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Kritik der Philosophensprache

Im Dokument Materialistische Sprachtheorie (Seite 53-58)

1.2 Eine materialistische Sprachauffassung?

1.2.3 Kritik der Philosophensprache

Eine konkrete Ausführung dieses Gedankens ist die Kritik am Denken und der Sprache der Phi-losophen, die Marx und Engels in der Heiligen Familieund der Deutschen Ideologie leisten.

Diese Kritik hat Spätausläufer des Deutschen Idealismus zum konkreten Gegenstand, kann aber partiell verallgemeinert werden und lässt sich, insofern in dieser Auseinandersetzung die

mate-rialistische Geschichtsauffassung theoretisch entwickelt und der bewusste Zusammenhang mit einer sozialen Bewegung hergestellt wird, als Abkehr von der gesamten abendländischen Philo-sophietradition verstehen. Hier möge eine kurze Darstellung der Rolle der Sprache in der Kritik an Stirner genügen. Dessen Idealismus wird in verschiedenen Formen kritisiert: in der Figur der Selbstschöpfung, in der Figur der Verewigung historischer Kategorien und in der Figur der Ersetzung der Kritik der Verhältnisse durch die Ideenkritik. An diesen Beispielen lassen sich dann drei Dimensionen der Sprachkritik aufzeigen: ein Explizieren und Auseinanderlegen von Sprachgebrauch und Textlogik und die Konfrontation mit der entsprechenden Sprache des ge-sunden Menschenverstands (oder gewöhnlichen Lebens), Aufweis der Herkunft der Gedanken und Begriffe aus der Gesellschaftslage der Zeit und schließlich eine Erklärung der ‚verzerrten‘

Sprache der Philosophen aus deren Lebensverhältnissen.

Ein häufiges Mittel der Kritik, von dem Marx schon ausgiebig in derKritik der hegelschen RechtsphilosophieGebrauch gemacht hatte, ist die Gegenüberstellung eines kritisierten Satzes oder Abschnitts und seiner ‚korrigierten‘ Fassung, die anhand des genauen Sprachgebrauchs, der Partikel, der Satzanschlüsse etc. anschaulich macht, wie die Inhalte des Textes zustande kom-men, welche Auslassungen vorgenommen oder wie Grund und Folge verdreht wurden. Stirner setzt den Geist als sich aus dem Nichts selbst schaffend und bietet als ‚Evidenz‘ dieses Vorgan-ges sprachliche Konstruktionen an, die den Akt des Hervorbringens geistiger Inhalte mit dem hervorbringenden Subjekt identisch erscheinen lassen: Dass „der Geist seine eigene Schöpfung [ist,] wird jetzt so ausgedrückt, dass der Geist, d.h. die erste Schöpfung des Geistes, ‚aus dem Nichts hervorgehen muss‘ – ‚er muss sich erst schaffen‘ – ‚seine erste Schöpfung ist er selber, der Geist‘ [. . . ] ‚So mystisch dies auch klinge, so erleben Wir’s doch als eine alltägliche Erfah-rung. Bist Du eher ein Denkender, als Du denkst? Indem Du denersten Gedankenerschaffst, er-schaffst DuDich, den Denkenden, denn Du denkst nicht, bevor Du einen Gedanken denkst, d.h.‘

– d.h. – ‚hast. Macht Dich nicht erst Dein Singen zum Sänger, Dein Sprechen zum sprechen-den Menschen? Nun, so macht Dich auch das Hervorbringen von Geistigem erst zum Geiste.‘“

(MEW 3, 132) Fortgelassen werden alle Voraussetzungen, unter denen ein Mensch ‚Geistiges‘

hervorbringt, spricht etc., und die Unmittelbarkeit des einzelnen Aktes wird als Unmittelbarkeit bar jeder Vermittlung behandelt, wodurch das ‚Nichts‘ hereinkommt, von dem der ‚Geist‘ al-lein noch herkommen kann, wenn er mit diesem Unmittelbaren identifiziert und ihm alle äußere Vermittlung abgeschnitten wurde.32Wörtlich genommen, „handelt [es] sich um den Geist, der

