• Keine Ergebnisse gefunden

GLIEDERUNG IN SCHAFFENSPERIODEN

Im Dokument 33 3 (Seite 68-74)

183 So das Fazit aus dem persönlichen Gespräch am 13.05.2007 in Moskau, in dem insbeson-dere über Избранные послания und Стихи о любви. Альбом-портрет gesprochen wurde.

184 Einige dieser Illustrationen finden sich ebenfalls in dem Kibirov gewidmeten Heft der Zeitschrift Literaturnoe obozrenie: ЛО (1998) 1.

185 Im persönlichen Gespräch am 13.05.2007 in Moskau.

186 Siehe Глушакова, Т. С.: Сборник Тимура Кибирова «Избранные послания» в социо-культурном контексте 1980-х – 1990-х годов.

2.2. Gliederung in Schaffensperioden 53 In den letzten Jahren sind meiner Einschätzung nach keine weiteren aus pro-duktionsästhetischer Perspektive interessanten Neuzusammenstellungen er-schienen.187 Erwähnenswert ist vielleicht der 2008 anlässlich der Verleihung des Poėzija-Preises erschienene Prachtband, der neben Gedichten Kommentare prominenter Persönlichkeiten zu Kibirov enthält.188

2.2. GLIEDERUNG IN SCHAFFENSPERIODEN

Für die Orientierung im Werk ist neben dem Wissen um den Umfang des über-haupt Publizierten und um nicht-kanonische Bereiche des Œuvres der Blick für die literarische Evolution zentral. Sie lässt sich durch die Unterteilung in Schaf-fensperioden erfassen und macht Veränderungen wie auch Konstanten im Werk sichtbar. Bislang liegen zwei Gliederungsversuche vor.

Ein erster Vorschlag stammt von Dmitrij Bagrecov. Bagrecov will sich ei-gentlich an biographischen und v. a. sozio-historischen Wegmarken orientie-ren189 und kommt 2005 zu folgendem Ergebnis:

Таких периодов, учитывая то обстоятельство, что поэт на данный момент жив и продолжает свои искания, предварительно можно выделить три: пер-вый относится к эпохе Перестройки и включает в себя восемь книг стихов, опубликованных в сборнике «Сантименты» (1994 г.). Это период с 1986 по 1991 год. Второй период, начало которого можно отнести к 1992 году, мы условно назовем пост-перестроечный. Он включает в себя одну книгу сти-хов «Парафразис» (1992–1996), которая представляет творческий отрезок длиной в пять лет и является переходной в формальном и содержательном

187 Puškinskij Fond brachte eine eklektische Kompilation heraus: Кибиров, Тимур: Внеклас-сное чтение. Избранные стихотворения. СПб.: Пушкинский фонд 2010. Кибиров, Тимур: Избранные стихотворения. М.: Эксмо 2011 führt Texte aus den Büchern Интим-ная лирика bis Шалтай-Болтай unter dem Titel Стихотворения конца века zusammen;

die Texte aus dem Buch Три поэмы sind hier alternativ in Три поэмы und Лирические ком-ментарии unterteilt. In Кибиров, Тимур: 3 книги. Киев: Laurus 2014 fehlt im Buch Три поэмы der Teil mit den lyrischen Kommentaren. Beides weist darauf hin, dass in dem Vremja-Buch Три поэмы zwei separate Werke zusammengeführt wurden.

188 Кибиров, Тимур: Четырнадцать стихотворений. [В честь присуждения Российской национальной премии «Поэт».] М.: Время 2008. Die Kommentare finden sich ebenfalls auf der Verlagshomepage: [o. A.]: Тимур Кибиров. // Издательство «Время», http://books.vremya.ru/index.php?newsid=437. Der Auswahlband Кибиров, Тимур:

Избранные поэмы. СПб.: Лениздат 2013 wurde offenbar ebenfalls von dem den Preis aktuell finanzierenden Fonds initiiert. Unter dem Etikett ‚Poem‘ sind hier verschiedenste Gat-tungen subsumiert. Von Interesse ist insbesondere das Vorwort des Autors (7–9) – ein Aus-schnitt wurde in Kap. 1.2, S. 22 zitiert.

189Багрецов, Д. Н.: Тимур Кибиров. Интертекст и творческая индивидуальность, 26:

„Нам представляется логичным разделить творчество Т. Кибирова на периоды не толь-ко по хронологии событий личной биографии поэта, но и в соответствии с этапами раз-вития социологической ситуации в России.“

52 2. GRUNDLAGEN

2.1.5. Sonderausgaben

Parallel zu den in regelmäßigen Abständen von meist 1–2 Jahren erscheinenden Gedichtbänden gibt es einige Sonderausgaben. Die Mitwirkung des Autors bei diesen sekundären Verwertungen ist wohl eher gering zu veranschlagen. Ähn-lich wie die schon erwähnten Buchpublikationen aus der ersten Hälfte der 1990er sind einige von ihnen aufgrund alternativer Textarrangements oder der graphischen Gestaltung und des Buchdesigns einer näheren Betrachtung wert.

