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Kibirovs Ansatzpunkte

Im Dokument 33 3 (Seite 92-96)

2.3. KIBIROV UND DIE KONZEPTUALISTEN

2.3.4. Kibirovs Ansatzpunkte

Explizite Aussagen Kibirovs über den Konzeptualismus bzw. über die künstleri-schen Prinzipien von Prigov und Rubinštejn finden sich in den zahlreichen über die Jahre entstandenen Interviews. Die ersten stammen allerdings erst aus den 1990ern. Kibirovs Frühphase, die – so ist anzunehmen – am stärksten beein-flusst wurde, wird also aus der Retrospektive und zu einem Zeitpunkt themati-siert, an dem das eigene Schaffen eine andere Richtung eingeschlagen hat.

Es fällt auf, dass Kibirov insgesamt nur wenige der Aspekte, die im obigen Abriss aufgetaucht sind, anspricht. Die Konzeptkunst und die international prä-genden Ideen von Kosuth, LeWitt etc. – die Infragestellung der Bedingungen von Kunst als zentrale Aufgabe, die Irrelevanz des Objekts gegenüber der Idee,

295 Словарь терминов московской концептуальной школы [Ad marginem], 193.

296 Ebd., 93.

297 So zumindest in dem öffentlichen Vortrag Пригов, Д. А.: Культура: зоны выживания.

Лекция. // Полит.ру 10.05.2007, http://www.polit.ru/lectures/2007/05/10/zony.html.

298 Рубинштенй, Лев : «Отпечатки», выпуск 4, №8.

76 2. GRUNDLAGEN

Ähnlich wie bei den westlichen Konzeptkünstlern wird dem eigentlichen Pro-dukt eine marginale Rolle zugewiesen. Prigov nennt seine Texte sogar „Ge-dichtimitationen“288 und überhaupt sei ihm unverständlich, warum irgendjemand sich für diese Texte interessiere.289 Die „Pseudogedichte“ scheinen nicht mehr als das Feld zu sein, auf dem Sprachen aufeinanderprallen, Autormanifestatio-nen Gestalt annehmen sowie weitere theoretische Zielsetzungen verfolgt wer-den. Prigovs Gedichte entstanden in routinierter Massenproduktion (ein bis zwei Texte täglich) und mit kontinuierlich steigenden fünfstelligen Zielwerten.290 Die Frage nach der literarischen Qualität des Einzeltextes wurde durch die schiere Quantität ad absurdum geführt.291

Prigovs Einträge im Wörterbuch der konzeptualistischen Schule ähneln The-sen der conceptual art: Die ästhetische Wertung sei durch rituelle, inflationär zu gebrauchende Formeln (Eintrag: это что-то неземное) zu ersetzen.292 Texte entstünden nicht durch Inspiration, sondern durch routinierte Produktion (Ein-trag: спасительная рутина).293 Man könne jedes beliebige Objekt in Kunst / Literatur transformieren (Eintrag: назначающий жест).294 Was das Wesen der Kunst nicht hinterfrage, sei „Kunsthandwerk“ (Eintrag: художественный

про-зрителем. Термин введен С. Гундлахом в 1983 г. […]. Концепция разработана И. Каба-ковым.“ Details: Rutz, Marion: D. A. Prigov Playing the Literary Critic: “Chto by ia pozhelal uznatʼ o russkoj poėzii, budʼ ia iaponskim studentom” and Other Statements. In: Janecek, Gerald (ed.): Janecek, Gerald (ed.): Staging the Image: Dmitry Prigov as Artist and Writer.

Bloomington (IN), Slavica 2018 [im Druck].

287 Бавильский, Д. М.: Моя модель непрерывное мерцание…, 48 bzw.

http://www.topos.ru/article/4760:

– А есть у вас такой персонаж Пригов Дмитрий Александрович?

Ну, только он и есть. Персонаж Пригов Дмитрий Александрович участвует в социальной жизни, во всяких культурных акциях, в интервью, например.

288 Зорин, Андрей: Пригов как Пушкин, 121:

А. З. Вы считаете, что ваши стихи неперсональны?

