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5. Die Realisierung der Bibliotheksgesetze

5.3 Die Realisierung des Bibliotheksgesetzes

5.3.2 Die Reaktionen der polnischen Bibliothekswelt

Erwartungsgemäß blieb ein Aufschrei der bibliothekarischen Community gleich nach der Verkündung des Bibliotheksgesetzes nicht aus. Folgende Vorwürfe wurden erhoben: Das neue Bibliotheksgesetz sei dürftig und mit Fehlern übersät (Wojciechowski 1997). Es enttäusche die Erwartungen der Bibliothekare, denn es integriere nicht alle Bibliotheken in ein modernes Bibliotheks- und Informationssystem (Czajka 1997; Howorka 1997c, S. 4) und trage den Ma-kel eines instabilen Zeitabschnitts der Transformation (Czajka 1997). Zudem sei das Biblio-theksgesetz ein Gesetz für öffentliche Bibliotheken (Wojciechowski 1997; Czajka 1997;

Howorka 1997c, S. 6).

Es erfolgte aber nicht nur generelle Kritik. Auch auf der Ebene einzelner Bestimmungen wur-de das Gesetz inhaltlich in mehrfacher Hinsicht kritisiert. Insbesonwur-dere störten Mängel in wur-der Formulierung des Geltungsbereichs und die Neukonzeptionierung des landesweiten Biblio-theksnetzes. Beanstandet wurde aber auch die unzulängliche Berücksichtigung der Berufs-problematik. Die Benennung der Aufgaben von Fachbibliotheken und Betriebsbibliotheken in einem Artikel wurde als unprofessionell betrachtet. In diesem Zusammenhang wurde auch darauf hingewiesen, dass die Zahl der Betriebsbibliotheken schon zum damaligen Zeitpunkt kontinuierlich abnahm. Dem Gesetzgeber wurde vorgeworfen, dass das Bibliotheksgesetz mit dem Rücken zum Bildungsgesetz entstand, da dieses die Organisation von Schulbibliotheken anders regelt. Dass der Minister für Kultur und Kunst die Grundsätze und das Verfahren der Zuordnung von weiteren Bibliotheken zu der Sparte der wissenschaftlichen Bibliotheken be-stimmen sollte, wurde als inkonsequent angesehen. (Howorka 1997c; Wojciechowski 1997) Letztlich wurden die Regelungen des Gesetzes und die darin enthaltenen Ermächtigungen zum Erlass von Durchführungsbestimmungen als ungenau, nicht eindeutig und widersprüch-lich empfunden (Howorka 1997b; Biliński 1999, S. 7). Worte des Lobes waren nur vereinzelt zu hören und bezogen sich auf die Bestimmungen zum öffentlichen Bibliothekswesen. Hier-bei wurde die weitgehende schützende und stabilisierende Funktion des Bibliotheksgesetzes für den öffentlichen Bibliothekssektor sowie die Erweiterung und Präzisierung der Aufgaben von Woiwodschaftsbibliotheken hervorgehoben. (Burakowski 1997) Ungeachtet dessen wur-de jedoch grundsätzlich wur-der konservative Charakter wur-des Gesetzes in wur-der Community bemän-gelt (Zarzębski 1991b-2000, S. 8). Tatsächlich lassen sich innovative Ansätze für eine erfolg-reiche Weiterentwicklung des Bibliothekswesens kaum ausmachen. Insofern wird das Gesetz

über Bibliotheken von 1997 keinesfalls zum großen Wurf in der polnischen Bibliotheksge-setzgebung zählen können.

Im Zeitraum 1998/1999 änderten sich die Meinungen der Bibliothekare nur geringfügig.

