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Beurteilung und Kritik des pragmatistisch-formalistischen Ansatzes

Im Dokument Materialistische Sprachtheorie (Seite 162-171)

4.2 Brandoms Sprachpragmatismus

4.2.2 Beurteilung und Kritik des pragmatistisch-formalistischen Ansatzes

Nützlich an Brandoms Ansatz für eine materialistische Sprachtheorie ist sein Ausgangspunkt, sprachliches Denken pragmatistisch durch Regeln der Benutzung und Transformation von Sät-zen zu beschreiben. Dem liegt der richtige Gedanke zugrunde, dass sprachliche Zeichen auf-grund ihrer Arbitrarität ihren Inhalt gar nicht anders bekommen können als über Regeln ihres Gebrauchs, die ihnen erst in einer Sprachpraxis gegeben werden müssen. Im Hinblick auf den Anspruch, damit zu klären, was die Rationalität des Menschen ausmacht, leidet der Ansatz aber nicht nur unter einer einseitig kulturalistischen Bestimmung des Ursprungs der Sprachinhalte, sondern auch unter einem Formalismus in Bezug auf die Regeln, in denen sich Denken in der Sprache bewegt.

Was die Einseitigkeit seines Ansatzes betrifft, ist schon die Festlegung auf das Sprachspiel des Begründens und seine Elemente, die Behauptungen, vielsagend. In Frage steht hier lediglich, ob Sätze den Regeln der Sprachgemeinschaft gemäß gebraucht und richtig begründet werden. Die Sätze mit ihren inferentiellen Beziehungen erscheinen darin als Kern der Rationalität, nicht als Glied oder Mittel rationalen Handelns. Die Aufmerksamkeit liegt also auf dem interpersonalen Abgleich zwischen Sprachbenutzern, bei dem die gegenseitige Prüfung im Vordergrund steht, ob alle Sprecher die Begriffe auf dieselbe Weise und konsistent benutzen. Die Rückkopplung mit der eigentlich praktischen Dimension der Sprache, nämlich ob die Orientierung mit ihrer Hilfe gelingt, spielt allenfalls eine Nebenrolle. Der Zusammenhang zwischen Sätzen und Orientierung bleibt dadurch im Dunkeln. Die spezifische Rolle des Festgelegtseins erscheint im Wesentlichen als Frage des interpersonalen Behauptens, wobei es allein der normative Druck gegenseitiger Anerkennung ist, der auch zur Festlegung auf die Folgen zwingt. Das dabei ausgelassene wesent-liche Moment ist, dass es die schlechte Erfahrung des misslingenden Handelns, wenn man sich falsch orientiert hat, ist, die zur Bemühung drängt, falsche Festlegungen zu vermeiden. Die

dia-logische Festlegung auf eine Behauptung, also das, worüber Brandom spricht, hat ihre Relevanz zunächst nur innerhalb des Kommunikationskontexts, betrifft also Fragen der Glaubwürdigkeit etc. Hier tritt dann ein Unterschied auf, den Brandom nicht ausreichend würdigt. Gegenüber anderen auf eine Behauptung festgelegt zu sein, ist nicht damit gleichzusetzen, dass man sich für sich darauf festlegt. Das bedeutet nämlich, den entsprechenden Satz selbst als Mittel für die eigene Orientierung freizugeben und zu benutzen. Für Brandom erscheint die handlungsprakti-sche Sprachbenutzung als derivativ gegenüber dem epistemologihandlungsprakti-schen Sprachspiel des Gebens und Verlangens von Gründen. Da er sich keinen Begriff davon macht, wie der psychologische Zusammenhang zwischen sprachlichem Mittel und Intentionalität und Handlung ist, hat er kei-nen Blick für die Genese sprachlich vermittelten Handelns, sondern unterstellt eikei-nen Begriff des Handelns, der dessen intentionalen Inhalt schon voraussetzt, und gelangt daher notwendig zu der Folgerung, dass das Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen für Behauptungen theo-retischen Vorrang vor Handlungsgründen hat, weil eben durch dieses Spiel erst die notwendig inferentielle Struktur von Gehalten konstituiert werde. Seine Auffassung ist „unvereinbar mit einem instrumentellen Verständnis des Behauptens als eines Mittels, das intentional von einem rational Handelnden eingesetzt wird, um bestimmte angestrebte Ziele zu erreichen.“ (Brandom 2000, 342) Sicher kann man in einem vollgültigen Sinne von Rationalität, Intentionalität und Anstreben von Zielen erst sprechen, wenn sich die Aneignung der Sprache mit dem Denken verbunden hat, wie es Wygotski darstellt. Aber deren Genese ist eben im Zusammenspiel mit der Sprachaneignung zu erklären, also zu sehen, wie weit sinnliche Orientierung und gezielter Werkzeuggebrauch ohne Sprache reichen und in welcher Weise die verschiedenen Schritte der Sprachaneignung die Handlungsfähigkeit erweitern. Brandom bietet hier nur ein transzenden-tales Argument, und das heißt letztlich, die Leerstelle einer wirklichen Erklärung durch eine begriffliche Pseudoerklärung zu besetzen. Brandom identifiziert die inferenzielle Struktur mit dem sie explizierenden Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen. Aber bevor Kinder an-fangen, „Warum?“ zu fragen, haben sie sich schon eine ganze Weile lang Sprache angeeignet.

