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II. Perspektivische Klärung von Gender (Eva Schirmetz & Magdalena

1. Der Blickwinkel – Geschlecht aus verschiedenen Perspektiven (Eva Schirmetz) 17

1.4. Geschlecht als sozial-gesellschaftliche Konstruktion

Da die Thematik Geschlecht einen großen und wichtigen Teil des Zusammenlebens der Menschen einnimmt, werden wir uns in diesem Kapitel auf die soziale Konstruktion von Geschlecht beziehen.

26 In den Sozialwissenschaften spricht man nicht mehr vom biologischen oder psychologischen Geschlecht, sondern vielmehr von Zuschreibungen, die aus einem sozialem System heraus entstehen (vgl. Lenz/Adler 2010, S. 15). Die zwei Geschlechter – Frau und Mann – werden meist als Gegensatz verstanden. Im eng-lischsprachigen Raum spricht man hier vom „opposite sex“. Frauen und Männer werden nicht nur aufgrund ihrer unterschiedlichen Körpermerkmale differenziert, sondern auch durch ihr Handeln, Denken und Fühlen. Im Alltag wird dieser Unterschied auf die „Natur“ der Geschlechter, also auf das biologische Geschlecht zurückgeführt (vgl. Lenz/Adler 2010, S. 16f.).

In unserer Kultur gibt es die Vorstellung, dass Frauen und Männer von Natur aus unterschiedlich sind. Diese Vorstellung hat in weiterer Folge auch Konsequenzen, denn sie gliedert nicht nur unser Sozialsystem, sondern auch den Vorgang der individuellen psychosozialen und psychosexuellen Entwicklung. Daher gibt es hier die Aufspaltung von dem Bereich der bezahlten Erwerbsarbeit, die den Männern zugeschrieben ist und der unbezahlten Haus- und Familienarbeit, die den Frauen zuzuschreiben ist. Diese Aufteilung der beiden Sektoren wird auf die unter-schiedlichen Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten von Männern und Frauen zurückgeführt (vgl. Mühlen Achs 1998, S. 23). Als das Natur-Modell der Geschlechter wird also die Auffassung bezeichnet, dass geschlechtsspezifische Unterschiede im Denken, Fühlen und Handeln durch biologische Unterschiede bestimmt werden. So wird davon ausgegangen, dass Frauen und Männer unterschiedliche Biogramme – genetisch fixierte Programme – besitzen. Diese Biogramme sind dafür verantwortlich, dass Frauen und Männer in ihrem Verhalten unterschiedlich sind. Männern wird ein eher aggressives und dominanteres Verhalten zugeordnet und Frauen ein eher fürsorgliches und zurückhaltendes (vgl. Lenz/Adler 2010, S. 17). Simon Baron-Cohen (2004), ein Professor für Psychologie und Psychiatrie, stellte in seinem Buch „Vom ersten Tag anders. Das männliche und weibliche Gehirn“ fest, dass es sowohl Frauen als auch Männer gibt, die ein dominantes Verhalten aufweisen. So kommt die These in einen Erklärungsnotstand, denn wenn es wirklich Biogramme für Frauen und Männer gibt, dürfte es dies nicht geben. Baron-Cohen macht zwar deutlich, dass es Unterschiede im Denken der beiden Geschlechter gibt, er aber keine überzeu-gende Erklärung dafür hat (vgl. Lenz/Adler 2010, S. 17f.). In der sozialwissen-schaftlichen Geschlechterforschung sollte das Natur-Modell in Frage gestellt werden.

Denn es reicht nicht aus, die Geschlechter, als vorgegebene Tatsache, als natürlich

27 anzusehen. Alle Eigenschaften und Eigenheiten, die wir Menschen als geschlechts-spezifisch ansehen, können nicht ohne Kultur, Gesellschaft und Zeit existieren (vgl.

