• Keine Ergebnisse gefunden

3. Die Entstehung der polnischen Bibliotheksgesetze

3.3 Von den ersten Initiativen bis zur Verabschiedung des Gesetzes

3.3.3 Die Erarbeitung des Gesetzentwurfs

Mit der zunächst angestrebten Änderung des Dekrets beschäftigte sich die im April 1959 ein-berufene Sektion für Bibliotheken und das Lesewesen (Sekcja Bibliotek i Czytelnictwa) beim Rat für Kultur und Kunst unter dem Minister für Kultur und Kunst. Schon kurz nach der Übernahme dieser Aufgabe hieß es, dass das Dekret nicht beibehalten werden könne.

(Zarzębski 1986, S. 292)

Die Sektion für Bibliotheken und das Lesewesen berief eine Gruppe zwecks Erarbeitung eines Gesetzentwurfs. Zu dieser Gruppe gehörten: Jan Baumgart, Aleksander Birkenmajer, Adam Bocheński, Antoni Dubiszewski, Bogdan Horodyski, Józef Korpała, Helena Kozerska, Czesław Kozioł (Vorsitz), J. Pazyra, Ryszard Przelaskowski, Franciszek Sedlaczek,

Władysław Skoczylas, Helena Więckowska und Stanisława Wisłocka. Die Rechtsberatung erfolgte durch T. Gouta aus der Rechtsabteilung des Ministeriums für Kultur und Kunst.

(Kozioł 1960, S. 99–100) Doch die Erarbeitung des Entwurfs lag primär in den Händen von Horodyski und Kozioł. Horodyski, der Direktor der Nationalbibliothek, folglich ein Repräsen-tant des wissenschaftlichen Bibliothekswesens, und Präsident der Hauptverwaltung des Ver-eins Polnischer Bibliothekare (Zarząd Główny SBP, ZG SBP), leitete die Sektion für Biblio-theken und das Lesewesen. Kozioł, der Vizedirektor des Departments der Kulturhäuser, Kul-turräume und Bibliotheken (Departament Domów Kultury, Świetlic i Bibliotek), also ein Re-präsentant des öffentlichen Bibliothekswesens, unterstützte die Arbeiten mit hohem Engage-ment und stimmte die Gesetzentwürfe mit verschiedenen zentralen Ämtern ab. (Zarzębski 1986, S. 292) Ihre fachliche Eignung wurde nie offen angezweifelt (Howorka 2010, S. 70).

Laut Kozioł legten die zuvor in der Hauptverwaltung des Vereins Polnischer Bibliothekare aufgestellten und diskutierten Thesen die Grundlage für die Vorarbeiten am neuen Biblio-theksgesetz. Die Thesen wurden von Franziszek Sedlaczek, Władysław Skoczylas und Kozioł selbst erarbeitet und basierten auf den vom Verein Polnischer Bibliothekare eingeholten Stel-lungnahmen von Bibliothekaren, die in unterschiedlichen Bibliothekstypen beschäftigt waren.

(Kozioł 1960, S. 99)

Kozioł und Horodyski stellten das Dekret während der Erarbeitung des Gesetzentwurfs als veraltet und unbrauchbar dar. Kozioł wies auf überholte Vorschriften hin, die von nicht mehr existierenden Ressorts und Institutionen sprächen und die neuen Formen der Verwaltungs- und Wissenschaftsorganisation somit nicht abdecken könnten. Als Beispiele gab er u. a. das zwischenzeitlich geschaffene Ministerium für Hochschulwesen (Ministerstwo Szkolnictwa Wyższego, Min. Szk. Wyż.) und die Gründung der Polnischen Akademie der Wissenschaften an. Des Weiteren kritisierte er die mangelnde Berücksichtigung der Fach- und Gewerk-schaftsbibliotheken, die inzwischen eine ernst zu nehmende Position im Bibliothekssektor einnehmen würden. Die Anwendung der Regelungen, die über die Zugehörigkeit von Biblio-theken zu der Sparte der wissenschaftlichen BiblioBiblio-theken bestimmen, schätzte er als zu schwierig ein. (Kozioł 1960, S. 99) Horodyski führte die Respektlosigkeit gegenüber dem noch geltenden Dekret als den wahren Grund für die Notwendigkeit eines neuen Bibliotheks-gesetzes an. Dafür war seiner Meinung nach die mangelnde Elastizität der Bestimmungen

ursächlich, denn diese hätten die neu entwickelten Organisationsformen der Bibliotheken nicht fassen können. (Horodyski 1965, S. 1)

Es ist fraglich, inwieweit die Argumente für die Ersetzung des Dekrets überzeugend sind.

