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Kanonische Ausgaben im Vergleich

Im Dokument 33 3 (Seite 52-62)

2.1. PUBLIKATIONSKONTEXTE UND -GESCHICHTE

2.1.1. Kanonische Ausgaben im Vergleich

Das Gesamtwerk wird aktuell durch drei umfangreiche, jedoch nicht vollständi-ge Ausgaben definiert, die 2001, 2005 und 2009 im Moskauer Verlag Vremja er-schienen sind und jeweils eine aktuelle Gesamtschau bieten. Schon 1994 wurde in Belgorod eine erste Ausgabe publiziert, die einen größeren Teil des damals vorhandenen Œuvres zusammenfasste. Wie diese Editionen erkennen lassen und der Dichter selbst geäußert hat,130 ist die kompositorische Grundeinheit seines

129 In vorliegender Arbeit werden die Gedichte – sofern keine Ausnahme vermerkt ist – nach der ersten gedruckten Ausgabe zitiert, in der das jeweilige Buch (die Grundeinheit von Kibirovs Schaffen) publiziert wurde. Für die Bücher bis inklusive Сортиры (1991) ist dies Кибиров, Тимур: Сантименты. Восемь книг. Белгород: Риск 1994; das hier fehlende erste Buch Общие места wird nach Кибиров, Тимур: Стихи. М.: Время 2005 zitiert. Die späte-ren Texte folgen den jeweils als separate Buchpublikation erschienenen Einzelausgaben.

130 Im persönlichen Gespräch am 13.05.2007 in Moskau: „Все те [книги; M. R.], которые дуступны в печати ... все это было написано и задумывалось как книжки. И моя мечта, что когда-нибудь, все-таки, чтобы переиздавалось не этим кирпичом [es ging um die Vremja-Ausgaben, M. R.], а чтоб был набор отдельных книжек ... Потому что, когда

2.1. Publikationskontexte und -geschichte 37 Schaffens das Buch. Es handelt sich um ‚Gedichtbände‘ im Sinne des russischen Terminus книга стихов, d. h. eine der Gattung übergeordnete „große“ Form, ein Textensemble von größerer Komplexität als ein Zyklus.131 Kibirovs kanonisches Werk umfasst Ende 2014 21 solcher Einzelbücher mit Gedichten oder Poemen (siehe Tabelle 1). Dazu kommen der Roman Лада, или Радость (publ. 2010) sowie das Buch Муздрамтеатр (publ. 2014) mit einem „Opernlibretto“, einem

„Ballettszenario“ sowie einem „Oratorium“ – alle drei zum Lesen bestimmt.132 Das Ende des eigentlichen Untersuchungszeitraums vorliegender Arbeit mar-kiert, wie erwähnt, der letzte vor dem Roman erschienene Gedichtband Греко- и римско-кафолические песенки и потешки (publ. 2009).

Schon im Vergleich der „Gesamt-“Ausgaben zeigen sich Unterschiede und aufschlussreiche Lücken – in den bei Vremja erschienenen Bänden werden näm-lich nicht nur die jeweils neusten Publikationen ergänzt, sondern auch Bücher weggelassen. Es handelt sich dabei nicht um ein automatisches Reduzieren – für ein neues fällt ein altes Buch weg –, sondern um konzeptuelle Entscheidungen.

In «Кто куда, а я в Россию…» (2001) sowie Стихи о любви (2009) wird bei-spielsweise das Frühwerk ausgeklammert, in dem die Auseinandersetzung mit der Sowjet-Thematik stattfindet. Die zeitgleich zum 50. Geburtstag des Dichters erschienene Edition Стихи (2005) enthält auch die ersten Bücher, sie werden allerdings als zweiter Teil hinter das aktuelle Werk gestellt, was der Autor kommentiert und damit sanktioniert (siehe unten). Insgesamt findet eine Verän-derung des Images statt, die vom Bild als Sowjetkritiker wegführt. Explizit wird dieser Image-Wandel im Fall des letzten Sammelbandes Стихи о любви, auf dessen Cover ein Ausschnitt aus dem einführenden Vorwort von Andrej Nemzer zu finden ist:

Суть поэзии Тимура Кибирова в том, что он всегда распознавал в окружаю-щей действительности «вечные образцы» и умел сделать их присутствие яв-ным и неоспоримым.133

Diese Kurzcharakteristik trifft auf die Dekonstruktionen sowjetischer Ideologe-me in den Texten der 1980er nur sehr bedingt zu.

кирпичом, все равно читается как большая книга, а не как набор маленьких книг. [...]

это искажает мой замысел.“

131 Auf diesen Terminus stieß ich nach Abschluss der Dissertation beim Rezensieren der kol-lektiven Monographie Барковская, Н. В.; Верина, У. Ю.; Гутрина, Л. Д.; Жибуль, В. Ю.:

Книга стихов как феномен культуры России и Беларуси. Екатеринбург: Кабинетный ученый 2016. U. a. 11, 22–23. Vgl. auch den entsprechenden Eintrag in Поэтика. Словарь актуальных терминов и понятий (M. N. Darvin, 96–97).

