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Kontext: Hochschule und Gesellschaft

Im Dokument Von der Innovation zur Institution (Seite 166-169)

6.1 Kontextfaktoren für die Institutionalisierungsarbeit von

6.1.3 Kontext: Hochschule und Gesellschaft

Der hochschulische Kontext ist erstens der lokale Kontext der spezifischen Hoch-schule vor Ort, der in Kapitel 6.1.4 betrachtet wird. Zweitens gibt es aber auch einen hochschulübergreifenden Kontext, der die Hochschule bestimmt. Da die hier vorlie-gende Studie in den USA durchgeführt wurde, unterscheidet sich dieser Kontext in einigen Punkten deutlich vom Hochschulkontext in Deutschland. Andererseits kann jedoch auch davon ausgegangen werden, dass es weltweit verbreitete gesellschaftli-che Annahmen und Vorstellungen der Aufgaben von Hochschulen gibt, denn: „In nearly all modern post-industrial societies, higher education is subject to growing public, social and economic expectations“ (Wolter, 2012, 129; vgl. auch Frank &

Meyer, 2007; Hedmo, Sahlin-Andersson & Wedlin, 2007; Krücken, Kosmützky &

Torka, 2007). Meyer & Schofer (2007) konstatieren z. B. eine Hochschulexpansion mit „weltweiten Trends”:

„There is a worldwide ideological agreement that education is indeed a main source of social progress, but the character of the link is very unclear. This is a situation that gene-rates the rapid diffusion of fashionable models of what an educational system should look like. Models can change rapidly, sometimes emphasizing the creation of technical skills and innovations through science and engineering, and at other times stressing the creation of socio-cultural integration through common cultural and social scientific un-derstandings. American education has, thus, often been a kind of model for the world – but in the 1980s a substantial literature emphasized the virtues of Japanese education (e. g. Rohlen 1983), and before World War I german education was something of an ideal. Overall, we can conclude that national systems of higher education are subject to global models, and tend to change in line with changes in these models.“ (53)

Für die Verbreitung von Schreibzentren zeichnet sich deutlich ab, dass diese welt-weit zunimmt und sich am US-amerikanischen Modell orientiert, auch, wenn es dabei zu lokalen Adaptionen kommt, die eigene Spezifika herausbilden (vgl. Hughes

& Girgensohn, i. Vorb.).

6.1.3.1 Ergebnisse

Für einige Ergebnisse dieser Studie hat sich der US-amerikanische Hochschulkon-text insofern als relevant erwiesen, als es deutliche Unterschiede zum deutschen Hochschulsystem gibt und die Ergebnisse daher für den deutschen Kontext zwar in-teressant sind, aber möglicherweise zu anderen Implikationen führen. Dazu gehört beispielsweise, dass Universitäten in Deutschland noch immer einen stärkeren insti-tutionellen Charakter haben, als dass sie als Organisationen betrachtet werden (vgl.

Kapitel 2.1.1), auch wenn der Bologna-Prozess neue Steuerungsmodelle der deut-schen Hochschulen erfordert (vgl. Wolter, 2012, 130 f.). Die akademische Selbstver-waltung in Deutschland soll die legal verankerte Freiheit von Lehre und Forschung gewährleisten (Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz), daher haben der akademische Senat und einzelne ProfessorInnen an Universitäten in Deutschland nach wie vor viel Macht, auch wenn formal von PräsidentInnen und anderen Management-Instanzen mehr

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Steuerung als früher erwartet wird (vgl. Altvater, 2007; Günther, 2009; Kloke & Krü-cken, 2012). So schreibt Wolter (2012, 144): „Management has been strengthened but cannot lead the university without or against the traditional academic oligarchy.”

Dies ist beispielsweise für die im Kapitel 6.4.2 beschriebene Strategie relevant, Schreibzentren als wissenschaftliche Einrichtungen zu deklarieren. Zentrale wissen-schaftliche Einrichtungen werden an deutschen Hochschulen in der Regel vom aka-demischen Senat beschlossen und professoral geleitet. Ein solcher Anspruch kann die Einrichtung eines Schreibzentrums kompliziert machen, weshalb in Deutsch-land viele Schreibzentren eher zentralen Service-Einheiten zugeordnet werden.

Auch die Karrierewege in der Wissenschaft sind in Deutschland anders, sodass sich die in den Interviews mehrfach thematisierten Überlegungen, ob Schreibzentrums-leitende Tenure-Track-Stellen bekommen sollten, nicht ohne Weiteres auf den deut-schen Hochschulkontext übertragen lassen. Zu bedenken ist außerdem, dass es in den USA größere Unterschiede zwischen BA-Studierenden und MA-Studierenden gibt als in Deutschland. BA-Studierende in den USA sind in der Regel jünger als deutsche StudienanfängerInnen, und sie beginnen ihr Studium breit angelegt, ohne sich in den ersten beiden Jahren auf ein Studienfach festzulegen, während in Deutschland davon ausgegangen wird, dass diese breit angelegte Allgemeinbildung mit Abschluss der gymnasialen Oberstufe vorausgesetzt werden kann. In den Inter-views wurde an einigen Stellen betont, dass mit „undergraduate writing tutors“ gear-beitet wird. Beispielsweise werden diese Teammitglieder des Schreibzentrums ge-zielt einbezogen, wenn wichtige AkteurInnen in das Schreibzentrum eingeladen werden, weil es besonderen Eindruck macht, wie diese sehr jungen Studierenden im Kontext des Schreibzentrums agieren.