Lenz/Adler 2010, S. 18). Hartmann Tyrell (1986) bezeichnet diesen Sachverhalt als

„Soziosomatik“: „Die männliche und weibliche Physis gibt es nicht ‚an sich‘, vor allem nicht in gesellschaftlich voraussetzungsloser ‚Reinkultur‘, es gibt sie nur abhängig von den jeweiligen gesellschaftlichen Lebensumständen“ (Tyrell 1986, S. 458). Dies zeigt auf, dass das Geschlecht mehr ist als ein biologischer Aspekt. Daher ist es notwendig, das Geschlecht als eine soziokulturelle Erscheinung zu verstehen (vgl.

Lenz/Adler 2010, S. 20).

Ein sehr verbreitetes Modell in den Sozialwissenschaften ist das Sex-Gender-Modell, das das Natur-Modell der Geschlechter abgelöst hat. Im Sex-Gender-Modell wird das Geschlecht als soziokultureller Aspekt gesehen, ohne auf das biologische Ge-schlecht zu vergessen. Laut Tyrell stellt das soziokulturelle GeGe-schlecht – also gender – mehr dar, als das biologische Geschlecht. In diesem Modell wird deutlich, dass die Geschlechterunterschiede, die wir wahrnehmen, nicht nur durch das biologische Geschlecht (Sex-Differenzen), sondern vor allem durch das soziokulturelle Ge-schlecht (Gender-Differenzen) begründet wird. Allerdings bleibt auch dieses Modell nicht ohne Kritik, denn dem Modell wird ein versteckter Biologismus unterstellt. Bei diesem Sex-Gender-Modell wird nämlich davon ausgegangen, dass es ein eindeu-tiges natürliches und biologisches Geschlecht gibt (vgl. Lenz/Adler 2010, S. 48).

Eine weitere Theorie betrachtet das Geschlecht als eine soziale Konstruktion (vgl.

Mühlen Achs 1998, S. 23). Geschlecht wird „als Ergebnis vielfältiger und komplexer kultureller Prozesse, in denen soziale Aspekte der Macht und Machtunterschiede einen zentralen Stellenwert haben“ (ebd., S. 23) definiert. Dieses „Ergebnis“, das kulturelle, soziale Geschlecht – also Gender – bezieht sich auf Bereiche, die be-stimmte Kulturen, Gesellschaften, Religionen etc. prägen. Weiters wird nicht nur Gender, sondern auch die Kategorie Sex als kulturelles Konstrukt betrachtet. Die Kategorie Sex wird nicht als natürliches Merkmal begriffen, an das kulturelle Aspekte angeknüpft werden. Hier werden auch körperliche Unterschiede von Frauen und Männern als kulturelle Konstruktion gesehen (vgl. ebd., S. 24f.). „Dahinter steht der Gedanke, daß sich Kultur sozusagen nicht nur in die Köpfe, sondern auch und vor allem in die Körper der Menschen einschreibt und somit letztlich auch die entsprechenden biologischen Merkmale hervorbringt“ (ebd., S. 25). Diese Theorie, dass nicht nur der Geist, sondern auch der Blick auf den Körper beeinflusst wird,

28 weist also darauf hin, dass es zwar biologische Fakten gibt, diese aber erst durch die Gesellschaft bedeutsam werden. Schon bei der Geburt werden wir Menschen in die Kategorie Mann oder Frau eingeteilt. Anhand der äußeren Geschlechtsmerkmale werden wir als männlich oder weiblich eingestuft. Mit der Einteilung von Frau und Mann folgt der Prozess der kulturellen Vergeschlechtlichung. Dieser Prozess hat zum Ziel, dass bei jenen, die als männlich eingeteilt wurden, eine Identifikation mit den Männlichkeitsvorstellungen und bei jenen, die als weiblich eingestuft wurden, eine Identifikation mit Weiblichkeitsvorstellungen hervorgerufen wird. Die Sex-Gender Theorie bezieht sich auf ein sehr komplexes und soziales Geschehen, an dem viele gesellschaftliche Instanzen beteiligt sind (vgl. ebd., S. 25ff.). Abgeschlossen ist die-ser Prozess, „wenn sich der kulturelle Genderkomplex psychisch sedimentiert und in Form einer individuellen Geschlechtsidentität im Selbst etabliert hat“ (ebd., S. 28). Ist in einer Gesellschaft erst das System der Zweigeschlechtlichkeit etabliert, so wird von den Menschen verlangt, sich entweder dem einen oder dem anderen Geschlecht zuzuordnen, da Abweichungen, wie beispielsweise Zwitterwesen, kulturell nicht aner-kannt sind. In der Gesellschaft geht man natürlich davon aus, dass wir Menschen nur einem Geschlecht angehören können, was aber in unserer Kultur nicht der Wahrheit entspricht. Denn auch in unserer Gesellschaft gibt es Zwischenformen der beiden Geschlechter, die als abweichend definiert werden (vgl. Brück/Kahlert/