Die kreative Arbeit des Re-Arrangements wurde jedoch primär von Verlagsseite bzw. den jeweiligen Buchdesignern geleistet und nicht vom Dichter.183

So füllte der St. Petersburger Verlag Izdatelʼstvo Ivana Limbacha 1995 eine editorische Lücke und brachte den Zyklus Когда был Ленин маленьким aus dem (damals noch unpublizierten) Buch Общие места heraus. Graphisch ge-staltet wurde der Band von Aleksandr Florenskij, einem Mitglied der Petersbur-ger Künstler- und Literatengruppe Mitʼki, der den Text mit Lenin-Fotografien, Abbildungen von Museumsexponaten und Realien ausstattete. Florenskij gestal-tete ebenfalls die 1998 publizierte Geschenkausgabe Памяти Державина. Den Hauptteil dieses Werkquerschnitts stellen Texte aus dem Buch Парафразис, aus dem auch der namensgebende Zyklus Памяти Державина stammt.184 Auf-merksamkeit verdient insbesondere die graphische Interpretation des Verhältnis-ses Kibirov-Deržavin (siehe Kap. 6.2). Die Zusammenarbeit mit Florenskij fand in der Gestaltung des Covers für den Band Греко- и римско-кафолические песенки и потешки (publ. 2009) eine Fortsetzung (Kap. 8.5.3).

Eine aufgrund der Neuzusammenstellung von Texten interessante Ausgabe ist Избранные послания, 1998 ebenfalls bei Ivan Limbach in St. Petersburg erschienen. Das Design erinnert an die beim gleichen Verlag publizierten Bücher Регулярное письмо (1996) von Lev Rubinštejn und Советские тексты (1997) von Dmitrij A. Prigov – die Reihe mit Autoren des underground wurde später fortgesetzt. Kibirovs Texte werden durch den Titel der Gattung ‚Epistel/Versbrief‘ zugewiesen. Obwohl der Dichter selbst von einer eher zufälligen Zusammenführung vorhandener Werke zu einem neuen Ganzen spricht,185 ist es produktiv, die Texte in dem hier konstituierten Zusammenhang zu untersuchen.186

183 So das Fazit aus dem persönlichen Gespräch am 13.05.2007 in Moskau, in dem insbeson-dere über Избранные послания und Стихи о любви. Альбом-портрет gesprochen wurde.

184 Einige dieser Illustrationen finden sich ebenfalls in dem Kibirov gewidmeten Heft der Zeitschrift Literaturnoe obozrenie: ЛО (1998) 1.

185 Im persönlichen Gespräch am 13.05.2007 in Moskau.

186 Siehe Глушакова, Т. С.: Сборник Тимура Кибирова «Избранные послания» в социо-культурном контексте 1980-х – 1990-х годов.

2.2. Gliederung in Schaffensperioden 53 In den letzten Jahren sind meiner Einschätzung nach keine weiteren aus pro-duktionsästhetischer Perspektive interessanten Neuzusammenstellungen er-schienen.187 Erwähnenswert ist vielleicht der 2008 anlässlich der Verleihung des Poėzija-Preises erschienene Prachtband, der neben Gedichten Kommentare prominenter Persönlichkeiten zu Kibirov enthält.188

2.2. GLIEDERUNG IN SCHAFFENSPERIODEN

Für die Orientierung im Werk ist neben dem Wissen um den Umfang des über-haupt Publizierten und um nicht-kanonische Bereiche des Œuvres der Blick für die literarische Evolution zentral. Sie lässt sich durch die Unterteilung in Schaf-fensperioden erfassen und macht Veränderungen wie auch Konstanten im Werk sichtbar. Bislang liegen zwei Gliederungsversuche vor.