132 So die Genrebezeichnungen in Кибиров, Тимур: Муздрамтеатр. М.: Время 2014. 5–6. 5.

133 Немзер, Андрей: Читателям Тимура Кибирова. // Кибиров, Тимур: Стихи о любви.

М.: Время 2009. 5–10. 8.

36 2. GRUNDLAGEN

kürzt. Schließlich sind zahlreiche in den späten 1970er / frühen 1980er Jahren entstandene Gedichte nicht in die späteren Ausgaben eingegangen.

Zum anderen versetzen die „Gesamtausgaben“ Texte aus unterschiedlichen Jahren und Jahrzehnten in einen trügerischen synchronen Kontext. Obwohl sie die Entstehungsdaten der Bücher verzeichnen, gerät die chronologische Perspek-tive leicht aus dem Blick. Deutlich zeigt sich dies in Bagrecovs Dissertation, die häufig „querbeet“ durch verschiedene Schaffensphasen springt und Zitate nur durch den Verweis auf die Seiten der benutzten Gesamtausgabe verortet, so dass kaum nachzuvollziehen ist, aus welcher Zeit und welchem Werkkontext die Textbelege stammen. Durch die Berücksichtigung insbesondere der realen Erst-publikationen wird die Wahrnehmung der Evolution des Werks gestärkt, ob man sich auf die erschienenen Einzelbücher beschränkt oder auch Zeitschriften, Auswahlpublikationen, Anthologien und Internet-Präprints miteinbezieht.129

Darüber hinaus können sich aus der Aufmerksamkeit gegenüber verschiede-nen Publikationskontexten, insbesondere von eine bestimmte Auswahl liefern-den alternativen Textzusammenstellungen, innovative Fragestellungen ergeben.

Dies zeigen die im Forschungsüberblick (Kap. 1.1, S. 14) erwähnten Arbeiten von Tat’jana Glušakova oder Ellen Rutten, wobei letztere auch die graphisch-materielle Gestaltung der Bücher in die Analyse einbezieht. Schließlich ist die Berücksichtigung der realen Publikationskontexte gerade für das Frühwerk wichtig, bei dem die Daten der Niederschrift und der Veröffentlichung erheblich auseinanderklaffen. Reaktionen der Literaturkritik sind auf vor Jahren verfasste Texte gerichtet, während der Dichter längst ganz anders schreibt.

2.1.1. Kanonische Ausgaben im Vergleich

Das Gesamtwerk wird aktuell durch drei umfangreiche, jedoch nicht vollständi-ge Ausgaben definiert, die 2001, 2005 und 2009 im Moskauer Verlag Vremja er-schienen sind und jeweils eine aktuelle Gesamtschau bieten. Schon 1994 wurde in Belgorod eine erste Ausgabe publiziert, die einen größeren Teil des damals vorhandenen Œuvres zusammenfasste. Wie diese Editionen erkennen lassen und der Dichter selbst geäußert hat,130 ist die kompositorische Grundeinheit seines

129 In vorliegender Arbeit werden die Gedichte – sofern keine Ausnahme vermerkt ist – nach der ersten gedruckten Ausgabe zitiert, in der das jeweilige Buch (die Grundeinheit von Kibirovs Schaffen) publiziert wurde. Für die Bücher bis inklusive Сортиры (1991) ist dies Кибиров, Тимур: Сантименты. Восемь книг. Белгород: Риск 1994; das hier fehlende erste Buch Общие места wird nach Кибиров, Тимур: Стихи. М.: Время 2005 zitiert. Die späte-ren Texte folgen den jeweils als separate Buchpublikation erschienenen Einzelausgaben.

130 Im persönlichen Gespräch am 13.05.2007 in Moskau: „Все те [книги; M. R.], которые дуступны в печати ... все это было написано и задумывалось как книжки. И моя мечта, что когда-нибудь, все-таки, чтобы переиздавалось не этим кирпичом [es ging um die Vremja-Ausgaben, M. R.], а чтоб был набор отдельных книжек ... Потому что, когда

2.1. Publikationskontexte und -geschichte 37 Schaffens das Buch. Es handelt sich um ‚Gedichtbände‘ im Sinne des russischen Terminus книга стихов, d. h. eine der Gattung übergeordnete „große“ Form, ein Textensemble von größerer Komplexität als ein Zyklus.131 Kibirovs kanonisches Werk umfasst Ende 2014 21 solcher Einzelbücher mit Gedichten oder Poemen (siehe Tabelle 1). Dazu kommen der Roman Лада, или Радость (publ. 2010) sowie das Buch Муздрамтеатр (publ. 2014) mit einem „Opernlibretto“, einem

„Ballettszenario“ sowie einem „Oratorium“ – alle drei zum Lesen bestimmt.132 Das Ende des eigentlichen Untersuchungszeitraums vorliegender Arbeit mar-kiert, wie erwähnt, der letzte vor dem Roman erschienene Gedichtband Греко- и римско-кафолические песенки и потешки (publ. 2009).