Krüll/Milz/Osterland/Wegehaupt-Schneider 1997, S. 82). In unserer Gesellschaft und Kultur wird das System der Zweigeschlechtlichkeit von klein auf erlernt. Hierbei sagt Carol Hagemann-White (1988), dass es nicht auf das Verhalten der Eltern, insbe-sondere der Mutter, ankommt, sondern auf das gesamte Umfeld, in dem die Sozialisation stattfindet (vgl. Brück et al. 1997, S. 82f.). „Unabhängig von der Art, wie konkrete Eltern und Erziehungspersonen die eigene Haltung zur Geschlechter-ordnung definieren, erzwingt unsere Kultur eine SelbstzuGeschlechter-ordnung als Mädchen oder Junge im Unterschied zum jeweils anderen Geschlecht als Bedingung der Möglich-keit der Identität“ (Hagemann-White 1988 zit. n. Brück et al. 1997, S. 83). Es ist daher nicht allein entscheidend, wie Eltern bewusst die Geschlechtsidentität des Kindes fördern, beispielsweise durch geschlechtsspezifisches Spielzeug, Bücher etc.

Die Kinder ordnen sich in das System der Zweigeschlechtlichkeit ein, da es für die Anpassung an die Gesellschaft wichtig ist. Wie genau die Eltern durch unterschied-liche Erziehungsstile die Kinder in eine gewisse Richtung erziehen, die sie für richtig und gut halten, wird im Kapitel 3.4.1.1 genauer beschrieben. Helga Bilden (1991)

29 plädiert daher auch dafür, dass die Geschlechtsidentität als Konstruktion aufzufassen ist (vgl. Brück et al. 1997, S. 83f.):

„Ich spreche daher ohne den emphatischen Anspruch, der mit >Identität<

immer verbunden ist, von Selbst-Bildung oder Selbst-Entwicklung (Selbst-konstruktion und -konstitution). Für mich steht dabei Selbst als reflexive Beziehungskategorie im Vordergrund: Ich bin/werde ich selbst in Beziehung zu anderen und zu mir. Ich bilde und entwickle mich selbst in meiner Lebens-tätigkeit, die eingelassen in und konstitutiver, eventuell kreativer Teil sozialer Praktiken ist“ (Bilden 1991, S. 291).

Die Mädchen und Buben erwerben also nicht die Geschlechterrolle, sondern sie sind Mädchen und Buben in allem, was ihr Ich ausmacht. Denn alle Menschen in der Umgebung der Kinder beziehen sich entweder auf das Mädchen oder den Buben, da sie es selbst auch tun (vgl. Brück et al. 1997, S. 84). Der Prozess hat zur Folge, dass sich männliche und weibliche Individuen als eindeutig männlich und weiblich betrachten und dies für einen Aspekt der eigenen Identität halten. Die Individuen haben sich kulturelle Gendervorstellungen einverleibt und drücken dies durch die äußerliche Erscheinung, das Handeln, Denken und Fühlen aus. Die Menschen bringen täglich zum Ausdruck, welcher Geschlechtskategorie sie angehören und in welche sie eingeordnet werden möchten. Dies wird als „doing gender“ bezeichnet (vgl. Mühlen Achs 1998, S. 30). In unserer Forschung werden wir auch darauf achten, ob die Jugendlichen sich wirklich den traditionellen Vorstellungen anpassen oder ob sie sich dagegen wehren. Denn im Jugendalter kann es immer wieder dazu kommen, dass sich Jugendliche gegen die traditionellen Gendervorstellungen wehren und sich beispielsweise anders kleiden oder einen gesellschaftlich gesehen geschlechtsuntypischen Haarschnitt tragen. Gitta Mühlen Achs (1998) sagt zum Thema soziales Geschlecht daher: „Geschlecht ist nicht etwas, das wir haben, schon gar nicht etwas, das wir sind. Geschlecht ist etwas, das wir tun“ (Mühlen Achs 1998, S. 21).