Ebenfalls relevant dürfte die Tatsache sein, dass US-amerikanische Hochschulen ins-gesamt stärker serviceorientiert agieren als deutsche Hochschulen. Studierende er-warten aufgrund der hohen Studiengebühren, dass sie an der Hochschule Unter-stützung erhalten, um das Studium zu bewältigen. Tutoring-Services sind daher generell an amerikanischen Hochschulen nichts Ungewöhnliches. Es gibt z. B. auch individuelle Unterstützung für Mathematik. Die von den ExpertInnen thematisier-ten divergierenden Auffassungen anderer AkteurInnen in der Hochschule davon, was die Aufgaben eines Schreibzentrums seien, müssen daher auch in diesem Kon-text betrachtet werden.

Zu bedenken ist schließlich auch, dass die explizite Förderung des akademischen Schreibens der Studierenden an Hochschulen in den USA nicht ungewöhnlich ist.

Wie in Kapitel 3.5 dargestellt, sind obligatorische Schreibkurse zu Studienbeginn normal. Deshalb kann auch die Existenz von Schreibzentren an Hochschulen als we-niger exotisch erscheinen. Zugleich bedeutet die Existenz dieser obligatorischen Schreibkurse aber auch, dass die Arbeit von Schreibzentren von Außenstehenden als ausschließlich diesem Bereich zugeordnet wahrgenommen werden kann. Und es bedeutet, dass die Arbeit von Schreibzentren sehr stark in der Disziplin Composi-tion verortet ist, die sich aus der flächendeckenden Verbreitung dieser

obligatori-schen Schreibkurse heraus entwickelt hat. Diesbezüglich sind im europäiobligatori-schen Kon-text andere Entwicklungen zu erwarten, und diese sind, wie diese Expertin betont, auch wünschenswert:

„I think it´s important to have a discipline and I think it´s also extremly important not to over-define the discipline. And not to force it to fossilize and concretize around certain aproaches. Because in the United States writing centers are very closely tied to composi-tion programs and in Europe they wouldn't be because those don't exist. Here they are tied to the discipline of rhetoric and composition very closely and in Europe and in other places that would not be the case. So to maintain an openess I think is a very important part of this discipline, and to encorporate other studies.“

6.1.3.2 Implikationen

Insgesamt betrachtet muss der Kontext der Hochschule in der Institutionalisie-rungsarbeit stets mit bedacht werden, denn auch die Hochschule als Institution ist darauf angewiesen, sich nach außen zu legitimieren und nach innen auf die Integra-tion der lose gekoppelten Einheiten, die die Hochschule ausmachen, hinzuwirken.

Entsprechend wird sie versuchen, den einander zum Teil widersprechenden gesell-schaftlichen Anforderungen gerecht zu werden, und dies kann Auswirkungen auf das Schreibzentrum als innerhochschulische Institution haben. Denkbar ist bei-spielsweise, dass die Output-Orientierung im Zuge des New Public Management vom Schreibzentrum das Generieren von bestimmten Zahlen zur Auslastung oder zum Beweisen der Wirksamkeit der Maßnahmen wie Schreibberatung verlangt.

Oder es könnte sein, dass von der Hochschule Inklusion gefordert und so zum Bei-spiel erwartet wird, Studierende aus nicht-akademischen Elternhäusern oder ohne Hochschulzugangsberechtigung zu fördern. Diese gesellschaftliche Erwartungshal-tung ließe sich zwar einerseits gut als Legitimierungsstrategie für Schreibzentren nutzen, da Schreibzentren individuelle Förderung ermöglichen. Zugleich kann ge-rade eine solche gesellschaftliche Erwartungshaltung mit der machtvoller AkteurIn-nen innerhalb der Hochschule konfligieren, die möglicherweise die Hochschule als explizit elitäre Einrichtung erhalten wollen, da dies auch eine Reproduktion des eige-nen gesellschaftlichen Status bedeutet. Daher könnte es andererseits auch das Zu-sprechen von Legitimität durch solche AkteurInnen gefährden, wenn das Schreib-zentrum sich dadurch legitimieren möchte, dass es diesem gesellschaftlichen Anspruch entspricht. Das Beispiel zeigt, dass Hochschulen als pluralistische Institu-tionen immer einen komplexen Kontext bilden, der ein strategisch-politisches Vorge-hen in der Institutionalisierungsarbeit nötig macht. Einerseits ist es dabei nötig, so viele Ansprüche wie möglich zu bedienen, auch wenn diese einander widerspre-chen. Andererseits wird dies nie in Gänze möglich sein. Deshalb ist es so wichtig, dass Schreibzentrumsleitende das eigene Schreibzentrum stabilisieren und als inte-ger präsentieren (vgl. Kapitel 2.3).

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