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„Brauchen wir wirklich ein wahres Geschlecht? Mit einer an Halsstarrigkeit grenzenden Beharrlichkeit haben die modernen Gesellschaften des Westens diese Frage mit Ja beantwortet“ (Foucault 1980, S. 58).

Die Frage „Junge/Mädchen“, „männlich/weiblich“ wird in der Welt der Wissenschaft schon seit Jahren gestellt und aus den diversen Perspektiven verschiedenster Disziplinen betrachtet. Seit der Antike entwickelte sich eine Ablehnung gegen die Vorstellung von mehr als einem Geschlecht, sowie einer Wahlmöglichkeit der Individuen über ihr eigenes Geschlecht. Der Ursprung dieses Denkens liegt in den Entwicklungen im Besonderen seit dem 17. Jahrhundert im Bereich der Medizin und der gesellschaftlichen Macht- und Kontrollverhältnissen. Die Aufgabe der Bestim-mung des Geschlechts lag nun in der Verantwortung von Spezialisten und die Gesellschaft erhält die Aufgabe, die Einhaltung dieser Zuschreibung vom Individuum einzufordern (vgl. Foucault 1980, S. 59f.). Historisch gesehen hielten sich und domi-nierten die Ansichten, was „typisch männlich“ und „typisch weiblich“ ist, die soge-nannten Stereotypen, lange Perioden in unserer gesellschaftlichen Entwicklung und auch heute sind diese in unserer „modernen“ Gesellschaft noch stark im Verhalten und Denken der Menschen verankert. Jedoch versuchen die Menschen heute mehr, sich eine individuelle Persönlichkeit zuzulegen und zu entwickeln, ohne sich dabei von gesellschaftlich vorgegebenen Vorstellungen und Ansichten beeinflussen zu lassen. Es handelt sich dabei um eine Entwicklung zum Individuum bei der gesell-schaftlich gesetzte Rahmenbedingungen nicht mehr der ausschlag-gebende Punkt sind, an denen sich die jungen Menschen orientieren (vgl. Reiss 2003, S. 16f.). Jeder Einzelne kann heute selbst über sein Geschlecht entscheiden, auch wenn es nicht sein biologisches ist, allerdings bringt diese Entscheidung auch Probleme, Unge-rechtigkeiten, Schwierigkeiten und mögliche Ausgrenzungen von außen mit sich (vgl.

Foucault 1980, S. 60). Die pädagogische Auseinandersetzung mit dem Thema

„Geschlecht“ und die dazu durchgeführten Forschungen haben in der heutigen erziehungswissenschaftlichen Arbeit und Forschung bereits eine lange Tradition. Die Schwierigkeit hier ist nur, der Thematik die ihr zustehende Aufmerk-samkeit zu verschaffen. Die Thematisierung findet zuweilen eher am Rande der pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Aufmerksamkeit statt (vgl. Klinger 2014, S. 32).

Um diesen Entwicklungen und dem Wandel in der Gesellschaft, was die Thematik

14 der Geschlechterkategorisierungen betrifft, Herr zu werden und anerkannte Veränderungen zu erreichen, ist es nötig, diese Thematik ernsthaft und ganzheitlich ins Zentrum der Betrachtungen zu stellen, wo wir Sabine Klinger (2014) durchaus zustimmen. Allerdings gehört dazu auch, sich den Bereich der Geschlechtsidentität genauer anzusehen und sich der schon von Judith Butler (1991, 2014) auf-geworfenen Frage: „Was geschieht mit dem Subjekt und der Stabilität der Geschlechter-Kategorien (gender categories), wenn sich herausstellt, dass diese scheinbar ontologischen Kategorien durch das epistemische Regime der vermeint-lichen Heterosexualität hervorgebracht und verdinglicht werden?“ (Butler 2014, S. 8) zu stellen.

In dieser Arbeit soll die „Krise der Adoleszenz“, die Thematik der Geschlechter-inszenierung im Jugendalter untersucht werden. Die Problematik und Relevanz dieses Themas liegt darin, bei der Thematik Geschlecht nicht nur von den gesellschaftlich vorherrschenden und anerkannten Kategorisierungen auszugehen, sondern sich auch die individuellen Umsetzungen im Alltag anzusehen sowie in dieser Arbeit im Speziellen den Druck auf die jungen Erwachsenen den Kate-gorisierungen zu entsprechen und gleichzeitig individuell aufzutreten. Durch die Identität, die junge Erwachsene bilden bzw. entwickeln, wird in unserer Gesellschaft festgelegt, welchen Platz er/sie in der Gesellschaft einnehmen wird und gleichzeitig ist dieser dann verbunden mit Verpflichtungen und bestimmten Verhaltensweisen, die von und innerhalb der Gesellschaft erwartet werden. Für den jungen Erwachsenen geht es eben darum, welche Rolle und welchen Stand er/sie in Zukunft in der Gesellschaft darstellen wird (vgl. Lahmer 2005, S. 184). Aufgrund dessen wird über die sogenannte Geschlechteridentität diskutiert, da junge Erwachsene heute mehr als nur ein Vorbild haben, an denen sie sich auch in der Geschlechterfrage orien-tieren können. Junge Erwachsene werden zunehmend über verschiedenste Bereiche wie Mode, Körperkult, Sprache und materiellem Besitz bzw. einer extrem extrover-tierten und technologisch verbundenen und offenen Gesellschaft gefordert, sich neu zu inszenieren (vgl. Gaugele/Reiss 2003, S. 9). Die anhaltenden traditionellen Bilder und die heutzutage stetig wachsende gleichzeitige Fülle an Auswahlmöglichkeiten der Inszenierung des Selbst führen bei den jungen Erwachsenen zu zunehmender Verwirrung und einem gewissen Grad an Überforderung (vgl. Lahmer 2005, S. 184).

