Bibliotheksge-setze hängt von mehreren Kriterien ab, u. a. auch von dem Charakter der Regelungen und der Regelungsdichte.

Die Realisierung der Bibliotheksgesetze für das Bibliothekswesen wird im letzten Themen-komplex thematisiert. Indem gefragt wird, inwieweit die Bibliotheksgesetze das polnische Bibliothekswesen gestalteten, kommt der Zusammenhang zwischen ihrer Wirkung und ande-ren Einflussfaktoande-ren, welche das Bibliothekswesen formten, ins Spiel. Zusätzlich wird die Kausalität sichergestellt. Die Relevanz der Bibliotheksgesetze für das Bibliothekswesen wird durch die Frage nach ihrer Nützlichkeit deutlich. Gegebenheiten, unter denen die Gesetze ihren Zweck erfüllen und die für den Bibliothekssektor bedeutsamer sein könnten, sollen mit der Frage, inwieweit die Bibliotheksgesetze eine Voraussetzung für ein gut funktionierendes Bibliothekswesen waren und sind, in den Mittelpunkt gestellt werden.