Ein erster Vorschlag stammt von Dmitrij Bagrecov. Bagrecov will sich ei-gentlich an biographischen und v. a. sozio-historischen Wegmarken orientie-ren189 und kommt 2005 zu folgendem Ergebnis:

Таких периодов, учитывая то обстоятельство, что поэт на данный момент жив и продолжает свои искания, предварительно можно выделить три: пер-вый относится к эпохе Перестройки и включает в себя восемь книг стихов, опубликованных в сборнике «Сантименты» (1994 г.). Это период с 1986 по 1991 год. Второй период, начало которого можно отнести к 1992 году, мы условно назовем пост-перестроечный. Он включает в себя одну книгу сти-хов «Парафразис» (1992–1996), которая представляет творческий отрезок длиной в пять лет и является переходной в формальном и содержательном

187 Puškinskij Fond brachte eine eklektische Kompilation heraus: Кибиров, Тимур: Внеклас-сное чтение. Избранные стихотворения. СПб.: Пушкинский фонд 2010. Кибиров, Тимур: Избранные стихотворения. М.: Эксмо 2011 führt Texte aus den Büchern Интим-ная лирика bis Шалтай-Болтай unter dem Titel Стихотворения конца века zusammen;

die Texte aus dem Buch Три поэмы sind hier alternativ in Три поэмы und Лирические ком-ментарии unterteilt. In Кибиров, Тимур: 3 книги. Киев: Laurus 2014 fehlt im Buch Три поэмы der Teil mit den lyrischen Kommentaren. Beides weist darauf hin, dass in dem Vremja-Buch Три поэмы zwei separate Werke zusammengeführt wurden.

188Кибиров, Тимур: Четырнадцать стихотворений. [В честь присуждения Российской национальной премии «Поэт».] М.: Время 2008. Die Kommentare finden sich ebenfalls auf der Verlagshomepage: [o. A.]: Тимур Кибиров. // Издательство «Время», http://books.vremya.ru/index.php?newsid=437. Der Auswahlband Кибиров, Тимур:

Избранные поэмы. СПб.: Лениздат 2013 wurde offenbar ebenfalls von dem den Preis aktuell finanzierenden Fonds initiiert. Unter dem Etikett ‚Poem‘ sind hier verschiedenste Gat-tungen subsumiert. Von Interesse ist insbesondere das Vorwort des Autors (7–9) – ein Aus-schnitt wurde in Kap. 1.2, S. 22 zitiert.

189 Багрецов, Д. Н.: Тимур Кибиров. Интертекст и творческая индивидуальность, 26:

„Нам представляется логичным разделить творчество Т. Кибирова на периоды не толь-ко по хронологии событий личной биографии поэта, но и в соответствии с этапами раз-вития социологической ситуации в России.“

54 2. GRUNDLAGEN

отношении. Наконец, третий период, современный, включает в себя пять книг стихов, от «Интимной лирики» (1997–1998 гг.) до книги «Шалтай-Болтай» (2002 г.), опубликованных в итоговом на сегодняшний день сбор-нике поэта «Стихи» (2005 г.).190

Das angeführte Zitat lässt allerdings erkennen, dass die angegebenen Zeiträume sich an dem Erscheinen bestimmter Sammelbände und Bücher ausrichten. Je-doch müssen Schaffensperioden nicht mit äußeren Daten, weder historischen Umbrüchen noch publikationstechnisch bedingten Marken, übereinstimmen.

Tatsächlich sind im Sammelband Сантименты. Восемь книг sehr unterschied-liche Bücher vereint, während andererseits zwischen den hier inkorporierten Bü-chern Стихи о любви, Послание Ленке и другие сочинения und dem von Bagrecov als zweite Periode gerechneten Band Парафразис unbestreitbare Ähnlichkeiten bestehen.

Eine schlüssigere Unterteilung des Œuvres findet sich in einem von Andrej Nemzer und Mark Lipovetsky für ein englischsprachiges Nachschlagewerk ver-fassten Artikel. Hier werden ebenfalls drei Perioden unterschieden, jedoch aus-gehend vom Werk, weswegen der erste Schnitt früher gesetzt wird. Die erste Periode sei von einer konzeptualistischen Poetik geprägt, die sich in dem Fehlen persönlicher Momente und dem Bruch mit poetischen Normen zeige.191 Die zweite, welche die Verfasser auf 1993 datieren, bringt die Abwendung von poli-tisch-sozialen Themen:

At a moment when Kibirov’s published poems unexpectedly coincided with the free thinking that was typical of semiofficial perestroika and also with the permis-sible mockery of Communist dogmas […], the newly fashionable author of

“Lesnaia shkola,” the epistles to Rubinshtein and the artist Faibisovich, and the poem “Skvoz’ proshchal’nye slezy” (Through Tears of Farewell, 1994) […] exe-cuted a sudden change of course. Kibirovʼs “new” period began with a book bear-ing the demonstrative title Stikhi o liubvi (Poems about Love, 1993). It includes the even more demonstrative manifesto “Ot avtora” […].192

Zeitlich liegt diesem Einschnitt das Jahr 1993 zu Grunde, offenbar das Erschei-nungsdatum des Auswahlbandes Стихи о любви. Альбом-портрет. Allerdings findet sich das bei Nemzer und Lipovetskij erwähnte Manifest От автора, das den Bruch verkündet, nicht in dieser Zusammenstellung, sondern im gleichna-migen Einzelbuch Стихи о любви. Dieses wurde allerdings erst 1994 im Sam-melband Сантименты. Восемь книг publiziert bzw. schon 1992 in einer

190 Багрецов, Д. Н.: Тимур Кибиров. Интертекст и творческая индивидуальность, 26–27.

