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Darstellung

Im Dokument Materialistische Sprachtheorie (Seite 157-162)

4.2 Brandoms Sprachpragmatismus

4.2.1 Darstellung

Innerhalb der Tradition der analytischen Sprachphilosophie bietet Robert Brandom einen vor-läufigen Anknüpfungspunkt für die Frage nach sprachlich-operationalen Strukturen, in denen sich Denken bewegt, und die damit die sprachliche Vermittlung rationalen Handelns ermög-lichen. Sein Ausgangspunkt ist die Grundthese, dass sich semantische Strukturen als pragmati-sche Strukturen des Operierens mit Sätzen rekonstruieren lassen. Dabei gilt ihm Folgern als „der Schlüsselbegriff, der semantischen Gehalt und pragmatische Signifikanz verknüpft“ (Brandom 2000, 284), denn nicht auf der Ebene von Begriffen oder Sätzen, sondern erst in ihren Folge-rungsbeziehungen ist die sprachliche Bedeutung zur praktischen Bedeutung entfaltet. Brandoms Leitfrage ist dementsprechend, wie sprachliche Gehalte über Operationsregeln für Folgerungs-beziehungen bestimmt sind. Sein Ausgangspunkt für die Darstellung dieser Operationsregeln

ist der interpersonale Austausch von Behauptungen und Nachfragen im „Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen“, das er in Anlehnung an Wittgenstein als Sprachspiel fasst, das die Zugmöglichkeiten der Beteiligten regelt. Da er sich nicht nach realen historischen Formen fragt, in denen Gründe gegeben oder verlangt werden (können), handelt es sich bei dieser Sprachspiel-konstruktion um eine Idealisierung, die formell an ein Ideal wissenschaftlicher Dispute erinnert:

„Das Behaupten, jedenfalls in dem hier vorgestellten idealen Sprachspiel, ist eine egalitäre Pra-xis in einem Sinne, in dem es das Befehlen und Genehmigen nicht ist.“ (Brandom 2000, 355)

Die Grundzüge dieses Sprachspiels sind Behauptungen. Die pragmatische Signifikanz eines Behauptungssatzes ist nach Brandom, dass, wer eine Behauptung aufstellt, erstens die Verant-wortung übernimmt, sie auch begründen zu können, und zweitens sie als Grund für praktische oder theoretische Schlüsse auch akzeptiert. Die Logik des Behauptens ergibt sich aus den prak-tischen Regeln des interpersonalen Sprachspiels, an die sich jemand halten muss, damit seine Aussagen als Behauptungen ernst genommen werden. Diese Regeln bestehen im Wesentlichen darin, dass eine Behauptung gegenüber anderen gleichermaßen als Festlegung wie als Berech-tigung behandelt wird. Insofern es sich um eine Festlegung handelt, berechtigt es andere dazu, eine Rechtfertigung zu verlangen und aus dieser Festlegung folgende Festlegungen zu unter-stellen. Um eine Berechtigung handelt es sich umgekehrt insofern, als eine Behauptung selbst wieder als Rechtfertigung einer weiteren Behauptung oder praktischen Folge dienen kann.

Bei Brandoms Konstruktion handelt es sich zunächst nur um eine pragmatistisch-formalistische Beschreibung des Umgangs mit Behauptungen. Behauptungen stehen nicht al-leine, sondern in einem Folgerungszusammenhang mit anderen Behauptungen oder Praktiken.

D.h. sie können durch andere Behauptungen oder Beobachtung begründet werden oder andere Behauptungen oder Handlungen begründen. Das beschriebene Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen ist zunächst formalistisch, insofern es nur erfasst, dass der Zusammenhang von Sät-zen durch Akzeptanz von Begründungen praktisch hergestellt wird, und nicht, worin gute oder schlechte Begründungen bestehen. Die inhaltliche Bestimmung von Behauptungen ergibt sich aus ihrer Stellung als Glieder in Inferenzen. In dieser Hinsicht bestehen Inferenzen darin, den Anerkennungsstatus einer Behauptung auf den einer anderen zu übertragen. Grundformen der Inferenz, die (explizite) Behauptungen zueinander in ein Begründungsverhältnis setzen, sind:

1. Festlegungserhaltung (wenn jemand die eine Behauptung anerkennt, wird von ihm verlangt, auch die andere anzuerkennen), 2. Berechtigungserhaltung (wenn jemand zur ersten Behaup-tung berechtigt ist, ist er auch zur zweiten berechtigt, wenn auch nicht auf sie festgelegt), 3.

