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II. Perspektivische Klärung von Gender (Eva Schirmetz & Magdalena

5. Theorien und Probleme der Inszenierung (Magdalena Tschmelak)

5.2. Gender-Inszenierung und ihre Hilfsmittel

Der Ursprung der heute stattfindenden Debatten über Identität liegt im Wandel in den Bereichen Gesellschaft, Subjektbildung und den sich langsam auflösenden alten Traditionsmustern im Bereich Geschlecht. Wesentliches Merkmal dieser Verände-rungen ist, dass die jungen Erwachsenen von heute nicht mehr auf gesellschaftlich vorgegebene Bedingungen oder Lebensmuster in ihrer eigenen Gestaltung ihres Selbst bzw. der Herausbildung ihrer Identität zurückgreifen wollen. So kommt es dazu, dass einerseits immer noch die gewohnten und allbekannten Lebenskonzepte bewahrt werden und andererseits aber neue und erweiterte Denkmuster und Handlungsweisen gesucht und entwickelt werden (vgl. Reiss 2003, S. 16). In Bezug auf die Jugendkultur wird das systematische Auftreten von Geschlecht als ein Ergebnis gesehen, das durch aktuelle Tendenzen aus Lebens- und Körperstilen entsteht (vgl. Gaugele/Reiss 2003, S. 12). Die kritische Auseinandersetzung mit uns selbst und vorherrschenden Lebens- und Körperstilen kann immer auch unange-nehm werden, wenn sich äußere Bedingungen verändert haben. Im Fall einer postmodernen Identität bzw. Doing gender im heutigen Alltag mit den heutigen Diskussionspunkten über diesen Bereich ist es nicht nur unbequem, sich selbst in Frage zu stellen, sondern kann sogar zu großen Unsicherheiten führen. Das liegt daran, dass Gegebenheiten, die bislang als stabil gegolten haben, auf einmal keine universellen Normen mehr darstellen (vgl. Reiss 2003, S. 18). „Die kulturelle Ordnung wird somit zum Spannungsfeld, wenn sie sowohl als Orientierungs- sowie als Abgrenzungspunkt fungiert. Heterogenität und Pluralität postmoderner Alltags-praxis für Jugendliche ist anstrengender und unbequemer als (vermeintliche) Einheitlichkeit in sämtlichen Lebensbereichen“ (Reiss 2003, S. 19). Junge

Erwach-122 sene lernen also gerade in der Adoleszensphase, dass Werte und Normen, die bis dahin eindeutig waren und als unveränderlich gesehen wurden, plötzlich keine generellen Kriterien mehr darstellen, was dadurch entsteht, dass junge Erwachsene in ihrer Entwicklung zur eigenen Identität eine soziale und kulturelle Transformierung durchlaufen (vgl. Helsper 1991, S. 30). Für die jungen Erwachsenen stellt die Jugendphase insofern eine besondere Herausforderung dar, da sie in dieser vor der großen Aufgabe stehen, Konstruktionen aus der Welt der Erwachsenen nicht nur zu verstehen, sondern diese auch zu hinterfragen (dekonstruieren) und für sie selbst neue Lebenswelten/-weisen zu konstruieren. Diese Phase gilt also als Raum zweier Aufgaben: erstens die Aufgabe der Erwartungserfüllung und zweitens die Aufgabe der eigenen Persönlichkeitsentwicklung (vgl. Reiss 2003, S. 21). Wie stellen wir also unser Geschlecht als junge Erwachsene dar? Was tun wir, damit andere uns als das eine Geschlecht, das andere oder ganz etwas anderes wahrnehmen? Die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht wird normalerweise nicht erfragt, also wie erkennt man sie?

Sie wird im Großen und Ganzen visuell dargestellt also inszeniert. So ist das Wissen über die Geschlechterzugehörigkeit anderer oder von einem selbst etwas, das praktisch, körperbezogen vollzogen wird und zur Routine wird. Der Körper ist bei der Inszenierung von Geschlecht das ausschlaggebende Medium (vgl. Güting 2004, S.

127). Denn der Körper ist nämlich etwas, das uns vermeintliche Sicherheit gibt, aufgrund der angeblichen Eindeutigkeit seiner Geschlechtlichkeit, wie Butler in ihrem Werk „Das Unbehagen der Geschlechter“ beschreibt (vgl. Butler 2014, o. S.). Über ihn versucht das Subjekt Geschlecht herzustellen und auszudrücken. Herangezogen dazu werden verschiedenste Inszenierungsmittel wie Kleidung, Make-up/Hygie-neartikel, Schmuck, Accessoires, Sprache etc., die natürlich gesellschaftlich geschlechtlich kategorisiert sind. Diese Hilfsmittel sollen dann richtig eingesetzt nach außen ein Bild der Wirklichkeit von Geschlecht vermitteln (vgl. Güting 2004, S. 127).

Für die jungen Erwachsenen heutzutage stehen viele Ausdrucksmittel und Vorbilder als Orientierung und Hilfen zur Inszenierung bereit. Sie alle zu nennen ist unmöglich, daher möchten wir im Folgenden nur einige der wichtigsten und vielleicht ausge-fallensten Beispiele für Inszenierungsmittel kurz beschreiben, damit ein Eindruck entsteht, was mit Hilfsmitteln gemeint ist und wie diese verwendet werden können.