Während Howorka die Bestimmungen zur Zusammenarbeit der Bibliotheken weiter gänzlich beklagt (Howorka 1998), zeigt sich Biliński einsichtig in Bezug auf den Neuaufbau des lan-desweiten Bibliotheksnetzes. Er stört sich jedoch an fehlenden korrekten Vorgaben für die Einbindung von weiteren Bibliotheken in das Bibliotheksnetz. In diesem Zusammenhang stellte er vor allem den Sinn der bereits vorbereiteten, aber noch nicht erlassenen, Durchfüh-rungsverordnungen zum Art. 2870 infrage. Schließlich bedauert er, dass das landesweite Bibliotheksnetz künftig wegen der gesetzlichen Schwächen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mit Leben gefüllt werden würde. (Biliński 1999) Es gab aber auch weiterhin beschwich-tigende Stimmen. Trotz aller Schwächen und Unzulänglichkeiten wurden die Vorzüge des Bibliotheksgesetzes in der Existenz einer gesetzlichen Grundlage für das Bibliothekswesen gesehen. Vor allem für das öffentliche Bibliothekswesen sei es eine solide Basis für das Gene-rieren seiner Organisation. (Czajka 1999, S. 7) Unbeschadet der divergierenden Meinungen zum neuen Bibliotheksgesetz gab es Konsens, dass das Gesetz in naher Zukunft modifiziert bzw. ersetzt werden müsse (Biliński 1998b, S. 2; Czajka 1999, S. 8; Howorka 1998, S. 32).

Die Ausführungen lassen vermuten, dass das Gesetz über Bibliotheken von 1997 seine Akzep-tanz in der bibliothekarischen Fachwelt verspielte.

Obwohl die Studie auf den Zeitraum nach der großen Verwaltungsreform im Jahr 1999 nicht eingeht, sei ein kurzer Einblick auf deren Folgen im Bereich des Bibliothekswesens erlaubt:

Die Auswirkungen der Verwaltungsreform71 im öffentlichen Bibliothekssektor wurden mit einem „Erdbeben“ (Kołodziejska 1999, S. 3) verglichen. Kołodziejska prangert die unzu-reichende Etatplanung in der Bereitstellung der Mittel für das Netz der öffentlichen Biblio-theken an. So wurde z. B. die Finanzierung der überzähligen und in KreisbiblioBiblio-theken umzu-wandelnden Woiwodschaftsbibliotheken nach dem 1. Januar 1999 nicht eingeplant. Ihre Exis-tenz wurde anscheinend schlicht vergessen und sie standen plötzlich ohne finanzielle Mittel

70 Art. 28 wurde aufgehoben (Dz.U. 1997 Nr. 85, Pos. 539, Einheitlicher Text).

71 Infolge der Verwaltungsreform wurde am 1. Januar 1999 die Zahl der Woiwodschaften von 49 auf 16 reduziert, 308 Kreise wurden eingeführt und 65 Städte erhielten einen kreisfreien Status. Von diesem Zeitpunkt an gliederte sich Polen territorial und administrativ in Woiwodschaften, Kreise (Land- und Stadtkreise) und Gemeinden. (Eschenhagen 1999, Sp. 627–628)

da. In den Budgets der territorialen Selbstverwaltungen reichten die Mittel für die öffentlichen Bibliotheken nicht aus. Die mit der Einführung der Kreise auch neu zu gründenden Kreis-bibliotheken gemäß Art. 19 Abs. 3 stießen bei den zuständigen Selbstverwaltungseinheiten auf keine große Begeisterung. Die Kreise übten sich in einer Verzögerungstaktik. Unter diesen Prämissen sollte laut Kołodziejska die Aufgabenverteilung unter den öffentlichen Bibliothe-ken des Landes, wie sie das Gesetz vorsieht, überdacht werden. (Kołodziejska 1999) Selbst die Annahme, dass Gemeindebibliotheken die Verwaltungsreform unbeschadet überstehen, bewahrheitete sich nicht. Die Möglichkeit, diese Bibliotheken in die Struktur anderer kulturel-ler Einrichtungen gemäß Art. 13 einzubinden, nutzten die Gemeinden gerne. Diese Zusam-menschlüsse wirkten sich für die Gemeindebibliotheken stets zum Nachteil aus. (Beński, Szymorowska 2000)

Auch wenn die Momentaufnahme der Situation der öffentlichen Bibliotheken nur einen Teil-aspekt der sich ändernden Bedingungen für das polnische Bibliothekswesen infolge des noch andauernden Prozesses der Transformation in Polen illustriert, so verdeutlicht sie, weshalb sich der Verein Polnischer Bibliothekare die Erarbeitung eines neuen Gesetzes für den Zeit-raum 2010 bis 2021 zur Hauptaufgabe setzte (Budyńska, Stefańczyk 2012, S. 2).

