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Sprachlich-kulturelle Bildung

Im Dokument Englisch/ Französisch (Seite 21-24)

Den Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/Franzö-sisch) für die Allgemeine Hochschulreife liegt ein Strukturmodell zugrunde, in dem fünf Kompetenzen miteinander verbunden sind. Eine zentrale Position nehmen dabei die funktionale kommunikative Kompetenz, die interkulturelle kommunikative Kompetenz sowie die Text- und Medienkompetenz ein. Als be-gleitende Kompetenzen treten die Sprachbewusstheit und die Sprachlernkompe-tenz hinzu (s. Kap. 1.2).

Das Zusammenspiel der Kompetenzen ermöglicht insbesondere die Entwick-lung der mündlichen und schriftlichen Diskursfähigkeit auf dem für die Oberstu-fe angestrebten Niveau. Durch die Auseinandersetzung mit Themen anglopho-ner bzw. frankophoanglopho-ner Kulturen entfaltet sich die Kompetenz, mündlich und schriftlich zu kommunizieren. Es werden u.a. politische, wirtschaftliche, geogra-phische, geschichtliche und literarische Aspekte berücksichtigt, wobei auch die Text- und Medienkompetenz eine gewichtige Rolle spielt. Die Diskursfähigkeit stellt somit einen Eckpfeiler der sprachlich-kulturellen Bildung dar.

Im Fremdsprachenunterricht der Oberstufe kommt außerdem der Sprachbe-wusstheit sowie der Sprachlernkompetenz eine besondere Bedeutung zu. Bereits in den einzelnen Beiträgen des Sammelbands von Tenorth (2001) wird deutlich, dass die klassische, systembezogene Sprachreflexion einem wesentlich breiteren Zugang Platz gemacht hat: der Reflexion der Funktionalitäten und kulturellen Implikationen von Sprache und Sprachen (vgl. hierzu den „Orientierungsrah-men für den Lernbereich Globale Entwicklung“, KMK 2015).

Dahinter steht die Erkenntnis, dass Sprachen ,menschengemacht‘ sind, ,eine Welt‘ zum Gegenstand haben und daher als Kommunikationsmedien mehr Ge-meinsamkeiten haben als Trennendes – ein Aspekt, den der bisherige Sprach-und Fremdsprachenunterricht viel zu wenig in Erwägung gezogen hat, galt es doch stets, einzelsprachliche Spezifika und zwischensprachliche Differenzen he-rauszuarbeiten. Sprachenvergleich wird im Fremdsprachenunterricht des Gym-nasiums in Zukunft (wieder) verstärkt eine Rolle spielen. Es wird neue Formen sprachlichen Lernens geben müssen, in einem Unterricht, der sprachlichen und kommunikativen Phänomenen im Rahmen des schulisch Möglichen auf den Grund geht: sowohl in funktionaler wie auch in interkultureller Hinsicht, an-hand vielfältiger Textsorten und medialer Zugänge.

Jenseits von „Kochbuch-Regeln“ (Motto: Wennago, dann Past Tense) werden insbesondere in der gymnasialen Oberstufe Einsichten in Sprachfunktion und Sprachform angeregt, das Bewusstsein für deren Besonderheiten und Gemein-samkeiten wird geschärft und die Sensibilität für die eigenen sprachlichen Lern-potentiale wird gefördert. Das DESI-Projekt hat gezeigt, dass ein großer Teil der Gymnasiasten im Bereich Sprachbewusstheit einen deutlichen Nachholbedarf hat (Nold/Rossa 2008). Die Schülerinnen und Schüler sind beispielsweise nur sehr eingeschränkt in der Lage, sprachstrukturelle und sprachpragmatische Ab-weichungen der Zielsprache von der Muttersprache/Zweitsprache Deutsch vor dem Hintergrund des anderen Sprach- und Normensystems zu durchschauen.

