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II. Perspektivische Klärung von Gender (Eva Schirmetz & Magdalena

2. Theoretische Diskurse zu Konstruktivismus und Dekonstruktivismus (Magdalena

2.1. Konstruktivismus

Konstruktivismus ist ein Begriff der Vielfalt. Es gibt nicht nur einen Konstruktivismus-Begriff, sondern eine Vielfalt von theoretischen Ansätzen wie den radikalen, den modernen, den sozialen, den pädagogischen Konstruktivismus usw. Etwas Einheit-liches, also eine ganzheitliche Theorie zum Konstruktivismus, gibt es nicht. Aus diesem Grund werden nur einige grundlegende Teilaspekte des Konstruktivismus, die für diese Arbeit essentiell sind, vorgestellt. Horst Siebert (1999) fasst den Konstruktivismus wie folgt zusammen:

„Die Kernthese des Konstruktivismus lautet: Menschen sind autopoietische, selbstreferenzielle, operational geschlossene Systeme. Die äußere Realität ist uns sensorisch und kognitiv unzugänglich. Wir sind mit der Umwelt lediglich strukturell gekoppelt, das heißt, wir wandeln Impulse von außen in unserem Nervensystem ‚strukturdeterminiert‘, das heißt auf der Grundlage biografisch geprägter psycho-physischer kognitiver und emotionaler Strukturen, um. Die so erzeugte Wirklichkeit ist keine Repräsentation, keine Abbildung der Außenwelt, sondern eine funktionale, viable Konstruktion, die von anderen Menschen geteilt wird und die sich biografisch und gattungsgeschichtlich als lebensdienlich erwiesen hat“ (Siebert 1999, S. 5f.).

Diese kurze Formulierung von Siebert, aber auch die vielen weiteren Thesen über den Konstruktivismus zeigen, dass es sich hierbei um eine Theorie handelt, die sich schon lange kritisch mit Wissen und Erkennen auseinandersetzt. Die Vorstellungen, die dem Konstruktivismus zu Grunde liegen, sind im Allgemeinen alt, da das eigent-liche Problem, dass die „Welt an sich“ nicht zu erkennen ist, schon in der Antike thematisiert wurde (vgl. Mikula 2002, S. 48). „Der Konstruktivismus ist eine Erkennt-nistheorie mit einer langen erkenntniskritischen Tradition (zum Beispiel Pyrrhon, Vico, Berkely, Kant, Vaihinger, Schopenhauer, W. James, Piaget, etc.)“ (Siebert 1999, S. 5). Rene Descartes, Immanuel Kant, Edmund Husserl und Arthur Schopenhauer vertraten alle die Ansicht, dass das Verständnis der Welt auf die eine oder andere Art und Weise nichts Objektives, sondern vom Erleben und

35 Wahrnehmen der Subjekte abhängig ist. Ebenso waren sie davon überzeugt, dass die wahre Realität für den Menschen nicht erkennbar ist. Dadurch werden auch Probleme in Bezug auf die Erkenntnistheorie sichtbar und es zeigt sich, dass Erkenntnisse immer abhängig von Individuen sind (vgl. Mikula 2009, S. 48). Um die Welt zu betrachten, gibt es durchaus eine riesige Vielfalt von Möglichkeiten und Arten wie beispielsweise die normative Weltanschauung, das mechanistische Weltbild, das systemische Weltbild usw. Auf dem traditionellen Weg, der heute größtenteils noch immer verwendet wird, geht es darum, die Welt in kleine einzelne und bestimmbare Teile zu zerlegen. Diese werden soweit zerlegt und mit Hilfe von wissenschaftlichen Methoden untersucht, um sie erklären zu können. Nachdem sie erklärt wurden, werden sie wieder zu einem dem Menschen passenden objektiven Bild der Welt zusammengefügt. So wird versucht, eine Wahrheitsabbildung zu finden bzw. herzu-stellen. Das heutige Resultat dieser Vorstellung der Welterklärung ist allerdings, dass die Menschen glauben, alles erfahren und erkennen zu können, sodass es nichts Unerklärliches mehr auf der Welt gibt. Dieses Vorgehen führte zu einer Rationali-sierung der Welt (vgl. Mikula 2002, S. 48ff.). Es ist daher wohl kaum verwunderlich, dass der Konstruktivismus in Zeiten, in denen die alten Traditionen, also die Sicherheiten – das Wissen – über alles in der Welt, die alten Bilder und Strukturen hinterfragt werden und zu zerfallen beginnen, an Popularität gewinnt (vgl. Siebert 1999, S. 5). Laut Ulrich Beck ist eines der auffälligsten Merkmale der „reflexiven Moderne“, dass „die hochkomplexe verwissenschaftlichte Gesellschaft ihre eigenen unkalkulierbaren Risiken und kontraproduktiven Nebenwirkungen produziert“ (Siebert 1999, S. 5). Das bedeutet: Umso mehr man weiß, umso mehr fällt einem auf, was man noch nicht weiß und das fördert wiederum die Ungewissheit. Man geht mittlerweile aber auch, was die Frage oder Suche nach der Wahrheit betrifft, davon aus, dass ihre Existenz relativiert werden muss, da Theorien und Beobachtungen unter der Subjektivitätsannahme stehen (vgl. Mikula 2002, S. 49f.). „Anstelle der Ein-Sicht wird die Viel-Ein-Sicht, anstelle der Erklärung das Verstehen, anstelle der Wahrheit wird die Konstruktion einer Wirklichkeit in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt.