Д. А. П. Я считаю, что они не то что неперсональны, они – имитация стихов.

289 Зорин, Андрей: Пригов как Пушкин, 118.

290 Die höchste Schätzung geht von 36 000 Gedichten aus: Смирнов, И. П.: Быт и бытие в стихотворениях Д. А. Пригова. // Неканонический классик. Дмитрий Александрович Пригов (1940–2007), 96–105. 97. (Smirnov verweist auf ein Interview Prigovs mit Erich Klein, nennt jedoch keine genaue Quelle).

291 Speziell hierzu Tchouboukov-Pianca, Florence: Die Konzeptualisierung der Graphomanie in der russischsprachigen postmodernen Literatur. München: Otto Sagner 1995.

292 Словарь терминов московской концептуальной школы [Ad marginem], 192–194 (до-полнительный словарь д. пригова). 194.

293 Ebd., 193.

294 Ebd., 192.

2.3. Kibirov und die Konzeptualisten 77 мысел).295 Und wer nicht über die eigene Situation und die dominierenden Mo-den seiner Zeit reflektiere, heißt es im allgemeinen Wörterbuchteil, sei

„unzurechnungsfähig“ (Eintrag: художественная невменяемость).296 Schließ-lich wird in Prigovs theoretischer Gesamtkonzeption Literatur und Dichtung ei-ne marginale Rolle zugewiesen. In ihrer Textfixierung seien sie archaisch, als Leitmedium gilt die zeitgenössische Kunst, in der die aktuellsten und innova-tivsten Ideen generiert würden.297

Abb. 8: D. A. Prigov, Lev Rubinštejn und Timur Kibirov (Ende 1980er / Anfang 1990er)298

2.3.4. Kibirovs Ansatzpunkte

Explizite Aussagen Kibirovs über den Konzeptualismus bzw. über die künstleri-schen Prinzipien von Prigov und Rubinštejn finden sich in den zahlreichen über die Jahre entstandenen Interviews. Die ersten stammen allerdings erst aus den 1990ern. Kibirovs Frühphase, die – so ist anzunehmen – am stärksten beein-flusst wurde, wird also aus der Retrospektive und zu einem Zeitpunkt themati-siert, an dem das eigene Schaffen eine andere Richtung eingeschlagen hat.

Es fällt auf, dass Kibirov insgesamt nur wenige der Aspekte, die im obigen Abriss aufgetaucht sind, anspricht. Die Konzeptkunst und die international prä-genden Ideen von Kosuth, LeWitt etc. – die Infragestellung der Bedingungen von Kunst als zentrale Aufgabe, die Irrelevanz des Objekts gegenüber der Idee,

295 Словарь терминов московской концептуальной школы [Ad marginem], 193.

296 Ebd., 93.

297 So zumindest in dem öffentlichen Vortrag Пригов, Д. А.: Культура: зоны выживания.

Лекция. // Полит.ру 10.05.2007, http://www.polit.ru/lectures/2007/05/10/zony.html.

298 Рубинштенй, Лев : «Отпечатки», выпуск 4, №8.

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die Absage an die emotionale Reaktion – interessieren nicht. Nicht thematisiert wird auch ein direkter Zusammenhang zwischen Konzeptualismus und Sowjet-kritik, wie ihn Ėpštejn postuliert; Abgrenzungen richten sich bei Kibirov immer allgemein gegen politische Inhalte bzw. gegen die staatsbürgerliche Literaturtra-dition. Insgesamt zeigen die Interviews eine Abneigung gegen theoretische Fra-gen, für die nach Meinung des Dichters Literaturwissenschaft und -kritik zuständig seien, an deren Stelle er eben nicht treten will (vgl. die Interviewaus-sage auf S. 62).

