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Modell der räumlichen Struktur eines Hafens

2. Theoretische Grundlagen und Konzeption

2.3 Maritimer Transport und Logistik

2.4.5 Modell der räumlichen Struktur eines Hafens

Nachdem die Prozesse des Hafensystems nun hinsichtlich ihrer physiognomischen Abläu-fe dargelegt wurden, ist für die Abgrenzung des HaAbläu-fens als Untersuchungsobjekt die räumli-che Aufteilung und Reichweite dieser Aktivitäten relevant. Für den Aufbau des idealtypisräumli-chen Modells eines Seehafens werden die charakteristischen Eigenschaften eines Hafens im direk-ten Bezug zu einer Hafenstadt angenommen, die aufgrund eigener Erhebungen deutlich wur-den (vgl. methodische Anmerkungen in Kapitel 3). Erweiterungen und Hinterlandanbindung sind entsprechend der Einflusssphären dieser beiden Pole urbaner und maritim-operativer Funktionskonzentration ausgeprägt. Die im Modell (Abb. 35) auftretenden räumli-chen Relationen können, unter Berücksichtigung von Relief, Flusssystemen, angrenzenden Siedlungen und anderen morphologischen, sozialen oder historischen Standortcharakteristika, bis auf wenige Ausnahmen auf jeden Seehafen angewandt werden.

Zu Grunde gelegt wird dabei das Hafen-Stadt-Modell von HOYLE (1988), welches das Wachstum des Hafens über die Grenzen der Stadt hinaus beschreibt (Tab. 5).

Agglomerationsnachteile und der Mangel an notwendigen Erweiterungsflächen sowie Be-einträchtigungen anderer urbaner Funktionen durch Emissionen hafenbezogener Tätigkeiten führten, wie in Tabelle 5 beschrieben, zur schrittweisen Ausgliederung des Hafens aus dem Stadtzentrum.

2.4 Häfen 89

(zusammengestellt und ergänzt nach HOYLE,B.S. 1988 S. 5ff.; SCHUBERT,D. 2002, S. 19; SCHUBERT,D. 2008,S.4)

Der Hafen verlagerte seinen Standort somit von ehemals zentraler Position in urbaner Mit-te zu innenstadtfernen GebieMit-ten (DEECKE,H.2002,S.49), welche, bei oft gegebener Lage an Flussmündungen, in vielen Fällen näher am Meer gelegen sind, über höhere Wassertiefen verfügen und den Bau größerer Terminals mit längeren Kaimauern erlauben (BAIRD, A. J.

1997, S. 299ff.; NUHN,H. 1996, S. 424). Beschränkend wirken sich seit den 1980er Jahren Aspekte des Umweltschutzes auf die Expansion des Hafens aus (vgl. u. a. BIRD,J.H.1984,S.

31;VANDERMEULEN,J.H.1998;GILMAN,S.2003;GILMAN,S.2004;WOOLDRIDGE,C.;S TOJANO-VIC,T.2004;ADAMS,M. et al. 2009). Brachliegende oder nur noch marginaler maritimer Nut-zung unterliegende Gebiete des ehemaligen Hafen- und Stadtzentrums (HILLING,D.;HOYLE,B.

S.1984,S.13) wurden im Zuge des mittlerweile globalen Phänomens des waterfront redeve-lopment durch neue Nutzungsformen revitalisiert. Bauten unterschiedlicher urbaner Funktio-nen (WohFunktio-nen, Freizeit, Arbeit,…) wurden oft unter großem finanziellen Aufwand auf ehemali-gen Hafenarealen errichtet (BREE, A., RIGBY, B. 1996; BRUTTOMESSO, R. 2001; PRIEBS, A.

2004;HOHN,B.2000). Blickbezüge zu Wasserflächen oder fernen Hafengebieten, aber auch bewusst geschaffene maritim-historische Bauelemente machen revitalisierte Waterfrontberei-che zu einem attraktiven Standort insbesondere für hafenaffine WirtschaftsbereiWaterfrontberei-che (FALK,A.

2001,S.72;SCHUBERT,D.2002a,S.319).

