• Keine Ergebnisse gefunden

5. Die Realisierung der Bibliotheksgesetze

5.2 Die Realisierung des Bibliotheksgesetzes vom 9. April 1968

5.2.1 Das Bibliothekswesen der Volksrepublik Polen in

5.2.1.5 Die Beurteilung der Realisierung des Bibliotheksgesetzes

Die Umsetzung der Bestimmungen des Bibliotheksgesetzes wurde diverse Male diskutiert und bewertet, oft von staatlichen Organen, aber auch von anderen Organisationen. Die erste

Einschätzung erfolgte bereits im Jahr seiner Verkündung durch die Sejmkommission für Kul-tur (Pawlikowska 1975a, S. 130). Diese fiel äußerst positiv aus. Es hieß, dass das Gesetz den hohen Rang des bibliothekarischen Berufes hervorhebe und die rechtliche Situation aller Bibliothekstypen gemäß den Anforderungen einer modernen Arbeitsorganisation von Biblio-theken regele (Kaczmarek 1969, S. 312). Die Umsetzung des Bibliotheksgesetzes spielte wohl für die Sejmkommission für Kultur und Kunst eine prominente Rolle, denn sie beschäftigte sich mit der Thematik regelmäßig, und zwar im März 1970, Februar 1974, Oktober 1976 und Mai 1978. Nach Pawlikowska stütze sich das Gutachten von 1970 auf die vorbereiteten Mate-rialien des Ministeriums für Kultur und Kunst und fiel wenig überraschend positiv aus. Es wurde angemerkt, dass eine zweijährige Geltungsdauer des Gesetzes zu kurz für eine umfas-sende Beurteilung sei. Grundlage der folgenden Gutachten waren nicht mehr Materialien aus dem Haus des Ministeriums für Kultur und Kunst, sondern Publikationen der Fachwelt, und zwar der „Raport o stanie bibliotek polskich“ [Rapport über den Stand der polnischen Biblio-theken] der Nationalbibliothek (Assbury u. a. 1974) und das ebenfalls von der Nationalbiblio-thek erstellte „Program rozwoju bibliotekarstwa polskiego do 1990 r.“ [Programm zur Ent-wicklung des polnischen Bibliothekswesens bis zum Jahr 1990] (Państwowa Rada Biblio-teczna przy Ministrze Kultury i Sztuki (Warszawa) 1978) sowie das „Ocena stopnia realizacji ustawy w latach 1968-1974“ [Gutachten zur Realisierung des Bibliotheksgesetzes in den Jah-ren 1968-1974] aus der Feder des Departments für Bibliotheken. Auf der Basis dieser Mate-rialien beurteilte Pawlikowska zufolge die Sejmkommission die Tätigkeit des Departements Bibliotheken positiv, machte aber gleichzeitig auf die Notwendigkeit der Stärkung der Rolle des Ministers für Kultur und Kunst als Beauftragten des gesamten Bibliothekswesens auf-merksam. Bemerkt wurden auch das Fehlen von Spezialstellen für bibliothekarische Angele-genheiten und Versäumnisse im Bereich der wissenschaftlichen Bibliotheken. Letztlich sprach sie sich für eine Novellierung des Bibliotheksgesetzes im Hinblick auf die wissenschaftliche, technische und ökonomische Information. (Pawlikowska 1975a, S. 131; Pawlikowska 1978, S. 400)

Der Staatliche Bibliotheksbeirat blieb ebenfalls nicht untätig. Auf seine Initiative entstand u.a.

„Harmonogram prac na lata 1975-1976 i do roku 1980 nad realizacją ustawy o bibliotekach“

[Arbeitszeitplan für die Jahre 1975-1976 und bis ins Jahr 1980 für die Realisierung des Bibliotheksgesetzes], der auf dem Rapport über den Stand der polnischen Bibliotheken und dem Gutachten zur Realisierung des Bibliotheksgesetzes basierte. Der Arbeitszeitplan sah

eine Analyse des Istzustands, der Bedarfe und der Entwicklungsrichtungen der wissenschaftli-chen Bibliotheken bestimmter Ressorts und der Bibliotheken der Berufsverbände vor. Außer-dem forderte er eine Prüfung des Istzustands und der benötigten Bedarfe im Bereich des Bibliotheksbaus, eine Analyse der wissenschaftlichen Arbeiten, die von öffentlichen Biblio-theken wahrgenommen werden, sowie die Organisation von Treffen mit Vertretern der Res-sorts, damit die Bestimmungen des Gesetzes schneller umgesetzt werden können.