32Man kann die Textanalyse selbstverständlich noch ausführlicher betreiben, als Marx und Engels dies tun. Über das Stirnerzitat ließe sich etwa noch sagen, dass jenes Nichts seinen wirklichen Ort in der exploitierten Identität von Denkendem und Denken hat. Denn einerseits handelt es sich um eine Tautologie, dass einer Denkender ist, indem er denkt. Hier wird nur die Sprachlogik der Partizipbildung nachgezeichnet. In den gegenübergestellten Verbformen ist aber auch eine Differenz ausgedrückt, nämlich die zwischen Sein und Tun, die nun der Tautologie als gehaltvolle Bedeutung untergeschoben wird: dass das Sein aus dem Tun hervorginge, und zwar nicht als Sprachlogik („Denkender“ geht aus „denken“ hervor), sondern als wirkliche Schöpfung. Da die Sprachlogik aber

sich selbstausNichtserschafft – also umNichts, das sichaus NichtszumGeistschafft.“ (MEW 3, 133) Dagegen materialistisch den Akt als allerlei Voraussetzungen unterworfenen Akt eines Individuums, nicht eines sich selbst mystisch hervorbringenden Subjekts, betrachtet: „Weit ent-fernt, dass ich ‚aus dem Nichts‘ mich z.B. als ‚Sprechenden‘ erschüfe, ist das Nichts, was hier zugrunde liegt, ein sehr mannigfaltiges Etwas, das wirkliche Individuum, seine Sprachorgane, eine bestimmte Stufe der physischen Entwicklung, vorhandene Sprache und Dialekte, hörende Ohren und eine menschliche Umgebung, die etwas zu hören gibt, etc. etc. Es wird also bei der Ausbildung einer Eigenschaft Etwas von Etwas durch Etwas geschaffen, und keineswegs, wie in der hegelschen Logik, von Nichts durch Nichts zu Nichts gekommen.“ (ebd.) Ein Mensch wird zu einem ‚Sprechenden‘ also zunächst durch seine Umgebung, und bevor ein Mensch spricht, muss er viel gebrabbelt haben. Dem Unsinn des ‚Nichts‘ wird entgegengehalten, was offen-sichtlich alles andere als ‚Nichts‘ ist, nämlich inhaltsvolle Bestimmungen, die die Stirnersche Unmittelbarkeitskonstruktion aufbrechen, indem sie die realen Vermittlungsverhältnisse andeu-ten.

Während der Fehler eben in der hohlen Identifikation des Subjekts bzw. Individuums mit sei-ner Handlung lag, so in der Frage des Eigentums in der Identifikation von Individualität mit der besonderen Form, die sie beim Bourgeois annimmt. Ausgangspunkt für Stirner sind Gedan-ken, die wirklich gesellschaftliche Gruppen zu seiner Zeit hatten: „Wenn also der Bourgeois den Kommunisten erklärt: indem Ihr meine Existenz als Bourgeois aufhebt, hebt Ihr meine Exis-tenzals Individuumauf, wenn er so sich als Bourgeois mit sich als Individuum identifiziert, so ist daran wenigstens die Offenherzigkeit und Unverschämtheit anzuerkennen. Für den Bourgeois ist dies wirklich der Fall: er glaubt nur insofern Individuum zu sein, als er Bourgeois ist.“ (MEW 3, 210f) Diese besondere gesellschaftliche Gruppe glaubt demnach fälschlicherweise, ihre Indi-vidualität überhaupt zu verlieren, falls sie ihr Bourgeoisdasein aufgeben muss. Dieser Gedanke ist eine verdrehte Form des richtigen Gedankens, dass sie mit dem Privateigentum auch diese besondere damit verknüpfte Individualität aufgeben müssten. Es lässt sich aber auch der falsche Gedanke noch weiterdrehen und die Identifikation des Bourgeois mit seiner Individualität durch die Identifikation der Individualität mit dem verallgemeinerten Bourgeoisdasein vertauschen:

„Sobald aber die Theoretiker der Bourgeoisie hereinkommen, und dieser Behauptung einen all-gemeinen Ausdruck geben, das Eigentum des Bourgeois mit der Individualität auch theoretisch identifizieren und diese Identifizierung logisch rechtfertigen wollen, fängt der Unsinn erst an, feierlich und heilig zu werden.“ (MEW 3, 211) Denn Stirner „begründet [. . . ] die Unabschaff-barkeit des Privateigentums darauf, dass er es in den Begriff des Eigentums verwandelt, den etymologischen Zusammenhang zwischen ‚Eigentum‘ und ‚eigen‘ exploitiert und das Wort

‚ei-den ganzen Umkreis des behandelten Inhalts ausmacht, ist alle synthetische Bestimmung ausgeschlossen und das sprachlich vorausgesetzte Nichts der inhaltlichen Differenz der Verbformen zum mystifizierten Grund ihrer Identität gemacht.