Schon im Vergleich der „Gesamt-“Ausgaben zeigen sich Unterschiede und aufschlussreiche Lücken – in den bei Vremja erschienenen Bänden werden näm-lich nicht nur die jeweils neusten Publikationen ergänzt, sondern auch Bücher weggelassen. Es handelt sich dabei nicht um ein automatisches Reduzieren – für ein neues fällt ein altes Buch weg –, sondern um konzeptuelle Entscheidungen.

In «Кто куда, а я в Россию…» (2001) sowie Стихи о любви (2009) wird bei-spielsweise das Frühwerk ausgeklammert, in dem die Auseinandersetzung mit der Sowjet-Thematik stattfindet. Die zeitgleich zum 50. Geburtstag des Dichters erschienene Edition Стихи (2005) enthält auch die ersten Bücher, sie werden allerdings als zweiter Teil hinter das aktuelle Werk gestellt, was der Autor kommentiert und damit sanktioniert (siehe unten). Insgesamt findet eine Verän-derung des Images statt, die vom Bild als Sowjetkritiker wegführt. Explizit wird dieser Image-Wandel im Fall des letzten Sammelbandes Стихи о любви, auf dessen Cover ein Ausschnitt aus dem einführenden Vorwort von Andrej Nemzer zu finden ist:

Суть поэзии Тимура Кибирова в том, что он всегда распознавал в окружаю-щей действительности «вечные образцы» и умел сделать их присутствие яв-ным и неоспоримым.133

Diese Kurzcharakteristik trifft auf die Dekonstruktionen sowjetischer Ideologe-me in den Texten der 1980er nur sehr bedingt zu.

кирпичом, все равно читается как большая книга, а не как набор маленьких книг. [...]

это искажает мой замысел.“

131 Auf diesen Terminus stieß ich nach Abschluss der Dissertation beim Rezensieren der kol-lektiven Monographie Барковская, Н. В.; Верина, У. Ю.; Гутрина, Л. Д.; Жибуль, В. Ю.:

Книга стихов как феномен культуры России и Беларуси. Екатеринбург: Кабинетный ученый 2016. U. a. 11, 22–23. Vgl. auch den entsprechenden Eintrag in Поэтика. Словарь актуальных терминов и понятий (M. N. Darvin, 96–97).

132 So die Genrebezeichnungen in Кибиров, Тимур: Муздрамтеатр. М.: Время 2014. 5–6. 5.

133Немзер, Андрей: Читателям Тимура Кибирова. // Кибиров, Тимур: Стихи о любви.

М.: Время 2009. 5–10. 8.

38 2. GRUNDLAGEN

Schon der genaue Vergleich der einzelnen Gesamtausgaben liefert also An-satzpunkte für die weitere Forschung. Das Werk liegt aber auch in alternativen Publikationskontexten vor. Zum einen führen verschiedene Auswahlpublikatio-nen Texte in neuen KombinatioAuswahlpublikatio-nen zusammen, die allerdings instabil bleiben und im Unterschied zu den Einzelbüchern, die als solche in den großen Vremja-Ausgaben wiederkehren, nicht weitertradiert werden. Zum anderen kommen in Anthologie-, Zeitschriften- oder Internetpublikationen sozusagen „apokryphe“

Texte zu Tage. So wie nicht alle Evangelien und Apokalypsen Eingang in den christlichen Bibelkanon fanden, fehlen sie in den „kanonischen“ „Gesamt“-Ausgaben. Darüber hinaus ermöglicht die Untersuchung der Publikationssitua-tion im Detail, die sich wandelnden PosiPublikationssitua-tionen des Dichters im literarischen Feld nachzuvollziehen.

Der folgende Überblick über zentrale Publikationsereignisse ist grundsätzlich chronologisch, jedoch an inhaltlichen Schwerpunkten ausgerichtet. Er bietet eine breite Auswahl, jedoch keine erschöpfende Aufzählung. Eine entsprechende Bibliographie bis 1998 liegt vor.134 Sie lieferte neben Angaben der Homepage Неофициальная поэзия135 und eigener Recherche die Grundlage für den fol-genden Überblick.

Anmerkung zur tabellarischen Übersicht auf der folgenden Seite: Die Anga-ben zum Entstehungszeitraum folgen den gegenwärtig umfangreichsten Ausga-ben Стихи und Стихи о любви; im Fall von Греко- и римско-кафолические песенки и потешки ist auf dem Schmutztitel der Einzelbuchausgabe ein Zeit-raum verzeichnet, in См. выше in der Kurzzusammenfassung auf der Impres-sum-Seite (S. 4). Für На полях «A Shropshire Lad» fehlen Daten, daher wird das Jahr der Erstpublikation in Klammern angeführt.

134 Куллэ, Виктор; Натаров, Евгений: Тимур Кибиров. Избранная библиография. // ЛО (1998) 1. 40–43. Ihr geht ein Überblick über die literaturkritische Rezeption voraus: Натаров, Евгений: Тимур Кибиров. Обзор критики. // ЛО (1998) 1. 38–39.

135Ахметьев, И. и др.: Кибиров Тимур. Комментарий. // Неофициальная поэзия. Под ред. И. Ахметьева и др., http://www.rvb.ru/np/publication/02comm/41/02kibirov.htm.