Daher können sie eigene Fehler oder Verstöße weder als solche erkennen noch sich entsprechend korrigieren. Gleichzeitig fehlt ihnen die Sensibilisierung für

der

mögliche Fehler, auch wenn die entsprechenden Strukturen im Unterricht be-handelt wurden. Insgesamt sind Sprachbewusstheit wie auch Sprachlernfähig-keit Kompetenzbereiche, die es in Zukunft im Fremdsprachenunterricht von Anfang an stärker aufzubauen und zu entwickeln gilt, weil sie langfristig die Selbstständigkeit der Lernenden und ihren eigenständigen Umgang mit schuli-schen Anregungen und Stützsystemen stärken.2

Sprache muss als Wort gewordene Kultur begriffen werden. Die bei Tenorth (2001) geforderte, von den Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife verwirklichte Gleich-gewichtung von funktionaler und interkultureller kommunikativer Kompetenz zielt auf Sprachhandlungsfähigkeit in kulturellen Kontexten, und zwar vor dem Hintergrund kritischer und selbstkritischer Toleranz gegenüber dem Fremden.

Interkulturelle kommunikative Kompetenz umfasst dabei auch Erscheinungsfor-men der Alltagskultur. Damit leistet Fremdsprachenunterricht einen zentralen Beitrag auch zu kultureller und interkultureller Bildung.

Im Rahmen der kulturell-interkulturellen Zielsetzung des Fremdsprachenun-terrichts entfaltet sich die Diskursfähigkeit und zwar auch verstanden als die Fähigkeit zur Teilhabe an gesellschaftlich relevanten Diskursen unter Beteiligung einer oder mehrerer Fremdsprachen. Ein Diskurs kann im Modus des direkten persönlichen Kontakts, im Lesen fremdsprachiger gedruckter oder digitaler Tex-te, im Sehen von Filmen, in der Begegnung mit Kunstwerken oder auch in der Auseinandersetzung mit gesellschaftlich-politischen Texten, Themen und Zeug-nissen der englisch- oder französischsprachigen Welt stattfinden. Dabei sind es stets relevante, herausfordernde Themen, die die Schülerinnen und Schüler zunächst ansprechen und motivieren, sprachlich zu handeln und sich in die vorhandenen Diskussionsstrukturen einzubringen. Fremdsprachlicher Diskurs erschließt damit Zugänge zu Welterfahrung und zur Persönlichkeitsentwicklung, die denjenigen, die keine Fremdsprachen sprechen, verwehrt bleiben. Die hier beschriebene Diskursfähigkeit gehört damit zum Kernbereich gymnasialer Bil-dung.

Zum ureigenen Feld neusprachlicher Bildung gehört schließlich die Erfah-rung mit Mehrsprachigkeit sowie mit deren Verwirklichung in interkultureller Kommunikation. Fremdsprachenkompetente Menschen wissen nicht nur, was sie in welcher ihrer Sprachen ausdrücken können, sie verfügen als Teil ihrer sprachlichen Bildung auch über verwertbare Spracherwerbs- und Sprachlerner-fahrungen. Sie sind in der Lage, eine anspruchsvolle mündliche und schriftliche Kommunikation zu führen, komplexe textuelle bzw. kommunikative Struktu-ren zu rezipieStruktu-ren (auch als Bestandteil literarischer Arbeit) sowie mündliche und schriftliche Beiträge zu liefern, die ihrer individuellen Interessenslage und Reife-entwicklung Rechnung tragen.

2 Untersuchungen zu den Sprachlernerfahrungen von Studierenden zeigen, dass das „Lernen des Lernens von Sprachen“ (Sprachlernkompetenz) alles andere als ein regelmäßiges Thema des Unterrichts ist. Vgl. dazu Nold/Haudeck/Schnaitmann 1997 sowie Meissner/Beckmann/

Schröder-Sura 2008.

