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Vor- und Nachlauf als Hinterland- und foreland-Beziehungen eines Hafens

2. Theoretische Grundlagen und Konzeption

2.3 Maritimer Transport und Logistik

2.3.4 Vor- und Nachlauf als Hinterland- und foreland-Beziehungen eines Hafens

Die bisherigen Ausführungen zum Seeverkehr sind, hinsichtlich des gesamten maritimen Transportsystems, nur auf den Teilprozess des Hauptlaufs bezogen. Aber die auf See stattfin-denen Abläufe sind nicht, wie bislang vereinfachend angenommen, an punktuelle Knoten ohne weitere Einflusssphäre gebunden, sondern entspringen und enden meist im jeweiligen Hinter-land eines Hafens. Um also die Einflüsse und Standortparameter eines Hafens, und damit auch die Wertigkeit und Hierarchie innerhalb des Hafennetzwerks, vollständig bestimmen zu können, sind auch die zugrunde liegenden Strukturen dieser Bereiche zu beachten.

In der Gesamtbetrachtung beginnt ein maritimer Transportvorgang beim Versender des Gutes, verläuft durch das Hinterland zum Hafen und wird von dort über den seeseitigen Hauptlauf zum Zielhafen fortgesetzt (Abb. 18). Von dort wird die Ware auf die entsprechenden Empfänger des dortigen Festlands verteilt. Als Hinterland bezeichnet man daher den Fest-landbereich, der Quell- und Zielgebiete der Warenstörme umfasst, die einen Hafen durchlau-fen. Es ist also das Einzugsgebiet, das durch die Aktivitäten eines Hafens abgedeckt wird (BRITTON,J.N.H.1965; VAN KLINK,H.A.; VAN DEN BERG,G.C.1998,S.1;HAYUTH,Y.1982,S.

13). Aus Sicht des versendenden Hafens werden die seeseitig verbundenen Gebiete, d. h. der Zielhäfen und deren Hinterland, foreland genannt (WEIGEND,B.1956, S.1f.; CHARLIER, J.J.

1992,S.105;MARTI,B.E.1986,S.375ff.)

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Abb. 18: Phasen des maritimen Transportsystems

Die im konventionellen Stückgut übliche Einzelsendung mit anschließender Lagerung und Bündelung im Hafen wurde durch den Containertransport weitgehend obsolet. Die Konsolidie-rung der Güter zu einer Containereinheit findet meist schon beim Versender statt, und auch die Zusammenfassung mehrerer Container zu größeren und effizienteren Transporten im Hin-terland wird praktiziert (VAN KLINK,H.A.; VAN DEN BERG,G.C.1998,S.3;KONINGS,J.W.1996, S.3ff.). Den dargelegten Vor- und Nachteilen der landseitigen Transportmittel entsprechend werden weiter entfernte und häufiger auftretende größere Ladungsmengen eher mit Bahn o-der Binnenschiff transportiert, während nahe dem Hafen gelegene Versandorte geringeren Ladungsaufkommens mit dem Lkw bedient werden (EXLER,M.1996,S.192ff.). Zudem werden diese für den Transport zu den Binnenterminals (vgl. v.a. NOTTEBOOM,T.2004,S.462ff.) ein-gesetzt, die als Knoten des intermodalen Hinterlandverkehrs notwendig sind (KOZAN,E.2006,

66 2. Theoretische Grundlagen und Konzeption S. 471). Als Binnenterminals zur Bündelung, Synchronisierung und Verladung von Gütern (NOTTEBOOM,T.E.;RODRIGUE,J.-P.2005,S.303f.;RODRIGUE,J.-P.1999,S.257) werden vor allem Güterbahnhöfe (vgl. u. a. GOUVERNAL,E.;DAYDOU,J.2005;RUTTEN,B.J.C.M.1998), Binnenhäfen (vgl. u. a. WALTER,C.K.;POIST,R. F.2004) und Güterverkehrszentren verwen-det, wobei letztere dem Austausch zwischen mehr als zwei Modi dienen.

Im Massengutverkehr ist in den meisten Fällen die Anzahl der Versender- und Empfänger-standorte geringer als im Stückgutverkehr. Hinzu kommen die genannten Eigenschaften von flüssigem und trockenem Massengut (vgl. Kap. 2.2), weshalb der Hinterlandverkehr von die-sen Gütern vornehmlich mit Binnenschiff und Bahn vollzogen wird. Insgesamt unterliegt das Transport- und Logistiknetzwerk des Hinterlands im Massengutverkehr eher linearen, stern-förmig vom Hafen ausgehenden Strukturen, die Gleisen und Wasserstraßen folgen (HILLING, D.;BROWNE,M.1998, S.242ff.; HILLING,D.; HOYLE,B.S.1984,S. 8). Dahingegen weist das Hinterland im Stückgutverkehr eine engmaschige Vernetzung auf, dessen differenzierte For-men und Ausprägungen eine große Anzahl an beteiligten Akteuren einschließen.

Da aber an einem Hafenstandort oft mehrere oder alle Güterarten umgeschlagen werden, kommt es zur Überlagerung der Hinterlandverkehre im landseitigen Einzugsbereich eines Ha-fens. Im Folgenden beziehen sich die theoretischen Überlegungen deshalb auf das aggregier-te Hinaggregier-terland aller Güaggregier-ter- und Transportaraggregier-ten des maritimen Verkehrs.