Analog zu Prigov und Rubinštejn nennt Kibirov das spezifische Verhältnis von Autor und Text als Charakteristikum des Konzeptualismus. So verneint er in einem Interview von 1993 die Aussage seines Gegenübers, dass es bei Nekrasov oder Rubinštejn keine Spuren des Autors mehr gebe. Bei letzterem sei seiner Meinung nach „Lyrizität“ vorhanden, wenn auch in einer reduzierten Form („эстетическое целомудрие и художественный аскетизм“). Am Ende der Passage kommt die Sprache allerdings auf Prigov, bei dem Kibirov ein völliges Wegfallen der „lyrischen“ Sphäre des Autors vermutet.299 Dabei sieht der Dich-ter Rubinštejns Reduktion und nicht Prigovs Elimination als Vorbild.

Konzeptualistisch-postmoderne Ideen wirken vielleicht fort, wenn Kibirov sich gegen die Vorstellung von einem Gedicht als einer authentischen, unvermit-telten Gefühlsäußerung des Autors ausspricht – obwohl eine solche Illusion in vielen seiner Texte erzeugt wird. Im Interview betont er die Gemachtheit des Textes und das Wissen um vorhandene Traditionslinien, was zum hohen Stel-lenwert der Intertextualität in den Texten passt:

Некоторые считают, что Тимур Кибиров – сплошная большая реми-нисценция на нашу поэзию, так сказать, на русский поэтический тезау-рус…

– Ну, это справедливо. Другое дело, что любой вменяемый300современный поэт, я подозреваю, вынужден занимать именно эту позицию. Такова куль-турная ситуация. Никакого непосредственного, спонтанного творчества, на мой взгляд, в нынешней ситуации не может быть. Просто понятно, что когда человек начинает писать четырехстопным ямбом, это не его сердце так поет, и он должен отдавать себе отчет, сколько стоит за этим четырех-стопным ямбом. Человек, это не учитывающий, с неизбежностью окажется в смешном положении изобретателя велосипеда.301

Weiterhin finden sich Bezugnahmen auf Prigovs und Rubinštejns Vorstellungen von der Manipulation bestimmter „Sprachen“. Er ziele (so heißt es Mitte der

299 Панов, А.: Третий путь Т. Кибирова. // Независимая газета 21.12.1993. 7.

300 Unter den Termini, die das Wörterbuch des Moskauer Konzeptualismus Prigov zuweist, gibt es den Eintrag „художественная невменяемость“, vgl. oben, Seite 77. Es könnte sich also um einen von Prigov übernommenen Begriff handeln

301 Натолока, Оксана: Тимур Кибиров без фиговых листочков и вне тусовок. // ЛГ 27.11.1996. 5.

2.4. Kapitelresümee 79

90er) allerdings eben nicht darauf, ihren „ideologischen“, nach Totalität stre-benden Charakter aufzudecken. Der Dichter spricht stattdessen von dem inneren Wahrheitsgehalt der Sprachen, will ihre Echtheit und Aufrichtigkeit nachfühlbar machen. Hierdurch grenzt er sich explizit von Prigov ab, wie er 1995 in anekdo-tischer Form erzählt:

Надо сказать, когда мы познакомились, в первом же разговоре Дмитрий Александрович сделал примерно следующее заявление: классическое искус-ство имело в виду наличие некоего «истинного» языка культуры; он же – Пригов – полагает, что никаких истинных языков не существует: сегодня ак-туален один, завтра другой… Я тогда понял, что для художников моего типа это – приговор, и не знал, что возразить.

– А теперь – знаете?

– Теперь… Если для Пригова не существует истинных языков культуры, то для меня все языки – истинные. Кажется, что это одно и то же, но… Пригов с ними играет, уверенный, что он – «над», что он – демиург, режиссер, пове-левающий своими актерами-языками. Я же смиренно прошу у них у всех помощи. Может быть, и правда, что в конечном счете все дело в гордыне и смирении.302

Trotz des demonstrierten Desinteresses an Fragen der theoretischen Klassifizie-rung und kritischen Bezugnahmen auf Prigov sind die Konzeptualisten für Kibirov als ästhetische Richtschnur und Herausforderung präsent. So bezeichnet er Prigov (und Sorokin) in einem Interview von 2001 etwa als Impulsgeber für eine Erneuerung der russischen Literatur.303 Dabei finden sich allerdings auch charakteristische Warnungen: Ein endgültiger Sieg der konzeptualistischen In-fragestellung bedeute den Untergang der Literatur.304