191 Lipovetsky, Mark; Nemzer, Andrei: Timur Iurʼevich Kibirov, 140.

192 Ebd., 142–143. Allerdings gehen die beiden davon aus, dass Kibirovs Texte nicht plötzlich unpolitisch geworden seien, sondern dass eine thematische Linie offengelegt werde, die der politisierten Leserschaft im Frühwerk entgangen sei (144).

2.2. Gliederung in Schaffensperioden 55 Zeitschrift.193 Als eigentliches Entstehungsdatum der zu Стихи о любви zu-sammengefassten Gedichte ist dabei in den verschiedenen Gesamtausgaben 1988 angegeben, womit die zweite Schaffensperiode schon fünf Jahre früher anzusetzen ist. Bei der Datierung von Сквозь прощальные слезы findet sich bei Nemzer und Lipoveckij ein ähnlicher Fehler.194 Ausschlaggebend für die Litera-turkritiker Nemzer und Lipoveckij waren offensichtlich (ungefähre) Erschei-nungsdaten, d. h. die Textrezeption, nicht die vom Autor vorgenommene Datierung der Werke und somit die eigentliche Textproduktion. Ungeachtet die-ser Ungereimtheiten sind Nemzers und Lipoveckijs Charakterisierungen der zweiten Werkphase zutreffend: Sie sei durch den Versuch geprägt, sich in den Härten der neuen Wirklichkeit zurechtzufinden und eine adäquate poetische Sprache zu entwickeln.195 Mit dem Buch Интимная лирика beginne in Kibirovs Schaffen die dritte Etappe, für die der Verlust des zuvor mühsam erar-beiteten Idylls, Einsamkeit und Unzufriedenheit charakteristisch seien, was in Verbindung mit einem realen Bruch des Dichters mit der Familie stehe.196

Während die bisherigen Gliederungsvorschläge den zweiten Schnitt dort set-zen, wo er auch in meiner Gliederung liegt, zeigen die Unterschiede und Un-stimmigkeiten in Bezug auf die erste poetische Wende die Notwendigkeit, eine alternative Herangehensweise zu wählen. Es ist produktiv, systematisch von den Einschnitten auszugehen, die im Werk selbst als solche gesetzt werden, diese anschließend zu überprüfen und ggf. zu verfeinern. Dabei sollten sich Jahresan-gaben nach den vom Autor notierten Produktionsdaten richten – oder konse-quent bei der Rezeption ansetzen.

Auch wenn das Erscheinen eines Sammelbandes nicht per se als Beweis für einen Wendepunkt im Werk gelten kann, liefern die im Verlag Vremja erschie-nenen Gesamtausgaben zusätzliche Indizien, die die von mir vorgeschlagene Einteilung stützen: «Кто куда, а я в Россию…» (2001) beginnt mit dem Buch Сквозь прощальные слезы (datiert auf 1987). Стихи (2005) verschiebt die Grenze und beginnt mit Стихи о любви (1988) – ebenso die dritte Edition Стихи о любви (2009). In Стихи, das konzeptuell einer Gesamtausgabe des zu diesem Zeitpunkt erschienenen Werks am nächsten kommt, sind die früheren

193Кибиров, Тимур: Сантименты. Восемь книг. Белгород: Риск 1994. 207–209 sowie Вестник новой литературы (1992) 4. 69–76. 69–71. Das Vorwort fehlt in den drei Vremja-Sammelbänden.

194 1994 bezieht sich auf Erscheinungsdatum der Sammelausgabe Сантименты. Восемь книг. Allerdings wurde Сквозь прощальные слезы schon früher im Tamizdat gedruckt:

Время и мы (1988) 100. 129–148. In sowjetischen Periodika erschienen seit 1988 Ausschnit-te. Die kanonischen Ausgaben datieren das Werk auf 1987.

