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II. Perspektivische Klärung von Gender (Eva Schirmetz & Magdalena

2. Theoretische Diskurse zu Konstruktivismus und Dekonstruktivismus (Magdalena

2.5. Pädagogischer Konstruktivismus

Der pädagogische Konstruktivismus ist ein Ansatz, der sehr viel vom radikalen Konstruktivismus hat, nur in mehr abgeschwächter Form, also quasi eine „Light-Version“ ist. Diese Art des Konstruktivismus macht es möglich, die (radikalen) konstruktivistischen Ansichten so einzusetzen, dass eine neue Didaktik daraus entstehen kann. Die konstruktivistische Pädagogik versucht neue Sichtweisen in die Pädagogik und Didaktik einzubringen, die zu einer anderen Haltung als bisher führen (vgl. Pongratz 2005, S. 122). In den letzten Jahren standen und stehen im Mittelpunkt der sogenannten Neuen Lernkulturen meist konstruktivistische Perspektiven und Ansätze. So ist mit dem Begriff Konstruktivismus im pädagogischen Bereich keine einheitliche Theorie gemeint, sondern eine Diskussion über das Selbstorganisationspotential der Lernenden und diese betrifft und spielt sich nicht nur innerhalb einer Disziplin ab, sondern findet disziplinen- und theorienübergreifend statt, wobei die Übergänge fließend sind (vgl. Berzbach 2005, S. 43).

„Dazu gehören Beiträge der Neurobiologie bzw. Gehirnforschung, Psychologie, Kommunikationstheorie, Chaostheorie, Kognitionswissenschaft, Kybernetik und Erziehungswissenschaft sowie der postmodernen und neostrukturalistischen Philosophie. Auch die soziologische Systemtheorie kann nach ihrer autopoetischen Wende in Niklas Luhmanns soziale Systeme (1984) zum konstruktivistischen Diskurs gerechnet werden“ (Berzbach 2005, S. 43).

Dirk Rustemeyer (2013) vertritt die Ansicht: „Wirklichkeit ist das Resultat, nicht das unabhängige Objekt von Beschreibungen. Beschreibungen werden von Beobachtern erzeugt. Wirklichkeit zu beobachten erfordert deshalb, Beobachter zu beobachten, die Wirklichkeit beschreiben“ (Rustemeyer 2013, S. 125). Diese Ausführung von Rustemeyer ist quasi eine Zusammenfassung von Grundansichten und -erkenntnissen, aus den oben genannten verschiedenen Disziplinen, die sich mit Konstruktivismus beschäftigen. Die Verwendung von konstruktivistischen Theorien in

53 der Pädagogik bezieht sich im Besonderen auf Lerntheorien und die Didaktik. Doch trifft auch dieser neue Bezug auf Kritik. So ist der Konstruktivismus aus emanzi-patorischer pädagogischer Sicht nicht positiv zu sehen. Er wäre zu ideologisch, so die normative Pädagogik. Die Grundannahme des Konstruktivismus, dass das Wissen konstruiert sei und das jeder und jede nur subjektiv lernt, erschüttert die Motivation und natürlich das Handeln der Pädagogik. Das würde nämlich bedeuten, dass die Lehrenden nicht steuern können, was die lernenden Subjekte aufnehmen und was in kognitiver Hinsicht in ihnen vorgeht. Der Konstruktivismus beschreibt Lernen als Selbstlernen. Alles in allem bedeutet dies nicht nur, dass der Konstruktivismus mit seinen Theorien und Konzepten die Pädagogik, der es darum geht, das Zusammenleben der einzelnen Individuen in einem gemeinsamen Kollektiv zu verbessern, einschränkt, sondern als „Perfektionierungssemantik“ ansieht (vgl.

Berzbach 2005, S. 44). Würden wir in Bezug auf unsere Arbeit also von dieser Annahme des Selbstlernens ausgehen, bedeutete dies für das Erlernen von Geschlecht, dass junge Erwachsene ungesteuert Bilder und Rollen wie beispielsweise die Stereotypen Mann und Frau von sich aus übernehmen und leben.

Das hätte wiederum zur Folge, dass Lernende auch in ihrer Geschlechtsidentitäts-findung weder in die eine noch in die andere Richtung gezielt positiv oder negativ von Lehrenden beeinflusst werden können. Dies würde die Bemühungen der gendersensiblen Pädagogik, Veränderungen im Geschlechterdiskurs, den Stereo-typen, der gesellschaftlichen Tradition usw. durch Aufklärung und der Beeinflussung der Lernenden durch Wissen erschweren, da sie wie gesagt davon ausgeht, dass der Lehrende nie wissen kann, was beim lernenden Subjekt ankommt oder wie die Lernenden diese Informationen kognitiv verarbeiten. Im Grunde also würde dies bedeuten, dass die vielen traditionellen Rollenbilder von Mann und Frau nicht umgelernt werden können, weil dies nicht steuerbar ist. Aufgrund dessen erscheint uns diese Ansicht nicht plausibel, da Ansichten und Verhaltensweisen durchaus erlernbar sind, wie uns die diversen Lerntheorien (siehe Teil II./Kapitel 3.2.2.) zeigen.