2.4. KAPITELRESÜMEE

Kapitel 2 hat als Grundlagenkapitel in mehrerer Hinsicht Weichen für die fol-genden analytischen Kapitel gestellt. Es informierte über die Editionssituation von Kibirovs Werk, diskutierte zentrale („kanonische“) Ausgaben, alternative

302 Рассказова, Татьяна: Тимур Кибиров – Только и делаю, что потакаю своим слабо-стям; ähnlich: Сеславина, Елена: Тимур Кибиров – «Взял барашек карандашик…». //

Известия 14.10.1999. 10; oder aus dem Jahr 1993: Панов, А.: Третий путь Т. Кибирова.

303 [o.A.]: Интер(офф)вью 2: Тимур Кибиров: „Я уверен, что Пригов для поэзии россий-ской и Сорокин для прозы – это очень важный симптом. И очень жаль, что большин-ство людей этого не понимают – вот уже несколько десятилетий не понимают, что происходит. А явление Пригова и Сорокина – блистательное, на мой взгляд – свиде-тельствует, что традиционная литература или умрет, что мне было бы чрезвычайно пе-чально, или найдет в себе силы преодолеть устаревшие задачи и цели.“

304 So auch 1995 im Interview Рассказова, Татьяна: Тимур Кибиров – Только и делаю, что потакаю своим слабостям: „Но в них [Prigovs Dichtung und Sorokins Prosa; M.R.] есть некий фермент, смертельно опасный для литературы в классическом понимании, и, если они победят, эта литература исчезнет.“

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die Absage an die emotionale Reaktion – interessieren nicht. Nicht thematisiert wird auch ein direkter Zusammenhang zwischen Konzeptualismus und Sowjet-kritik, wie ihn Ėpštejn postuliert; Abgrenzungen richten sich bei Kibirov immer allgemein gegen politische Inhalte bzw. gegen die staatsbürgerliche Literaturtra-dition. Insgesamt zeigen die Interviews eine Abneigung gegen theoretische Fra-gen, für die nach Meinung des Dichters Literaturwissenschaft und -kritik zuständig seien, an deren Stelle er eben nicht treten will (vgl. die Interviewaus-sage auf S. 62).

Analog zu Prigov und Rubinštejn nennt Kibirov das spezifische Verhältnis von Autor und Text als Charakteristikum des Konzeptualismus. So verneint er in einem Interview von 1993 die Aussage seines Gegenübers, dass es bei Nekrasov oder Rubinštejn keine Spuren des Autors mehr gebe. Bei letzterem sei seiner Meinung nach „Lyrizität“ vorhanden, wenn auch in einer reduzierten Form („эстетическое целомудрие и художественный аскетизм“). Am Ende der Passage kommt die Sprache allerdings auf Prigov, bei dem Kibirov ein völliges Wegfallen der „lyrischen“ Sphäre des Autors vermutet.299 Dabei sieht der Dich-ter Rubinštejns Reduktion und nicht Prigovs Elimination als Vorbild.

Konzeptualistisch-postmoderne Ideen wirken vielleicht fort, wenn Kibirov sich gegen die Vorstellung von einem Gedicht als einer authentischen, unvermit-telten Gefühlsäußerung des Autors ausspricht – obwohl eine solche Illusion in vielen seiner Texte erzeugt wird. Im Interview betont er die Gemachtheit des Textes und das Wissen um vorhandene Traditionslinien, was zum hohen Stel-lenwert der Intertextualität in den Texten passt:

– Некоторые считают, что Тимур Кибиров – сплошная большая реми-нисценция на нашу поэзию, так сказать, на русский поэтический тезау-рус…

– Ну, это справедливо. Другое дело, что любой вменяемый300современный поэт, я подозреваю, вынужден занимать именно эту позицию. Такова куль-турная ситуация. Никакого непосредственного, спонтанного творчества, на мой взгляд, в нынешней ситуации не может быть. Просто понятно, что когда человек начинает писать четырехстопным ямбом, это не его сердце так поет, и он должен отдавать себе отчет, сколько стоит за этим четырех-стопным ямбом. Человек, это не учитывающий, с неизбежностью окажется в смешном положении изобретателя велосипеда.301

Weiterhin finden sich Bezugnahmen auf Prigovs und Rubinštejns Vorstellungen von der Manipulation bestimmter „Sprachen“. Er ziele (so heißt es Mitte der

299 Панов, А.: Третий путь Т. Кибирова. // Независимая газета 21.12.1993. 7.

