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Experteninterviews

Im Dokument Von der Innovation zur Institution (Seite 115-118)

Experteninterviews52 als methodischer Zugang innerhalb der Qualitativen Sozialfor-schung sind mittlerweile Gegenstand einer Methodendebatte, die ein differenziertes Bild ihrer Einsatzmöglichkeiten, Vorteile, Risiken und empfehlenswerten Vorge-hensweisen erlaubt (Bogner & Menz, 2009). Dabei ist es eine fundamentale Frage, wer überhaupt als ExpertIn zu bezeichnen sei (Meuser & Nagel, 1991; Meuser & Na-gel, 2009; Pfadenhauer, 2009a; Littig, 2009; Gläser & Laudel, 2010). Für Meuser &

Nagel gilt eine Person im Zusammenhang mit einem Forschungsprojekt dann als ExpertIn, wenn „sie über ein Wissen verfügt, das sie zwar nicht notwendigerweise

52 Da der Begriff „Experteninterview“ ein feststehender methodologischer Terminus ist, wird hier keine gendergerechte Sprache genutzt. „Experten“ schließt im Begriff „Experteninterview“ also sowohl Interviews mit Experten als auch mit Expertinnen ein. Gleiches gilt für den Begriff Expertenwissen.

alleine besitzt, das aber doch nicht jedermann in dem interessierenden Handlungs-feld zugänglich ist“ (Meuser & Nagel, 2009, 37).

Dieses Expertenwissen ist relevant in einem „organisationalen Funktionskontext“

(Hitzler, Honer & Maeder, 1991, zit. n. Meuser & Nagel, 2009, 38), d. h. in berufli-chen Kontexten oder in Organisationen wie NGOs oder Bürgerinitiativen. Pfaden-hauer (2009b, 102) betont, dass sich ExpertInnen über ihr privilegiertes Wissen im organisationalen Funktionskontext hinaus durch eine „verantwortliche Zuständigkeit für die Bereitstellung möglicher Problemlösungen, d. h. Expertise“ auszeichnen. Ex-pertInnen sind also zuständig für das Lösen von Problemen in ihrem Kontext und tun dies auf der Basis eines speziellen Wissens. Nach Pfadenhauer (2009, 103) bietet sich der Einsatz von Experteninterviews an, „wenn die exklusiven Wissensbestände von Experten im Kontext ihrer (letzt-)verantwortlichen Zuständigkeit für Problem-lösungen Gegenstand des Forschungsinteresse sind.“

Experteninterviews sind demnach für die in dieser Studie verfolgte Fragestellung besonders geeignet, um herauszufinden, wie Leitungspersonen von universitären Schreibzentren Probleme lösen, die sich aus der Aufgabe ergeben, das Schreibzen-trum zu institutionalisieren.

Experteninterviews boten sich für dieses Vorhaben auch deshalb an, da die Gesprä-che durch mein eigenes Vorwissen mit der Implementierung des Schreibzentrums der Europa-Universität Viadrina auf Augenhöhe geführt werden konnten. Denn Pfadenhauer (2003; 2009) betont, dass Experteninterviews auf gleicher Augenhöhe stattfinden müssen in dem Sinne, dass die ExpertInnen bei den Forschenden einen so hohen Wissenstand erkennen, dass es sich für sie lohnt, genauere Einblicke in ihr Wissen zu geben. Andererseits gibt Pfadenhauer (2009) zu bedenken, dass die glei-che Augenhöhe auch zu einer Konkurrenzsituation führen könnte, die verhindert, dass „Betriebswissen“ offengelegt wird. In diesem Sinne war es ein Vorteil, als Ver-treterin europäischer Schreibzentren keine direkte Konkurrentin zu sein und damit für die Gespräche den Status einer „Quasi-Expertin“ (Pfadenhauer, 2009) zu haben.

Dieses „Quasi-Expertentum“, das sich durch die Fremdheit im amerikanischen Hochschulkontext ergeben hat, war auch insofern ein Vorteil, als ich vor allem an Punkten nachhaken konnte, an denen die ExpertInnen glaubten, ihr Wissen nicht mehr erklären zu müssen.

