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II. Perspektivische Klärung von Gender (Eva Schirmetz & Magdalena

2. Theoretische Diskurse zu Konstruktivismus und Dekonstruktivismus (Magdalena

2.9. Männlich-weiblich-menschlich – Die Vielfalt

2.9.2. Das Konzept der Androgynie

Dieses Konzept wird als mögliche Lösung zur Veränderung der Geschlechtersituationen gesehen und daher auch in unserer Arbeit umfassend

72 betrachtet. Wir werden nicht nur die Anfänge und Visionen darstellen, sondern auch die positiven oder negativen Auswirkungen und die Kritik, die diesem Konzept entgegengebracht wird, thematisieren. Des Weiteren soll hier am Ende auch ein Ausblick auf die weitere Entwicklung dieses Grenzen überschreitende Konzept geboten werden.

2.9.2.1. Anfänge und Visionen

„Die Idee der Androgynie gehört zu den Gedankengebäuden, in denen Grenzziehungen sichtbar und Grenzüberschreitungen thematisiert werden; sie hat eine lange Tradition, die unzählige Ausdeutungen und Figuren hervorgebracht hat“

(Bock 2010, S. 103). Bei diesem Konzept der Androgynie, das auch schon in den obigen Kapiteln „Geschlecht aus psychologischer Sicht“ und „Dekonstruktion der Ontologie der Geschlechter“ kurz erwähnt wurde, geht es den EntwicklerInnen darum, zu zeigen, dass, auch wenn Maskulinität und Femininität als zwei separate Faktoren gehandhabt werden, es dennoch Menschen gibt, die aus sowohl typisch männlichen als auch typisch weiblichen Eigenschaften und Merkmalen schöpfen. Der Begriff Androgynie stammt aus dem Griechischen und heißt so viel wie Mann-Frau.

Die Wortschöpfung stammt von Platon und entspricht dem menschlichen Wunsch nach Ganzheitlichkeit (vgl. Frey 1995, S. 34). Entwickelt hat sich das Androgynie-Konzept in den 70er und 80er Jahren, als es seine Anfänge nahm und an Figuren in den Bereichen der Mythologie, Literatur und Kunst anknüpfte. Es galt als Metapher für personale Vielfalt und hatte das Ziel, die fixierten und binären Geschlechter-grenzen aufzuheben. Dieses Konzept zeigt, dass es möglich ist, dass sowohl weibliche als auch männliche Element in einem Individuum existieren können. So richtig entwickelt hat sich dieses Konzept der (psychischen) Androgynie im Bereich der (Sozial-) Psychologie. Die These, die hinter diesem Konzept steckt, ist die, dass der Mensch es eigentlich nicht notwendig hat, sich auf entweder feminine oder maskuline Merkmale festzulegen und nur diese weiterzuentwickeln. Viele Experi-mente und Untersuchungen zeigten uns, dass jeder einzelne Mensch dazu in der Lage ist, sowohl feminine als auch maskuline Merkmale zu entwickeln, wodurch schlussendlich auch Mischformen entstehen. Es gibt daher eigentlich keine klare Trennlinie zwischen maskulin und feminin (vgl. Bock 2010, S. 103f.). Alfermann fasst das Androgynie-Konzept in vier Punkten zusammen. Der erste Punkt besagt, dass

73 die Geschlechterrollen, die die Menschen einnehmen, nicht einseitig maskulin oder feminin definiert werden können. Maskulinität und Femininität sind Dinge, die nicht voneinander unabhängig sind und daher von jedem einzelnen Individuum gleichzeitig eingesetzt werden können. Der zweite Punkt besagt, dass das geschlechts-spezifische Verhalten nicht – oder nur begrenzt – biologisch determiniert ist und aus diesem Grund nur das Ergebnis von Sozialisationserfahrungen sein kann. Deshalb ist die Rollenorientierung, was die Geschlechter betrifft, erlernt und demzufolge auch veränderbar. Im dritten Punkt geht es darum, dass die Geschlechterrollenorientierung nicht abhängig ist vom biologischen Geschlecht, sondern das biologische und psychologische Geschlecht sind grundsätzlich voneinander unabhängig, wenn dies auch in der Praxis nicht immer der Fall ist. Viertens ist eine geschlechtstypische Entwicklung, also maskuliner Mann oder feminine Frau, nicht nur das, was möglich ist oder die einzige Option, die angestrebt werden sollte. Es ist eher so, dass das Abzielen auf eine Rolle als maskuliner Mann oder feminine Frau meist nur zu Einseitigkeit führt und eher Risiken in Bezug auf eine optimale Entfaltung und eine psychisch gesunde Entwicklung schafft (vgl. Alfermann 1989, S. 207).

