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Schreiben und Lernen

Im Dokument Von der Innovation zur Institution (Seite 78-81)

Die im vorigen Abschnitt dargelegten Argumente haben gezeigt, dass Schreiben aus bestimmten Gründen schwierig für Studierende ist. Diese problemzentrierte Sicht-weise auf studentisches Schreiben sollte aber nicht den Blick auf das Potenzial ver-stellen, dass das Schreiben als Lernmedium und damit als hochschuldidaktisches Medium hat.

Wie bereits gezeigt, kann Schreiben verschiedene Funktionen haben. Als heuristi-sche Funktion des Schreibens wird jene Funktion bezeichnet, bei der Schreiben als Denkwerkzeug funktioniert. Es wird also nicht zuvor Gedachtes verschriftlicht, son-dern durch das Verschriftlichen wird gedacht (Hermanns, 1988). Die heuristische Funktion des Schreibens macht es für Schreibende oft schwierig, Texte gemäß ihrer

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Planung zu verfassen. Gerade SchreibnovizInnen, wie Studierende es sind, lassen sich leicht davon verunsichern, dass die Denkprozesse, die erst während des Schrei-bens und durch das Schreiben entstehen, dazu führen, dass sie von ihren ursprüng-lichen Planungen abweichen müssen.

Diese Schwierigkeit zeigt aber zugleich auch das große Potenzial des Schreibens als Denk- und damit auch Lernmedium. Schreibaufgaben können sehr viel vielfältiger eingesetzt werden als nur dafür, Wissensstände zu überprüfen. Eindrucksvoll zeigt dies zum Beispiel die NSSE-Studie in den USA, die National Survey of Student Engage-ment. Diese seit dem Jahr 2000 in den USA jährlich durchgeführte Studie untersucht, wie welche Aktivitäten an Hochschulen Studierende in ihr Studium involvieren und ihnen gutes Lernen ermöglichen. Auch 2008 wurden dafür 380.000 zufällig ausge-wählte Studierende an 774 Hochschulen befragt, welche Lehr- und Lernformen und welche Aktivitäten an der Hochschule ihr akademisches Engagement fördern. An 82 zufällig ausgewählten Hochschulen wurden dabei auch Fragen zum Zusammen-hang von Schreiben und Lernen im Studium gestellt, die von einer Arbeitsgruppe des Council of Writing Program Administrators (WPA) entwickelt wurden. Die Er-gebnisse zeigen, dass Studierende tiefergehende Lernaktivitäten ausführen, wenn fachliche Lehrveranstaltungen umfangreiche und herausfordernde Schreibaktivitä-ten beinhalSchreibaktivitä-ten, wie z. B. Analysen, Synthesen und Quellenarbeit. Sie setzen sich gründlicher mit den Inhalten der Lehrveranstaltung auseinander und berichten von größeren Lerneffekten sowie von stärkeren Entwicklungen auf sozialer, praktischer und intellektueller Ebene (Paine, Gonyea & Anderson, 2008).

Diese Befunde decken sich mit Auswertungen diverser Studien zum Zusammen-hang von Schreiben und Denken, die Newell (2008) vornimmt. Demnach führt Schreiben nicht automatisch zu besseren Lerneffekten, sondern verschiedene Schreibaufgaben führen zu verschiedenen Lerneffekten. So führe das schriftliche Beantworten von Fragen zu einem besseren kurzfristigen Behalten von Faktenwis-sen. Dieses Faktenwissen werde aber relativ schnell wieder vergesFaktenwis-sen. Es eigne sich daher weniger dafür, langfristige Wissensbestände zu entwickeln, kann aber gut da-für eingesetzt werden, komplexere Aufgaben vorzubereiten. Das Schreiben von Zu-sammenfassungen kann laut Newell zu einem besseren Textverständnis beitragen, das aber, so das Ergebnis einiger Studien, leicht an der Oberfläche bleiben und unter Umständen sogar das Textverständnis verschlechtern könne, weil die Schreibenden hier eine Vogelperspektive einnehmen, bei der sie Details übersehen. Ein nachhalti-ges Lernen entwickelt sich laut Newells Auswertung vor allem durch analytische Schreibaufgaben. In Bezug auf die Quantität der erlernten Fakten seien hier zwar geringere Lerneffekte zu beobachten, doch führe analytisches Schreiben zu komple-xeren Veränderungen im Denken und zu nachhaltiger Verankerung des neu Erlern-ten, weil hier eigene Gedanken formuliert und integriert werden müssen.