gen‘ für eine ewige Wahrheit erklärt, weil es doch auch unter dem kommunistischen Regime vorkommen kann, dass ihm Leibschmerzen ‚eigen‘ sind. Dieser ganze theoretische Unsinn, der sein Asyl in der Etymologie sucht, wäre unmöglich, wenn nicht das wirkliche Privateigentum, das die Kommunisten aufheben wollen, in den abstrakten Begriff ‚das Eigentum‘ verwandelt würde.“ (ebd.) Offensichtlich ist Stirners ‚Argumentation‘ hier nicht ernst zu nehmen, sondern beruht auf rhetorischen Mitteln statt auf erwägenswerten Gedanken. Dass dem so ist, machen Marx und Engels augenscheinlich, indem sie die von Stirner stillschweigend vorgenommenen sprachlichen Operationen explizieren. Ihre Analyse geht aber über den immanenten Zusammen-hang hinaus und beschreibt genealogisch den Gedanken als einen, der nicht frei in der Luft des Geistes schwebt, sondern den bestimmte Individuen denken und formen, und zwar durch solche Lebensumstände bestimmte Individuen, die diesen Gedanken befördern.

Dies gilt für den Bourgeois, dies gilt aber ebenso für den Philosophen. „Die Veränderung des Bewusstseins, abgetrennt von den Verhältnissen, wie sie von den Philosophen als Beruf, d.h.

alsGeschäftbetrieben wird, ist selbst ein Produkt der bestehenden Verhältnisse und gehört mit zu ihnen. Diese ideelle Erhebung über die Welt ist der ideologische Ausdruck der Ohnmacht der Philosophen gegenüber der Welt. Ihre ideologischen Prahlereien werden jeden Tag durch die Praxis Lügen gestraft.“ (MEW 3, 363) Denn die ‚Praxis‘ des Philosophen, sich in Begriffen herumzutreiben und die materiellen Bedingungen dieses Herumtreibens darüber aus dem Blick zu verlieren, ist wirklich eine andere Praxis33, als den Stoffwechsel mit der Natur in der vor-gefundenen gesellschaftlichen Form der Produktion zu bewerkstelligen. In diesem ‚Vergessen‘, das die Erfahrungen der einen Praxis auf die andere projizieren lässt, entwickelt sich die Vor-stellung von der Änderung der Verhältnisse entsprechend naiv: „Was das ‚Heraustreten aus dem Bestehenden‘ für einen Sinn hat, wissen wir schon. Es ist die alte Einbildung, dass der Staat von selbst zusammenfällt, sobald alle Mitglieder aus ihm heraustreten, und dass das Geld seine Geltung verliert, wenn sämtliche Arbeiter es anzunehmen verweigern. Schon in der hypotheti-schen Form dieses Satzes spricht sich die Phantasterei und Ohnmacht des frommen Wunsches aus. Es ist die alte Illusion, dass es nur vom guten Willen der Leute abhängt, die bestehenden Verhältnisse zu ändern, und dass die bestehenden Verhältnisse Ideen sind.“ (MEW 3, 362f) Was der Philosoph als seine Macht erfährt, ist die Bearbeitung von Ideen. Wo er weder die Bedin-gungen seiner Tätigkeit noch die Reichweite dieser Macht reflektiert, sondern stattdessen dieses theoretische Verhältnis zur Welt allgemein setzt, werden seine Vorstellungen davon, was unter gesellschaftsändernder Macht zu verstehen wäre, magische. Das Verhältnis dieser Philosophen zur Gesellschaft beschreiben Marx und Engels nicht nur als befangen, so wie sie die bloß prakti-schen Agenten beschreiben, sondern sie beschreiben sie geradezu als gefangen in ihrer geistigen

33Dies ist ein weiterer Begriff der Praxis als der in der Regel von Marx gebrauchte, da geistige Tätigkeit in seinem Mittelpunkt steht. Bei späteren Autoren wird dieser weitere Praxisbegriff wieder begegnen.