2.1. Publikationskontexte und -geschichte 39 Tabelle 1: Das kanonische Werk (Gedichte) in den Gesamtausgaben

Konzipiertes Buch Datierung

Санти-менты. 8 книг (1994)

«Кто куда, …» (2001)

Стихи

(2005) Стихи о любви (2009) 1. Общие места 1979–1986

2. Лирико-дидактические

поэ-мы 1986

3. Рождественская песнь

квар-тиранта 1986

4. Сквозь прощальные слезы 1987 5. Три послания 1987–1988

6. Стихи о любви 1988

7. Сантименты 1989

8. Послание Ленке и другие

сочинения 1990

9. Сортиры 1991

10. Парафразис 1992–1996 11. Интимная лирика 1997–1998 12. Улица Островитянова 1999

13. Нотации 1999

14. Amour, exil… 1999

15. Юбилей лирического героя 2000 16. Шалтай-Болтай 2002 17. Кара-барас 2002–2005 18. На полях «A Shropshire Lad» [2007?]

19. Три поэмы 2006–2007 20. Греко- и

римско-кафолические песенки и

потешки 1986–2009

21. См. выше 2010–2013

38 2. GRUNDLAGEN

Schon der genaue Vergleich der einzelnen Gesamtausgaben liefert also An-satzpunkte für die weitere Forschung. Das Werk liegt aber auch in alternativen Publikationskontexten vor. Zum einen führen verschiedene Auswahlpublikatio-nen Texte in neuen KombinatioAuswahlpublikatio-nen zusammen, die allerdings instabil bleiben und im Unterschied zu den Einzelbüchern, die als solche in den großen Vremja-Ausgaben wiederkehren, nicht weitertradiert werden. Zum anderen kommen in Anthologie-, Zeitschriften- oder Internetpublikationen sozusagen „apokryphe“

Texte zu Tage. So wie nicht alle Evangelien und Apokalypsen Eingang in den christlichen Bibelkanon fanden, fehlen sie in den „kanonischen“ „Gesamt“-Ausgaben. Darüber hinaus ermöglicht die Untersuchung der Publikationssitua-tion im Detail, die sich wandelnden PosiPublikationssitua-tionen des Dichters im literarischen Feld nachzuvollziehen.

Der folgende Überblick über zentrale Publikationsereignisse ist grundsätzlich chronologisch, jedoch an inhaltlichen Schwerpunkten ausgerichtet. Er bietet eine breite Auswahl, jedoch keine erschöpfende Aufzählung. Eine entsprechende Bibliographie bis 1998 liegt vor.134 Sie lieferte neben Angaben der Homepage Неофициальная поэзия135 und eigener Recherche die Grundlage für den fol-genden Überblick.

Anmerkung zur tabellarischen Übersicht auf der folgenden Seite: Die Anga-ben zum Entstehungszeitraum folgen den gegenwärtig umfangreichsten Ausga-ben Стихи und Стихи о любви; im Fall von Греко- и римско-кафолические песенки и потешки ist auf dem Schmutztitel der Einzelbuchausgabe ein Zeit-raum verzeichnet, in См. выше in der Kurzzusammenfassung auf der Impres-sum-Seite (S. 4). Für На полях «A Shropshire Lad» fehlen Daten, daher wird das Jahr der Erstpublikation in Klammern angeführt.

134Куллэ, Виктор; Натаров, Евгений: Тимур Кибиров. Избранная библиография. // ЛО (1998) 1. 40–43. Ihr geht ein Überblick über die literaturkritische Rezeption voraus: Натаров, Евгений: Тимур Кибиров. Обзор критики. // ЛО (1998) 1. 38–39.

135Ахметьев, И. и др.: Кибиров Тимур. Комментарий. // Неофициальная поэзия. Под ред. И. Ахметьева и др., http://www.rvb.ru/np/publication/02comm/41/02kibirov.htm.

2.1. Publikationskontexte und -geschichte 39 Tabelle 1: Das kanonische Werk (Gedichte) in den Gesamtausgaben

Konzipiertes Buch Datierung

Санти-менты.

8 книг (1994)

«Кто куда, …»

(2001)

Стихи

(2005) Стихи о любви (2009) 1. Общие места 1979–1986

2. Лирико-дидактические

поэ-мы 1986

3. Рождественская песнь

квар-тиранта 1986

4. Сквозь прощальные слезы 1987 5. Три послания 1987–1988

6. Стихи о любви 1988

7. Сантименты 1989

8. Послание Ленке и другие

сочинения 1990

9. Сортиры 1991

10. Парафразис 1992–1996 11. Интимная лирика 1997–1998 12. Улица Островитянова 1999

13. Нотации 1999

14. Amour, exil… 1999

15. Юбилей лирического героя 2000 16. Шалтай-Болтай 2002 17. Кара-барас 2002–2005 18. На полях «A Shropshire Lad» [2007?]