Auffällig ist, dass nach der Verkündung des neuen Bibliotheksgesetzes entweder ganz pau-schal mit den stark von der Realität abweichenden Rahmenbedingungen für die Tätigkeit der Bibliotheken und der damit zusammenhängenden entstandenen Überalterung des Dekrets ar-gumentiert wurde (Wojewódzka Biblioteka Publiczna (Białystok) 1978, S. 7). Oder es wurden nicht ganz nachvollziehbare Ursachen für die Schaffung eines neuen Gesetzes genannt, wie die enorme Entwicklung im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereich und der mit ihr einhergehende Wunsch nach wissenschaftlichen Informationen, vor allem in den Bereichen Technik und Wirtschaft. Auch andere Sachverhalte wurden kommuniziert: die terri-toriale Verwaltungsreform, der Anstieg der Literaturproduktion, die schwach entwickelte Zu-sammenarbeit der Bibliotheken, Veränderungen in den Funktionen von Bibliotheken, die Entwicklung der Bibliotheksnetze, das schnelle Anwachsen der Leserbedürfnisse, der Litera-turbedarf, insbesondere der Bedarf an Fachzeitschriften, Lehrbüchern für Studierende und die Bedarfe der Wissenschaftler (Kałużny 1968, S. 258; Kołodziejska 1969b, S. 18; Pawlikowska 1976a, S. 13). Ob es sich hierbei lediglich um vorgeschobene Gründe handelte, darüber lässt sich nur spekulieren.

Im Laufe der Zeit entstanden mehrere Gesetzentwürfe (Zarzębski 1986, S. 292). Folgende Inhalte wurden kontrovers diskutiert34:

- die Reaktivierung der Generaldirektion der Bibliotheken als eine zentrale steuernde und koordinierende Institution,

- die Rückführung der bibliothekarischen Angelegenheiten in das Bildungsministerium, - die Ausdehnung der Funktion des Staatlichen Bibliotheksbeirats zu einer

koordinie-renden Abteilung, in der Bibliotheksexperten aus verschiedenen Ressorts vertreten sind,

- die Festlegung der Rolle und der Aufgaben der Nationalbibliothek in dem landeswei-ten Bibliotheksnetz,

34 Die Meinungsunterschiede in Bezug auf den Inhalt des neuen Bibliotheksgesetzes fassten im Jahr 1963 E.

Józefowicz und im Jahr 1965 Horodyski zusammen (Józefowicz 1963; Horodyski 1965).

- die Kürzung der Vorschriften für die öffentlichen Bibliotheken zugunsten von Fach-bibliotheken; die geschickte Verknüpfung der bibliothekarischen Tätigkeiten der öf-fentlichen Bibliotheken mit den Schulbibliotheken,

- die Einführung einer Definition für den Begriff „wissenschaftliche Bibliothek“ in das Gesetz und einer Vorschrift, welche die Zugehörigkeit der Bibliotheken zu dieser Sparte regelt,

- die Definition des Begriffs „Spezialbibliothek“ und die Zugehörigkeit zu dieser Spar-te,

- Definitionen weiterer Begriffe im Gesetz, z. B. auch die Definition des Begriffs „Bi-bliothek“ selbst,

- die rechtliche Legalisierung eines breiteren Zugangs zu Bibliotheksmaterialien, die sich im Privatbesitz von wissenschaftlichen Mitarbeitern oder Spezialisten befinden, - die Regelung weiterer wichtiger bibliothekarischer Vorgänge, wie z. B. die

Abliefe-rung der Pflichtexemplare. (Kozioł 1960, S. 100–109; Przelaskowski 1960, S. 322–

326)

Nach Barbara Sordylowa war die endgültige Fassung des Entwurfs im Jahr 1966 erstellt. (Fo-rum dyskusyjne Przeglądu Bibliotecznego 1993, S. 163). Die lange Dauer vom Beginn der Erarbeitung des Entwurfs bis zu seinem Inkrafttreten galt als Geburtsfehler des Gesetzes. Be-reits beim Inkrafttreten wurde das Bibliotheksgesetz in seinem Konzept als veraltet kritisiert (Sordylowa 1995, S. 40; Zarzębski 1982, S. 79). Die beiden Hauptverfasser des Bibliotheks-gesetzes erlebten dessen Verkündung nicht. Horodyski starb Mitte 1965 und Kozioł kurz vor der Verabschiedung des Gesetzes. (Zarzębski 1986, S. 292–293)