Jeder Akt des Erkennens organisiert und bringt somit eine Welt hervor, die als vom Subjekt abhängig zu verstehen ist“ (Mikula 2002, S. 54). Doch strukturieren sich die Gesellschaften von heute immer noch auf dem traditionellen Weg, was nicht heißen soll, dass sich nicht auch alternative Wege und Methoden entwickeln. Diese neuen alternativen Ansätze orientieren sich mehr an konstruktivistischen

Erkenntnis-36 theorien. Dadurch entsteht unweigerlich eine Veränderung bzw. die Auflösung des eindimensionalen Denkens, da sich durch die Vielfalt nicht nur Erkenntniszu-sammenhänge zeigen, sondern sich auch neue entwickeln. So löst sich gleichzeitig auch die Ansicht der Trennung von Subjekt und Objekt langsam, aber doch, auf.

Diese Vielfalt von der hier die Rede ist, kann nicht so einfach erklärt werden, jedoch beinhaltet sie das Bild einer Welt von diversen unterschiedlichen Wirklichkeiten, die sich gegenseitig beeinflussen und bedingen. Geht man dieser Vorstellung von mehreren Wirklichkeiten nach sollte man bei der Betrachtung des Konstruktivismus nicht vergessen, dass es diverse konstruktivistische Ansätze gibt (vgl. Mikula 2002, S. 54). Daher sollten die epistemologischen Grundfragen, wie sie auch Regina Mikula (2002) in ihrem Werk „Das komplexe Netzwerk pädagogischer Welten-Bilder“

beschreibt, hier nicht außer Acht gelassen werden. Aufgrund dieser Vielfalt an Wirklichkeiten stellen sich nun die Fragen: „Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Wie ist Beobachtung möglich? Was ist Sehen, Wissen und Erkennen? (…) Was nehmen wir wahr, wenn wir wahrnehmen?“ (Mikula 2002, S. 55).

Siebert ist der Ansicht, dass unser Wissen über den Alltag, in dem wir leben, von einem „naiven Realismus“ beeinflusst wird. Der Mensch geht automatisch davon aus, dass die Welt tatsächlich so aussieht und funktioniert, wie sie ihm erscheint. Siebert postuliert, dass der Mensch glaubt, die Welt durch seine Sinne und die Determination von Dingen durch Begriffe abbilden zu können. Wir handeln alltäglich auf bestimmte Art und Weise, weil es sich nicht nur bewährt hat, sondern weil wenn wir es nicht täten und die Wirklichkeit stattdessen immer nur infrage stellen, würden wir den Anforderungen des Lebens nicht gewachsen sein. Siebert geht darüber hinaus auch noch davon aus, dass es in unserem Alltag nicht nur einen „Surrealismus“ gibt, sondern dass wir diesem auch alltäglich unterliegen. Er meint damit, dass wir durchaus erkennen, dass wir innerlich nicht einfach nur die objektive Welt von draußen wiedergeben. Die Irritationen, die bei diesem Widerspruch auftreten, werden im Laufe der Zeit und mit der Weiterentwicklung von virtuellen Realitäten (Medien) größer und größer. So sieht Siebert die Welt als etwas, das schon viel zu undurchschaubar geworden ist (vgl. Siebert 1999, S. 1ff.).

