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Akteursperspektiven im Neoninstitutionalismus

Im Dokument Von der Innovation zur Institution (Seite 40-44)

2.2 Neoinstitutionalistische Perspektiven

2.2.3 Akteursperspektiven im Neoninstitutionalismus

Den oben skizzierten neoinstitutionalistischen Theorieansätzen ist allerdings zum Vorwurf gemacht worden, dem Einfluss des Kontextes so viel Bedeutung zuzumes-sen, dass AkteurInnen ganz außen vor bleiben:

„Organisationen erscheinen fast durchgängig als passive Einheiten, die sich den Erwar-tungen ihrer institutionellen Umwelten fügen und institutionalisierte Strukturelemente und Managementpraktiken bereitwillig übernehmen. [...] Es entsteht [...] der Eindruck, dass institutionalisierte Erwartungen und Anforderungen das Verhalten von Individuen und Organisationen weitgehend bestimmen.“ (Walgenbach & Meyer, 2008, 115) Der Grund dafür ist darin zu sehen, dass institutionalisierte Erwartungen ja gerade dadurch gekennzeichnet sind, unhinterfragte Selbstverständlichkeiten zu sein. Sie sind Individuen also nicht bewusst. Deshalb kann – aus radikal neoinstitutionalisti-scher Perspektive betrachtet – von Individuen und Organisationen auch nicht be-wusst interveniert werden.9

Für die vorliegende Arbeit ist diese Sichtweise auf Organisationen (oder Organisatio-nen vertretende PersoOrganisatio-nen) als passive Einheiten insofern problematisch, als sie ex-plizit die Leitungspersonen in den Blick genommen hat, um zu erfahren, wie diese an der Institutionalisierung ihrer Schreibzentren arbeiten. Wären die befragten Ex-pertInnen lediglich passive Einheiten, so würden sie stets versuchen, alle an das Schreibzentrum gestellten Erwartungen zu erfüllen und dabei jeweils diejenigen

Er-9 Walgenbach & Meyer (2008, 119) betonen, dass auch den prägenden VertreterInnen des Neoinstitionalismus diese Problematik schon früh bewusst war, aber der Neoinstitutionalismus bewusst als Gegenbewegung zum Konzept des rational handelnden Akteurs in Organisationen konzipiert wurde, sodass es notwendigerweise zu einer Überbetonung des Kontextes kommen musste.

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wartungen bedienen, die am einflussreichsten sind, während sie widersprüchliche Erwartungen durch Entkopplung legitimieren würden. Und selbst wenn sie das tä-ten – wären nicht diese Legitimierungsstrategien auch bewusste und aktive Hand-lungen?

Neuere neoinstitutionalistische Ansätze versuchen daher zunehmend, auch die Mi-kroperspektive in den Blick zu nehmen, aus der heraus institutioneller Wandel als Problemlöse- und Entscheidungsprozess der beteiligten organisatorischen AkteurIn-nen verstanden wird. Diese Perspektive ist für die vorliegende Studie wichtig, da sie es erlaubt, die ExpertInnen als AkteurInnen zu betrachten und danach zu fragen, warum und wie sie agieren.

Wichtig ist bei der Untersuchung der Mikro- oder Akteursperspektive aus neoinsti-tutionalistischer Sicht, dass es nie ausschließlich um diese Perspektive geht, sondern die Handlungen von AkteurInnen immer im Verhältnis zu Institutionen betrachtet werden. Es geht um „einen Brückenschlag zwischen Handlungs- und Struktur-ebene“ (Meyer & Hammerschmid, 2006, 161). Nach Meyer & Hammerschmid war Lynne Zucker (1977) die erste neoinstitutionalistische Theoretikerin, die die Mikro-perspektive einbezog und deutlich machte, dass das institutionalisierte Wissen ko-gnitiv verankert ist. Lawrence & Suddaby (2006) sehen in DiMaggios Essay „Interest and Agency in Institutional Theory“ (DiMaggio, 1988; vgl. auch Hardy & Maguire, 2008; Walgenbach & Meyer, 2008) den Schlüsseltext für eine Verschiebung des For-schungsinteresses hin zur Akteursperspektive, wobei DiMaggio sich seinerseits auf Eisenstadt (1980) bezieht. Verschiedene AutorInnen haben seitdem den notwendi-gen Brückenschlag zwischen Makro- und Mikroperspektive versucht. So entwickelt Christine Oliver (1991) eine Taxonomie möglicher Handlungsweisen, die AkteurIn-nen nutzen könAkteurIn-nen, um auf kontextuelle Anforderungen strategisch zu reagieren.