19. Три поэмы 2006–2007 20. Греко- и

римско-кафолические песенки и

потешки 1986–2009

21. См. выше 2010–2013

40 2. GRUNDLAGEN 2.1.2. Drei Öffentlichkeiten

Kibirovs schriftstellerische Anfänge liegen außerhalb des offiziellen Literaturbe-triebs mit Literaturstudios, Literaturinstitut und Schriftstellerverband; der Zu-gang zu den legalen Medien war verschlossen und wurde auch nicht angestrebt.136 Gelesen wurden seine Texte in der alternativen Szene des under-ground. Im Gegensatz zu älteren Kolleginnen und Kollegen schrieb Kibirov je-doch nicht lange für die Schublade, den Samizdat oder das Ausland; der Rückbau der Zensur unter Gorbačev verschaffte dem Autor bald ein (unerwar-tet) großes Publikum. Die frühen Gedichte gelangten dennoch mit Verzögerung und in unsystematischer Auswahl an die Öffentlichkeit.

Kibirov spricht davon, dass er seit ca. 1983/1984 „vorzeigbare Texte“ ge-schrieben habe.137 Sein allererster Berührungspunkt mit literaturaffinen Kreisen überhaupt sei der Kontakt zu dem Dichterzirkel um Aleksej Didurov gewesen, zu dem auch Viktor Korkija, Vladimir Višnevskij und Vadim Stepancov gehört hätten.138 Den Anfang als professioneller Dichter führt Kibirov im Interview je-doch auf die 1984 zufällig zu Stande gekommene Begegnung mit Lev Ru-binštejn und D. A Prigov zurück, als er in jugendlicher Naivität nach Kontakten gesucht habe, um eigene Texte in den Sam- und Tamizdat zu lancieren:

Один человек, узнав о моих занятиях, рассказал мне о модных (в узких кру-гах) поэтах-концептуалистах. Я спросил его, нельзя ли связаться с ними, – и в результате мои стихи попали к Леве Рубинштейну. Я ждал неделю – и ни ответа ни привета. Судя по всему, он просто благополучно забыл о них, и сейчас я прекрасно понимаю его, потому что мне самому уже довелось пе-речитать массу графоманских сочинений. Я позвонил: «Лев Семенович...»

136 Vgl. z. B. im folgenden Interview mit Kibirov: Шендерович, Виктор: Все свободны!

Поэт Тимур Кибиров. // Радио Cвобода 19.02.2007, http://www.svobodanews.ru/Transcript/2007/02/18/20070218235152440.html:

Виктор Шендерович: А ты не носил ни в какие редакции? Брезговал?

Тимур Кибиров: Да, вот сначала горделивая застенчивость отроческая и юношеская, а потом некоторая брезгливость. Потому что я понимал, что цель какая – не то, что, в «Новый мир» что ли носить, мне такому чудесному. Вот – «Вардис» [sic!;

gemeint ist der US-Verlag Ardis; M. R.]. Книжка должна выйти в «Вардисе», нигде больше.

137 Im Interview Шендерович, Виктор: Все свободны! Поэт Тимур Кибиров:

Виктор Шендерович: […] И дальше началось уже, дальше начался тот Кибиров, кото-рого... Это уже середина 80-х?

Тимур Кибиров: Да, где-то с 83–84 года. Я уже писал те стихи, за которые и сейчас мне не стыдно.

Виктор Шендерович: Начиная с какого года? 85–86?

Тимур Кибиров: Да, даже чуть раньше, наверное, 83–84-й, после Олимпиады.

138 Куллэ, Виктор: «Я не вещаю, я болтаю…», 14. Eine Spur dieser Bekanntschaft findet sich in Kibirovs Präsenz in der von diesem Kreis zusammengestellten Anthologie Кардио-грамма aus dem Jahr 1991, siehe Fn.173, S. 47.

2.1. Publikationskontexte und -geschichte 41 Лева засмущался, я ему нагрубил; Лева поделился своей тревогой по поводу моей неумеренной активности с Приговым, который в то время сидел у него в гостях. А Пригов, как человек более интересующийся жизнью, взял у него мои стихи и прочитал. Предложил встретиться. Концептуалисты мне сразу полюбились. Мои корыстные цели Дмитрий Александрович быстро пресек – и слава Богу, что не принял их просто за провокацию.139

Ein wichtiger Treffpunkt der alternativen Dichterszene jenseits privater Woh-nungen war der 1985 entstandene Dichtungs-Club (клуб «Поэзия»), in dessen Rahmen verschiedene Veranstaltungen und Auftritte organisierte wurden.140 Die Poeten und Poetinnen teilten sich dabei in unterschiedliche Gruppen auf – Kibirov gehörte zur Sektion Zaduševnaja beseda. Diesen Titel trägt auch eine Samizdat-Anthologie von 1986, die das Kibirov gewidmete Sonderheft der Zeit-schrift Literaturnoe obozrenie als wichtigen Moment der jüngsten Literaturge-schichte vorstellt.141 Aus dieser Gruppe heraus entstanden später das Lesungsprogramm Альманах142 sowie 1991 die Anthologie Личное дело №_, von der noch die Rede sein wird.