90 2. Theoretische Grundlagen und Konzeption

Abb. 35: Der Seehafen als räumliches Abbild maritimer Transportprozesse

2.4 Häfen 91 Für das Modell zur räumlichen Struktur eines Seehafens soll, analog zur Beschreibung der Hafenprozesse im vorangegangenen Kapitel, von der Seeseite aus begonnen werden.

Vorgelagert zu den Kaimauern und anderen Wasser-Land-Kontakträumen müssen Reede, Manövriergebiete, Wellenbrecher und Molen, im Gegensatz zur administrativen Einteilung, funktional dem Hafengebiet zugerechnet werden.

Es folgen die den Güterarten entsprechenden Terminalarten, die ausgehend von stadtna-hen Standorten meist mit Anlagen für konventionelles Stückgut beginnen. Geringer ausge-prägte Raumansprüche, Schiffe mit weniger Tiefgang und landseitige Infrastruktur-verbindungen geringerer Frequenz machen ein Verbleiben dieser Terminals in stadtnahen Lagen möglich (SLACK,B.1998, S.274). Auch Großhändlerhallen und Kühleinrichtungen für Frischobst und andere konsumnahe Einrichtungen sind in diesem Bereich zu finden (V ETH-MAN,H. 1994,S.36;NUHN,H.1996, S.422). Daran schließen in der Regel ältere Container-terminals an, deren Fläche nicht den Ausmaßen der ContainerContainer-terminals neuester Generation entsprechen. In vielen Fällen dienen sie dem feeder-Verkehr oder werden als Ausweichmög-lichkeit für größere Anlagen genutzt.

Im weiteren Verlauf des Hafens folgen Containerterminals neueren Baujahrs und Massen-gutanlagen. Die Reihenfolge ist hierbei oft dem Entstehungszeitraum des jeweiligen Terminals geschuldet, da, sofern Erweiterungsmöglichkeiten für den Hafen vorhanden sind, greenfield-Investitionen bevorzugt werden. Es kann jedoch grundsätzlich von einer Abfolge von Contai-nerterminals geringer Automatisierung, automatisierten ContaiContai-nerterminals, Anlagen für tro-ckenes Massengut und Terminals für flüssiges Massengut ausgegangen werden, da in dieser Reihenfolge steigender Flächenbedarf und erhöhte Emissionstätigkeit anzunehmen sind. Au-ßerdem sind die im Umfeld von Terminals für flüssiges Massengut angesiedelten Raffinerien und Industrieanlagen kaum mit tertiär-urbaner Nutzung kompatibel. Diese industriellen Stand-ortkomplexe werden häufig um weitere zentrumsferne Industrien, wie Kraftwerke zur Stromer-zeugung, ergänzt.

Die zahlreichen Spezialterminals für die unterschiedlichen Arten von Massengut (NUHN,H.

1996a,S.23), deren Lagervorrichtungen und Anlagen zur Weiterverarbeitung sowie energie- und rohstoffaffine Sektoren bilden häufig Industriezonen (TUPPEN,J.N.1984,S.306;HILLING, D.;BROWNE,M. 1998, S.243f.; NUHN,H. 1996,S.422). Diese Gebiete mit meist kohle- und eisenbasierter Schwerindustrie erlebten durch das Nachfragewachstum in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die zunehmende Orientierung dieser Industriesektoren in das direk-te Umfeld von Massengutdirek-terminals (DE LANGEN,P.W. 2004,S.84) eine enorme Flächenex-pansion (HILLING,D.;HOYLE,B.S.1984,S.5;HILLING,D.;BROWNE,M.1998,S.248;NUHN,H.

1996, S. 420). Beispiele für das mindestens ebenso große Wachstum von erdölinduzierter

92 2. Theoretische Grundlagen und Konzeption Industrie und Anlagen der (Petro-)Chemie sind die Entwicklung des Industrie-Hafen-Komplexes Marseille-Fos (TUPPEN,J.N. 1984) und die Schwerindustriekonzentration um den Hafen von Rotterdam (DE LANGEN,P.W.2004,S.90ff.).