195 Lipovetsky, Mark; Nemzer, Andrei: Timur Iurʼevich Kibirov, 144.

196 Lipovetsky, Mark; Nemzer, Andrei: Timur Iurʼevich Kibirov, 145. M

54 2. GRUNDLAGEN

отношении. Наконец, третий период, современный, включает в себя пять книг стихов, от «Интимной лирики» (1997–1998 гг.) до книги «Шалтай-Болтай» (2002 г.), опубликованных в итоговом на сегодняшний день сбор-нике поэта «Стихи» (2005 г.).190

Das angeführte Zitat lässt allerdings erkennen, dass die angegebenen Zeiträume sich an dem Erscheinen bestimmter Sammelbände und Bücher ausrichten. Je-doch müssen Schaffensperioden nicht mit äußeren Daten, weder historischen Umbrüchen noch publikationstechnisch bedingten Marken, übereinstimmen.

Tatsächlich sind im Sammelband Сантименты. Восемь книг sehr unterschied-liche Bücher vereint, während andererseits zwischen den hier inkorporierten Bü-chern Стихи о любви, Послание Ленке и другие сочинения und dem von Bagrecov als zweite Periode gerechneten Band Парафразис unbestreitbare Ähnlichkeiten bestehen.

Eine schlüssigere Unterteilung des Œuvres findet sich in einem von Andrej Nemzer und Mark Lipovetsky für ein englischsprachiges Nachschlagewerk ver-fassten Artikel. Hier werden ebenfalls drei Perioden unterschieden, jedoch aus-gehend vom Werk, weswegen der erste Schnitt früher gesetzt wird. Die erste Periode sei von einer konzeptualistischen Poetik geprägt, die sich in dem Fehlen persönlicher Momente und dem Bruch mit poetischen Normen zeige.191 Die zweite, welche die Verfasser auf 1993 datieren, bringt die Abwendung von poli-tisch-sozialen Themen:

At a moment when Kibirov’s published poems unexpectedly coincided with the free thinking that was typical of semiofficial perestroika and also with the permis-sible mockery of Communist dogmas […], the newly fashionable author of

“Lesnaia shkola,” the epistles to Rubinshtein and the artist Faibisovich, and the poem “Skvoz’ proshchal’nye slezy” (Through Tears of Farewell, 1994) […] exe-cuted a sudden change of course. Kibirovʼs “new” period began with a book bear-ing the demonstrative title Stikhi o liubvi (Poems about Love, 1993). It includes the even more demonstrative manifesto “Ot avtora” […].192

Zeitlich liegt diesem Einschnitt das Jahr 1993 zu Grunde, offenbar das Erschei-nungsdatum des Auswahlbandes Стихи о любви. Альбом-портрет. Allerdings findet sich das bei Nemzer und Lipovetskij erwähnte Manifest От автора, das den Bruch verkündet, nicht in dieser Zusammenstellung, sondern im gleichna-migen Einzelbuch Стихи о любви. Dieses wurde allerdings erst 1994 im Sam-melband Сантименты. Восемь книг publiziert bzw. schon 1992 in einer

190 Багрецов, Д. Н.: Тимур Кибиров. Интертекст и творческая индивидуальность, 26–27.

191 Lipovetsky, Mark; Nemzer, Andrei: Timur Iurʼevich Kibirov, 140.

192 Ebd., 142–143. Allerdings gehen die beiden davon aus, dass Kibirovs Texte nicht plötzlich unpolitisch geworden seien, sondern dass eine thematische Linie offengelegt werde, die der politisierten Leserschaft im Frühwerk entgangen sei (144).

2.2. Gliederung in Schaffensperioden 55 Zeitschrift.193 Als eigentliches Entstehungsdatum der zu Стихи о любви zu-sammengefassten Gedichte ist dabei in den verschiedenen Gesamtausgaben 1988 angegeben, womit die zweite Schaffensperiode schon fünf Jahre früher anzusetzen ist. Bei der Datierung von Сквозь прощальные слезы findet sich bei Nemzer und Lipoveckij ein ähnlicher Fehler.194 Ausschlaggebend für die Litera-turkritiker Nemzer und Lipoveckij waren offensichtlich (ungefähre) Erschei-nungsdaten, d. h. die Textrezeption, nicht die vom Autor vorgenommene Datierung der Werke und somit die eigentliche Textproduktion. Ungeachtet die-ser Ungereimtheiten sind Nemzers und Lipoveckijs Charakterisierungen der zweiten Werkphase zutreffend: Sie sei durch den Versuch geprägt, sich in den Härten der neuen Wirklichkeit zurechtzufinden und eine adäquate poetische Sprache zu entwickeln.195 Mit dem Buch Интимная лирика beginne in Kibirovs Schaffen die dritte Etappe, für die der Verlust des zuvor mühsam erar-beiteten Idylls, Einsamkeit und Unzufriedenheit charakteristisch seien, was in Verbindung mit einem realen Bruch des Dichters mit der Familie stehe.196

Während die bisherigen Gliederungsvorschläge den zweiten Schnitt dort set-zen, wo er auch in meiner Gliederung liegt, zeigen die Unterschiede und Un-stimmigkeiten in Bezug auf die erste poetische Wende die Notwendigkeit, eine alternative Herangehensweise zu wählen. Es ist produktiv, systematisch von den Einschnitten auszugehen, die im Werk selbst als solche gesetzt werden, diese anschließend zu überprüfen und ggf. zu verfeinern. Dabei sollten sich Jahresan-gaben nach den vom Autor notierten Produktionsdaten richten – oder konse-quent bei der Rezeption ansetzen.