Inkompatibilität (wenn jemand die eine Behauptung anerkennt, wird von ihm verlangt, die da-mit inkompatible nicht anzuerkennen), 4. Übernahme von Behauptungen von anderen Personen aufgrund ihrer Verlässlichkeit.

Damit ist keineswegs bestimmt, welche Schlussformen einerseits und welche konkreten

in-haltlichen (materialen) Inferenzen andererseits tatsächlich in einer Sprachpraxis anerkannt bzw.

in Gebrauch sind. Zu festlegungserhaltenden Inferenzen: Die Festlegung darauf, dass aus a b folgt, zusammen mit der Festlegung auf a, gilt in der Regel als festlegungserhaltend, da, wer sich so festlegt, auch als auf b festgelegt behandelt wird. Die entsprechende Folgerungs- und Anerkennungspraxis wird Brandoms logischem Explikationismus zufolge durch den Modus Po-nens der formalen Logik nicht begründet, sondern expliziert: „Die Logik transformiert seman-tische Praktiken in Prinzipien.“ (Brandom 2000, 568). Die Gleichgültigkeit dieser Schlussform gegenüber den Inhalten der Behauptungen bedeutet, dass es sich um eine formallogische Form handelt. Oder anders gesagt, weil es sich als allgemeine Schlussformerweist, wird sie formal genannt. Richtiger wäre allerdings zu sagen, mit der exliziten Einführung des Modus Ponens als Schlussform wird ein im Vergleich zur wirklichen Alltagspraxis des Schließens vereinfachtes sprachliches Schlussmittel zusätzlich zum herkömmlichen vageren, vieldeutigeren Sprachge-brauch in die Sprache eingeführt.

Aber auch materiale Inferenzen können festlegungserhaltend sein. Die Behauptung, dass es sich bei etwas um einen Champignon handelt, legt aufgrund der gesellschaftlich durchgesetzten Sprachregelung darauf fest, es mit einem Pilz zu tun zu haben. Die Substitution von Champi-gnon durch Stiefmütterchen oder von Pilz durch Amphibie macht unmittelbar deutlich, dass man es nicht mit einer formalen, sondern einer materialen Inferenz zu tun hat, die durch die Klas-sifikation von Champignons als Pilze gesetzt ist, während Stiefmütterchen nicht als Pilze und Champignons nicht als Amphibien klassifiziert sind.

Das Konzept der Berechtigungserhaltung ist nicht formal einzufangen. Beschrieben wird da-mit, pragmatistisch gefasst, die Anerkennung einer Begründung, ohne dass der Schluss zwin-gend ist. Als Beispiel nennt Brandom den Induktionsschluss. Aus einer beschränkten Zahl von Fällen einen allgemeinen Schluss zu ziehen, ist nicht nur in der empirischen Wissenschaft ein geläufiger Vorgang. Wo aber die (ganz und gar nicht scharfe) Grenze angesetzt wird, solche Schlüsse anzuerkennen, d.h. sich die Allgemeinaussagen zu eigen zu machen, ist letztlich eine praktische Frage. Dass Champignons genießbar sind, kann als ein solcher Schluss gelten. Aber auch, dass dieser Pilz genießbar ist, daraus zu schließen, dass er ein Champignon ist, ist als be-rechtigungserhaltend aufzufassen (wenn also die Frage ist, ob man diesen Pilz essen kann, und die Zustimmung damit begründet wird, dass es sich um einen Champignon handelt), denn es handelt sich um keinen notwendigen Schluss, insofern andere Umstände, etwa Vergiftung des Bodens, zur Ungenießbarkeit führen könnten.

Inkompatibilität zwischen Behauptungen besteht pragmatistisch darin, dass die Festlegung auf die eine die Berechtigung zur anderen ausschließt. Dass es sich bei einem Fund um einen Pilz handelt, ist inkompatibel mit der Behauptung, dass er im Frühjahr blüht oder Fliegen frisst. Die formale Negation eines Satzes lässt sich hierüber bestimmen als die Behauptung, auf die

bezo-gen alle Inkompatibilitäten des negierten Satzes festlegungserhaltend sind. Wenn etwas Fliebezo-gen frisst, handelt es sich nicht um einen Pilz etc.