Von vornherein ist Sprache eine Verschränkung von Wahrnehmung, Wertung, Handlungsleitung, und wenn es nur zuallererst die Fokussierung und Lenkung der Aufmerksamkeit ist. Das Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen als besonderes zu erlernendes Sprachspiel kommt erst hinzu und systematisiert die Kommunikation über die in Gründen und Folgen organisier-te Reflexionsstruktur der Sprache. Was Brandom meint, ist die innersprachliche Regelstruktur zwischen Sätzen und Begriffen, die mit diesem Sprachspiel nur expliziert wird, aber implizit im-mer vorhanden sein muss, wenn überhaupt von Gehalten gesprochen werden können soll. Aber genau diese Reihenfolge leuchtet nicht ein, wenn die ersten Worte schon mit der Lenkung der Aufmerksamkeit praktische Folgen haben, sich aber erst in der Folge zu Elementen von Sätzen entwickeln und in Abgrenzung und Verbindung zu anderen Worten gebracht werden. Dieses

Pro-blem stellt sich, wenn man von der Seite der Wahrheitswerte an die Sprache herantritt, statt sich anzusehen, wie das Verhalten über sprachliche Vermittlung zu einem zielgerichteten Handeln wird, das die Urteilsfunktion zunächst nur als ein Moment in sich schließt. Im Laufe der Ent-wicklung trennen sich die zunächst verschmolzenen Momente des Sachurteils, des Werturteils und der Handlungsführung auf in separierbare Sprachspiele und auch auf verschiedene Worte und Urteilsarten verteilte Sprachbereiche, die dann in der konkreten Sprache teils verdichtet und verschmolzen und teils analysiert und getrennt auftreten.

Um eine Idee von Brandoms Formalismus zu bekommen, kann trotz wesentlicher Unterschie-de ein Vergleich mit Unterschie-dem Schachspiel weiterhelfen, zumal schon ein Vergleich dieser Art über den Begriff des Sprachspiels nahegelegt ist. Was Brandom versucht, in seiner pragmatistischen Theorie der Logik zu explizieren, ist den Zugregeln der verschiedenen Schachfiguren vergleich-bar. Einen irregulären Zug machen, bedeutet hier, den durch das Spiel geregelten Raum zu ver-lassen. Auch hier stehen wie in Brandoms Theorie der sozialen Grundlagen der Sprache nur noch die Norm durchsetzenden Handlungen hinter dem Fortbestehen dieser Regeln. Aber so-wenig damit auch nur annähernd die Regeln thematisiert sind, die die Züge eines wirklichen Schachspielers in einer wirklichen Partie bestimmen, also nach denen der Schachspieler die for-mal gegebenen Zugmöglichkeiten auf die sinnvollen und dem Ziel oder den Teilzielen angemes-senen reduziert, sowenig ist mit den von Brandom thematisierten Regeln auch nur angedeutet, in welchen Bahnen sich wirkliches Denken bewegt. Wenn schon im Schach Züge mit einigen Figuren von vornherein gar nicht erwogen, Züge mit anderen nach schneller Überlegung ver-worfen werden, so würde ein Orientieren mit Sprache erst gar nicht vorankommen, würde man alle in einer Situation formell möglichen Züge erst daraufhin ansehen, ob sie vielleicht zu ir-gendetwas weiterführen, das in der Situation dienlich ist. Dem, was Denkvorgänge ausmacht, nähert man sich erst, wenn man die Rolle bedenkt, die Heuristiken, Denkmuster, die bei neuen Gegenständen mit herangezogen werden, und Denkgewohnheiten bei der denkenden Benutzung von Sprache haben. Es ist eine Frage, ob man zu einer Behauptung berechtigt ist oder auch auf sie festgelegt ist, und eine ganz andere, ob die Einführung eines Urteils in einen Gedanken-gang irgendwie sinnvoll oder sachdienlich ist. Eine formell noch so berechtigte Behauptung, die nichts zur Sache tut, nimmt im besten Fall Raum in der Denkökonomie ein und lenkt nicht wei-ter ab. Auch die Frage, in welche Richtung ein Gedankengang entwickelt wird, ob er verworren oder klar ist, welche Seiten er hervorhebt und welche nicht und dergleichen mehr, liegt quer zu Brandoms formellem Zugang.

