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Der Begriff des gegenständlichen Mittels

Im Dokument Materialistische Sprachtheorie (Seite 110-113)

Um größere Klarheit darüber zu verschaffen, in welchem Sinn von Sprachenichtals Mittel ge-sprochen werden kann, soll auf Überlegungen zum Begriff des gegenständlichen Mittels und der Frage seiner Verallgemeinerbarkeit zurückgegangen werden, ohne zunächst auf den Realzusam-menhang von Arbeit und Sprache einzugehen. ImKapitalkommt Marx im Zusammenhang mit dem Arbeitsprozess darauf zu sprechen. Während die allgemeine Kategorie Arbeit, um in der Theoriegeschichte hervorgebracht zu werden, einer fortgeschrittenen Entwicklung der Arbeit selbst in der gesellschaftlichen Wirklichkeit bedurfte, lassen sich mit dieser Kategorie auf einer gewissen Abstraktionsebene dennoch Aussagen über alle menschlichen Gesellschaften treffen:

„Der Arbeitsprozess, wie wir ihn in seinen einfachen und abstrakten Momenten dargestellt ha-ben, ist zweckmäßige Tätigkeit zur Herstellung von Gebrauchswerten, Aneignung des Natürli-chen für menschliche Bedürfnisse, allgemeine Bedingung des Stoffwechsels zwisNatürli-chen Mensch und Natur, ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens und daher unabhängig von jeder Form dieses Lebens, vielmehr allen seinen Gesellschaftsformen gleich gemeinsam.“ (MEW 23, 198) In dieser Abstraktion trägt der Arbeitsprozess folgende Kennzeichen: Seine „einfachen Mo-mente [. . . ] sind die zweckmäßige Tätigkeit oder die Arbeit selbst, ihr Gegenstand und ihr Mit-tel.“ (193) Der Prozess selbst ist dabei so bestimmt, dass „die Tätigkeit des Menschen durch das Arbeitsmittel eine von vornherein bezweckte Veränderung des Arbeitsgegenstandes [bewirkt].

[. . . ] Sein Produkt ist ein Gebrauchswert, ein durch Formveränderung menschlichen Bedürfnis-sen angeeigneter Naturstoff.“ (195) Während der Gebrauch von Hilfsmitteln bei Tieren, wo er überhaupt auftritt, als bloße Erweiterung einer weitgehend noch instinktiven und unmittelbaren konsumtiven Aneignung von Natur erscheint, ist die Entstehung menschlicher Gesellschaften mit dem Reflexivwerden der Mittel des Arbeitsprozesses verwoben: „Sobald überhaupt der Ar-beitsprozess nur einigermaßen entwickelt ist, bedarf er bereits bearbeiteter Arbeitsmittel.“ (194) Sobald Arbeitsmittel selber zu bezweckten Produkten der Arbeit werden, werden sie zum Träger der Ausdehnung der Reproduktion. Bedürfnisse und Zwecke entwickeln sich, bleiben aber stets in Abhängigkeit von den vorhandenen Mitteln ihrer Realisierung. Daher: „Nicht was gemacht wird, sondern wie, mit welchen Arbeitsmitteln gemacht wird, unterscheidet die ökonomischen Epochen.“ (195) Paradigma ist hier körperliche Arbeit, in der mit Hilfe von gegenständlichen Arbeitsmitteln Arbeitsgegenstände zweckmäßig umgeformt werden: „Das Arbeitsmittel ist ein Ding oder ein Komplex von Dingen, die der Arbeiter zwischen sich und den Arbeitsgegenstand schiebt und die ihm als Leiter seiner Tätigkeit auf diesen Gegenstand dienen. Er benutzt die me-chanischen, physikalischen, chemischen Eigenschaften der Dinge, um sie als Machtmittel auf andre Dinge, seinem Zweck gemäß, wirken zu lassen.“ (194) Dabei „tritt [er] dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes

Leben brauchbaren Form anzueignen.“ (192)

Der Kopf spielt unter diesen Naturkräften eine besondere Rolle: „Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, dass er die Zelle in sei-nem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war.“ (193) In dieser Darstellung ist die komplexe gesellschaftliche Vermitt-lung der geistigen EntwickVermitt-lung von Menschen als kognitive Voraussetzung ihrer Arbeit auf das individuelle Resultat zusammengedampft. Denn wenn die Inhalte der Arbeit im Gegensatz zur instinktiven Tätigkeit nicht im Voraus da sind, dann setzt es einen geistigen Aneignungsprozess voraus, überhaupt etwas ‚im Kopf‘ bauen zu können. Arbeit zu planen und an ihrem Zweck in der Arbeitstätigkeit festzuhalten, bedarf einer vorangegangenen Ausbildung des Kopfes, deren Abhängigkeit von Sprache noch zu betrachten sein wird, von der aber schon soviel gesagt wer-den kann, dass das Spezifische dieser Naturkraft des Menschen, das, was Marx „ideell“ nennt, gerade wesentlich gesellschaftlich ist.