5.4 Fazit

Der Einblick in den Realisierungsprozess der Bibliotheksgesetze belegt auf eindrucksvolle Weise, dass ihre Verwirklichung von vielen verschiedenen Einflussfaktoren abhängig ist. Fol-genschwer wirkten sich gesellschaftspolitische Umbrüche aus. Der bedeutende Einbruch in der Realisierung des Dekrets über Bibliotheken im Zuge der stalinistischen Gleichschaltung, aber auch die nahezu zehnjährige Phase der ereignisreichen Umbrüche bis zum Wendejahr 1989 und die danach erfolgte Transformation führten jeweils zu einer Neujustierung des Bibliothekswesens. In der Folgezeit dominierten uneingeschränkt die staatlichen Interessen an der Entwicklung des bibliothekarischen Sektors. Dies führte dazu, dass bestimmte Regelun-gen und der mit ihnen verfolgte Zweck gern in Vergessenheit gerieten, insbesondere dann, wenn sie den Zielen der Staatsmacht nicht entsprachen. Das Potenzial leistungsfähiger Biblio-theken war längst erkannt und der gestalterische Wille des Staates gemäß seiner Zielsetzung nahm in diesen Zeiten ungehindert seinen Lauf. Die andauernde Vormachtstellung des polni-schen Staates im Bereich des Bibliothekswesens erlaubt es ihm, dieses Potenzial zu seinem

Vorteil zu nutzen bzw. auch zu missbrauchen. In Form von Rechtsanordnungen bzw. Rechts-verordnungen und sonstigen rechtlichen Vorschriften wurden neu formulierte Ziele des polni-schen Staates praxiswirksam.

Trotz alledem ist ein lebhaftes Interesse des Staates am Bibliothekswesen für die Realisierung eines Bibliotheksgesetzes unentbehrlich. Nur dann, wenn die verfolgten Ziele von besonde-rem Wert für die Gesellschaft sind, ist die Bereitschaft groß, ein Gesetz ins Leben zu tragen.

Der staatliche Wille zum Handeln muss kontinuierlich vorhanden sein. Obwohl das Dekret über Bibliotheken in Anbetracht der damaligen Gegebenheiten von hohem Nutzen im Land war, bedurfte seine Realisierung immer wieder der Unterstützung seitens der Politik. Der Erfolg des Dekrets im Jahr 1948 ist darauf zurückzuführen. Die Tatsache, dass viele Aktivitäten der Politiker in ein Propagandakonzept eingebettet waren, wird für diese Feststel-lung außer Acht gelassen.

In hohem Maße ist die Verwirklichung der Bibliotheksgesetze von den Bibliothekaren selbst abhängig. Ihre Unternehmungen und Impulse, welche die Umsetzung beleben, sind von gro-ßer Bedeutung. Hierzu gehörten das Thematisieren der Bibliotheksgesetzgebung u. a. in den regelmäßig durchgeführten Konferenzen, den vielen Artikeln in Fachzeitschriften und sonsti-ger Presse sowie die erstellten Gutachten zum Stand des Realisierungsprozesses. Die Schaf-fung organisatorischer Strukturen im Bereich des Bibliothekswesens, die richtungsweisend agieren, scheint eine Grundvoraussetzung zu sein. Die Community muss bereit sein, das geschaffene Bibliotheksgesetz anzuwenden und umzusetzen. Dies scheint nur dann zu gelingen, wenn die Ziele der Community im Gesetz Eingang finden. Die Einigkeit in der Community in Bezug auf den Wert des Bibliotheksgesetzes ist sehr hilfreich. Mangelnder Zusammenhalt und mangelnde Stabilität des bibliothekarischen Umfelds wirken sich negativ aus. Die emotionale Akzeptanz einer gesetzlichen Regelung bei den Bibliothekaren ist eine Grundvoraussetzung hierfür. Ohne die tatkräftige Unterstützung aller Gesetzesadressaten kann ein solches Gesetz kaum erfolgreich realisiert werden. In den lang andauernden Phasen der Erarbeitung eines neuen Bibliotheksgesetzes nahm die Kritik am gelten Gesetz zu, was unmittelbar zu seinem Wirkungsverlust führte.

Zu einem weiteren maßgeblichen Einflussfaktor zählt die ökonomische Stabilität des Landes.

Die Umsetzung der Gesetze war bereits im Hinblick auf die Bildung der Bibliotheksnetze mit einer großen finanziellen Belastung für den Staat verbunden. Viele der Verspätungen im

Rea-lisierungsprozess gingen auf die wirtschaftliche Situation im Land zurück. Die desolate Wirt-schaftslage stand der erfolgreichen Realisierung der Bibliotheksgesetze oft im Weg.