Daher geht es im Weiteren darum was genau der Unterschied zwischen Sex und Gender ist und wie sich dieser darstellt?

30 1.5. Sex & Gender – Der Unterschied

Im angloamerikanischen Raum wird zwischen biologischem Geschlecht (sex) und dem grammatischem Geschlecht (gender) unterschieden. John Money, John Hampson und Robert J. Stoller bezeichneten Gender als die Geschlechtsidentität und die Geschlechterrolle und Sex als das biologische Geschlecht, mit dem man geboren wird (vgl. Abdul-Hussain 2014, o. S.). Die Unterscheidung geht ursprünglich auf den Sexologen John Money (1955) zurück. Durch seine Beobachtungen entdeckte er, dass Hermaphroditen mit unklarem Körpergeschlecht (Sex) dennoch fähig sind, eine klare Geschlechtsidentität zu entwickeln. Robert J. Stoller (1968) führte diese beiden Begriffe in seinem Buch „Sex and Gender“ in die Psychoanalyse ein. In der Zeit von 1970 – 1990 lässt sich der Umgang mit den beiden Begriffen Sex und Gender nach Stephan Moebius in drei idealtypische Phasen unterteilen. In der ersten Phase wurde zwischen Sex und Gender nicht unterschieden, „Frau-Sein“ und

„Mann-Sein“ wurde biologisch gesehen. In der zweiten Phase wurde die Gleichset-zung von Sex und Gender in Frage gestellt, da die Phase gekennzeichnet wurde durch Paarmöglichkeiten wie Natur – Kultur oder Mann – Frau. Diese Theorie ging davon aus, dass es ein unveränderbares biologisches Geschlecht (Sex) gibt und die soziale Geschlechtsidentität (Gender) als kulturelle und soziale Variable dient. In der dritten Phase wurde der starre Essentialismus des Geschlechtskörpers problema-tisiert (vgl. Hopf 2012, S. 135f.). Butler stellte in ihrem Buch von 1991 „Das Unbehagen der Geschlechter“ die Unterscheidung von Sex und Gender in Frage.

„Butlers Aufmerksamkeit galt der Frage, inwieweit das „biologische Geschlecht“, das, was wir als Natur zu denken gewohnt sind, nicht nur als Vorweg-bestehendes kulturellen Normen unterworfen ist, sondern auch, Michel Foucaults machttheoretischen Überlegungen folgend, inwieweit es durch die regulierende Praxis erst hervorgebracht wird“ (Hopf 2012, S. 136).

Butler definiert den Begriff Sex als die Sedimentierung kultureller Praktiken. Sie unterstreicht auch die gegenseitigen Konstitutionsprozesse der drei Kategorien Sex, Gender und Sexualität. Die These von Butler lautet also, dass Sex immer schon Gender gewesen ist. Das Buch von Butler „Gender Trouble“ bzw. „Das Unbehagen der Geschlechter“ hat sie berühmt gemacht. Neben Simone de Beauvoir (1992) wurde Butler zu einer der zentralen Persönlichkeiten feministischer Theorie. Dennoch blieb ihre Ansicht nicht ohne Kritik, denn einige TheroretikerInnen sahen darin einen