Wie weit kann Sprache nun in Analogie zum körperlichen Werkzeuggebrauch verstanden werden? Gleich, ob es sich um ein Werkzeug, das ein einzelner benutzt, oder um eine Maschi-ne handelt, die die Kooperation von Dutzenden verlangt: die gegenständlichen Arbeitsmittel, von denen hier die Rede ist, erlauben die Herstellung von Gebrauchswerten, die sonst nur mit größerem Aufwand oder gar nicht zu erlangen wären. Sie vermitteln die Analyse und Neuzu-sammensetzung des vorgefundenen oder bereits planmäßig produzierten Naturstoffs. Es ist of-fensichtlich, dass diese Beschreibung nicht unmittelbar auf Sprache übertragbar ist. Denn auch wenn im Gebrauch der Sprache die der Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Kopf und Hand, Zunge, Ohr und Auge in ‚Bewegung‘ gesetzt werden, sind weder die Worte und Sätze in ge-genständlicher Form vorliegende, vom Organismus äußerlich zu bedienende Werkzeuge, noch ist das, worauf sie ihre eigentümliche Wirkung haben, ihnen gegenüber gleichgültiger Stoff.

Während bei der leiblichen Arbeit die Absehung von der Bedingung körperlicher und kogni-tiver Fähigkeiten die Konzentration auf das gegenständliche Geschehen erlaubt, führt dasselbe im Fall der Sprache allenfalls zu dem Mystizismus, die Materialität der Sprache in flüchtigen Schallwellen zu suchen.

Als Schallwellen haben gesprochene Sätze keine besondere Wirkung. Mit Schreien lassen sich bei manchen Lebewesen Schmerzen oder Furcht erzeugen, aber selbst das setzt schon besondere Organe voraus. Die vielfältigen durch Sprechen induzierten Verhaltensänderungen sind ganz an-derer Art. Damit in dieser Weise Sätze etwas bewirken können, muss der Organismus dafür emp-fänglich sein, was seine Umbildung durch Aneignung der Sprache voraussetzt. Diese Aneignung besteht im Erlernen des Operierens und Umgehens mit Sprache im Kontext einer Lebensweise, deren Aneignung nicht getrennt davon stattfindet bzw. stattfinden kann. Sowohl das

Selbstver-hältnis, die geistigen Mittel der Selbststeuerung, Reflexion und Planung, als auch das interaktive Verhältnis zu anderen wird umgewälzt bzw. dadurch überhaupt erst ausgebildet. Die vermitteln-de Stellung vermitteln-der Sprache dabei ist vermitteln-der hier zu klärenvermitteln-de Gegenstand. Natürlich wervermitteln-den dabei auch neue Unmittelbarkeiten hergestellt: das, was Wittgenstein Abrichtung nennt; Einübung mecha-nischer Reaktionen. Doch im Gegensatz zum in der Regel passiven Arbeitsgegenstand1, der mit einem mechanischen Arbeitsmittel bearbeitet wird, ist diese Passivität menschlicher Reaktionen erstens durch aktive Einübung hergestellt und zweitens ein Sonderfall: Mit Sätzen kann man auf andere, die sie verstehen, einwirken, aber man ruft nicht eine mechanische Reaktion hervor, sondern dass sich die andere Person in der einen oder anderen Weise zu dem verhält, was gesagt wurde. Man hat es also mit einem ganz anderen Verhältnis zwischen Mittel und Gegenstand zu tun, weil der Gegenstand selbst Zwecke setzend ist und das Verhältnis nicht durch äußerli-che Eigenschaften zustande kommt, sondern nur dadurch, dass das Mittel, die Zeiäußerli-chen, schon verinnerlicht worden sein müssen, bevor sie überhaupt dieses Mittel sein können. Umgekehrt erhalten die Zeichen ihre kommunikativen Mitteleigenschaften nicht aus ihrem Dasein als Laute oder Schrift, sondern aus der gesellschaftlichen Verbreitung des Operieren(können)s mit ihnen.