Des Weiteren verweisen wir auf den empirischen Teil unserer Arbeit, da in diesem Strategien der Inszenierungen untersucht und dort weitere Hilfsmittel beschrieben

123 werden (siehe Teil III./Kapitel 3.-4.). Die größten und wohl auch am häufigsten genutzten Bereiche bzw. Hilfsmittel zur Darstellung sind und bleiben laut Gaugele der Körper und der Konsum, also Mode (vgl. Gaugele 2003, S. 34). Diese Inszenierungen, die von der Körperpräsentation ausgehen, sind wesentlich dafür, dass Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit allgemein als natürlich und offensichtlich erscheinen (vgl. Güting 2004, S. 127). Es stellt sich daher ganz allgemein die Frage, wie junge Erwachsene es schaffen, im dichten Netz von visuellen, auditiven und materiellen Geschlechterkulturen und -vorstellungen Identitäten zu schaffen. Der Körper wird heute als plastische Ressource gesehen und gehandhabt. Der Körper der Frau soll dabei am besten straff und fest sein und der Definition von „sexy“ entsprechen. Der männliche Körper soll groß und muskulös sein und repräsentativ für die Definition der „Coolness“ sein. Im Mittelpunkt bei alldem steht die Sichtbarmachung des Körpers (vgl. Gaugele 2003, S. 43f.). Kleidung wird und wurde als visueller Ausdruck für Identität vom Subjekt herangezogen, so auch im Bereich der Genderinszenierung. Daher ist es nicht verwunderlich, dass AutorInnen wie Butler, Angela McRobbie (1999), Gaugele, Reiss und viele andere dafür plädieren, die Kleidung und den Konsum in die Analysen mehr denn je mit einzubeziehen. Denn Kleidung war schon immer und wird auch weiterhin noch lange als Ästhetisierungsstrategie zur Inszenierung, geschlechter- und klassenübergreifend wichtig sein, sowie eine expressive Ausdrucksform von Individualität und Geschlecht (vgl. Gaugele 2003, S. 34; 38f.). Des Weiteren ist Kleidung eine Kategorisierung, die auch nach dem Zwei-Geschlechter-Modell funktioniert. Sie teilt die Menschen in Männer und Frauen. Jeder lernt früh durch seine Umgebung diese Kategorien, anhand derer Zuschreibungen passieren, kennen. Diese Kategorien werden dann irgendwann so stark angenommen, dass sie ein Teil der eigenen Geschlechts-identität werden, die wir durch die Kleidung wiederum ausdrücken. So wird Doing gender (siehe Teil II./Kapitel 2.4.) weiter fortgesetzt (vgl. Carlitscheck/Stürtz 2003, S.

81). Kleidung dient im Bereich der Identität und Inszenierung von Geschlecht jungen Erwachsenen nicht nur als wichtige Orientierung im Sozialgefüge, sondern auch als wichtiges Inszenierungsmittel. Junge Erwachsene ziehen Kleidung bewusst oder unbewusst heran, um sich mit ihrer Hilfe die Gender-Identitätspräsentation zu erleichtern (vgl. Gaugele/Reiss 2003, S. 12). Das Styling ist im Gegensatz zur Kleidung ein rein bewusster und aktiver Weg der Sichtbarmachung von Geschlecht.

124 Wer sich stylt, versucht bewusst, sich selbst ästhetisch und im Grunde sogar in eine gewisse Richtung zu präsentieren (vgl. Gaugele 2003, S. 38).

Ein weiteres Inszenierungsmittel sind beispielsweise Tattoos. Diese stellen heute Medien der Differenz dar bzw. sind Ausdruck der Bestrebungen, das eigene Sein zu betonen. Junge Erwachsene nutzen Tattoos als Mittel, um sich selbst ein eigenes individuelles Label zu geben, um zu zeigen, dass sie sich selbst auch als anders definieren. Tattoos helfen dem Subjekt, seinen Körper dauerhaft zu etwas Einzigartigem zu machen. Sie bedeuten eine Sichtbarmachung von exzessiver Individualität. Tätowierungen sind auch etwas, das nicht unbedingt genderisiert, da die meisten Bilder und Symbole geschlechtsübergreifen oder neutral sind (vgl.

Gaugele 2003, S. 42).

Viele dieser und noch weitere Hilfsmittel zur Gender-Inszenierung werden von jungen Erwachsenen und auch weiterhin ein ganzes Leben lang bewusst oder unbewusst von uns genutzt, um darzustellen, wer wir sind, wohin wir gehören wollen oder wo wir hin gehören sollen. Die Inszenierung von Geschlecht, also die visuell nach außen präsentierten Bilder von uns selbst, müssen nicht immer mit dem inneren Bild von einem selbst übereinstimmen, da es durchaus Menschen gibt, die sich auf die eine oder andere Art darstellen, obwohl sie sich so gar nicht wohlfühlen und sich nur aufgrund der Wirkung, die entsteht, wenn man sich nicht gesellschaftskonform verhält und inszeniert, für eine bestimmte Darstellungsform entscheiden. Welche Probleme bei der Inszenierung von Geschlecht entstehen können und wie die Kritik in diesem Bereich aussieht, wird nun als nächstes noch kurz thematisiert.