Brandom teilt zudem das Problem der philosophischen Logik, auf die auch Wittgensteins Dia-gnose des Grundfehlers philosophischen Sprachdenkens zutrifft: dass das Sprachregelmaterial, auf dem man die Theorie der Sprache oder des Denkens oder der Denkformen aufbaut, von den Situationen ihres Gebrauchs abstrahiert. Exakter könnte man hier sagen, Brandom führt zwar

in seinem pragmatistischen Ansatz die eine Seite des Weltverhältnisses der Sprache, nämlich das Kommunikationsverhältnis innerhalb einer Sprachgemeinschaft, mit in die Theorie ein, ab-strahiert aber von dem durch Denken vermittelten praktischen Verhältnis sprachlicher Wesen zur Welt überhaupt, so dass Rationalität als Explikationsarbeit erscheint und nicht als rationales Handeln in der Welt, zu dem die sprachliche Reflexion als Orientierungsmittel einen wesentli-chen Teil beiträgt.

Brandom führt zwar wichtige Theorieelemente ein, die die Fähigkeit sprachlichen Denkens er-klären helfen, behandelt sie aber nur als Elemente des interpersonalen Behauptungssprachspiels und nicht als Elemente der psychischen Vermittlung der subjektiven Orientierung durch sprach-liche Zeichen. Dass die individuelle Aneignung der Fähigkeit, sprachlich vermittelt zu denken, eine Gemeinschaft sprechender und denkender Wesen voraussetzt, ist richtig. Aber die zu erklä-rende Sache, das Denken, geht in der Kommunikation nicht auf, auch wenn diese notwendig zur Übermittlung der entsprechenden Fähigkeiten ist und der Sprachverkehr ein wesentliches Mo-ment der Sprachwirklichkeit darstellt. Für Denken gilt, dass noch jedes einzelne Wesen selbst denken muss oder andernfalls nicht denkt. Und damit ist zunächst nur gemeint, dass sprachli-ches Einordnen und Verbinden zwischen Wahrnehmung und Handeln des Individuums tritt. Ob der Gedanke von einer Autorität übernommen wurde oder der eher eigentätigen Begriffs- und Urteilsbildung des aufgeklärten Menschen entstammt, ist dabei zunächst gleichgültig, insofern auch der übernommene Gedanke noch nicht übernommen ist, wenn nur die Worte hergesagt werden können, sondern erfordert, ihn in das Geflecht der Urteile und Gedankenverbindungen zu integrieren, um ihn (als Gedanken) zur eigenen Orientierungsgrundlage zu machen. Dabei handelt es sich um die Urteile und Verbindungen, die das Handeln eines Individuums bestim-men, und insofern sind sie selbst individuell, auch wenn in einer Kulturgemeinschaft dieselben Denkweisen von den Individuen reproduziert und einander angeglichen werden. Die kommuni-kative Seite erklärt also nicht die Denkfähigkeit selbst, sondern nur die Weise ihrer Übermittlung und Aneignung. Umgekehrt wird im Verlauf der sprachlichen Ontogenese das individuelle Ver-mitteltsein der Handlungen durch sprachliche Bezüge zur Voraussetzung der kommunikativen Einflussnahme aufeinander mittels der Sprache und den in ihr ausgedrückten Gedanken. D.h.

nur wer schon denken gelernt hat, kann mit den Gedanken anderer etwas anfangen, nur auf den haben Gedanken Wirkung; oder anders: nur wem Sprache zum Moment der individuellen Orientierung geworden ist, auf dessen Praxis lässt sich durch Rede einwirken.