Diese Arbeit gibt einen Einblick in die verschiedenen Perspektiven von „Geschlecht“

und theoretischen Diskursen über die Geschlechterdebatten hinsichtlich der

Katego-15 risierungen. Dementsprechend interessiert uns im Besonderen die Frage nach Aneignungsweisen oder Verhaltens- bzw. Ausdrucksformen von jungen Erwach-senen, um ihr Geschlecht im Alltag zu inszenieren. In dieser Arbeit wird außerdem mit Hilfe einer nicht-teilnehmenden halbverdeckten strukturierten Beobachtung betrachtet, wie junge Erwachsene sich heute in der sogenannten Vielfalt der Geschlechtsidentitäten zurechtfinden, sich Wege und Möglichkeiten schaffen, um ihre Vorstellung von ihrem Geschlecht darzustellen. Es geht uns dabei nicht nur darum, einzelne Ausdrucksformen aufzuzeigen, sondern auch zu demonstrieren, dass die Geschlechtsidentitätsfindung für junge Erwachsene auch heute noch sehr stark von gesellschaftlichen Normen durch unsere Sozialisation von klein auf geprägt wird und nicht ohne sie stattfinden kann. Wie Elke Gaugele und Kristina Reiss (2003) gehen auch wir davon aus, dass heutzutage Individualität unter jungen Heran-wachsenden immer noch „das zentrale geschlechterübergreifende Handlungs-, Ästhetisierungs- und Deutungsmuster“ ist (Gaugele/Reiss 2003, S. 10). Es bedeutet, dass junge Erwachsene heute versuchen, ihre Individualität dadurch darzustellen, indem sie auf Verhaltens- und Darstellungsmuster zugreifen, die geschlechter-übergreifend sind, denn dadurch, dass sie sowohl „typisch Mann“ als auch „typisch Frau“ nutzen, entsteht ein einzigartiger Mix. Diesen Vorgang und dessen Folgen werden wir in unserer theoretischen und empirischen Arbeit zu erläutern versuchen.

Diese Arbeit besteht aus Theorie und Empirie, die in vier große Bereiche geteilt die Thematik ganzheitlich betrachtet. Der erste Teil gliedert sich in fünf große Kapitel und mehreren Unterkapiteln, in denen Basisbegrifflichkeiten erörtert werden. Ebenso wollen wir in diesem ersten Teil aufzeigen, von welchen Definitionen und Überle-gungen wir ausgehen und auf welchen Theorien und Ansichten sich diese Arbeit aufbaut. Des Weiteren soll dann ein Überblick über theoriebezogene Diskurse der Geschlechterdebatte, der Geschlechtsidentitätsfindung, der Macht der Geschlechter-rollen in unserer Gesellschaft und die daraus resultierenden Probleme und Schwierigkeiten für junge Erwachsene bei ihrer Geschlechtsidentitätsfindung gege-ben werden. Beim zweiten, dem empirischen Teil, soll speziell auf die gewählten Ausdrucksformen der jungen Erwachsenen ihr Geschlecht zu inszenieren, durch eine durchgeführte nicht-teilnehmende halbverdeckte strukturierte Beobachtung und an-schließende Interpretation der Daten eingegangen werden. Dieser zweite Teil besteht aus vier großen Kapiteln, in denen das Forschungsvorhaben und -design, die Methode und Durchführung, sowie die Ergebnisdarstellung und deren Analyse

16 thematisiert werden. Der dritte Teil beinhaltet ein Kapitel, das ein kurzes Resümee der gesamten Arbeit darstellt, mit Gedanken zu den Ergebnissen der Forschungs-arbeit und abschließenden Überlegungen, auf Basis unserer Recherchen und unserer Forschungsarbeit, über offen gebliebene Fragen.

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II. Perspektivische Klärung von Gender

(Eva Schirmetz & Magdalena