„Androgynie ist damit nicht mehr nur ein Stoff für Mythen und Utopien, für faszinierende Figuren in der Literatur und Kunst, sondern auch ein Phänomen realer individueller und gesellschaftlicher Entwicklungen. Anders gesagt:

Androgynie ist nicht mehr nur eine Angelegenheit der Ästhetik und der Entscheidung über Werte (Giddens 1993: 214), sondern gleichfalls eine Frage der wissenschaftlichen Analyse und Empirie“ (Bock 2010, S. 104).

Durch wissenschaftliche Analysen und empirischen Experimente ist man auf den Dimensionenwandel bei dieser Thematik gestoßen. Man ging ursprünglich von einer Dimension aus, in der sich Maskulinität und Femininität gegenseitig ausschlossen.

Unter diesen beiden Begrifflichkeiten versteht man hier alle Eigenschaften und Merkmale, die allgemein als typisch männlich und typisch weiblich anerkannt sind.

Also sind diese beiden Begrifflichkeiten quasi synonym für die Stereotypen Mann und Frau zu sehen. Die Erwartung hinter dieser einen Dimension war nun, dass sich am Ende der Entwicklung ein Bub als typisch charakterisierter Mann präsentiert und ein Mädchen als typisch charakterisierte Frau. Diese Vorstellung wurde so stark von allen Individuen verinnerlicht und angenommen, dass sie zu einem Ideal heran-wuchs, das lebensnotwendig wurde. Im Weiteren erkannte man dann allerdings in der Forschung am Androgynie-Konzept, dass diese vorherrschende, aus

psycho-74 logischer Sicht gesehene Dimension, nicht gänzlich der Realität entspricht. Daher geht man jetzt beim Androgynie-Konzept von zwei Dimensionen aus und zwar von einer Maskulinitäts-Dimension und einer Femininitäts-Dimension. Diese Sichtweise geht davon aus, dass das Individuum nicht nur die Möglichkeit hat, aus einem Pool (männlich oder weiblich) an Eigenschaften, Merkmalen und Verhaltensweisen zu schöpfen, sondern aus zwei Pools (männlich und weiblich). So können sich die Individuen auch selber in oder zwischen diesen Dimensionen positionieren, wodurch nicht nur zwei, sondern eine Vielfalt an Geschlechterbildern entstehen. Die Androgynen sind so positioniert, dass sie sowohl ein hohes Maß an männlichen Merkmalen, wie auch weiblichen aufweisen (vgl. Alfermann 1995, S. 36f.). Andro-gynie bedeutet nun die Kombination von positiven, typischen weiblichen (femininen) und typischen männlichen (maskulinen) Eigenschaften. Unter positiven maskulinen Eigenschaften werden beispielsweise Eigenschaften verstanden, wie klug, kräftig, aktiv, unabhängig, entschlossen etc. Diese Eigenschaften spiegeln den männlichen Stereotyp von Kompetenz, Leistungsbereitschaft und Durchsetzungsfähigkeit wieder.

Positive feminine Eigenschaften sind demnach hilfsbereit, freundlich, einfühlsam, herzlich etc. Diese Eigenschaften entsprechen dem weiblichen Stereotyp von Emotionalität und sozialer Fürsorglichkeit (vgl. Alfermann 1996, S. 60). Diese Entwicklungstendenz, dass Individuen aus dem Männlichen und Weiblichen schöpfen, soll in Zukunft steigen und dazu führen, dass es zu einer Überschreitung der Geschlechtergrenzen und zu einer Gesellschaft der Vielfalt in diesem Bereich kommt (vgl. Alfermann 1995, S. 37).

Welche Auswirkungen und Vorteile das Konzept der Androgynie hat, um als Zukunftsperspektive bzw. positiver Entwicklungsweg in die Zukunft gesehen und herangezogen werden zu können, wird nun des Weiteren genauer dargestellt und betrachtet.

2.9.2.2. Auswirkungen des Androgynie-Konzepts

Das Konzept der Androgynie wird als ein Phänomen gesehen, das, wenn es sich weit genug entwickelt und verbreitet hat, die Grenzen der traditionellen Geschlechter-zuschreibungen, Geschlechterdifferenzen und Geschlechterkategorien, also im Grunde die Stereotypen von Mann und Frau, im besten Fall regelrecht sprengen soll.