300 Unter den Termini, die das Wörterbuch des Moskauer Konzeptualismus Prigov zuweist, gibt es den Eintrag „художественная невменяемость“, vgl. oben, Seite 77. Es könnte sich also um einen von Prigov übernommenen Begriff handeln

301 Натолока, Оксана: Тимур Кибиров без фиговых листочков и вне тусовок. // ЛГ 27.11.1996. 5.

2.4. Kapitelresümee 79

90er) allerdings eben nicht darauf, ihren „ideologischen“, nach Totalität stre-benden Charakter aufzudecken. Der Dichter spricht stattdessen von dem inneren Wahrheitsgehalt der Sprachen, will ihre Echtheit und Aufrichtigkeit nachfühlbar machen. Hierdurch grenzt er sich explizit von Prigov ab, wie er 1995 in anekdo-tischer Form erzählt:

Надо сказать, когда мы познакомились, в первом же разговоре Дмитрий Александрович сделал примерно следующее заявление: классическое искус-ство имело в виду наличие некоего «истинного» языка культуры; он же – Пригов – полагает, что никаких истинных языков не существует: сегодня ак-туален один, завтра другой… Я тогда понял, что для художников моего типа это – приговор, и не знал, что возразить.

– А теперь – знаете?

– Теперь… Если для Пригова не существует истинных языков культуры, то для меня все языки – истинные. Кажется, что это одно и то же, но… Пригов с ними играет, уверенный, что он – «над», что он – демиург, режиссер, пове-левающий своими актерами-языками. Я же смиренно прошу у них у всех помощи. Может быть, и правда, что в конечном счете все дело в гордыне и смирении.302

Trotz des demonstrierten Desinteresses an Fragen der theoretischen Klassifizie-rung und kritischen Bezugnahmen auf Prigov sind die Konzeptualisten für Kibirov als ästhetische Richtschnur und Herausforderung präsent. So bezeichnet er Prigov (und Sorokin) in einem Interview von 2001 etwa als Impulsgeber für eine Erneuerung der russischen Literatur.303 Dabei finden sich allerdings auch charakteristische Warnungen: Ein endgültiger Sieg der konzeptualistischen In-fragestellung bedeute den Untergang der Literatur.304

2.4. KAPITELRESÜMEE

Kapitel 2 hat als Grundlagenkapitel in mehrerer Hinsicht Weichen für die fol-genden analytischen Kapitel gestellt. Es informierte über die Editionssituation von Kibirovs Werk, diskutierte zentrale („kanonische“) Ausgaben, alternative

302Рассказова, Татьяна: Тимур Кибиров – Только и делаю, что потакаю своим слабо-стям; ähnlich: Сеславина, Елена: Тимур Кибиров – «Взял барашек карандашик…». //

Известия 14.10.1999. 10; oder aus dem Jahr 1993: Панов, А.: Третий путь Т. Кибирова.

303 [o.A.]: Интер(офф)вью 2: Тимур Кибиров: „Я уверен, что Пригов для поэзии россий-ской и Сорокин для прозы – это очень важный симптом. И очень жаль, что большин-ство людей этого не понимают – вот уже несколько десятилетий не понимают, что происходит. А явление Пригова и Сорокина – блистательное, на мой взгляд – свиде-тельствует, что традиционная литература или умрет, что мне было бы чрезвычайно пе-чально, или найдет в себе силы преодолеть устаревшие задачи и цели.“