Sprache als Wort gewordene Kultur

Teilhabe an gesellschaftlich relevanten Diskursen

Mehrsprachig-keitserfahrung als Bestandteil einer speziellen neusprachlichen Bildung

1.1.4 Themen und Inhalte im Zeitalter der Kompetenz-orientierung – und die Angst vor einer Verarmung des Fremdsprachenunterrichts

Der bisherige Oberstufenunterricht war stärker als der Unterricht der Sekundar-stufe I an Themen orientiert. Wie schon in Abschnitt 1.1.1 ausgeführt, hatte die thematische Orientierung ihren Ursprung in jenem Kanon der Texte und Bildungsgüter, der zwischen etwa 1810 und 1960 – also immerhin und trotz aller politischen Verschiebungen rund 150 Jahre lang – die didaktische Richtschnur für die Oberstufenarbeit abgegeben hatte. Dieser Kanon wurde nach 1968 als ideologisch belastet und der pluralistischen Gesellschaft nicht mehr gemäß bei-seite geschoben. Es folgte eine kanonlose Zeit, die aber durchaus ihren eigenen, alternativen, verdeckten Kanon schuf. Entsprechende Texte im Englischunter-richt waren beispielsweise1984,Brave New World,The Catcher in the RyeundThe Lord of the Flies oder im FranzösischunterrichtL’étrangeroderHuis clos. Es soll nicht in Abrede gestellt werden, dass diese Texte und Themen bedeutsam sind, nur wurden sie zur Mode, und besonders die übergreifenden Themen kehrten quer durch die Fächer zu häufig wieder, um bei den Lernenden noch Interesse zu wecken. Der „heimliche Kanon“ wurde kontraproduktiv.

Die Kanonproblematik ist bis heute nicht gelöst, weder für den allgemeinen und literarischen Bereich, noch beispielsweise für den der Kulturgeschichte oder der Gegenwartskulturen. Konsens scheint aber am Ausgang der lernzielorientier-ten Epoche darüber zu herrschen, dass Inhalte nicht beliebig sind, dass didaktisch sinnvolle Themenkataloge geplant und im schulischen Alltag vorhanden sein müssen (hier liefern für die Sekundarstufe I die Lehrpläne immer noch entschei-dende Vorgaben) und dass dem exemplarischen Lernen durchaus Grenzen gesetzt sind. Kompetenzen sind inhaltlich neutral, ihre Realisierung kann aber nur an In-halten erfolgen, und auch die Lernmotivation der Schülerinnen und Schüler wird weitgehend über Inhalte gesteuert. Sprachlich-funktionale Kompetenzen lassen sich nur im Rahmen von thematischen und kulturellen Kontexten entwickeln.

Dabei erlauben die inhaltlichen Bezüge unterschiedliche und vom gewählten Kompetenzschwerpunkt her zu bestimmende Fokussierungen. Anspruchsvolle Sachtexte und auch literarische Texte können mit einem sprachlichen Fokus (z.B.

Verwendung spezifischer kommunikativer Strategien und sprachlicher Mittel), mit einem textuellen Fokus (z.B. Intentionalität, Narrativität, Fiktionalität) oder auch mit einem interkulturellen Fokus (kulturspezifische Ausprägungen in the-matischer, sprachlicher und kommunikativ-strategischer Hinsicht) im Unterricht behandelt werden – dabei stets auch mit dem Ziel eigener mündlicher und/oder schriftlicher Produktion. Werden die Inhalte als beliebig angesehen, dann tritt ein Zustand ein, den Kritiker bereits nach dem Erscheinen der Bildungsstandards von 2004 verschiedentlich mit Etiketten wie „Kompetenzen ohne Inhalte“ oder

„Kompetenzen ohne Bildung“ versahen (vgl. z.B. Bausch et al. 2005). In ihren Augen besteht die Gefahr, dass ein mechanisches Training von Fertigkeiten die gymnasiale Bildungsarbeit ersetzt.

Aus den genannten Gründen ist die Diskussion der Inhalte, gerade auch mit Blick auf die Sekundarstufe II, von unmittelbarer Bedeutung. In den

kommen- Themenorien-tierung und ein Themenkanon als Ausgangspunkt das Ende des alten Kanon, die kanon-lose Zeit und der

„heimliche Kanon“

den Jahren werden Kriterienkataloge zu entwickeln sein, die zur Orientierung bei der Selektion von Inhalten herangezogen werden. Als Kriterien bieten sich u.a.

an: Berufswelten, Globalisierung, Verstehen anderer Kulturen sowie Lebensnähe (meaningfulness) für die Schülerinnen und Schüler.

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