Ein zentrales Element in Brandoms Theorie ist die Kontoführungspraxis, die er zur Beschrei-bung der Praxis des interpersonalen Behauptungssprachspiels einführt und das nun auf ihre Be-deutung für das individuelle Sprachdenken hin angesehen werden soll. Brandom dient der Kon-toführungsbegriff dazu, die gegenseitige Kontrolle im Sprachspiel des Verlangens und Gebens von Gründen zu beschreiben. Teilnehmer am Behauptungsspiel führen zwei Konten: eins für den

anderen und eins für sich selbst. Konten sind Register der Behauptungen einer Person, die Konto-führungspraxis besteht im Abgleich jedes neuen Zugs mit diesem Register: Ist dieser Zug durch früher gerechtfertigte Züge berechtigt? Muss nach einer Berechtigung gefragt werden? Steht er mit früheren Behauptungen der Person oder mit eigenen Annahmen im Widerspruch? Es wurde schon gesagt: die kommunikative Auseinandersetzung um die Richtigkeit von Behauptungen, als formelle Regeln des Sprachspiel beschrieben, steht im Zentrum von Brandoms Theorie der Sprache, nicht ihre handlungsleitende und handlungserweiternde Rolle. Doch eben nicht nur im Spezialfall der Auseinandersetzung mit anderen Personen über die Bestimmung einer Sache, sondern für die Erfassung einer Situation und eines Handlungsfelds, für die Aufstellung eines Handlungsplans ebenso wie für das Durchdenken eines Problems mittels sprachlicher Zeichen bedarf es der Fähigkeit, die diversen zugehörigen Elemente festzuhalten und zu reproduzieren.

Um nicht Konsistenz, sondern vor allem Kohärenz in den Vordergrund zu stellen, soll hier von Registern statt von Konten gesprochen werden.

Die Kulturhistorische Schule hat gezeigt, wie die Aneignung der physischen Tätigkeiten durchdrungen und vermittelt ist mit der Aneignung von Zeichen. Nach dem Stadium unmit-telbarer Verwobenheit von aufmerksamkeits- und handlungsleitenden Begriffen entwickelt sich das Vermögen, die Zeichenlogik auch getrennt von der gegenständlichen Praxis aufzurufen. Mit dem Operieren mit Zeichen entsteht ein eigenständiges Betätigungsfeld der geistigen Repro-duktion der Wirklichkeit. Mit der Aneignung dieser Sprachfähigkeit, Wissen und Orientierung in Zeichenform einzuregistrieren und handlungsleitend wieder abzurufen, entsteht ein qualitativ neues Mittel der geistigen Durchdringung der Welt und des rationalen Handelns. Das Erfassen einer Situation und Ausrichten des Handelns verläuft nun über den Rückgriff auf sprachliches Unterscheiden und Einordnen. Was traditionell in der Logik als Urteil nur unter dem Gesichts-punkt der Richtigkeit betrachtet wurde, stellt sich hier dar als die Funktion, semiotische Register aufzubauen, indem man das, womit man in der Welt konfrontiert ist, nach den semantischen Re-geln als Elemente in sie einführt. Die Lebenswelt internalisieren, heißt nicht nur, das, was einem begegnet, typisieren zu können. Typisiertes Wissen leistet die Abschätzung von Dingen, Men-schen, Beziehungen, Verhältnissen da, wo individualisiertes Wissen nicht nötig ist oder noch keine Gelegenheit bestand, ein solches zu erwerben, weil man diesen Einzelgegenständen zum ersten Mal begegnet. Sich zurechtfinden lernen, bedeutet auch, Unmengen an Einzelnem ken-nenzulernen und Wissen darüber anzusammeln, im sozialen Umfeld, in der Wohnung, in der Umgebung, in der Öffentlichkeit, aus der Geschichte usw. Typisiertes und besonderes Wissen ist dabei im Begriff oder Namen nur als Knotenpunkt zusammengefasst, enthalten ist es in Sät-zen: Attribuierungen, Regeln, Zusammenhängen, Geschichten.