Wenn also als Gegenstand des Sprachmittels andere Menschen gesetzt werden, ergibt sich der wesentliche Unterschied zum naturbearbeitenden gegenständlichen Werkzeug, dass sich die Wirksamkeit nicht aus der Anpassung des Werkzeugs an seinen Gegenstand, sondern aus der An-eignung des Mittels durch den ‚Gegenstand‘ ergibt, und dass dieser ‚Gegenstand‘ nicht einfach einer Wirkung unterliegt, sondern sich aktiv zum Mittel verhält. Die Analogie kann aber auch in einer anderen Richtung gezogen werden, indem sprachliche Zeichen in ihrer Eigenschaft als Beziehung des Individuums auf sich selbst, als psychisches Mittel betrachtet werden. Wygotski hat diese Analogie durchgespielt und darauf seine materialistische Theorie des Denkens begrün-det. In seiner abstraktesten Form findet sich dieser Gedanke in dem frühen programmatischen Aufsatz überDie instrumentelle Methode in der Psychologie: „Im Verhalten des Menschen gibt es eine ganze Menge künstlicher Mittel, die ihm dazu dienen, die eigenen psychischen Prozesse zu beherrschen.“ (Wygotski 1985b, 309) Dabei wird das Dazwischenschieben der Mittel und die Transformation der Prozesse analog gesetzt: „Das in den Verhaltensprozess eingeschlossene psychische Werkzeug bestimmt mit seinen Eigenschaften den Aufbau des neuen instrumentellen Aktes und verändert den gesamten Verlauf sowie die gesamte Struktur der psychischen Funk-tionen in derselben Weise, wie technisches Werkzeug den Prozess der natürlichen Anpassung verändert, indem es die Form der Arbeitsoperation bestimmt.“ (Wygotski 1985b, 310) Die Ein-führung dieses neuen instrumentellen Aktes denkt er sich in diesem Stadium der Theorie als Aufsprengung des Unmittelbarkeit durch assoziativen Umweg über das als psychisches

fungie-1Naturbeherrschung ist nie eine absolute. Der Fluss, der gestaut werden soll, hält nicht still. Aber darum verfolgt er noch keine Zwecke oder ist der Überredung zugänglich.

rende gegenständliche Mittel: „Bei künstlichem, mnemotechnischem Einprägen desselben Ein-drucks mit Hilfe eines psychischen Werkzeugs X (Knoten im Taschentuch, mnemotechnisches Schema) entstehen anstelle dieser direkten Verbindung A - B zwei neue: A - X und X - B.“

(Wygotski 1985b, 311) Dadurch wird aber nur unmittelbar dasselbe auf kompliziertere Weise geleistet. Die Kombination der Mittelglieder erlaubt, unmittelbar nicht erfassbare Beziehungen festzuhalten und komplexe Handlungen auszuführen. Der Geist wird mit psychischen ‚Instru-menten‘ bevölkert. „Im instrumentellen Akt tritt zwischen das Objekt und die darauf gerichtete psychische Operation ein neues Mittelglied – das psychische ‚Werkzeug‘. Es wird zum struktu-rellen Zentrum beziehungsweise zum Brennpunkt, das heißt zu einem Moment, das funktional alle Prozesse bestimmt, die den instrumentellen Akt bilden. Jeder Verhaltensakt wird dann zu einer geistigen Operation.“ (Wygotski 1985b, 312) Der Unterschied zum instrumentellen Werk-zeug ergibt sich aus dem Verhältnis zum Objekt: „Das psychische WerkWerk-zeug verändert am Ob-jekt nichts: es ist ein Mittel der Einwirkung auf sich selbst (oder auf einen anderen), auf die Psyche, auf das Verhalten, nicht aber ein Mittel zur Einwirkung auf das Objekt.“ (Wygotski 1985b, 313f)

In nuce ist hiermit der in späteren Texten ausgebaute und mit empirischer Forschung unter-fütterte Gedanke ausgesprochen, dass Sprache als System psychischer ‚Werkzeuge‘ nicht nur den Verkehr zwischen Menschen vermittelt, sondern wesentlich die handlungssteuernde Seite menschlicher Tätigkeit vermittelt. Hierbei werden nicht wie bei Arbeitswerkzeugen deren Ein-wirkungseigenschaften in Bezug auf ein anderes Ding, den Arbeitsgegenstand, benutzt, sondern der Sinnesapparat auf regelbildende Weise stimuliert, sei es in der Fremdstimulation durch Zei-chen, die eine andere Person produziert, sei es in der Selbststimulation durch dingliche Zeichen (z.B. Abakus), durch Lautzeichen (beim egozentrischen Sprechen, siehe unten) oder beim inne-ren Sprechen.

Im Dokument Materialistische Sprachtheorie (Seite 110-113)