(Pawlikowska 1978, S. 400–401)

Ein erheblicher Anteil an dem Realisierungsprozess des Bibliotheksgesetzes kommt dem Ver-ein Polnischer Bibliothekare zu. Auf sVer-eine Initiative hin entstanden sehr viele Artikel, die sich mit der Verwirklichung der Bestimmungen auseinandersetzten und in den renommierten bibliothekarischen Zeitschriften veröffentlicht wurden. (Pawlikowska 1978, S. 401)

Mit dem Stand der Umsetzung des Bibliotheksgesetzes beschäftigten sich sogar andere gesell-schaftliche Organisationen. Der Verband der Polnischen Lehrerschaft (Związek Nauczy-cielstwa Polskiego) stellte für die Sejmkommission für Wissenschaft Materialien über den Stand und die Bedarfe der Hochschulbibliotheken zusammen. Der Berufsverband der Be-schäftigten im Bereich Kultur und Kunst (Związek Zawodowy Pracowników Kultury i Sztuki) setzte sich mit der Gehaltssituation und der Qualifizierung der Beschäftigten in öffentlichen Bibliotheken auseinander. (Pawlikowska 1978, S. 401)

Pawlikowska fasst die Analyse der Materialien wie folgt zusammen: Der Art. 9 des Biblio-theksgesetzes wurde nicht adäquat umgesetzt. Die Institutionen, denen Hochschulbibliotheken und öffentliche Bibliotheken zugeordnet waren, sorgten nicht im erforderlichen Maß für die nötigen Bedingungen der Bibliotheken und für deren Entwicklung. Nicht vollständig realisiert wurde der Art. 12, der die Gründung von Ressortnetzen empfahl. So entstand z. B. im Ressort für Kultur und Kunst lediglich das Netz der öffentlichen Bibliotheken. Die Bibliotheken der Kunstschulen, der Museen und andere Bibliotheken, die dem Ressort für Kultur und Kunst unterstellt waren, gehörten keinem Netz an und entbehrten somit der fachlichen Unterstüt-zung. Es wurden Lösungen benötigt für das Problem der überzähligen Drucke aus dem lan-desweiten Bibliotheksnetz. Auf Realisierung warteten Art. 13 Abs. 2, der für die Magazinie-rung wenig benutzter Materialien die Bildung von Speicherbibliotheken empfahl, sowie Art.

16, der die Sicherung und Konservierung der Bibliotheksbestände betraf. Auf die Umsetzung warteten ferner die Bestimmungen des Art. 20, welche die Benennung von Bibliotheken

emp-fahlen, die zur Ausübung einer wissenschaftlichen Forschungsarbeit zwecks Entwicklung des Bibliothekswesens verpflichtet gewesen wären. Die Organisation und die Grundlagen der Tätigkeit der Fachbibliotheken im landesweiten Bibliotheksnetz wurden ebenfalls noch nicht umgesetzt (Art. 21). (Pawlikowska 1978, S. 402)

Trotzdem beurteilte Pawlikowska den Stand der Realisierung Ende 1978 insgesamt positiv.

Die Realisierung erfolgte in einem beachtlichen Maß und umfasste die grundsätzlichen Dinge, auch wenn der Prozess nicht planmäßig und nicht regelmäßig verlief (Pawlikowska 1975a, S. 132). Die Analysen bewiesen ihrer Meinung nach, dass die Durchführungsanordnungen für die tägliche Tätigkeit der Bibliotheken von Nutzen seien und das Bibliotheksgesetz nicht überaltert, sondern von Wert für die Gestaltung der Bibliothekspolitik im Land sei.