Auch die Übernahme von Behauptungen von Dritten lässt sich über Berechtigung und Festle-gung beschreiben. Für die BerechtiFestle-gung zu einer empirischen Behauptung auf andere zu verwei-sen, von denen man sie übernommen hat, bedeutet, ihnen den Status einer Beobachtungsautorität zuzuweisen. Das heißt nicht nur, „Festlegungen und Berechtigungenzuzuweisen, sondern auch, sieeinzugehenoderanzuerkennen, indem die Verlässlichkeitsinferenz gebilligt wird.“ (Brandom 2000, 334)

Im Gegensatz zu Wittgenstein, der sich die Makrostruktur der Sprache als Mannigfaltig-keit nebeneinander liegender oder sich durchdringender Sprachspiele denkt, stellt Brandom das Sprachspiel des Gebens und Verlangens von Gründen in den Mittelpunkt der Analyse der Sprachstruktur, weil in diesem Spiel die inferentielle Gliederung sprachlicher Gehalte explizit wird. Was Brandom von Wittgenstein übernimmt, ist die pragmatistische Wendung, sprachli-che Gehalte über die praktissprachli-chen Regeln des Operierens mit Zeisprachli-chen zu fassen. Was Brandom jedoch gegen Wittgenstein entwickelt, ist die Perspektive allgemeinerer Sprachstrukturen oder -muster, die alle Sprachspiele durchziehen. Das erstreckt sich nicht nur auf Inferenzstrukturen auf Satzebene, sondern Brandom ist mit seinem Ansatz auch in der Lage, das Funktionieren subsententialer Ausdrücke (Wörter, Teilsätze) als Inferenzstrukturen zu erfassen.

Den Bedeutungsgehalt von Sätzen erklärt Brandom pragmatistisch über ihren inferenziellen Zusammenhang mit Beobachtungen, anderen Sätzen und Handlungen. Die Äußerung eines Sat-zes wird als Handlung, als Sprechakt, aufgefasst, der als Zug im Spiel des Gebens und Verlan-gens von Gründen behandelt werden kann. „Doch die Äußerung eines wesentlich subsententia-len Ausdrucks wie eines singulären Terminus ist keine Performanz eines solchen Sprechakts.

Sie macht selbst keinen Zug im Sprachspiel, sie ändert nicht den Kontostand der Festlegungen und Einstellungen, die dem Sprecher von den Zuhörern angemessenerweise zugewiesen werden können.“ (Brandom 2000, 517) Die Kritik an der Vorstellung, die semantisch primären Einhei-ten wären Begriffe, setzt an dieser Bestimmung an, dass sich die Identität von Begriffen nur aus Regeln ihrer kohärenten Anwendung in Sätzen bestimmen lässt: „Indem man sagt, was ein Aus-druck repräsentiert (oder zu repräsentieren beabsichtigt), sagt man zugleich, wie er gebraucht werden sollte.“ (Brandom 2000, 516) Dementsprechend können subsententiale Ausdrücke „nur in einem abgeleiteten Sinne als semantisch gehaltvoll gelten, insofern ihr Vorkommen als Be-standteile von Sätzen zu deren Gehalt (in grundlegender, praxisrelevanter Hinsicht) beiträgt.“

(Brandom 2000, 518) Allerdings hat der Anschein, die Bedeutung von Sätzen würde sich aus der Kombination der Bedeutungen der Elemente, aus denen sie sich zusammensetzen, ergeben, einen guten Grund: dass der Anteil neu gebildeter Sätze, die noch nie benutzt wurden, einen beträchtlichen Teil der Sprache ausmachen und dass auch diese neuen Sätze in gewissem Maße

den Regeln gemäß der Unterscheidung zwischen ‚sinnvoll‘ und ‚sinnlos‘ unterliegen. „Wenn es richtige und unrichtige Verwendungsweisen von Sätzen gibt, die noch niemand je gebraucht hat, muss es eine Art Extrapolation geben.“ (Brandom 2000, 519) „Eine zweistufige kompositionale Strategie zur Erklärung der Extrapolation würde davon ausgehen, dass durch die Richtigkeiten für den Gebrauch, denen die kleinere Stichprobenmenge von Sätzen unterworfen ist, aus der extrapoliert wird, der richtige Gebrauch subsententialer Bestandteile erklärt wird, in die diese Sätze zerlegt werden können. [. . . ] Die sprachliche Gemeinschaft legt den richtigen Gebrauch einiger Sätze und somit auch den der Wörter fest, die darin vorkommen, und damit wiederum den aller übrigen Sätze, die durch die Verwendung dieser Wörter ausgedrückt werden können.“