Aufgrund der Funktion als „Eingangstor“ des seeseitigen Verkehrs und der Bündelung von Transportströmen werden Import- und Exporthäfen, die über ein weitgefasstes und überregio-nal bedeutendes Hinterland verfügen, auch als gateways bezeichnet (NUHN,H.1996a,S.20;

BEHRENS, K. et al. 2006; NOTTEBOOM, T. E. 2009, S. 743; FLEMING AND HAYUTH 1994; VAN

KLINK,H.A.; VAN DEN BERG,G.C.1998,S.1). Deren integrative Rolle zwischen Festland und globalen maritimen Handelsströmen wurde auch in zahlreichen Fallstudien hervorgehoben (z.

B. Barcelona und Valencia für Spanien bei: GOUVERNAL,E. et al. 2005, S. 109).

Waren die in Kapitel 2.2.3 vollzogenen Überlegungen zur Zentraltiät von Häfen nach HAYUTH und FLEMING (1994) noch ausschließlich auf die seeseitige Lage im Hafennetzwerk bezogen, so kommt an dieser Stelle ein wichtiger zweiter Aspekt der Zentralität hinzu. Das durch die Dimensionierung des Hinterlands bestimmte Austauschpotenzial mit anderen Häfen kann als Eigengewicht eines Knotens innerhalb des Systems betrachtet werden (LUTZKY,N.et al.1980,S.190f.; HAYUTH,Y.;FLEMING,D.K.1994,S.188). Warenströme, die im Einzugsbe-reich eines Hafens ihren Ursprung haben, bestimmen zu einem maßgeblichen Anteil, ob die-ser ein Gravitationszentrum im Seeverkehrsnetzwerk bildet oder nicht.

Betrachtet man die Ausprägungen und die Größe des Hinterlands eines Hafens, so wer-den diese zum einen von wer-den oben angeführten Verkehrsmitteln sowie deren Verfügbarkeit und Effektivität bestimmt. Allerdings sind auch weitere, meist interdependente Faktoren für die

2.3 Maritimer Transport und Logistik 67 Ausdehnung des Einzugsgebiets verantwortlich. Relief, Landschaftsformen und Flussnetze spielen dabei ebenso eine Rolle wie das Ausbauniveau von Verkehrsinfrastruktur (am Beispiel China: TODD,D.1994,S.285), die Bevölkerungsdichte, aber auch politische Grenzen, Syste-me und EinflussnahSyste-men (WANG,J.J.;SLACK,B.2000,S.263;NOTTEBOOM,T.E.2009,S.743;

BLAUWENS, G. et al. 2006; STERN, E.; HAYUTH, Y. 1984). Zudem stehen die wirtschaftliche Prosperität des Hinterlands und die Entwicklung eines Hafen in enger, sich gegenseitig beein-flussender Wechselbeziehung (HOYLE,B.;CHARLIER,J.1995,S.87;WANG,J.J.1998,S.187).

Ausgehend von der beschriebenen Heterogenität des an den Hafen anschließenden Fest-lands ist auch die interne Struktur des HinterFest-lands nicht einheitlich. Die Intensität der Erschlie-ßung und die Anbindung an den Seehafen nimmt mit zunehmender Entfernung ceteris paribus vom Hafenstandort ausgehend ab. Binnenterminals, Verkehrsachsen oder andere logistische Agglomerationen bewirken hingegen eine stärke Integration in die internationalen Austausch-beziehungen (VAN KLINK,H.A.; VAN DEN BERG,G.C.1998,S.1), für die der Seehafen ein ga-teway darstellt. Daraus ergeben sich die von NOTTEBOOM und RODRIGUE (2005) beschriebe-nen Kategorien des „kontinuierlichen“ und „diskontinuierlichen“ Hinterlands (Abb. 19 linke Sei-te). Letzteres umfasst Gebiete, die nicht direkt über das Einzugsgebiet des Hafens, sondern indirekt über den Einfluss eines Binnenterminals und dessen Verbindung zum Hafen an des-sen Hinterland angeschlosdes-sen sind. Unter bestimmten Umständen ist es sogar möglich, dass Gebiete, die im kontinuierlichen Hinterland eines Hafens liegen, funktional einem anderen zu-geordnet werden (Inselformation).

Ebenfalls bei NOTTEBOOM und RODRIGUE (2005) beschrieben ist die Konzeption der Korri-dore (Abb. 19 rechte Seite) im Hinterland von Häfen. Diese linienhafte räumliche Häufung von Logistikakteuren entlang Verkehrsachsen zwischen Aufkommensschwerpunkten von Trans-portaktivitäten (NOTTEBOOM,T.E.;RODRIGUE,J.-P.2005,S. 305;ALBRECHTS,L.;COPPENS,T.

2003, S.215; RODRIGUE,J.-P.2004, S.149f.) ist als Betrachtungsweise regionaler Prozesse und Akteursnetzwerke (CHAPMAN,D.et al.2003,S.179ff.) insbesondere für den in dieser Ar-beit angestrebten Ansatz eine wichtige Ergänzung. Angewandt wurde dieses Konzept von NOTTEBOOM und RODRIGUE (2005) zuletzt unter anderem auf das funktionale Hinterland des Hafens von Antwerpen (HESSE,M.2010,S.169ff.).

68 2. Theoretische Grundlagen und Konzeption

Abb. 19: (Dis-)kontinuierliches Hinterland und Korridorkonzept