Auch wenn das Erscheinen eines Sammelbandes nicht per se als Beweis für einen Wendepunkt im Werk gelten kann, liefern die im Verlag Vremja erschie-nenen Gesamtausgaben zusätzliche Indizien, die die von mir vorgeschlagene Einteilung stützen: «Кто куда, а я в Россию…» (2001) beginnt mit dem Buch Сквозь прощальные слезы (datiert auf 1987). Стихи (2005) verschiebt die Grenze und beginnt mit Стихи о любви (1988) – ebenso die dritte Edition Стихи о любви (2009). In Стихи, das konzeptuell einer Gesamtausgabe des zu diesem Zeitpunkt erschienenen Werks am nächsten kommt, sind die früheren

193 Кибиров, Тимур: Сантименты. Восемь книг. Белгород: Риск 1994. 207–209 sowie Вестник новой литературы (1992) 4. 69–76. 69–71. Das Vorwort fehlt in den drei Vremja-Sammelbänden.

194 1994 bezieht sich auf Erscheinungsdatum der Sammelausgabe Сантименты. Восемь книг. Allerdings wurde Сквозь прощальные слезы schon früher im Tamizdat gedruckt:

Время и мы (1988) 100. 129–148. In sowjetischen Periodika erschienen seit 1988 Ausschnit-te. Die kanonischen Ausgaben datieren das Werk auf 1987.

195 Lipovetsky, Mark; Nemzer, Andrei: Timur Iurʼevich Kibirov, 144.

196 Lipovetsky, Mark; Nemzer, Andrei: Timur Iurʼevich Kibirov, 145. M

56 2. GRUNDLAGEN

Bücher dabei als zweiter (nicht mehr aktueller, fakultativer) Teil nachgestellt, wie das Vorwort des Autors erläutert:

от автора

Книга разделена мною на две неравноценные части. В первую вошли стихо-творения последних пятнадцати лет, которые, на мой взгляд, еще не утрати-ли своей актуальности, во второй, вопреки естественной хронологии, собраны сочинения семидесятых-восьмидесятых годов прошлого века, пред-ставляющие уже интерес исключительно исторический. Если читателю по-добный интерес чужд, он может спокойно ограничиться чтением первой части – для того, чтобы составить адекватное суждение о моих стихах, этих текстов вполне достаточно.197

Die Grenze zwischen erster und zweiter Werkphase ist allerdings wie in der fol-genden Gesamtausgabe von 2009 auf 1988 zu verschieben. Am Anfang des in diesem Jahr entstandenen Einzelbuch Стихи о любви ist das von Nemzer und Lipoveckij erwähnte, jedoch falsch zugeordnete Manifest От автора zu finden.

Es verkündet die Abkehr von der politisch-gesellschaftlich Thematik und einen Neubeginn.

Auch der zweite Einschnitt im Werk wird explizit kommentiert. Der Bruch wird im Vorwort zu Интимная лирика (entstanden 1997–1998, Vorwort datiert auf den 2. Juli 1998) erneut von der Instanz des Autors proklamiert:

Внимательный читатель заметит, а невнимательному я охотно подскажу сам, что большинство стихотворений, составивших эту книжку, резко отли-чаются от всего, что я публиковал до сих пор.198

Wie Andrej Nemzer bemerkt, gibt Kibirov selbst offenkundige Hinweise zur Periodisierung seines Werks.199 Allerdings ist man zumindest bei der Untertei-lung des Zeitraums zwischen 1997 und der Gegenwart auf die eigene Intuition angewiesen. Die Themen und v. a. die intertextuellen Bezüge beginnen sich mit dem Buch Шалтай-Болтай (2002) zu verschieben. Mit dem Folgeband Кара-барас (abgeschlossen 2005) treten thematisch Christentum und Apologien der Moral und, was die intertextuellen Bezüge betrifft, Kinderliteratur sowie engli-sche Referenzen in den Vordergrund. Zu dieser vierten Schaffensperiode gehören auch На полях «A Shropshire Lad» (online publ. 2006), Три поэмы (2006–2007) sowie Греко- и римско-кафолические песенки и потешки (abgeschlossen 2009).