In Samizdat-Periodika (Ėpsilon-salon, Mitin žurnal, Tretʼja modernizacija) erschienen zwischen 1986 und 1989 weitere Gedichte, darunter einige mit poli-tisch brisanten Inhalten.143 Wirkungsgeschichtlich wichtig war die

139 So 1996 im Interview Кузнецова, Инга: Тимур Кибиров – Правила игры, 218–219. Die gleiche Episode ebenfalls in Kibirovs Stellungnahmen (teilweise in Interview-Form) zu Pri-gov in Кибиров, Тимур: «Пригов был блюстителем пристойности». // Шаповал, Сергей (сост.); Пригов, Дмитрий: Двадцать один разговор и одно дружеское послание. М.:

НЛО 2014. 180–184. 180–181.

140 Siehe die Informationen in: Сид, Игорь: Клуб ПОЭЗИЯ [Энциклопедия «Кругосвет»

2003]. // LITER.NET геопоэтический сервер Крымского клуба, http://www.liter.net/Krugosvet/article/poezia_club.htm# sowie ebd. [Пригов, Д. А.]: Клуб ПОЭЗИЯ. Воспоминание Дмитрия Александровича Пригова [2003], http://www.liter.net/Krugosvet/article/poezia_club_prigov.htm. Die Satzung, ein humoristi-sches Mitgliederverzeichnis etc. findet sich unter: Искренко, Н. и др.: Из уставных документов Клуба «Поэзия». // http://www.poet.forum.ru/archiv/izustav.htm.

141 Einen Einblick in Zusammensetzung und Form der Publikation gewährt Айзенберг, Михаил и др.: Задушевная беседа, или Дюжину лет спустя. // ЛО (1998) 1. 8–9, 8: „По-мимо текстов Дмитрия Александровича Пригова, Тимура Кибирова, Михаила Айзен-берга, Михаила Сухотина и Льва Рубинштейна в сборник действительно были включены фрагменты «задушевной беседы» – каждая подборка оканчивалась высказы-ванием коллег-стихотворцев о своем товарище.“ Ähnliche kurze Stellungnahmen der Kol-legen zu Kibirov sind im Rahmen des Beitrages abgedruckt.

142Zum Programm siehe die Rezension: Зорин, Андрей: Муза языка и семеро поэтов.

Заметки о группе «Альманах». // ДН (1990) 4. 240–249.

143 Online archiviert sind: Митин журнал (1986) 11 (vier Gedichte); Митин журнал (1989) 25 (Когда был Ленин маленьким) beide via Архив. // Kolonna Publications; Митин журнал, http://kolonna.mitin.com/archive.php; Третья модернизация (1988) 7 (Л. С.

40 2. GRUNDLAGEN 2.1.2. Drei Öffentlichkeiten

Kibirovs schriftstellerische Anfänge liegen außerhalb des offiziellen Literaturbe-triebs mit Literaturstudios, Literaturinstitut und Schriftstellerverband; der Zu-gang zu den legalen Medien war verschlossen und wurde auch nicht angestrebt.136 Gelesen wurden seine Texte in der alternativen Szene des under-ground. Im Gegensatz zu älteren Kolleginnen und Kollegen schrieb Kibirov je-doch nicht lange für die Schublade, den Samizdat oder das Ausland; der Rückbau der Zensur unter Gorbačev verschaffte dem Autor bald ein (unerwar-tet) großes Publikum. Die frühen Gedichte gelangten dennoch mit Verzögerung und in unsystematischer Auswahl an die Öffentlichkeit.

Kibirov spricht davon, dass er seit ca. 1983/1984 „vorzeigbare Texte“ ge-schrieben habe.137 Sein allererster Berührungspunkt mit literaturaffinen Kreisen überhaupt sei der Kontakt zu dem Dichterzirkel um Aleksej Didurov gewesen, zu dem auch Viktor Korkija, Vladimir Višnevskij und Vadim Stepancov gehört hätten.138 Den Anfang als professioneller Dichter führt Kibirov im Interview je-doch auf die 1984 zufällig zu Stande gekommene Begegnung mit Lev Ru-binštejn und D. A Prigov zurück, als er in jugendlicher Naivität nach Kontakten gesucht habe, um eigene Texte in den Sam- und Tamizdat zu lancieren:

Один человек, узнав о моих занятиях, рассказал мне о модных (в узких кру-гах) поэтах-концептуалистах. Я спросил его, нельзя ли связаться с ними, – и в результате мои стихи попали к Леве Рубинштейну. Я ждал неделю – и ни ответа ни привета. Судя по всему, он просто благополучно забыл о них, и сейчас я прекрасно понимаю его, потому что мне самому уже довелось пе-речитать массу графоманских сочинений. Я позвонил: «Лев Семенович...»

136 Vgl. z. B. im folgenden Interview mit Kibirov: Шендерович, Виктор: Все свободны!

Поэт Тимур Кибиров. // Радио Cвобода 19.02.2007, http://www.svobodanews.ru/Transcript/2007/02/18/20070218235152440.html:

Виктор Шендерович: А ты не носил ни в какие редакции? Брезговал?