Auch durch informelle Schreibaufgaben konnten nach den Studien, die Newell ausgewertet hat, meistens Lerneffekte nachgewiesen werden. Solche informellen Schreibaufgaben sind nicht darauf angelegt, die formalen Konventionen des

wissen-schaftlichen Schreibens einzuhalten, sondern sind z. B. persönliche Reflexionen oder kreative Aufgaben. Diese seien vor allem dann effektvoll, wenn sie meta-kogni-tives Lernen fördern. D. h. kleine, informelle Schreibaufgaben führen dann zu posi-tiveren Resultaten, wenn sie Studierende dazu anregen, darüber zu reflektieren, was vom Inhalt sie verstehen und wie sie es verstehen; was sie verwirrend finden und was von dem, was sie gelernt haben, zu positiven Resultaten führt.

Newell weist zudem darauf hin, dass durch den Einsatz von Schreibaufgaben die Möglichkeit geschaffen werden kann, die Lehrenden- und die Lernendenrollen zu verändern. So könnten Lehrende im Idealfall von Bewertenden zu Ko-Lernenden werden und Lernende sich weg von Wissen nur absorbierenden Personen hin zu Sinn konstruierenden Personen entwickeln.

Betrachtet man diese Potenziale des Schreibens im Hinblick auf den im Bologna-Prozess immer wieder geforderten „Shift from Teaching to Learning“, so zeigen sich auffällige Parallelen zu den Kennzeichen dieses „Shifts“, die Wildt (2006) wie folgt zusammenfasst:

„Studierendenzentrierung, d. h. die Studierenden und ihre Lernprozesse stehen im Mittelpunkt,

Veränderung der Lehrendenrolle weg von der Zentrierung auf Instruktion zum Arrange-ment von Lernumgebungen bzw. Lernsituationen und Lernberatung,

Ausrichtung des Lernens auf Ziele bzw. Ergebnisse,

Förderung von selbst organisiertem und aktivem Lernen,

Beachtung motivationaler und sozialer Aspekte des Lernens,

Verbindung von Wissenserwerb und Lernstrategien.“ (Wildt, 2006, 2 f.).

Gabriela Ruhmann bezeichnet die Potenziale einer universitären Schreibdidaktik in diesem Zusammenhang als „einen ungehobenen Schatz in der Hochschullehre“

(Ruhmann, 2005, 1, vgl. auch MacGilchrist & Girgensohn, 2011).

In den USA gibt es an vielen Hochschulen sogenannte Writing Across the Curricu-lum- oder Writing in the Disciplines-Programme, die dazu aufgelegt wurden, genau dieses Potenzial des Schreibens für das Lehren und Lernen in allen Fächern zu för-dern. WAC/WID-Programme arbeiten unterschiedlich. Häufig, aber nicht immer, arbeiten sie eng mit den Schreibzentren zusammen (vgl. Barnett & Blumner, 2006;

Haviland, 1985; Waldo, 1993; Wallace, 1988) – zum Beispiel, indem die Leitung der Programme beim Schreibzentrum liegt oder indem Lehrende der WAC/WID-Pro-gramme durch das Schreibzentrum konzeptionell und durch Ressourcen wie z. B.

Peer-TutorInnen unterstützt werden. Einige WAC/WID-Programme haben zudem das Ziel, zugleich auch evidanzbasiertes fachdidaktisches Wissen zu generieren, in-dem die entwickelten Lehrformate begleitend erforscht werden (Jablonski, 2006).

Ein häufig gewähltes Lehrformat sind writing-intensive-classes. Dabei handelt es sich um fachliche Lehrveranstaltungen, für die Lehrende Schreibaufgaben konzipie-ren, durch die die Studierenden sich Fachwissen aneignen oder es vertiefen. Die Art der Schreibaufgaben kann dabei alle von Newell (s. o.) skizzierten Formen haben, je

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nachdem, welche Lernziele mit ihnen verbunden sind (für eine Auswahl an Konzep-ten siehe z. B. Bean, 2001). WAC/WID-Programme sind in den USA weitverbreitet und wurden häufig als Top-Down-Prozess vonseiten der Hochschulleitungen initi-iert, weil sie nicht nur die Schreibkompetenzen fördern, sondern zugleich auch eine Form der Curriculumsentwicklung sind und die Lehrqualität erhöhen.

3.4 Schreibzentren als Zentren für Schreiben und Lernen

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