Sind in einem Hafen Fahrzeugterminals zur Verschiffung von Automobilen vorhanden, ist deren Verortung von vielerlei Faktoren bestimmt. Wenn Teile des Produktionsprozesses am Hafenstandort stattfinden, wird die Nähe zu Industriegebieten gesucht (z. B. Opel in Antwer-pen oder Seat in Barcelona). Andernfalls werden Synergien mit Ro/Ro-Anlagen oder Termi-nals für konventionelles Stückgut genutzt, wenngleich durch den Raumbedarf der flächenin-tensiven Lagerung von Fahrzeugen (MATTFELD, D. C.; ORTH, H. 2007, S. 268) auch hafen-stadtferne Standorte den Anforderungen eines Terminals für Automobile entsprechen.

Innerhalb der Terminals sind neben der im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Auf-teilung der Umschlags- und Transportanlagen auch Gebäude für Hilfsleistungen (Reparatur, Ersatzteillager,…) und zur Verwaltung vorzufinden.

Noch innerhalb des administrativ abgegrenzten Hafengebiets, das in vielen Fällen eine Freizone (Freihafen, Freihandelszone – Abb. 36 und Abb. 37) beinhaltet (WANG,J.J.;OLIVIER, D.;SLACK,B.2006,S.1487), sind weitere Mitglieder der port community angesiedelt. Oft sind in diesem Gebiet sogar ausschließlich hafenbezogene Aktivitäten zugelassen (HEINRICH, M.

2000,S.201).

Funktionen wie Konsolidierung, Reparatur, Versorgungsdienstleistungen für Schiffe und für landseitige Anlagen sowie andere direkt oder indirekt für den Umschlag notwendigen

Be-Abb. 36: Zugang zum Freihafen von

Abb. 36: Zugang zum Freihafen von Algeciras

(eigene Aufnahme vom 30.09.2010)

Abb. 37: Zugang zum Freihafen von Tanger

(eigene Aufnahme vom 03.10.2010)

2.4 Häfen 93 reiche des Hafenservices sind im direkten Umfeld der Terminals angesiedelt (CHLOMOUDIS,I.

C. et al. 2003,S.80). Tendenziell ist die räumliche Struktur des inneren Hafenclusters in ter-minalnahe schiffsbezogene Aktivitäten und etwas weiter entfernte hafenbezogene Aktivitäten aufgeteilt (NUHN,H. 1996a, S. 20ff.; DE LANGEN,P.W.2000, S.207). Diese Untergliederung war schon in den shipping districts nach FLEMING (1988) nachzuweisen.

Auch räumliche Nähe von umschlagfernen Akteuren zu zentral-urbanen Dienstleistern (Banken, Versicherungen, Unternehmensberatungen,…) und zu wichtigen Kunden wurde viel-fach belegt (vgl. u. a. FLEMING,D.K.1988, S.60;NUHN,H.1996a,S.20ff.). Innerhalb dieses Spannungsgefüges zwischen Terminals für den Seeumschlag und städtischem Zentrum bildet sich ein Übergangsbereich, dessen Durchsetzungsdichte mit auf das Schiff bezogenen Dienst-leistungen zur Stadt hin abnimmt. Administrative Funktionen und Serviceaktivitäten, die nur indirekten Bezug zum tatsächlichen Umschlag haben, treten hier verstärkt auf und finden ihre höchste Konzentration in prestigebehafteten wassernahen Gebieten, oft in repräsentativen Bauten. Diese stimmen meist mit den historischen Kerngebieten des shipping districts überein, so dass eine räumliche Kontinuität des Hafenclusters und der Standortpräferenz der Mitglieder der port community festzustellen ist, wenn sich auch die Funktionalität der ansässigen Akteure verändert hat. Ebenso hat die Hafenbehörde (port authority) in der Regel hier ihren Sitz. So konnten historisch gewachsene Standorte mit maritimer Tradition wie die City of London (F LE-MING,D.K.1988,S.60) trotz der Abwanderung operativer Hafentätigkeiten an andere Stand-orte ihren Status als Agglomerationspunkt hafenbezogener Aktivitäten erhalten (BROWNRIGG, M.2006,S.99).

Im weiteren, nicht zentral-urban geprägten Umfeld des administrativ abgegrenzten Hafen-gebiets finden sich weitere Mitglieder der port community, deren Standorte unter anderem durch den Anschluss an Autobahnen und Schienenverbindungen geprägt sind.