(Brandom 2000, 520) Die zwei Stufen der Extrapolation sind, ausgehend von der Beherrschung ganzer Sätze, ihre Dekomposition und Neuzusammensetzung: „Im ersten, dekompositionalen Schritt sind Sätze in subsententiale Bestandteile zu zerlegen, indem sie als substitutionale Vari-anten voneinander assimiliert werden [. . . ] Zwei Sätze als substitutionale VariVari-anten voneinander zu betrachten heißt, in ihnen Anwendungen der gleichen Funktion – wie Frege sagen würde – zu erkennen. Im zweiten, rekompositionalen Schritt werden neue Sätze (und ihre Interpretatio-nen) als Anwendungen bekannter Funktionen auf bekannte substituierbare Ausdrücke erzeugt.“

(Brandom 2000, 521)

Die verschiedenen Rollen, die Satzelemente für die Bedeutung des Satzes spielen, identifi-ziert Brandom über wechselseitige Substituierbarkeit: „Ausdrücke, die assimiliert werden ge-mäß der Tatsache, dass ihre Wohlgeformtheit bei wechselseitiger Substitution erhalten bleibt, gehören zur selben syntaktischen Kategorie, und Ausdrücke, deren pragmatisches Potential bei wechselseitiger Substitution erhalten bleibt, haben denselben semantischen Gehalt.“ (Brandom 2000, 523) Solchen Überlegungen liegt wieder der Gedanke zugrunde, dass sich bedeutungsun-terscheidende und -konstituierende Eigenschaften der Sprache in den Zeichenoperationsregeln auffinden lassen müssen, da sich sonst der sprachliche Gehalt gar nicht objektiv identifizieren ließe. Substitution von Satzelementen ist dabei eine solcher Operationen. Anhand von ierbarkeit ergibt sich die Unterscheidung zwischen substituierbaren Ausdrücken und Substitu-tionsrahmen, in die substituierbare Ausdrücke substituiert werden können. Diese Struktur ent-spricht im Wesentlichen der für die Prädikatenlogik zentrale Unterscheidung zwischen singu-lären Termini und Prädikaten.2Dieser über Substituierbarkeit identifizierte Unterschied kommt in der inferenziellen Gliederung zum Vorschein. Um dies zu zeigen, führt Brandom den Begriff der Substitutionsinferenz ein, das sind „Inferenzen, die substitutional variante, hineinsubstitu-ierte Sätze als Prämisse und Konklusion verbinden“ (Brandom 2000, 526). Sein Beispiel ist der Schluss von „Benjamin Franklin hat die Zweistärkenbrille erfundenaufDer erste Generalpost-meister der Vereinigten Staaten hat die Zweistärkebrille erfunden. In den Prämissensatz wird

2Vgl. auch Quine (1993, 173ff)

hineinsubstituiert, undfüreinen singulären Terminus ist substituiert worden, um zur Konklusi-on zu gelangen.“ (ebd.) Während die SubstitutiKonklusi-on singulärer Termini kKonklusi-onstitutiv reversibel ist, gilt das in der Regel für den Austausch von Substitutionsrahmen, also Inferenzen durch Aus-tausch von Prädikaten, nicht. „Aus der Tatsache, dass die Inferenz von ‚Benjamin Franklin ging spazieren‘ auf ‚Benjamin Franklin bewegte sich‘ in Ordnung ist, folgt nicht, dass auch die von

‚Benjamin Franklin bewegte sich‘ auf ‚Benjamin Franklin ging spazieren‘ richtig ist.“ (Brandom 2000, 527)

In dieser Weise hebt Brandom alle Fragen nach innersprachlichen Strukturen auf die Ebe-ne berechtigter und verpflichtender Übergänge zwischen Sätzen. Solche ÜbergangsoperatioEbe-nen bestimmen demnach die pragmatischen und syntaktischen Eigenschaften der Sätze und Satzele-mente, die sie nur als Glieder und Bestandteil dieser Sprachspiele besitzen.

Im Dokument Materialistische Sprachtheorie (Seite 157-162)