(Pawlikowska 1978, S. 402)

Ähnlich wurde die Realisierung des Bibliotheksgesetzes auf der Konferenz anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Bibliotheksgesetzes unter dem Titel „Stand und Entwicklungs-richtungen des Bibliotheksrechts in Polen“ in Lodz vom 6.-7. April 1978 bewertet. Doch die Bibliothekare nutzten die Gelegenheit auch, um auf die Schwächen im Bibliothekswesen aufmerksam zu machen. Als wichtig für eine erfolgreiche Entwicklung der Bibliotheken wurde die Existenz eines Ausführungsorgans entweder auf der Ebene der Ressorts oder darüber angesehen, das inspirierend und koordinierend auf die Bibliothekspolitik einwirken könnte. Außerdem wurde die Zusicherung eines konstanten Zugangs von grundlegenden aus-ländischen Publikationen (insbesondere wissenschaftlicher Zeitschriften) für den Bibliotheks-bestand gewünscht. Ganz allgemein wurde die Notwendigkeit der Modernisierung des Biblio-thekswesens betont, wobei ganz besonders die dringenden Bedarfe im Bibliotheksbau und die Zusicherung ausreichender Mittel hierfür in den verschiedenen Ressorts thematisiert wurden.

(Fajkowski 1978, S. 395–396)

Detaillierte Kritik an der Realisierung des Bibliotheksgesetzes wurde in der Diskussion an-lässlich der 10-jährigen Verkündung des Bibliotheksgesetzes formuliert. Sie wurde von der Redaktion der Zeitschrift „Bibliotekarz“ durchgeführt. Die Mehrzahl der Teilnehmer wünsch-te eine Kontrolle für die Realisierung des Bibliotheksgesetzes. Hingewiesen wurde auf die Notwendigkeit der Gründung eines zentralen Organs mit breiten Kompetenzen im Bereich der Verwaltung des Bibliotheksnetzes oder alternativ die Notwendigkeit der Stärkung der Ausfüh-rungsorgane, die sich mit Bibliotheksangelegenheiten im Ministerium für Kultur und Kunst

und in anderen Ressorts beschäftigen sollten. Erörtert wurden auch weitere wichtige Inhalte des Bibliothekswesens, die in Bezug zum Bibliotheksgesetz standen. Hierzu zählten vor al-lem:

- Zweigleisigkeit des Vorgehens im Bibliotheks- und Informationssektor und die Not-wendigkeit der Integration der beiden Systeme,

- breitere Zusammenarbeit der Bibliotheken und der Informationseinrichtungen, dabei insbesondere die Notwendigkeit einer besseren Koordination der Zusammenarbeit der Bibliotheken selbst und die Einbindung der Bibliotheken in das landesweite Informa-tionssystem,

- Verzögerungen in der Umsetzung der Zusammenarbeit in bestimmten Bereichen, z. B.

in der Ausleihe zwischen den Bibliotheken und der Spezialisierung der Bibliotheksbe-stände,

- Schwächen im Bereich der bibliografischen Information und sogar in den Dienstleis-tungen der Bibliotheken im Allgemeinen,

- Negative Auswirkungen der Verwaltungsreform im Land auf die Struktur und die Funktionsweise des Netzes der öffentlichen Bibliotheken (im Zusammenhang mit der administrativen Teilung gemäß Art. 25 Abs. 1),

- Fehlen von zentralen statistischen Daten, die über das Netz der öffentlichen Bibliothe-ken hinausgehen,

- nicht ausreichende personelle, materielle, forschungsorientierte und wissenschaftliche Tätigkeit der Bibliotheken sowie mangelnde Betrachtung der tatsächlichen Arbeitsbe-dingungen und der organisatorischen Möglichkeiten,

- Notwendigkeit einer gründlichen Modernisierung einer Vielzahl von Bibliotheken.

(Dziesięciolecie ustawy o bibliotekach (Dyskusja w redakcji) 1978)

Die Kritik in den 1970er Jahren betraf demnach hauptsächlich die Art und Weise und die Rahmenbedingungen der Realisierung des Bibliotheksgesetzes und nur in einem geringen Umfang seine rechtlichen Regelungen. Nach den Beobachtungen von Wołosz wurde das Bibliotheksgesetz in diesem Zeitraum zuweilen in übertriebener Weise lobgepriesen. (Wołosz 1982, S. 82)