Тимур Кибиров: Да, вот сначала горделивая застенчивость отроческая и юношеская, а потом некоторая брезгливость. Потому что я понимал, что цель какая – не то, что, в «Новый мир» что ли носить, мне такому чудесному. Вот – «Вардис» [sic!;

gemeint ist der US-Verlag Ardis; M. R.]. Книжка должна выйти в «Вардисе», нигде больше.

137 Im Interview Шендерович, Виктор: Все свободны! Поэт Тимур Кибиров:

Виктор Шендерович: […] И дальше началось уже, дальше начался тот Кибиров, кото-рого... Это уже середина 80-х?

Тимур Кибиров: Да, где-то с 83–84 года. Я уже писал те стихи, за которые и сейчас мне не стыдно.

Виктор Шендерович: Начиная с какого года? 85–86?

Тимур Кибиров: Да, даже чуть раньше, наверное, 83–84-й, после Олимпиады.

138Куллэ, Виктор: «Я не вещаю, я болтаю…», 14. Eine Spur dieser Bekanntschaft findet sich in Kibirovs Präsenz in der von diesem Kreis zusammengestellten Anthologie Кардио-грамма aus dem Jahr 1991, siehe Fn.173, S. 47.

2.1. Publikationskontexte und -geschichte 41 Лева засмущался, я ему нагрубил; Лева поделился своей тревогой по поводу моей неумеренной активности с Приговым, который в то время сидел у него в гостях. А Пригов, как человек более интересующийся жизнью, взял у него мои стихи и прочитал. Предложил встретиться. Концептуалисты мне сразу полюбились. Мои корыстные цели Дмитрий Александрович быстро пресек – и слава Богу, что не принял их просто за провокацию.139

Ein wichtiger Treffpunkt der alternativen Dichterszene jenseits privater Woh-nungen war der 1985 entstandene Dichtungs-Club (клуб «Поэзия»), in dessen Rahmen verschiedene Veranstaltungen und Auftritte organisierte wurden.140 Die Poeten und Poetinnen teilten sich dabei in unterschiedliche Gruppen auf – Kibirov gehörte zur Sektion Zaduševnaja beseda. Diesen Titel trägt auch eine Samizdat-Anthologie von 1986, die das Kibirov gewidmete Sonderheft der Zeit-schrift Literaturnoe obozrenie als wichtigen Moment der jüngsten Literaturge-schichte vorstellt.141 Aus dieser Gruppe heraus entstanden später das Lesungsprogramm Альманах142 sowie 1991 die Anthologie Личное дело №_, von der noch die Rede sein wird.

In Samizdat-Periodika (Ėpsilon-salon, Mitin žurnal, Tretʼja modernizacija) erschienen zwischen 1986 und 1989 weitere Gedichte, darunter einige mit poli-tisch brisanten Inhalten.143 Wirkungsgeschichtlich wichtig war die

139 So 1996 im Interview Кузнецова, Инга: Тимур Кибиров – Правила игры, 218–219. Die gleiche Episode ebenfalls in Kibirovs Stellungnahmen (teilweise in Interview-Form) zu Pri-gov in Кибиров, Тимур: «Пригов был блюстителем пристойности». // Шаповал, Сергей (сост.); Пригов, Дмитрий: Двадцать один разговор и одно дружеское послание. М.:

НЛО 2014. 180–184. 180–181.

140 Siehe die Informationen in: Сид, Игорь: Клуб ПОЭЗИЯ [Энциклопедия «Кругосвет»

2003]. // LITER.NET геопоэтический сервер Крымского клуба, http://www.liter.net/Krugosvet/article/poezia_club.htm# sowie ebd. [Пригов, Д. А.]: Клуб ПОЭЗИЯ. Воспоминание Дмитрия Александровича Пригова [2003], http://www.liter.net/Krugosvet/article/poezia_club_prigov.htm. Die Satzung, ein humoristi-sches Mitgliederverzeichnis etc. findet sich unter: Искренко, Н. и др.: Из уставных документов Клуба «Поэзия». // http://www.poet.forum.ru/archiv/izustav.htm.

141 Einen Einblick in Zusammensetzung und Form der Publikation gewährt Айзенберг, Михаил и др.: Задушевная беседа, или Дюжину лет спустя. // ЛО (1998) 1. 8–9, 8: „По-мимо текстов Дмитрия Александровича Пригова, Тимура Кибирова, Михаила Айзен-берга, Михаила Сухотина и Льва Рубинштейна в сборник действительно были включены фрагменты «задушевной беседы» – каждая подборка оканчивалась высказы-ванием коллег-стихотворцев о своем товарище.“ Ähnliche kurze Stellungnahmen der Kol-legen zu Kibirov sind im Rahmen des Beitrages abgedruckt.

142 Zum Programm siehe die Rezension: Зорин, Андрей: Муза языка и семеро поэтов.

Заметки о группе «Альманах». // ДН (1990) 4. 240–249.

143 Online archiviert sind: Митин журнал (1986) 11 (vier Gedichte); Митин журнал (1989) 25 (Когда был Ленин маленьким) beide via Архив. // Kolonna Publications; Митин журнал, http://kolonna.mitin.com/archive.php; Третья модернизация (1988) 7 (Л. С.