Der Erwerb der Begriffe, der Fähigkeit, mit ihnen Urteile und Schlüsse zu bilden, ist nur ein Moment der Aneignung der Sprache. Neben dieser verallgemeinerten Seite gehört ebenso

wesentlich der Aufbau eines sprachlichen Weltwissens dazu: die Welt wird mithilfe der ver-fügbaren begrifflichen Mittel ermessen und mit einem Orientierungsnetz überspannt. Die dazu nötigen operationalen Fähigkeiten stellen sich so dar: Begegnet man einer neuen Sache, lässt sich als ihr Repräsentant ein neues Element, quasi ein Knoten sprachlichen Wissens über diese Sache ins Gedächtnis einführen. Nutzbar ist dieses besondere Wissen, wenn eine eineindeuti-ge Zuordnung zu der Sache besteht, d.h. sie muss identifiziert werden können und darf nicht mit anderen verwechselt werden, weil das vermeintliche Wissen sonst Gefahr läuft, falsche Er-wartungen aufzubauen und unzweckmäßige Handlungen nahezulegen. Das Wissen ist repro-duzierbar dadurch, dass die entsprechenden Sätze reproduziert werden können. Das bedeutet, dass im Kontext dieses Knotens die damit verknüpften Sätze ins Bewusstsein gerufen und als Ausgangspunkt für Folgerungen benutzt werden können. Diese Knoten können aber nicht nur reproduziert, sondern auch aktualisiert und modifiziert werden: Urteile ergänzt, revidiert oder als überholt gekennzeichnet werden. So ist es möglich, Erfahrungen mit den Verhältnissen, Muster an ihnen, festzuhalten und zur Antizipation nutzbar zu machen.

Antizipation ist auch ein Moment der Handlungsplanung. Das gesellschaftliche Leben der Menschen, insbesondere der Stoffwechsel mit der Natur, ist auf Antizipation und Vorkehrung aufgebaut, die nicht natürlich vererbten Verhaltensweisen entspringen, sondern als sinnvolle, zweckmäßige Handlungen tradiert werden. Das setzt aber voraus, dass diese Handlungen auf ein Denken rekurrieren, in dem das Ziel der Handlungen ideell vorweggenommen wird. Zur Ausbildung selbständiger Zwecksetzung über die Aneignung von Handlungsanweisungen und den Status des verbalisierten Handlungsziels als Mittel der Festhaltens und Fokussierens der Tä-tigkeit ist bereits im vorangegangenen Kapitel einiges gesagt worden. Man könnte von einem Selbstregister sprechen. Es ist nicht wie bei Brandom die Führung eines Kontos über sich selbst, in dem festgehalten wird, worauf man sich theoretisch oder praktisch gegenüber anderen fest-gelegt hat. Vielmehr ist damit die Fähigkeit bezeichnet, sich etwas vorzunehmen, sich Ziele zu stecken, Handlungspläne zu machen und entsprechend zu verfolgen. Ein wesentliches Moment von Rationalität ist planvolles Handeln. Diese Fähigkeit beinhaltet, Zwischenschritte zu finden, die man beherrscht, die jeweiligen Realisierungsbedingungen zu kennen und über hinreichende Methoden und verfügbare Mittel Rechenschaft abzulegen. Die Durchführung kann dann immer auf Unvorhergesehenes treffen und Improvisation nötig machen oder zu Änderung oder sogar Aufgabe der Ziele führen. Es geht hier nicht darum, planvolles Handeln im Einzelnen zu analy-sieren, sondern nur darum, deutlich zu machen, dass die für komplexe Handlungsfolgen nötige Einzelschritteinteilung und Bedingungsanalyse von der schweifenden Vorstellungskraft alleine gar nicht zu leisten wäre, sondern auf sprachliche Fixierung angewiesen ist.