Doch woher können wir wissen, dass der Weg, den uns dieses Konzept vorschlägt,

75 besser bzw. hilfreicher bei unseren Überlegungen zur Lösung unserer Konflikte ist, als der, der über Generationen hin funktioniert hat? Durch empirische Forschungen, Experimente und Studien wurden im Laufe der Entwicklung dieses Konzepts Nachweise erbracht, die einen Überblick über die Vorteile bzw. die Öffnung bestimmter Bereiche geben sollen und so die Vorteilhaftigkeit dieses Konzepts belegen und begründen. So stellte sich bis jetzt heraus, dass die Androgynie starke und positive Auswirkungen auf fünf Bereiche des menschlichen Seins und damit auf das eigene Leben und das Miteinander in der Gesellschaft hat (vgl. Bock 2010, S.

104). Die erste Auswirkung findet im Bereich der Psyche statt. Hier fanden auch die ersten Untersuchungen zu den Auswirkungen des Androgynie-Konzepts statt. So fand man durch empirischen Untersuchungen heraus, dass die Androgynie einen sehr starken positiven Effekt auf die psychische Gesundheit hat, da diese bei den ProbandInnen der Untersuchungen wesentlich besser war als bei jenen, die sich stark nur an maskulinen oder femininen Eigenschaften und Merkmalen orientierten.

Des Weiteren kommt es hier zu einer freieren und offeneren Entwicklung, da mehr Möglichkeiten zur Verfügung stehen und die androgynen Personen zeigten auch mehr Ausgeglichenheit in ihrem Wesen. Die zweite Auswirkung spielt sich auf der Ebene der Einstellungen ab. Hier stellte man fest, dass Personen mit androgynen Merkmalen wesentlich toleranter als andere gegenüber anderen Formen oder Ausprägungen des Geschlechts oder von Lebensweisen sind. Sie waren alles in allem viel offener gegenüber Vielfalt in diesem Bereich. In diesem Sinne ist es wohl die große und offene Wahlmöglichkeit, die sich stark positiv auf das Denken der Menschen auswirkt. Die dritte Ebene, auf der sich Auswirkungen zeigten, war die des Verhaltens. Auf dieser Ebene zeigten sich die ProbandInnen wesentlich situationsan-gepasster, das heißt sie konnten sich aufgrund der größeren Auswahl an Ressourcen (maskuline und feminine) in Situationen schneller orientieren und angemessener verhalten. Sie waren auch flexibler und anpassungsfähiger, was verschiedene Situationen anging, was, wie empirische Untersuchungen zeigten, daran lag, dass sie durch die Androgynie von Anfang an ein größeres Spektrum an Handlungsmöglichkeiten und -variationen erworben hatten. Die nächste, die vierte Ebene, ist die der Partnerschaft und Familie. In diesem Lebensbereich zeigte sich, dass die androgynen Personen zeitweilig durchaus auch in der Lage sind die beiden Rollenbilder Mann und Frau, also zum Beispiel Arbeit und Familie (Haushalt, Kindererziehung, etc.) zu übernehmen und zu bewältigen. Die letzte, die fünfte

76 Ebene, ist die der Kognition. Hier geht es um kognitive Erleichterungen, zum Beispiel müssen diese Individuen die Welt nicht permanent in männlich und weiblich teilen und gleichzeitig darauf achten, nicht irgendwelche Grenzen zu überschreiten. Sie müssen nicht nach Geschlechterkategorien wahrnehmen oder beurteilen und sind so offener und können Situationen nach sachlichen Kriterien und klaren Fakten beurteilen (vgl. Alfermann 1995, S. 38f.; Bock 2010, S. 104).

Die Auswirkungen dieses Konzept, die hier angesprochen wurden, sind im Großen und Ganzen positiv und würden zu einer Verbesserung beitragen, doch denken viele auch, das Androgynie-Konzept sei zu idealisierend und würde nicht als ein offener Rahmen gehandhabt, sondern nur als eine neue, andere Norm. Was diese Kritik am Konzept bedeutet und welche weitere es noch gibt, wird von uns nachfolgend dargelegt.

