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7. Forschung

7.2 Analyse

7.2.4.1 Gesellschaftliche Interessen

Die Unterkategorie gesellschaftliche Interessen beinhaltet alle von den Interviewten genann-ten Ziele und Absichgenann-ten der gesellschaftlichen Interessengruppen an einem Bibliotheksgesetz.

Die Theorie zeigt, dass die Bestrebungen zur Schaffung eines Bibliotheksgesetzes und seiner Erneuerung stets von Bibliothekaren ausgingen. Dies bekunden ebenso die befragten Biblio-thekare:

„... to były grona bibliotekarzy ... Tu ... była inicjatywa z tego środowiska wychodząca” [... es waren die Kreise der Bibliothekare … Dies … war eine Initiative, die von diesem Umfeld ausging] (Anhang E5, Z. 137-154).

Ihre Aussagen lassen darüber hinaus vermuten, dass die Entstehung der Bibliotheksgesetze nahezu ausschließlich auf das Interesse von Bibliothekaren zurückging und zurückgeht. Be-stätigt wird diese Annahme durch die Antworten der Befragten auf die gezielte Nachfrage nach dem Engagement anderer gesellschaftlicher Kreise und dem expliziten Hinweis auf Lite-ratenkreise in diesem Kontext. Ein großes Engagement anderer gesellschaftlicher Interessen-gruppen wird von den Befragten verneint. Zudem wird ausgeführt, dass das Interesse von Li-teratenkreisen an einem Bibliotheksgesetz stets egoistischer Natur war:

„... tych środowisk literackich- owszem, one patrzyły na to w sposób taki, co oni będą z tego mieć. Tylko i wyłącznie z tego punktu widzenia. ...” [… die Literatenkreise – doch, allerdings schauten sie darauf in der Weise, wie sie davon profitieren. Nur und ausschließlich unter die-sem Gesichtspunkt …] (Anhang E2, Z. 297-298).

Seit der Wiedererrichtung des polnischen Staates liegt es im Interesse von Bibliothekaren, dass bestimmte Sachverhalte des Bibliothekswesens in einem Gesetz geregelt werden. Allein der ideelle Wert von Gesetzen spielt für die polnischen Bibliothekare aus der Sicht eines Be-fragten eine bedeutende Rolle:

„... nam, bibliotekarzom, nie tylko nam współczesnym, ale tym, którzy żyli w 20-leciu międzywojennym zależało na tym, żeby właśnie sprawy bibliotekarskie były regulowane przez przepisy najwyższej rangi w państwie” [… uns, Bibliothekaren, nicht nur den Heutigen, aber auch denen, die in den 1920er Jahren zwischen den Kriegen lebten, war es wichtig, dass bibliothekarische Belange durch Normativakte des höchsten Ranges im Staat geregelt wer-den] (Anhang E1, Z. 72-75).

Außerdem wird die Entwicklung des polnischen Bibliothekswesens aus dem Blickwinkel ei-nes weiteren Interviewten an die Existenz eiei-nes Bibliotheksgesetzes geknüpft:

„Rozwój bibliotek to był właściwie główny cel zawsze tworzenia tych ustaw” [Die Entwick-lung der Bibliotheken, das war immer das Hauptziel der Schaffung von Bibliotheksgesetzen]

(Anhang E5, Z. 105-106),

„... zobaczyli tą siłę, która tkwi w tym i widzieli różne tam niedomagania, potrzeby, też często patrzyli na dyscypliny, z których przychodzą, że pewne rzeczy można unormować, zaproponować ...” [… sie [die Bibliothekare] sahen die Kraft, die darin steckt, und sie sahen verschiedene Unzulänglichkeiten, Nöte, oft schauten sie auch aus dem Blickwickel der Dis-ziplin von der sie kamen, dass bestimmte Dinge normiert, vorgeschlagen werden könnten ...]

(Anhang E5, Z. 140-142).

Der Verzicht der Bibliothekare auf ein Bibliotheksgesetz scheint wenig realistisch zu sein in Anbetracht der folgenden Feststellung, dass bereits Gesetzgebungsprojekte praxiswirksam wurden:

„... my chcieliśmy, żeby biblioteki w Polsce były traktowane od projektów, grantów, które realizują ...” [… wir wollten, dass auf Bibliotheken in Polen durch Gesetzentwürfe und Zu-schüsse eingewirkt wird, die realisieren …] (Anhang E5, Z. 44-45).