„Zu dieser Phänomenologie gehört auch die Pluralisierung und Subjektivierung der gesellschaftlichen Wirklichkeiten. Dass ‚Kindheit‘ ein gesellschaftliches Konstrukt ist, dass ‚Jugend‘ erst zu Beginn der Moderne als eigenständige Lebensphase ‚erfunden‘ wurde, dass ‚Alter‘ in verschiedenen Epochen und

37 Kulturen unterschiedlich wahrgenommen wurde, dass auch das ‚Erwachsensein in Mündigkeit und Reife‘ nicht mehr das ist, was es einmal war, wissen wir inzwischen. Wer gesund oder krank, normal oder verrückt, ‚gut erzogen‘ oder

‚schlecht erzogen‘ ist – all das ist relativ, beobachterabhängig und fragwürdig geworden“ (Siebert 1999, S. 3).

In der Realismus-Debatte gibt es keine klaren einheitlichen Definitionen. Die Debatte über die Frage: „Was ist Realität und was Wirklichkeit?“, wird schon seit Jahrhun-derten geführt. Alle Realismen, wie der naive-, kritische-, semantische-, epistemische- oder schwache Realismus, haben andere Ansichten und Begrifflich-keiten. Der Begründer der konstruktivistischen Theorie in der Wissenschaft war Giambattista Vico (1710). Er war Philosoph und vertrat die Ansicht, dass der Mensch nur das erkennen kann, was er auch selber erschafft bzw. konstruiert. Er ging weiter davon aus, dass die reale Welt nur Gott wahrnehmen und begreifen kann, weil nur er weiß, wie er diese erschaffen hat (vgl. Mikula 2002, S. 55).

In dieser Arbeit verwenden wir die beiden Begrifflichkeiten Realität und Wirklichkeit in Anlehnung an Vico. Das bedeutet, der Begriff der Realität steht für – und wird in dieser Arbeit auch folgend als Synonym für – die reale Welt, also die, die der Mensch nicht begreifen und wahrnehmen kann, weil er sie nicht erbaut/konstruiert hat, verwendet. Der Begriff der Wirklichkeit steht für das, was der Mensch selbst erbaut/konstruiert hat und so auch subjektabhängig ist.

Menschen sind nur in der Lage, die Welt aus ihrer eigenen subjektiven Perspektive wahrzunehmen und durch ihre Erkenntnismöglichkeiten zu erkennen. Das bedeutet im Grunde nichts anderes, als das Jeder und Jede nur so weit sehen kann, wie sein eigener Horizont reicht. Der typische Subjekt-Objekt-Dualismus wird dadurch relational. Kein/e LehrerIn, kein/e WissenschaftlerIn kein/e Arzt/Ärztin kein/e PhilosophIn usw., also kein Mensch, kann völlig objektiv sein, egal wie sehr man sich auch darum bemüht. Die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit dem Konstruk-tivismus zeigt, dass die Diskussion rund um den KonstrukKonstruk-tivismus immer unklarer und vielfältiger wird und dass hier von Gedankenspielen die Rede ist, bei denen es keine allgemeingültigen Definitionen gibt, da die meisten Vertreter und Denker1 des Konstruktivismus aus verschiedensten Bereichen wie der Neurowissenschaft, der Psychologie, der Soziologie, der Kommunikationsforschung, der Kybernetik, der Kognitionswissenschaft usw. gekommen sind. So kann im Zusammenhang zwischen Konstruktivismus und Gender eigentlich auch nur von Gedankenspielen gesprochen

1 Ausdruck nicht gegendert, da es zur damaligen Zeit nur Männer waren

38 werden, die sich darauf beziehen, dass sich die Gendervorstellungen nur so entwickeln konnten, da alles rund um die beiden Geschlechter Mann und Frau eine menschliche Konstruktion, also menschliche Erschaffung ist. Auch zur heutigen Zeit sind sich die VertreterInnen des Konstruktivismus noch über keine eindeutige Definition einig, im Gegenteil werden es sogar immer noch immer mehr Disziplinen und Bereiche ,die die diversesten Ansätze und Ansichten des Konstruktivismus in ihre Überlegungen, Thesen und Theorien miteinbeziehen (vgl. Siebert 1999, S. 7f.).

Daher werden im Folgenden nur für diese Arbeit wichtige Ansätze des Konstruktivismus, wie der radikale, ethnomethodologische, soziale und pädago-gische Konstruktivismus, erläutert, um diese Gedankenspiele rund um die Fragen:

„Was heißt und ist Konstruktion?“ und „Was bedeutet Gender in Bezug auf die Theorien des Konstruktivismus?“ zu klären.