Allerdings ist es auch so, dass uns die Praxis zeigt, dass die gelehrten Inhalte nicht immer bei allen ankommen. Für uns wäre es logischer, Lernen als eine Mischung aus genetischen und sozialen Faktoren zu sehen, die wiederum von Individuum zu Individuum unterschiedlich ist.

Nach all diesen Überlegungen und Fragen ist es nicht verwunderlich, dass die pädagogischen (radikal) konstruktivistischen Ansichten mehr verwirren als klären.

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„Klar umrissen erscheint allenfalls der Gegner, gegen den konstruktivistische Pädagogen zu Felde ziehen: nämlich die »Instruktionsdidaktik« mit samt ihrem Anspruch, Lehr-Lern-Prozesse auf »Lineare Gewissheitsstrukturen« gründen zu können“ (Pongratz 2005, S. 121). Die (radikal) konstruktivistischen Theorien erschüttern die Grundfesten pädagogischer Kategorien. Begriffe wie Lernen, Lehren, Erziehung und Bildung sind unter dem konstruktivistischen Blick unklar. Der Konstruktivismus greift eindeutig pädagogische Vorgehensweisen an. Er arbeitet gegen den pädagogischen Drill, die Didaktik, die nur auf Instruktionen ausgelegt ist und den Drang der Pädagogik zu belehren. Käme es also zur Auflösung der pädagogischen traditionellen Ansichten, hätte dies aus konstruktivistischer Sicht nur Vorteile. Einmal weil es aus dieser Sicht längst Zeit dafür wäre, dass sich die alten pädagogischen Traditionen verändern. Zweitens wäre es gut, sich eben neuen und ganzheitlicheren Ansätzen in der Pädagogik zu zuwenden und diese auch in der Praxis anzuwenden (vgl. Pongratz 2005, S. 121f.).

„Die konstruktivistische Pädagogik gibt sich alle erdenkliche Mühe, ihre Vorstellungen »in pädagogisch verträgliche Botschaften mit Beschwichtigungs-charakter zu transformieren« (Beetz 2000, S. 442). Denn in der konstruk-tivistischen Pädagogik soll nichts so heiß auf den Tisch kommen, wie es von Radikalen Konstruktivisten gekocht wurde“ (Pongratz 2005, S. 122).

Ein großes Missverständnis, das auch immer wieder passiert, ist die Vorstellung oder der Glaube, dass mit dem pädagogischen Konstruktivismus völlig neuartige Veränderungen (Reformen) in die Pädagogik kommen. Dies ist jedoch ein Irrtum. Die Mehrheit der neuen Dinge bringt nur eine neue Rhetorik. Diese neue Rhetorik wiederum macht nichts anderes, als die alten Begriffe wie Bildung, Lernen, Lehren etc. mit neuem Sinn zu füllen, um sie als einen Teil der konstruktivistischen Theorien benennen zu können (vgl. Pongratz 2005, S. 127). Konstruktivismus irritiert und treibt Unsicherheiten auf die Spitze. Alle, die sich mit konstruktivistischen Werken auseinandersetzen, wissen, dass es hier keine Antworten zu holen gibt. Ist man auf der Suche nach Antworten, wird man beim Konstruktivismus nicht nur auf keine stoßen, man wird sogar im Gegenteil noch ein Stück mehr verunsichert. Auf der anderen Seite ist der Konstruktivismus auch beruhigend und zwar in dem Sinne, als dass er bestätigt, dass diese Unsicherheiten nichts mit kognitiven Defiziten oder mangelndem Wissen zu tun haben, sondern ein strukturelles Problem sind. Der Konstruktivismus ruft quasi zur Skepsis auf, allerdings sagt er auch, dass man

55 seinem andersdenkenden Gegenüber auch immer so viel Vernunft und Verantwortungsbewusstsein zurechnen sollte wie einem selbst (vgl. Siebert 1999, S.

194). So auch im Bereich Gender. Die Unsicherheiten der Geschlechteridenti-fizierung heute bzw. der Entscheidung junger Erwachsener, „wo sie hingehören“, werden durch den Konstruktivismus nicht nur dadurch noch irritierender, dass der Konstruktivismus bzw. im Besonderen der pädagogische Konstruktivismus, der sagt, dass es nur alte Konstrukte sind, die hier weitergegeben werden und die eigentlich schon längst erneuert bzw. verändert werden sollten, sondern auch dadurch, dass er gleichzeitig auch zeigt, dass diese Vorstellungen und Konzepte, die wir über die Geschlechter und ihre Darstellungen im Kopf haben, nichts weiter als von uns selbst erschaffene Konstruktionen sind, die wir einfach nur blind übernehmen und immer noch weitergeben. Dennoch: „Der Konstruktivismus ist keine Supertheorie, wohl aber ein ernstzunehmendes Paradigma, das sich nicht ‚mit links‘, gleichsam in einem Nebensatz ‚erledigen‘ lässt“ (Siebert 1999, S. 194).

Während sich also das Konzept des Konstruktivismus damit beschäftigt, die Wirklichkeit als etwas Subjektives und vor allem Konstruiertes zu begreifen, geht das Konzept der Dekonstruktion sogar noch einen Schritt weiter. Im Folgenden wird beschrieben, wie dieser Schritt aussieht und was die Dekonstruktion darunter versteht.