Auch Meyer & Jepperson (2000) widmen sich den AkteurInnen, betonen jedoch die kulturelle Determiniertheit – das heißt, sie betonen, wie sehr AkteurInnen durch eine lange, institutionalisierte Kulturgeschichte geprägt sind und auch weiterhin ge-prägt werden. Die Vorstellung autonom handelnder AkteurInnen ist aus dieser Per-spektive selbst eine Institution – eine von westlich geprägtem Denken erschaffene Institution. Der „agentenhafte Akteur“ ist auf der Basis institutionalisierter und kul-tureller Regelungen autorisiert, für sich selbst, für andere oder für den kulturellen Rahmen zu handeln:

„Die Rollen, Interessen und Handlungsweisen des Akteurs sind kulturell definiert. Inso-fern unterscheidet sich das Akteurskonzept der neoinstitutionalistischen Organisations-theorie fundamental von Akteurskonzepten, wie wir sie in anderen Theorien – beispiels-weise den stärker dem Paradigma der rationalen Wahl verpflichteten Ansätzen des strategischen Managments – finden.“ (Walgenbach & Meyer, 2008, 129–130)

Walgenbach & Meyer (2008, 131 ff.) weisen auf die Anschlussmöglichkeiten zur Strukturationstheorie nach Giddens hin (Giddens, 1991). Da diese für die vorlie-gende Arbeit Interpretationsmöglichkeiten der explorierten Strategien der

ExpertIn-nen aufzeigt, soll sie hier, Walgenbach & Meyer folgend, kurz zusammengefasst wer-den.

Die Strukturationstheorie besagt, dass AkteurInnen durch die Strukturen ihrer Um-welt geprägt werden und dass sie diese zugleich durch ihr Handeln prägen. Akteu-rInnen erlernen bestimmte Handlungsweisen durch ihre Umwelt, werden also strukturell geprägt. Sie reproduzieren diese Handlungsweisen, sodass sie die Struk-tur auch selbst wieder mitprägen. Allerdings sind nach der StrukStruk-turationstheorie AkteurInnen handlungsfähig, da sie mit Reflexionsfähigkeit ausgestattet sind. Refle-xion ermöglicht es ihnen, bewusst zu handeln und Strukturen bewusst zu prägen.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass ihre Handlungen immer zum intendierten Ziel füh-ren, und es können auch unbeabsichtigte Konsequenzen hervorgerufen werden.

Deshalb kann Handeln nie isoliert betrachtet werden. Weder können einzelne Hand-lungen klar voneinander abgegrenzt werden noch können sie von den AkteurInnen abgegrenzt werden. Die Struktur, die die AkteurInnen beeinflusst und die aber auch kontinuierlich durch die AkteurInnen beeinflusst wird, befindet sich sozusagen in den Köpfen der AkteurInnen. Aber sie ist den AkteurInnen bewusst; die Strukturen befinden sich nicht „in deterministischer Weise hinter dem Rücken der Akteure“

(Walgenbach & Meyer, 2008, 134).