Welt, weil die unausgesprochene Maßgabe dieser Welt das selbstbezügliche Verharren im bloß Theoretischen ist. Schon gestaltetes Medium des Theoretisierens ist die Sprache: „Für die Phi-losophen ist es eine der schwierigsten Aufgaben, aus der Welt des Gedankens in die wirkliche Welt herabzusteigen. Die unmittelbare Wirklichkeit des Gedankens ist die Sprache. Wie die Phi-losophen das Denken verselbständigt haben, so mussten sie die Sprache zu einem eignen Reich verselbständigen. Dies ist das Geheimnis der philosophischen Sprache, worin die Gedanken als Worte einen eignen Inhalt haben.“ (MEW 3, 432) Jenes eigene Reich benutzt dieselben Wörter, aber setzt sie in eigentümliche Beziehungen untereinander, die sich von den Beziehungen auf die Vorgänge des praktischen gesellschaftlichen Lebens unterscheiden. „Das Problem, aus der Welt der Gedanken in die wirkliche Welt herabzusteigen, verwandelt sich in das Problem, aus der Sprache ins Leben herabzusteigen.“ (ebd.) D.h. die Schwierigkeit besteht darin, die Loslösung der Sprache aus ihren praktischen Zusammenhängen rückgängig zu machen. Grund dieser Los-lösung war selber jenes aus der Gesellschaftsstruktur hervorgehende nur theoretische Verhältnis zur Sprache: „Wir haben gezeigt, dass die Verselbständigung der Gedanken und Ideen eine Folge der Verselbständigung der persönlichen Verhältnisse und Beziehungen der Individuen ist. Wir haben gezeigt, dass die ausschließliche systematische Beschäftigung mit diesen Gedanken von Seiten der Ideologen und Philosophen und damit die Systematisierung dieser Gedanken eine Fol-ge der Teilung der Arbeit ist, und namentlich die deutsche Philosophie eine FolFol-ge der deutschen kleinbürgerlichen Verhältnisse. “ (ebd.) Die Verselbständigung der philosophischen Sprache be-ruht also einesteils auf der Trennung ihrer Subjekte von der gewöhnlichen Gebrauchssphäre der Wörter und andernteils auf der Maßgabe ihrer Tätigkeit, Gedanken und daher die Sprache in eine ‚schlüssige‘ Ordnung zu bringen. Auch wenn diese Ordnung ideologische Effekte haben kann, wird ihr durch die philosophische Form der Anschein gegeben, apart zu sein, wodurch ihre eigentliche Abhängigkeit von einem ins praktische Leben eingebetteten Sprachkomplex so-wie ihre mögliche Rückwirkung darauf verschleiert wird. „Die Philosophen hätten ihre Sprache nur in die gewöhnliche Sprache, aus der sie abstrahiert ist, aufzulösen, um sie als die verdrehte Sprache der wirklichen Welt zu erkennen und einzusehen, dass weder die Gedanken noch die Sprache für sich ein eignes Reich bilden; dass sie nur Äußerungen des wirklichen Lebens sind.“

(MEW 3, 432f)

Damit sind zwei Abhängigkeitsverhältnisse gesetzt, einerseits das einer Sprache überhaupt von den historisch-gesellschaftlichen Lebensumständen, wovon bereits gesagt worden ist, dass objektive Verkehrungen ebenso hineinspielen wie Überlieferung, andererseits das der philoso-phischen Sprache von der gewöhnlichen. Die Verschränkung beider Gedanken ist die Grundla-ge für eine historisch-materialistische Sprachkritik der Philosophie: Der historische Sinn einer Philosophie, nicht unbedingt der, den sie sich selbst zuschreibt, sondern als Produkt einer be-stimmten Gesellschaft, erhellt nur vor dem Hintergrund dieser Gesellschaft – wenn sie darüber

hinaus Sinn behält, so liegt es nicht an ihrer überzeitlichen Wahrheit, sondern daran, dass eine andere Gesellschaft auf ihre Weise noch etwas mit ihr anzufangen und sie sich zu übersetzen weiß. Und: die sprachlichen Bedeutungen einer Philosophie verhalten sich derivativ gegenüber der Alltagssprache – sie bringt ihre eigenen Redeweisen und Begriffe hervor, aber nur von der Grundlage schon geprägter Bedeutungen aus, die mit dem praktischen Lebensprozess verbunden sind.

Wie bereits entwickelt, trägt dieses Verbundensein bei Marx und Engels Darstellungscha-rakter, wie vermittelt dieser auch letztendlich ist. Alltagsvorstellungen wären dann ebenso wie philosophische Weltauslegungen Bestandteil von Gedankenformationen, die, als Inhalte, über diverse Vermittlungsschritte aus den Gesellschaftsformationen und ihrer materiellen Grundla-ge herrühren. Sprache in diesem Sinne ist Teil des Grundla-gesellschaftlichen Überbaus, ist als Ideelles oder Träger von Ideellem dem Praktischen, der physischen Arbeit entgegengesetzt. Der materi-elle Komplex fungiert hier als Erklärungsgrund für den idemateri-ellen. In diesem Verhältnis erscheint Sprache, obgleich ‚Moment‘ aller menschlichen Gesellschaft, nicht als konstitutiv für die Grund-lage der Gesellschaft, d.i. ihre materielle Reproduktion, sondern nur als tragendes Element des ideologischen Raums einschließlich Politik, Recht, Philosophie etc.

Im Dokument Materialistische Sprachtheorie (Seite 53-58)