Sollten Bahn- und Binnenschiffanlagen nicht in den Terminals integriert sein, sind diese entweder dezentral im direkten Umfeld der einzelnen Terminals oder an einem zentralen Kno-ten gebündelt. Ebenfalls notwendig für ein funktionierendes Hafensystem mit Hinterlandver-bindung ist der Anschluss an interregionale Straßeninfrastruktur, welche in der Regel nur teil-weise durch das Kerngebiet der Hafenstadt führt. Entlang der Ausfallstraßen, die den Anfang von eventuell bestehenden Hinterlandkorridoren bilden, sind weitere Hafenbranchen zu finden, die mit dem Umschlag direkt und dem Hinterlandtransport oder der Organisation des Trans-portvorgangs insgesamt betraut sind. Dazu zählen beispielsweise auch Lagerhallen, Konsoli-dierungsdepots oder Flächen für Leercontainer (Abb. 38) (HILLING,D.;HOYLE,B.S.1984,S.

11;FLEMING,D.K.1988,S.60).

94 2. Theoretische Grundlagen und Konzeption Da die Nähe zu Transportinfrastruktur auch für andere Logistikteilbranchen und Unter-nehmen unterschiedlicher Wirtschaftssektoren ein attraktiver Standortfaktor ist, überlagern sich deren Ansiedlungsmuster, so dass Gewerbegebiete entstehen (vgl. Abb. 39), deren Durchsetzung mit maritimen Akteuren mit steigender Entfernung zu den Hafenterminals cete-ris paribus abnimmt. Ebenso verhält es sich mit den im Anschluss an Massengutterminals liegenden Industriegebieten.

Im Verlauf der Logistikkorridore, aber noch im kontinuierlichen Hinterland, haben viele Hä-fen Binnendepots zur Entlastung der Lagerkapazitäten im HaHä-fenkerngebiet eingerichtet (KIA, M. et al. 2000,S. 331). Dies wird in einigen Fällen direkt von der Hafenbehörde veranlasst (SLACK,B.1999a,S.245). In der Regel sind sie aber Ergebnis von Flächenknappheit und Nut-zungsintensität der Depots. Auch Satellitenhäfen wie zum Beispiel Voltri für Genua (BIAGINI,E.

1984, S. 330) können eine solche Entlastungsfunktion übernehmen. Durch diese räumliche Expansion des Hafens ins Hinterland, welche durch die funktionale Restrukturierung der mari-timen Transportprozesse bedingt ist, hat sich das Verhältnis von Hafen(-stadt) und dem an-grenzenden Umland grundlegend verändert (am Beispiel Antwerpen: HESSE,M.2010,S.166) und muss daher in einer Abgrenzung oder Definition des Hafens berücksichtigt werden.

Trotz des meist eher geringen Austauschpotenzials zwischen Seehäfen und Flughäfen sind an manchen Standorten auch zwischen diesen Verkehrsknoten intensive Verbindungen entstanden, die zur Ansiedlung von (maritimen) Logistikaktivitäten führen (für das Beispiel Hongkong: SLACK,B.1998,S.274; für Dubai: JACOBS,W.;HALL,P.V.2007,S.333).

Abb. 39: Maritime und logistische Ein- richtungen im hafennahen Ge- werbegebiet von Barcelona (eigene Aufnahme vom 06.10.2010)

2.4 Häfen 95 Zusammenfassend lässt sich die räumliche Ausprägung der das Hafencluster bildenden port community in seeseitige Aktivitäten, den Bereich der Terminals, das übrige Hafengebiet, direkt anschließende Gewerbe- und Industriezonen, Bereiche der Hafenstadt mit maritimer Nutzung und das funktional mit der Hafenstadt verbundene nahe Hinterland mit Logistikkorri-doren untergliedern (Abb. 40). Die jeweiligen charakteristischen Eigenschaften der Gebiete und der dort ansässigen Akteure des maritim-logistischen Clusters wurden in den vorange-gangenen Ausführungen dargelegt.

Abb. 40: Räumliche Gliederung des maritim-logistischen Clusters

96 2. Theoretische Grundlagen und Konzeption