31 problematischen Konstruktivismus, der den Körper nicht ernst nimmt und ihn zur Fiktion macht. Butlers Denkmuster hat sich im Laufe der Zeit verändert und weiterentwickelt, doch die Bestimmungen, wo das biologische, psychische, soziale und kulturelle Geschlecht anfangen und aufhören, stellen bis heute eine zentrale Betrachtungsweise dar (vgl. Hopf 2012, S. 136f.). Die französische Philosophin De Beauvoir ist Vorreiterin für die Trennung von Körper, Charakter und Schicksal. Durch ihr Werk „Das andere Geschlecht“ (1949, 1992) erfährt sie bis heute anhaltenden theoretischen Nachhall. Laut De Beauvoir „kommt man nicht als Frau zur Welt, man wird es. Keine biologische, psychologische oder ökonomische Bestimmung legt die Gestalt fest, die der weibliche Mensch in der Gesellschaft annimmt“ (De Beauvoir 1992 zit. n. Kerner 2007, S. 5). De Beauvoir geht davon aus, dass die gesamte Zivilisation, vor allem durch die Erziehung und die gelebten Sitten, die Gestalt der Frau bildet. In ihrem Konzept von Weiblichkeit geht es darum, Weiblichkeit als sozial konstruiert und veränderbar zu sehen und nicht als biologisch untermauert. De Beauvoir hat somit das Fundament für die Unterscheidung zwischen dem biolo-gischen Geschlecht einerseits und dem sozialen und gesellschaftlichen Geschlecht andererseits gelegt. Wobei das soziale Geschlecht nicht aus dem biologischen abgeleitet (deduziert) wird. Die Biologie ist also nicht für das Schicksal – in Bezug auf das Geschlecht – einer Person verantwortlich. Diese Ansicht prägt bis heute feminis-tische Theorien und die Geschlechterpolitik (vgl. Kerner 2007, S. 5f.). Die Soziologin Ann Oakley (1972) hat diese beiden Begriffe sex und gender in die feministischen Geistes- und Sozialwissenschaften eingeführt. In ihrem Buch „Sex, Gender and Society“ aus dem Jahr 1972 definiert sie genau die beiden Begriffe. Oakley´s Definition nach ist sex die biologische Differenzierung zwischen männlich und weiblich. Sie meint damit die sichtbaren Unterschiede der Genitalien und der Fortpflanzungsfunktionen. Gender definiert sie hingegen als kulturelle Angelegenheit, die Frauen und Männer in soziale Kategorien als maskulin oder feminin einordnet. De Beauvoir und Oakley ist es eben darum gegangen, die Veränderbarkeit von Gender aufzuzeigen (vgl. Kerner 2007, S. 6). Seit Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre wurde der Begriff Gender von der zweiten Frauenbewegung in Deutschland einge-führt. Der Begriff wurde verwendet, um die soziale Konstruktion der Geschlechter-unterschiede aufzuzeigen. So wird der Begriff Sex – das biologische Geschlecht – durch den Begriff „gender“ ergänzt (vgl. Wesely 2000, S. 15f.). Beim biologischen Geschlecht (sex) handelt es sich nun genau genommen um Unterschiede im Bereich

32 der Gene, Anatomie, Physiologie, Immunologie oder des Stoffwechsels. Gender hingegen umfasst die kulturellen, sozialen und psychologischen Unterschiede wie Beziehungen und soziale Rollen, Werte, Macht, Einfluss, Haltung und Verhalten etc.

(vgl. Bundesamt für Gesundheit 2004, S. 1). Gender meint also die soziale Zuschrei-bung und die sozial konstruierten Vorstellungen von Maskulinität und Femininität von Frauen und Männern in der Gesellschaft, Sex hingegen die biologischen Unter-schiede, wie die hormonellen, chromosomalen und morphologischen. Nach Alice Schwarzers (1975) Buch „Der ‚kleine Unterschied‘ und seine großen Folgen“, kann der „kleine Unterschied“ als „sex“ und seine großen Folgen als „gender“ bezeichnet werden. Da es im deutschsprachigen Raum keine unterschiedlichen Begriffe dafür gibt, wird in der Literatur auch von „sozialem“ und „biologischem“ Geschlecht gesprochen oder man greift auf die englischen Begriffe Sex und Gender zurück (vgl.

Lenz/Adler 2010, S. 15; Giddens/Fleck/Egger de Campo 2009, S. 213). Candace West und Don H. Zimmerman (1987) unterscheiden nicht nur zwischen sex und gender, sondern führen noch eine weitere Kategorie „sex category“ ein. Sie beschreiben Sex als biologisches Kriterium zur Aufteilung von Frauen und Männern.