Nach Walgenbach & Meyer nimmt die „Strukturationstheorie von ihrer Zielsetzung her eine vermittelnde Stellung zwischen voluntaristischen und deterministischen Theorien“ ein (ebd., 135).10 Fligstein & McAdams (2011), die ebenfalls Anschlussmög-lichkeiten bei Giddens sehen, arbeiten die vermittelnde Stellung noch stärker he-raus, indem sie in der Fokussierung auf die AkteurInnen keine Mikroperspektive se-hen, sondern eine Mesoperspektive. Sie begründen dies damit, dass der Kontext immer mehrschichtig gedacht werden müsse. Wie bei einer Matroschka-Puppe be-finden sich in jedem Kontext (bzw. in ihren Worten in jedem Feld strategischer Hand-lungen) jeweils weitere Kontexte. Und auch die AkteurInnen selbst bestehen aus sol-chen Kontexten oder Feldern. Auf die vorliegende Arbeit bezogen ist beispielsweise die Leitungsperson geprägt durch das organisationale Feld der professionell vernetz-ten Schreibzentren, aber auch durch viele weitere Kontexte, die sie in die Arbeit ein-bringt. Und das Schreibzentrum befindet sich innerhalb des Kontextes des Hoch-schule, dieser befindet sich innerhalb des Kontextes der Gesellschaft, diese befindet sich innerhalb des Wertekontextes der westlichen Welt usw.

Fligstein & McAdams sehen den Brückenschlag zwischen Individuum und Struk-tur/Kontext insbesondere durch folgende Grundannahmen gegeben: Erstens haben AkteurInnen einen Grundkonsens darüber, worum es im jeweiligen Feld geht. Sie wissen zweitens, wer Verbündete und wer OpponentInnen sind, weil sie wissen, wer im Feld welche Rollen besetzt. Drittens besitzen die AkteurInnen ein geteiltes

Wis-10 Lawrence & Suddaby (2006) führen als weiteren theoretischen Bezugsrahmen für Akteursperspektiven im Neoinstitu-tionalismus die Theorie sozialer Praktiken an (vgl. Reckwitz, 2003; Schatzki, Knorr-Cetina & Savigny, 2001), die sie nicht nur auf Giddens, sondern auch auf Bourdieu zurückführen.

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sen darüber, welche Regeln im Feld gelten. Allerdings wenden sich die Autoren ge-gen den Begriff der „institutionellen Logik“, weil dieser impliziert, dass es eine insti-tutionelle Logik gebe. Aus Akteursperspektive gibt es zwar die geteilten Annahmen (s. o.), aber unterschiedliche Handlungslogiken, denn AkteurInnen sehen das, was im Feld passiert, immer aus ihrer eigenen Perspektive. Ihre Reaktionen sind immer von ihrer eigenen Rolle und Position im Feld geprägt.

Wenn man also davon ausgeht, dass AkteurInnen ein „handlungspraktisches und potenziell auch diskursives Wissen über Strukturen besitzen“ (Walgenbach & Meyer, 2008, 138), können die ExpertInnen in der vorliegenden Studie als AkteurInnen be-trachtet werden, deren Handlungen darauf abzielen, die sie umgebenden Strukturen in der Weise zu verändern, dass ihr Schreibzentrum institutionalisiert wird. Die Ex-pertInnen können somit als institutional entrepreneurs betrachtet werden (vgl. Hwang

& Powell, 2005; Raghu, Hardy & Maguire, 2007; Weick, 2011; Hardy & Maguire, 2008; DiMaggio, 1988).

Auch wenn die Akteursperspektive innerhalb des Neoinstitutionalismus immer mehr an Bedeutung gewinnt, wird diese Tendenz nach wie vor von vielen Forschen-den problematisiert. Elke Weick beispielsweise wirft Akteursansätzen vor, zwar das Paradox zu thematisieren, das sich aus der institutionellen Eingebundenheit einer-seits und der strategischen Handlung anderereiner-seits ergibt; über diese Thematisie-rung hinaus finde aber zu wenig TheoretisieThematisie-rung statt (Weick, 2011). Die AkteurIn-nen nähern sich laut Weick so wieder den absichtsvoll und linear handelnden

„heroischen“ Managerfiguren an, die der Neoinstitutionalismus eigentlich widerle-gen wollte (ebd., 10, vgl. auch Hwang & Colyvas, 2011). Dieses „Paradox of embedded agency“ (Seo & Creed, 2002, vgl. Battilana, Leca & Boxenbaum, 2009; Raghu, Hardy