197 Кибиров, Тимур: Стихи, 36 (Kursive von mir; M. R.).

198 Кибиров, Тимур: Интимная лирика. Новые стихотворения. СПб.: Пушкинский фонд 1998. 5–6. 5.

199 Немзер, Андрей: Читателям Тимура Кибирова, 7–8: „Совершая очередной поворот, Кибиров почти всегда прямо предлагал читателям настроиться на новую волну и «об-легчал жизнь» интерпретаторам, подкладывая удобную схему «периодизации творче-ского процесса.»“

2.2. Gliederung in Schaffensperioden 57 Das nächste Buch ist ein Roman Лада, или Радость. Das zwischen 2010 und 2013 entstandene und 2014 publizierte Buch См. выше beinhaltet – 5 Jahren nach Греко- и римско-кафолические песенки и потешки – allerdings wieder Gedichte. См. выше könnte an der Grenze zu einer neuen dichterischen Schaf-fensphase stehen, insbesondere da zum Teil weit zurückliegende Werkphasen weitergeführt bzw. wiederbelebt werden: Der erste Teil des Buches, Пейзаж-ная лирика, ruft die Natur- und Gedankenlyrik von Памяти Державина (Парафразис, 1992–1996) auf. Der zweite Zyklus, Что все это означает, führt die christliche Thematik der vierten Schaffensphase weiter, wendet sich aber auch – wie erwähnt – politischen Themen zu, was einen Bogen zu den sow-jetkritischen Texten der 1980er schlägt. Zu См. выше gehört weiterhin der als

„Zusammenfassung eines Puppentrickfilmszenarios“ bezeichnete Text Ночь пе-ред и после Рождества, der erneut über die Dichtung hinausgreift. Diese Ent-wicklung weg vom Gedicht setzt das folgende Buch Муздрамтеатр (publ.

2014) fort, das die Synthese der Künste noch weiter vorantreibt. Es scheint, dass die Gewichtung der verschiedenen Gattungen sich zu Ungunsten der Dichtung verlagert, die bisher dominierte.

Tabelle 3: Gliederung in Werkphasen und Übersicht über die Gliederung vorliegender Arbeit

Werkphase Kapitel Bücher (vgl. die Übersicht in Kap. 2.1.1)

I: 1979–1988 Kap. 3 Общие места (1979–1986); Лирико-дидактические поэмы (1986)

Kap. 4 Рождественская песнь квартиранта (1986); Сквозь

прощальные слезы (1987); Три послания (1987– 1988)

II: 1988–1996 Kap. 5 Стихи о любви (1988); Сантименты (1989)

Kap. 6 Послание Ленке и другие сочинения (1990);

Сортиры (1991); Парафразис (1992–1996) III: 1997–2000 Kap. 7 Интимная лирика (1997–1998); Улица

Островитя-нова (1999); Нотации (1999); Amour, exil… (1999); Юбилей лирического героя (2000)

IV: 2002–2009 Kap. 8

Шалтай-Болтай (2002); Кара-барас (2002–2005); На полях «A Shropshire Lad» [publ. 2007]; Три поэмы (2006–2007); Греко- и римско-кафолические песенки и потешки (1986–2009) V: 2010–? *Лада, или Радость [publ. 2010]; См. выше (2010–

2013); *Муздрамтеатр [publ. 2014]

56 2. GRUNDLAGEN

Bücher dabei als zweiter (nicht mehr aktueller, fakultativer) Teil nachgestellt, wie das Vorwort des Autors erläutert:

от автора

Книга разделена мною на две неравноценные части. В первую вошли стихо-творения последних пятнадцати лет, которые, на мой взгляд, еще не утрати-ли своей актуальности, во второй, вопреки естественной хронологии, собраны сочинения семидесятых-восьмидесятых годов прошлого века, пред-ставляющие уже интерес исключительно исторический. Если читателю по-добный интерес чужд, он может спокойно ограничиться чтением первой части – для того, чтобы составить адекватное суждение о моих стихах, этих текстов вполне достаточно.197

Die Grenze zwischen erster und zweiter Werkphase ist allerdings wie in der fol-genden Gesamtausgabe von 2009 auf 1988 zu verschieben. Am Anfang des in diesem Jahr entstandenen Einzelbuch Стихи о любви ist das von Nemzer und Lipoveckij erwähnte, jedoch falsch zugeordnete Manifest От автора zu finden.

Es verkündet die Abkehr von der politisch-gesellschaftlich Thematik und einen Neubeginn.