Die Diskussionen der Bibliothekare in den Entstehungsphasen der Gesetze belegen, dass die mit einem Bibliotheksgesetz verfolgten Ziele der Fachwelt mit dem Dekret über Bibliotheken in Zusammenhang stehen. Grycz prägte das Dekret über Bibliotheken. Seine Gedanken sind in der bibliothekarischen Community weiterhin präsent, was aus den Äußerungen der Befrag-ten immer wieder zu entnehmen ist. Die konzeptionellen Grundideen Gryczs, das polnische Bibliothekswesen mit „... objęcie jednolitym zarządzaniem, jednolitą myślą i stworzenie jednolitej polityki bibliotecznej w Polsce” [… einer einheitlichen Verwaltung, einem einheitli-chen Gedanken und der Schaffung einer einheitlieinheitli-chen Bibliothekspolitik in Polen zu umspan-nen] (Anhang E3, Z. 169-170) und für „... upowszechnienie bibliotekarstwa ...” [… die Ver-breitung des Bibliothekswesens …] (Anhang E3, Z. 173) Sorge zu tragen, werden von einem Befragten explizit gehuldigt.

Das konkret avisierte Ziel, mithilfe des Dekrets über Bibliotheken das polnische Bibliotheks-wesen wieder aufbauen und die übrig gebliebenen Bestände wieder zugänglich machen zu

können, war den damals agierenden Bibliothekaren wichtig. Dies unterstreicht auch ein Inter-viewter:

„... osobom, które inicjowały ten cały ruch, zależało na uporządkowaniu ... zależało na tym, ażeby uporządkować i uratować to wszystko, co można było uratować i po drugie stworzyć warunki dostępu do tych zbiorów” [… den Personen, die diese Bewegung initiierten, lag es daran Ordnung zu schaffen … damit das alles geordnet und gerettet wird, was gerettet werden konnte und zweitens Zugangsmöglichkeiten zu den Beständen zu schaffen] (Anhang E1, Z.

247-253).

Der Interviewte führt weiter aus, dass die Zugänglichkeit von Bibliotheken ein stets verfolgtes Ziel der polnischen Bibliothekare bei der Schaffung eines neuen Gesetzes war, wobei die skandinavischen Länder mit ihrer Realisierung des Zugangs für alle eine besondere Anzie-hungskraft ausüben:

„... myśmy chcieli ... żeby biblioteki były otwarte, dostępne dla ludzi. Zapatrzeni byliśmy w systemy skandynawskie, bo tam to podobno najlepiej te biblioteki publiczne były rozwijane”

[… wir wollten … dass die Bibliotheken offen sind, zugänglich für die Menschen. Wir ver-guckten uns in die skandinavischen Systeme, weil dort angeblich die öffentlichen Bibliothe-ken am besten entwickelt sind] (Anhang E1, Z. 270-273).

Ein weiteres Ziel der Bibliothekare basiert auf Gryczs Vorstellungen über das, was Zugäng-lichmachung ausmacht und wie sie realisiert werden kann. Zielführend sollte nach Grycz das Netzkonzept des Dekrets über Bibliotheken sein. Die Einführung des landesweiten Netzes öffentlicher Bibliotheken sollte ein System von Bibliotheken begründen, in dem sich Biblio-theken gegenseitig ergänzen. Ein Netzkonzept, das nahezu alle BiblioBiblio-theken umfasst, fand in den nachfolgenden Gesetzentwürfen der Bibliothekare Eingang, weil es ihnen wichtig war:

„Myśmy cały czas walczyli o to, żeby sieć tworzyły wszystkie biblioteki” [Wir haben die ganze Zeit gekämpft, damit alle Bibliotheken das Netz bilden] (Anhang E1, Z. 203-204).

Ein anderer interviewter Bibliothekar thematisiert das historische Ziel der Bibliothekare nach zentralistischen Organisationsstrukturen für das Bibliothekswesen:

„... dyskutowano o potrzebnych zmianach, ale zawsze na początku to była sprawa jednego scentralizowanego systemu zarządzania bibliotekami w kraju ... zarządu, który by dysponował własnym budżetem ...” [… es wurde über die notwendigen Änderungen diskutiert, aber zu Beginn stand immer das Anliegen eines zentralistischen Verwaltungssystems für die Biblio-theken im Land … einer Verwaltung, die über ein eigenes Budget verfügen würde ...] (An-hang E2, Z. 56-61).

Ein Befragter führt das nationale Bewusstsein der polnischen Bibliothekare und ihr Bestreben, zur Entwicklung der polnischen Gesellschaft einen wesentlichen Beitrag leisten zu wollen an, das mittels eines Bibliotheksgesetzes zum Ausdruck kommt:

„... że bibliotekarze ... wierzyli w to, że biblioteki służą wzmocnieniu społeczeństwa polskiego, które jest podstawą państwowości i jego edukacja, jego rozwój, dostęp do infor-macji ... że to służy dobru państwa” [… die Bibliothekare … glaubten daran, dass Bibliothe-ken der Stärkung der polnischen Gesellschaft dienen, welche die staatliche Grundlage bildet, und dass deren Bildung, deren Entwicklung [und] der Zugang zur Information … dass dies dem Staat dient] (Anhang E5, Z. 101-105).