In die Aneignung und Ausführung einer Tätigkeit gehen selbstverständlich Elemente ein, die nicht sprachlich reflektiert sind: Nachahmung, Ausprobieren, sinnliche Unterscheidungen und

Gefühle, die (noch) nicht begrifflich eingeholt sind. Sprachliche Vermittlung des Handelns er-hebt dasselbe aber über seine unmittelbare Orientierung am Sinnlichen und ermöglicht, es neu zusammenzusetzen. Wenn einmal der ‚Umweg‘ der Tätigkeit über die Sprache hergestellt ist, ist auch ein Zugriff auf die träge Tätigkeit über den leicht gehenden Zugriff auf die Sprache hergestellt. Die Aneignung der motorischen Fähigkeiten vorausgesetzt, wird so die Änderung des Handelns gemäß sprachlich verarbeiteter Erfahrungen möglich. Die Zusammensetzung der Handlungen gemäß der viel leichter im Geist zusammengesetzten Zeichen wird selbst zur Routi-ne. Planvolles Handeln steckt schon im Erstellen einer Einkaufsliste oder dem daran orientierten Einkauf, ja schon in der Überlegung, ob der Supermarkt zu dieser Zeit noch geöffnet ist. Hand-lungsplanung besteht in der ideellen Zergliederung der Handlung in überschaubare Teilhandlun-gen und ihre RealisierungsbedingunTeilhandlun-gen. Die Antizipation von lösbaren Schwierigkeiten erlaubt es, für die entsprechenden Mittel schon vorzusorgen. Das geistige Durchspielen von Handlun-gen erlaubt, Handlungsmöglichkeiten auszuschließen, die nicht zum Ziel führen oder andere negative Folgen nach sich ziehen.

Eine gedankliche Analyse ist tatsächlich die Auftrennung des Gegenstands bzw. Handlungs-plans in Elemente und ihre Beziehungen. Konkrete Situationen sind immer analysierbar als Komplex von Elementen, wenn nur dafür die Begriffe verfügbar sind. Eine Analyse ermög-licht, sich die Elemente einzeln vorzunehmen und das Wissen über sie aufeinander zu beziehen, um zu einer synthetisierten Einschätzung zu gelangen, wenn die Gesamtkonstellation nicht so typisch ist, dass unmittelbar Wissen darüber vorhanden ist. Der Tiger ist gefährlich, aber hinter Gittern, er könnte zwar dagegenrennen, aber sie sind fest genug, ihm standzuhalten, also ist die Situation ohne Gefahr. In der Regel ist es hier wohl einfacher: Man ist im Zoo, und der Zoo ist eine Institution, die dafür Sorge trägt, dass die Besucher sicher sind. Die Analyse ist das Zu-sammentragen des verstreuten Wissens, es ist eine Weise, aus dem Bekannten zu schöpfen, um das Neue einzuschätzen. Das erschöpft sich eben nicht im Wissen über die Potenzen typischer Gegenstände, darüber, wie man sie erkennt, wie sie sich verändern, welche Anzeichen es dafür gibt, wie sie auf bestimmte Einwirkungen reagieren, sondern besteht vor allem in der Kombina-tion dieses Wissens. Insofern diese KombinaKombina-tion kein unmittelbares Wissen ist, bedarf sie des diskursiven Mittels der Sprache. In jedem Fall wird die Sache geistig neu reproduziert, werden die Zeichen neu zusammengestellt, geht man neu die gesetzten Bestimmungen durch.

Im Handeln stellt man sich auf die Überzeugungen, Überlegungen, Einschätzungen, zu denen man gelangt ist. Das macht die Bedeutung des Denkens und Schließens für das Handeln aus, sie vermitteln die Orientierung im Handeln. Garantie, dass eintritt, was man antizipiert und plant, gibt es nicht, auch wenn ohne Zweifel gehandelt wird. Doch die Macht des Gedankens ist, das,

Im Handeln stellt man sich auf die Überzeugungen, Überlegungen, Einschätzungen, zu denen man gelangt ist. Das macht die Bedeutung des Denkens und Schließens für das Handeln aus, sie vermitteln die Orientierung im Handeln. Garantie, dass eintritt, was man antizipiert und plant, gibt es nicht, auch wenn ohne Zweifel gehandelt wird. Doch die Macht des Gedankens ist, das,

Im Dokument Materialistische Sprachtheorie (Seite 162-171)