Auch der zweite Einschnitt im Werk wird explizit kommentiert. Der Bruch wird im Vorwort zu Интимная лирика (entstanden 1997–1998, Vorwort datiert auf den 2. Juli 1998) erneut von der Instanz des Autors proklamiert:

Внимательный читатель заметит, а невнимательному я охотно подскажу сам, что большинство стихотворений, составивших эту книжку, резко отли-чаются от всего, что я публиковал до сих пор.198

Wie Andrej Nemzer bemerkt, gibt Kibirov selbst offenkundige Hinweise zur Periodisierung seines Werks.199 Allerdings ist man zumindest bei der Untertei-lung des Zeitraums zwischen 1997 und der Gegenwart auf die eigene Intuition angewiesen. Die Themen und v. a. die intertextuellen Bezüge beginnen sich mit dem Buch Шалтай-Болтай (2002) zu verschieben. Mit dem Folgeband Кара-барас (abgeschlossen 2005) treten thematisch Christentum und Apologien der Moral und, was die intertextuellen Bezüge betrifft, Kinderliteratur sowie engli-sche Referenzen in den Vordergrund. Zu dieser vierten Schaffensperiode gehören auch На полях «A Shropshire Lad» (online publ. 2006), Три поэмы (2006–2007) sowie Греко- и римско-кафолические песенки и потешки (abgeschlossen 2009).

197 Кибиров, Тимур: Стихи, 36 (Kursive von mir; M. R.).

198 Кибиров, Тимур: Интимная лирика. Новые стихотворения. СПб.: Пушкинский фонд 1998. 5–6. 5.

199Немзер, Андрей: Читателям Тимура Кибирова, 7–8: „Совершая очередной поворот, Кибиров почти всегда прямо предлагал читателям настроиться на новую волну и «об-легчал жизнь» интерпретаторам, подкладывая удобную схему «периодизации творче-ского процесса.»“

2.2. Gliederung in Schaffensperioden 57 Das nächste Buch ist ein Roman Лада, или Радость. Das zwischen 2010 und 2013 entstandene und 2014 publizierte Buch См. выше beinhaltet – 5 Jahren nach Греко- и римско-кафолические песенки и потешки – allerdings wieder Gedichte. См. выше könnte an der Grenze zu einer neuen dichterischen Schaf-fensphase stehen, insbesondere da zum Teil weit zurückliegende Werkphasen weitergeführt bzw. wiederbelebt werden: Der erste Teil des Buches, Пейзаж-ная лирика, ruft die Natur- und Gedankenlyrik von Памяти Державина (Парафразис, 1992–1996) auf. Der zweite Zyklus, Что все это означает, führt die christliche Thematik der vierten Schaffensphase weiter, wendet sich aber auch – wie erwähnt – politischen Themen zu, was einen Bogen zu den sow-jetkritischen Texten der 1980er schlägt. Zu См. выше gehört weiterhin der als

„Zusammenfassung eines Puppentrickfilmszenarios“ bezeichnete Text Ночь пе-ред и после Рождества, der erneut über die Dichtung hinausgreift. Diese Ent-wicklung weg vom Gedicht setzt das folgende Buch Муздрамтеатр (publ.

2014) fort, das die Synthese der Künste noch weiter vorantreibt. Es scheint, dass die Gewichtung der verschiedenen Gattungen sich zu Ungunsten der Dichtung verlagert, die bisher dominierte.

Tabelle 3: Gliederung in Werkphasen und Übersicht über die Gliederung vorliegender Arbeit

Werkphase Kapitel Bücher (vgl. die Übersicht in Kap. 2.1.1)

I: 1979–1988 Kap. 3 Общие места (1979–1986); Лирико-дидактические поэмы (1986)

Kap. 4 Рождественская песнь квартиранта (1986); Сквозь

прощальные слезы (1987); Три послания (1987–

1988)

II: 1988–1996 Kap. 5 Стихи о любви (1988); Сантименты (1989)

Kap. 6 Послание Ленке и другие сочинения (1990);

Сортиры (1991); Парафразис (1992–1996) III: 1997–2000 Kap. 7 Интимная лирика (1997–1998); Улица

Островитя-нова (1999); Нотации (1999); Amour, exil… (1999);

Юбилей лирического героя (2000) IV: 2002–2009 Kap. 8

Шалтай-Болтай (2002); Кара-барас (2002–2005);

На полях «A Shropshire Lad» [publ. 2007]; Три поэмы (2006–2007); Греко- и римско-кафолические песенки и потешки (1986–2009) V: 2010–? *Лада, или Радость [publ. 2010]; См. выше (2010–

2013); *Муздрамтеатр [publ. 2014]

58 2. GRUNDLAGEN

Im Dokument 33 3 (Seite 68-74)