304 So auch 1995 im Interview Рассказова, Татьяна: Тимур Кибиров – Только и делаю, что потакаю своим слабостям: „Но в них [Prigovs Dichtung und Sorokins Prosa; M.R.] есть некий фермент, смертельно опасный для литературы в классическом понимании, и, если они победят, эта литература исчезнет.“

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Publikationskontexte sowie auch aussortierte („apokryphe“) Texte. Dabei wur-den einige für das literarische Schaffen relevante Momente von Biographie und Rezeptionsgeschichte erwähnt (der Kontakt zu den Konzeptualisten sowie ande-ren Akteuande-ren des literarischen Untergrunds, der Übergang in die Öffentlichkeit, die Positionierung im normalisierten literarischen Feld). Im Ganzen genommen beinhaltet Kap. 2.1 ein Plädoyer für mehr textologische Genauigkeit und eine Erweiterung der Quellenbasis.

Kap. 2.2 legte eine systematische und genaue Gliederung des Werks vor, die sich an in den Texten gesetzten Schnitten orientiert. Auch für die nach 2000 ent-standen Texte, in denen vergleichbare Markierungen fehlen, wurde eine Unter-teilung vorgenommen. Diese Gliederung findet sich in der Struktur vorliegender Arbeit wieder: Kapitel 3 & 4 behandeln Schlüsseltexte der ersten Werkphase, Kapitel 5 & 6 decken die zweite, Kapitel 7 die dritte, Kapitel 8 die vierte Schaf-fensperiode ab.

Der umfangreiche Konzeptualismus-Teil (Kap. 2.3) dient als Ausgangspunkt für die Frage nach konzeptualistischen Bezugspunkten im Schaffen Kibirovs.

Der theoretische Hintergrund wurde dabei anhand von Schlüsseltexten skizziert, die die Genese der conceptual art in den USA und die Entdeckung des eigenen Konzeptualismus in der Sowjetunion nachzeichnen. Mit Boris Grojs und Mi-chail Ėpštejn wurden zwei unterschiedliche Zugriffe auf den russischen Kon-zeptualismus vorgestellt, die breit rezipiert wurden und den wissenschaftlichen Diskurs prägen. Kibirov selbst orientierte sich jedoch primär an Dmitrij A. Pri-gov und Lev Rubinštejn, die eine Art Lehrer-Rolle spielten und in Auseinander-setzung mit denen das eigene Schaffen Konturen gewann. Ein zentraler Aspekt, bei dem Kibirov auf die Konzeptualisten verweist, ist das Verhältnis von Autor und Text im Sinne einer Reduzierung bzw. Problematisierung des persönlichen („lyrischen“) Moments. Ein Nachhall von Prigovs Manipulationen und Wech-seln der Autor-Images findet sich in Kommentaren zur nur scheinbaren Authen-tizität lyrischer Dichtung. Als Unterschied nennt Kibirov in Interviews, dass zwar auch er bestimmte Sprachen (d. h. Diskurse) abbilde und kollidieren lasse, das Moment der kritischen Dekonstruktion jedoch zurücktrete. In den Text-analysen wird sich später auch zeigen, dass die emotionale Einwirkung auf den Rezipienten – die schon Kosuth und LeWitt ausschalten wollten – gegenläufig zu einem wichtigen Ziel des eigenen Schaffens wird. (Kibirov fügt sich hier in den von Rutten untersuchten Trend der „Neuen Aufrichtigkeit“ / New Sincerity / новая искренность] ein). Schließlich fehlt bei Kibirov insgesamt der Wunsch, die Grenzen des für Prigov „archaischen“ Systems Literatur zu verlassen. An-ders als der Universalkünstler „DAP“, der vom Roman bis zum Balletttanz alle Gattungen und Künste ausprobierte, will Kibirov ein „traditioneller Dichter“

sein und bewegt sich im Rahmen des Literarischen. Kosuths Modell des Künst-lers-und-Anthropologen passt für ihn nicht, aber man könnte ihn vielleicht einen Dichter-und-Literaturhistoriker nennen, der das Erbe bewahren, tradierte Prakti-ken pflegen und ihnen durch die Aktualisierung eine Zukunft sichern will.

Im Dokument 33 3 (Seite 92-96)