Meuser & Nagel (2009) betonen mehrere Aspekte von Expertenwissen, die für die Durchführung von Experteninterviews bedeutsam sind. So weisen sie darauf hin, dass – obwohl sie für eine scharfe Trennung zwischen Experteninterviews und nar-rativen Interviews mit biografischer Ausrichtung plädieren – die Biografie von Exper-tInnen nicht völlig ausgeklammert werden könne. Erfahrungen, die ExperExper-tInnen au-ßerhalb ihres beruflichen Kontextes machen, können durchaus zum Expertenwissen beitragen. Wichtig ist jedoch, dass im Fokus von Experteninterviews die ExpertInnen als AkteurInnen in ihrem institutionellen Rahmen stehen. Dieser Hinweis hat sich für die vorliegende Studie als relevant erwiesen, da viele der befragten Leitenden auf Umwegen zu ihrer Position gelangt sind. Biografische Erzählungen spielten daher

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insbesondere bei den älteren ExpertInnen immer wieder in die Interviews hinein, während die jüngeren Schreibzentrumsleitenden teilweise schon zu jener Genera-tion gehören, die sich ihren Beruf gezielt ausgesucht und sich professionell auf ihn vorbereitet haben. Diese zunehmende Professionalisierung des Berufsfelds be-schreibt Ben Rafoth in einem Interview als Reaktion auf die Frage, warum er nicht im Bereich der Schreibzentrumsforschung promoviert sei:

„Well, it's a field, I mean, it's changing; you're seeing now writing center dissertations where there were no such things many years ago. But there were writing center directors and you're starting to see now job ads specifically looking for writing center people […].

The job market is there and the job ads now do in fact specify somebody to direct a writ-ing center. […] I think that like anythwrit-ing, there's no swrit-ingle thwrit-ing, there's no golden key that's going to slot you right into a job, that's going to insure or guarantee that you get a job; the best thing you can do is look for the kind of job that you want, to network, and to have contacts with people who have jobs, know about jobs. That's always still partly about who you know.“ (Babcock, 2009, o. S.)

Das Zitat macht deutlich, dass Rafoth dem Netzwerken größere Bedeutung zu-spricht als der formalen Qualifikation. Die biografischen Bezüge jenseits des berufli-chen Kontextes konnten und sollten daher nicht ausgeschlossen werden. Eine Nähe zu Biografischen Interviews war daher oft gegeben.

Als weiteren substanziellen Aspekt sehen Meuser & Nagel (2009, 48) die „Kon-strukthaftigkeit des Expertenwissens.“ Wissen wird heute noch viel mehr als früher grenzüberschreitend ausgehandelt, wobei diese Grenzen Disziplinen, Berufe, Wis-senssphären, Länder etc. betreffen. Bei der Analyse von Experteninterviews sollte nach Meuser & Nagel deshalb darauf geachtet werden, inwiefern die ExpertInnen sich darüber bewusst sind, dass Pluralität und Kontingenz ihr Wissen beeinflussen.

Dieser Hinweis auf die Konstrukthaftigkeit des Expertenwissens ist im Kontext der Schreibzentrumsarbeit besonders bedeutsam. So schreibt Harris (1995, 28):

„As writing centers started, new directors – unsure of what constituted a writing center – consulted one another, offered advice, and shared what they knew and/or had tried out.

And this continues to be true. Thus, one of our firmest traditions, in keeping with our pedagogical approach, is that of helping one another and sharing what we have learned.

No special interest group among composition specialists has such an extensive history of visiting one another’s facilities, phoning for advice, and interacting for the sole purpose of helping one another.“

Dieses Zitat veranschaulicht vor allem die innerdisziplinäre Konstruktion des in die-sem Zusammenhang relevanten Expertenwissens. In der Tat hat die interviewüber-greifende Analyse gezeigt, dass die Antworten relativ homogen waren. Auch die alltägliche Schreibzentrumsarbeit wirkte, trotz der Heterogenität der Kontexte, durchaus vergleichbar. Dies lässt sich auf einen innerdisziplinären Austausch der ExpertInnen zurückführen. Insofern ist es auch nicht überraschend, dass die

Ergeb-nisse der Analyse grundlegende theoretische Annahmen der Disziplin bestätigen, wie im Ergebnisteil ausgeführt wird.

Darüber hinaus weisen Meuser & Nagel (2009) darauf hin, dass ExpertInnenwissen nicht einfach expliziert werden kann, da es nicht fixiert ist und zudem oft implizit ist. Das Expertenwissen muss daher rekonstruiert werden, am besten auf der Basis von konkreten Beispielerzählungen der ExpertInnen. Diese zu generieren, ist vor allem eine Frage der Interviewtechnik. Die Entwicklung des Leitfadens zielte daher darauf, konkrete Erzählungen zu generieren.

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