& Maguire, 2007) hat unter anderem dazu geführt, dass AkteurInnen als politisch handelnde Einheiten (Personen oder Organisationen) konzipiert werden in dem Sinne, dass sie die Strukturen, in die sie eingebettet sind, selbst mit geschaffen ha-ben, sie reflektieren, neu erschaffen und dabei stets in Beziehungen zu anderen Ak-teurInnen handeln:

„Strategies must be developed […] to embed change in fields populated by diverse orga-nizations, many of whom are invested in, committed to, and advantaged by existing structural arrangements. It is not surprising, therefore, that institutional entrepreneur-ship is viewed as an intensely political process.“ (Raghu, Hardy & Maguire, 2007, 963) Agentenhafte AkteurInnen11 handeln also politisch, wenn sie Institutionen verän-dern wollen. Damit ist eine Unterscheidung zu früheren, „heroisch“ konzipierten Führungspersonen identifiziert, weil mit „politisch“ eher ein konsensorientiertes, di-plomatisches Vorgehen der AkteurInnen gemeint ist als ein willensstarkes Durchset-zen der Interessen der eigenen Organisation (Washington, Boal & Davis, 2008, 723).

11 „Agentenhafter Akteur“ ist die von Walgenbach & Meyer (2008) genutzte Übersetzung des Terminus „institutional ent-repreneur“, die explizit die auf die AkteurInnen einwirkenden Kontexte einbezieht. Diese Bezeichnung wird in dieser Arbeit vereinfachend synonym verwendet mit „AkteurIn“. Gemeint sind damit nicht per se einzelne Personen, denn auch Organisationen oder Gruppen können AkteurInnen sein.

Damit stellt sich die Frage, was diese politischen AkteurInnen auszeichnet. Hardy &

Maguire (2008) unterscheiden in den Ansätzen, die sich mit dieser Frage befassen, zwei Richtungen. In der ersten Richtung werden diesen AkteurInnen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben. In der zweiten Richtung werden sie in Korrelation zu ihren Positionen im jeweiligen organisationalen Feld betrachtet.

In den eigenschaftsorientierten Arbeiten wird nach Kompetenzen und Fertigkeiten gesucht, die AkteurInnen brauchen, um institutionellen Wandel bewirken zu kön-nen. Eine große Rolle spielt dabei die Reflexionsfähigkeit der AkteurInnen, denn diese erst erlaubt es ihnen, wahrzunehmen und zu analysieren, wie stark sie durch Institutionen normiert werden und zu bemerken, wenn sich Gelegenheiten auftun, die Veränderungen ermöglichen. Das Erkennen und Nutzen solcher Gelegenheiten richtet den Blick stärker auf die Prozesse zwischen den AkteurInnen als auf deren Fähigkeiten.

In den korrelationsorientierten Ansätzen geht es um die Positionen der AkteurIn-nen im Feld und darum, wie diese Gelegenheiten zum Handeln schaffen. Der Fokus auf Positionierungen von AkteurInnen in organisationalen Feldern wird von einigen Forschenden genutzt, um die Akteursperspektive mit den fundamentalen Theorien des Neoinstitutionalismus zusammenzubringen (Hardy & Maguire, 2008, 201).

Demnach wird institutioneller Wandel auch und gerade von AkteurInnen initiiert, die dominante Positionen im organisationalen Feld innehaben, obwohl bei diesen eine besonders hohe Beeinflussung durch Normen und Werte des Feldes angenom-men werden kann. Dies erklärt sich zum einen durch den Zugang von AkteurInnen in dominanten Positionen zu Ressourcen (ein Punkt, auf den noch zurückzukommen ist) und zum anderen dadurch, dass auch AkteurInnen in dominanten Positionen immer mehreren organisationalen Feldern zugleich angehören und so Anregungen für Veränderungen bekommen. Hardy und Maguire verweisen z. B. auf Studien zum Wandel im organisationalen Feld der französischen Profiküche, der ursprüng-lich durch Beziehungen dominanter AkteurInnen zum organisationalen Feld der ja-panischen Profiküche zustande kam (Hardy & Maguire, 2008, 201). Eine Fähigkeit von AkteurInnen sei es daher auch, organisationale Felder miteinander zu verbin-den.

2.3 Das Konzept der Institutionalisierungsarbeit als Dach

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