Er verbindet auf diese Weise die Interessen der Bibliothekare mit den Interessen des Staates:

„... bibliotekarze utożsamiali się z interesem państwa moim zdaniem. Tak, zawsze to byli ludzie ... zaangażowani, oddający się swojej pracy, jako służbie ... dla bardzo wielu służba i równocześnie państwo, biblioteki to było dla nich wspólne, znaczy takie wspólne w sensie, że mamy wspólny jakby cel przed sobą” [… meiner Meinung nach identifizierten sich Bibliothekare mit dem Interesse des Staates. Ja, es waren immer Menschen … engagierte, die sich ihrer Arbeit als Pflicht hingaben … für sehr viele war der Dienst gleichzeitig auch der Staat, Bibliotheken, dies war für sie ein und dasselbe, d. h., ein und dasselbe im Sinne, dass wir ein gemeinsames Ziel vor uns haben] (Anhang E5, Z. 108-113).

Jedoch die folgende Aussage eines anderen Interviewten lässt die Vermutung zu, dass die Fachwelt keine Gemeinschaft Gleichgesinnter ist und das Zielgefüge an Komplexität zunahm:

„Ale niestety nie jesteśmy jednolitym środowiskiem i nie chcemy tego samego” [Aber leider sind wir kein homogenes Umfeld, und wir wollen nicht dasselbe] (Anhang E4, Z. 631-632).

Die Bibliothekare verfolgten mit der Bibliotheksgesetzgebung mehrere Ziele gleichzeitig. Die egoistischen Absichten der einzelnen Bibliothekstypen spielten keine unwesentliche Rolle, was wegen der Heterogenität der Bibliothekswelt unmittelbar Zielkonflikte nach sich zieht.

Diese Erkenntnis ist bereits der Genese des Bibliotheksgesetzes von 1997 deutlich zu ent-nehmen.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Schaffung der Bibliotheksgesetze nicht den Interes-sen verschiedener gesellschaftlicher Gruppierungen zu verdanken ist. Ein Bibliotheksgesetz ist insbesondere für die polnischen Bibliothekare wichtig und unverzichtbar. Sie glauben an die Kraft der Gesetze. Sie sind von den Möglichkeiten und Funktionen eines Bibliotheksge-setzes überzeugt und sehen diverse Chancen, die es für die Entwicklung des Bibliothekswe-sens bietet. Die polnischen Bibliothekare messen somit einem Gesetz über Bibliotheken eine herausragende Bedeutung bei, was zugleich die Bedeutung der Bibliotheksgesetze für das Bibliothekswesen erhöht. Die Akzeptanz einer gesetzlichen Regelung für das Bibliothekswe-sen ist wichtig, denn die Realisierung der Regelungen ist in hohem Maße von Bibliothekaren als Gesetzesadressaten abhängig. Gryczs Anhänger sahen in dem Dekret über Bibliotheken ein Instrument, mit dem Ordnung geschaffen werden kann und die verbliebenen Bestände gerettet werden können. Zugleich wollten sie mittels des Dekrets ihre eigenen avisierten Ziele umsetzen. Viele heutige Bibliothekare verfolgen dieselben übergeordneten Ziele wie ihre Vor-gänger: Entwicklung des Bibliothekswesens, zentralistische Organisationsstrukturen und ein umfassendes leistungsfähiges Bibliotheksnetz, damit Zugangsmöglichkeiten für alle realisiert werden. Ein hoher Bildungsstand der Gesellschaft und ihre Weiterentwicklung sind ihnen wichtig. Dies ist ihr gemeinsames priorisiertes Ziel. Ein Bibliotheksgesetz ist aus ihrer Sicht eine grundlegende Voraussetzung zur Erfüllung der dafür benötigten Bedingungen. In der Konsequenz soll es auch dem Staat dienlich sein. Somit ist ein Bibliotheksgesetz für die polnischen Bibliothekare kein Selbstzweck. Dahinter stehen bildungspolitische Ziele. Offene Bibliotheken mit einem Zugang zur Information für alle können die Chancengleichheit in der Bildungspolitik unterstützen. Zusätzlich sollen aber auch die untergeordneten heterogenen Interessen der einzelnen Bibliothekstypen im Gesetzestext möglichst in vollem Umfang be-rücksichtigt werden. Die mit einem Bibliotheksgesetz verfolgten Ziele und Absichten der Bibliothekare sind für das Bibliothekswesen von hoher Relevanz, insofern ist den Biblio-theksgesetzen eine genauso hohe Relevanz einzuräumen.