Als Kriterium können Genitalien etc. gesehen werden. Der Begriff „sex category“

beschreibt die alltägliche Anwendung der Kategorie Sex. Die Zuordnung zu den Geschlechtern Frau und Mann erfolgt aufgrund von Vermutungen. West und Zimmerman zeigen auf, dass es den Menschen unangenehm ist, wenn man andere Menschen nicht als Mann oder Frau eindeutig identifizieren kann. Gender hingegen beschreibt die Verhaltensweisen, Vorstellungen und Werte etc., die zu den „sex categories“ passen. Laut West und Zimmerman ist sex category nicht das Gleiche wie gender (vgl. Wesely 2000, S. 17f.).

„Women can be seen as unfeminine, but that does not make them „unfemale‟”

(West/Zimmerman 1987 zit. n. Wesely 2000, S. 18).

Die Trennung von Sex und Gender hat auch einen Vorteil gegenüber dem deutschen Begriff „Geschlecht“, da eine Unterscheidung zwischen sozialem und biologischem Geschlecht markiert werden kann. Die Unterscheidung hat auch eine grundlegende Bedeutung, da Unterschiede der Geschlechter nicht immer biologisch bedingt sind (vgl. Stephan 2000, S. 58; Giddens et al. 2009, S. 213).

33 Im zweiten nun folgenden theoretischen Teil dieser Arbeit wollen wir, ausgehend von den Begriffserläuterungen von Geschlecht, Gender und Sex, sowie ihren indivi-duellen Eigenschaften, Merkmalen, Ausprägungen und Unterschieden weitere Themenbereiche des Geschlechterdiskurses, die zu einem Grundverständnis dieser Thematik und ihrer Problematik beitragen sollen, kurz erläutern.

2. Theoretische Diskurse zu Konstruktivismus und Dekonstruktivismus

(Magdalena Tschmelak)

Die Natur als die unhinterfragte Festlegung unseres Geschlechts für das ganze Leben zu sehen, ist heute nicht mehr aktuell, wie uns die vorangegangenen Begriffserklärungen bereits gezeigt haben. Diese Ansicht lässt sich wissenschaftlich aufgrund vieler empirischer und vor allem ethnomethodologischer Studien nicht mehr legitimieren. Um verstehen zu können, warum unsere Vorstellungen von Geschlecht bzw. Gender sich so entwickelt und über die Jahre hinweg nicht wesentlich verändert haben, ist es notwendig, zuerst zu verstehen, wie der Mensch sich seine Welt erschafft. Dazu werden wir in diesen folgenden Kapiteln auf den Konstruktivismus und Dekonstruktivismus näher eingehen. Diese beiden Begrifflichkeiten Konstruk-tivismus und DekonstrukKonstruk-tivismus sind untrennbar miteinander verbunden. Diese Theorien gehen davon aus, dass die Wirklichkeit als etwas Subjektives und nicht Objektives zu begreifen ist, da das Aufzeigen eines Konstrukts immer mit dessen eigener Konstruktion und Dekonstruktion zusammenhängt. Geht man von den verschiedenen oben erläuterten Perspektiven von Geschlecht, Gender und Sex und deren Unterschieden aus, so zeigt sich, dass Geschlecht nicht auf Natur reduziert werden kann, vor allem weil die biologischen Unterschiede erst durch das Tun der Individuen in der Gemeinschaft zur Wirklichkeit und etwas Gegebenem gemacht werden (vgl. Hirschauer 1989, S. 100ff.). Folgen wir diesen Gedanken also weiter und konfrontieren ihn mit der Gender-Inszenierung im Alltag, so ist es im Besonderen für die empirische Forschung wichtig, sich im Vorhinein mit den Überlegungen des Konstruktivismus und infolgedessen mit der dekonstruktivistischen Position genauer auseinanderzusetzen. Diskurse über den Konstruktivismus und Dekonstruktivismus, sowie die Stereotypen, das kulturelle System der Zweigeschlechtlichkeit, die Vielfalt und das Doing gender geben nachfolgend einen Überblick über die derzeitigen Forschungen und Überlegungen zu Geschlechterentstehung, zuschreibungen und

-34 identität. Geschlecht ist also ein Begriff, der aufgrund des heutigen Forschungs-standes nicht mehr aus nur einer Perspektive (siehe Teil II./Kapitel 1.) gesehen werden kann und schon gar nicht als naturgegebenes Phänomen, was im Beson-deren die Ansätze des Konstruktivismus aufzeigen.