2.9.2.3. Kritik

Manche ForscherInnen, wie beispielsweise Ivan Illich oder Anthony Sampson (1977), kritisieren am Androgynie-Konzept, dass es zu idealistisch bzw. utopisch sei. Es stehe angeblich für Toleranz und Akzeptanz, für freie und offene Entscheidungs-möglichkeiten, doch sehen manche Forscher dies nicht oder als Vorspiegelung falscher oder nicht ganz richtiger Tatsachen. Das Konzept müsste nach seinen eigenen Angaben alle Formen der Geschlechterentwicklung und alle Ausprägungen des Geschlechts akzeptieren, so müssten alle, im Grunde auch die traditionellen Bilder (Stereotyp Mann und Stereotyp Frau) akzeptiert werden. Man kann die Kritik, dass dieses Konzept nicht so offen sei, wie es sich darstellt, durchaus gelten lassen oder als verständlich ansehen, da dieses Konzept tatsächlich dafür plädiert, dass die androgyne Ausprägung besser und erstrebenswerter ist. Daraus folgt nun die Kritik am Androgynie-Konzept, das dieses zu leicht von anderen wieder als Norm, also nur eine Ablöse für das bisherige System und auch wieder etwas Fixes angesehen und umgesetzt werden könnte (vgl. Alfermann 1995, S. 47). Des Weiteren gibt es laut Ulla Bock (2010) noch zwei wesentliche Kritikpunkte an diesem Konzept. Der erste ist seine semantische Erblast. Das bedeutet, dass grammatikalische Geschlecht des Begriffes „androgyn“ ist männlich, sowie auch die Figuration dieses Begriffes. Der zweite wesentliche Kritikpunkt liegt in der harmonisierenden Funktion des Androgynie-Konzepts. Man geht davon aus, dass durch dieses Konzept so eine Art

77 Versöhnung zwischen den beiden Geschlechtsausprägungen männlich und weiblich stattfinden soll. Damit ist gemeint, dass dieses Androgynie-Konzept zwar dazu beiträgt, dass die Grenzen zwischen den Geschlechtern unscharf werden und verschwimmen, jedoch nicht abgeschafft werden. Es wird also kritisiert, dass dieses Konzept keine neuen Bilder erschafft, sondern im Gegenteil das alte traditionelle Verständnis erhält. Wünschenswert wäre allerdings, dass es neue Geschlechter-bilder kreiert, die als VorGeschlechter-bilder herangezogen werden können (vgl. Bock 2010, S.

104f.).

So wird nun als nächstes aufgezeigt, welche Möglichkeiten und Veränderungen, sowie Anpassungen des Konzepts an zukünftige Gegebenheiten stattfinden oder stattfinden sollten.

2.9.2.4. Ausblick

„Bei dem Androgynie-Konzept handelt es sich um einen wissenschaftlichen Ansatz der Geschlechterrollenentwicklung, der sich auf die Frage bezieht, auf welche Weise von welchem Geschlecht welche Verhaltensweisen, Eigen-schaften und/oder Fähigkeiten erworben werden, die aufgrund sozialer Definitionen als für das eine oder andere Geschlecht angemessen gelten“ (Frey 1995, S. 34).

Im Grunde ist es das, was man sich von diesem Konzept erwartet. Man beobachtete im Laufe der Zeit bis heute eine immer stärker werdende Entwicklung hin zu einer Angleichung der Geschlechter, sowohl äußerlich an den Individuen als auch, was die Rollenbilder betrifft. Dies mag vielleicht keine Entwicklung darstellen, die ohne Konflikte von statten geht oder sich tatsächlich flächendeckend durch alle Schichten zieht, allerdings überschreiten mehr und mehr Männer und Frauen die Grenzen, was weiblich und was männlich ist bzw. nach traditionellem Denken so sein sollte (vgl.

Bock 2010, S. 106). So scheint das alte und ursprüngliche Konzept der Androgynie vielleicht nicht mehr als passend für diese Grenzen überschreitende, technologische und moderne Welt von heute, doch ist dadurch:

„ (…) – eine neue Lesart von Androgynie möglich. Diese besteht darin, Androgynie nicht mehr in bekannter Manier als harmonisierend, sondern als eine ‚diskontinuierliche Figur‘ (Funk 1999) zu verstehen, die gerade durch ihre internen Differenzen und Asymmetrien für den aktuellen Geschlechterdiskurs produktiv gewendet werden kann“ (Bock 2010, S. 106).

78 Betrachtet man nun das Konzept der Androgynie aus Bocks Blickwinkel, so kann dieses Konzept durchaus in der Debatte zwischen Geschlechtervielfalt und -differenz eine leitende und unterstützende Basis bilden. Androgynie stellt für die Zukunft eine wichtige und essentielle Umgangsform mit Geschlecht und all den Konflikten rund um diese Thematik dar.

Daher geht es in der Folge nun darum, aufzuzeigen, wie Geschlecht für den Menschen zur Identität wird und seine Kategorisierung erfolgt, damit Konzepte, wie beispielsweise das der Androgynie mit ihren Veränderungen an den richtigen Stellen beginnen können, um schlussendlich zu einer Vielfalt zu gelangen. Im Großen und Ganzen wird im Weiteren erläutert, wie sich Geschlechtsidentität entwickelt.