2.1. Konstruktivismus

Konstruktivismus ist ein Begriff der Vielfalt. Es gibt nicht nur einen Konstruktivismus-Begriff, sondern eine Vielfalt von theoretischen Ansätzen wie den radikalen, den modernen, den sozialen, den pädagogischen Konstruktivismus usw. Etwas Einheit-liches, also eine ganzheitliche Theorie zum Konstruktivismus, gibt es nicht. Aus diesem Grund werden nur einige grundlegende Teilaspekte des Konstruktivismus, die für diese Arbeit essentiell sind, vorgestellt. Horst Siebert (1999) fasst den Konstruktivismus wie folgt zusammen:

„Die Kernthese des Konstruktivismus lautet: Menschen sind autopoietische, selbstreferenzielle, operational geschlossene Systeme. Die äußere Realität ist uns sensorisch und kognitiv unzugänglich. Wir sind mit der Umwelt lediglich strukturell gekoppelt, das heißt, wir wandeln Impulse von außen in unserem Nervensystem ‚strukturdeterminiert‘, das heißt auf der Grundlage biografisch geprägter psycho-physischer kognitiver und emotionaler Strukturen, um. Die so erzeugte Wirklichkeit ist keine Repräsentation, keine Abbildung der Außenwelt, sondern eine funktionale, viable Konstruktion, die von anderen Menschen geteilt wird und die sich biografisch und gattungsgeschichtlich als lebensdienlich erwiesen hat“ (Siebert 1999, S. 5f.).

Diese kurze Formulierung von Siebert, aber auch die vielen weiteren Thesen über den Konstruktivismus zeigen, dass es sich hierbei um eine Theorie handelt, die sich schon lange kritisch mit Wissen und Erkennen auseinandersetzt. Die Vorstellungen, die dem Konstruktivismus zu Grunde liegen, sind im Allgemeinen alt, da das eigent-liche Problem, dass die „Welt an sich“ nicht zu erkennen ist, schon in der Antike thematisiert wurde (vgl. Mikula 2002, S. 48). „Der Konstruktivismus ist eine Erkennt-nistheorie mit einer langen erkenntniskritischen Tradition (zum Beispiel Pyrrhon, Vico, Berkely, Kant, Vaihinger, Schopenhauer, W. James, Piaget, etc.)“ (Siebert 1999, S. 5). Rene Descartes, Immanuel Kant, Edmund Husserl und Arthur Schopenhauer vertraten alle die Ansicht, dass das Verständnis der Welt auf die eine

Diese kurze Formulierung von Siebert, aber auch die vielen weiteren Thesen über den Konstruktivismus zeigen, dass es sich hierbei um eine Theorie handelt, die sich schon lange kritisch mit Wissen und Erkennen auseinandersetzt. Die Vorstellungen, die dem Konstruktivismus zu Grunde liegen, sind im Allgemeinen alt, da das eigent-liche Problem, dass die „Welt an sich“ nicht zu erkennen ist, schon in der Antike thematisiert wurde (vgl. Mikula 2002, S. 48). „Der Konstruktivismus ist eine Erkennt-nistheorie mit einer langen erkenntniskritischen Tradition (zum Beispiel Pyrrhon, Vico, Berkely, Kant, Vaihinger, Schopenhauer, W. James, Piaget, etc.)“ (Siebert 1999, S. 5). Rene Descartes, Immanuel Kant, Edmund Husserl und Arthur Schopenhauer vertraten alle die Ansicht, dass das Verständnis der Welt auf die eine