42 2. GRUNDLAGEN

tion des Skandalpoems Л. С. Рубинштейну in der inoffiziellen Rigaer Zeitschrift Tretʼja modernizacija, das schon im Samizdat-Stadium von der sow-jetischen Presse negativ rezensiert wurde.144 Sie stellt sozusagen den Auftakt für die in Kap. 1.1 beschriebene Auseinandersetzung um Л. С. Рубинштейну in der lettischen Sowjetrepublik dar. In der Tat ist auffällig, in welchem Umfang Ge-dichte von Kibirovs und Texte anderer inoffizieller Autorinnen und Autoren in (halb-) legalen baltischen Periodika gedruckt wurden.145 An der Peripherie war die Kontrolle der sowjetischen Behörden offenbar weniger rigide bzw. das Stre-ben nach nationaler Unabhängigkeit verband sich mit dem StreStre-ben nach ästheti-schen Alternativen zur offiziellen Literatur.

Für Kibirovs provokante Texte interessierte sich auch der Tamizdat: Sintaksis (Paris), Vremja i my (New York / Jerusalem / Paris), Kontinent (Paris).146 Das Skandalpoem Л. С. Рубинштейну wurde 1989 gleich doppelt publiziert,147 wo-bei der Abdruck in der Zeitschrift Sintaksis als Grundlage für die Publikation in der Leningrader Zeitung Čas pik diente,148 deren Relevanz Zolotonosov heraus-streicht.149

Рубинштейну); Третья модернизация (1989) 12. (Любовь, комсомол и весна) – beide via Журнал «Третья модернизация». // http://emc2.me.uk/tm/index.html.

Ахметьев, И. и др.: Кибиров Тимур. Комментарий verzeichnet zusätzlich die nicht einsehbare Samizdat-Publikation Эпсилон-салон (1987) 9.

144 Геронян, Александр: Опьянение от свободы? // Советская молодежь 03.01.1989. 3.

Anlass war ein von der Zeitschrift Tretʼja modernizacija am 23.12.1988 an der Philologischen Fakultät der Lettischen Staatlichen Universität veranstalteter Auftritt. Kritisch zu dieser Reak-tion wiederum der Artikel Руднев, Вадим: Заметки о новом искусстве II. «Третья модер-низация». // Даугава (1989) 5. 120–124. 122.

145 Атмода 27.03.1989. 4 (Лесная школа); Атмода 21.08.1989. 16 (Л. С. Рубинштейну – Ausschnitte); Родник (1990) 2. 18–20 (Жизнь К. У. Черненко).

146 Синтаксис (1988) 22. 205–207, http://imwerden.de/pdf/syntaxis_22.pdf (Жизнь Кон-стантина Устиновича Черненко V); Время и Мы (1988) 100. 129–48 (Сквозь прощаль-ные слезы), wiederabgedruckt in: Время и Мы. Альманах литературы и общественных проблем. Совместное издание журнала «Время и Мы» и издательства «Искусство» М.;

Нью-Йорк: Время и мы; Искусство 1990. 168–187; Континент (1988) 56. 7–15 (Лесная школа).

147 Время и Мы (1989) 107. 100–110 (Ausschnitte) sowie Синтаксис (1989) 26. 111–121, http://imwerden.de/pdf/syntaxis_26.pdf; Синтаксис 1989 (25). 171–189, http://imwerden.de/pdf/syntaxis_25.pdf brachten frühere Texte (Из книги «Общие места»).

148 Час пик 17.09.1990. 7. Ein Vierteljahr später erscheint hier Kibirovs Gedicht „Попытка осиновый кол пронести в мавзолей...“ (siehe Kapitel 3.1.) sowie eine Stellungnahme des Dichters zum Skandal: Час Пик 28.01. 1991. 6.

149 Золотоносов, М. Н.: Логомахия [2010], 36. Anm. 23 (S. 157) führt aus, dass in dieser Quelle eine Strophe fehle und rechtfertigt implizit seine Interpretation der (falschen) Verszahl 666+1 in Золотоносов, Михаил: Логомахия [1991], 80.

2.1. Publikationskontexte und -geschichte 43 Allerdings öffneten sich schon 1988 erste offizielle Medien für den literari-schen underground: Die Zeitschrift Teatralʼnaja žiznʼ brachte zwei Gedichte Kibirovs im Rahmen einer Auswahlpublikation von am Lesungsprogramm Альманах beteiligten Autoren.150 In etwa zeitgleich druckte die Zeitschrift Junostʼ in der als Ort für alternative Experimente eingerichteten Rubrik Испы-тательный стенд einen weiteren Text.151 Auch die Ende der 1990er alternati-ve Kunst aus alternati-verschiedenen Bereichen aufgreifende Zeitschrift Teatr veröffentlichte 1989 Gedichte.152 Weitere offizielle Printmedien zogen nach;

Gedichte Kibirovs finden sich Ende der 1980er in mehreren Anthologien großer Staatsverlage, die neue, alternative Dichtung bekannt machen wollten.153

Eine größere Gedichtauswahl erschien erstmals 1990 im Verlag Molodaja gvardija im Rahmen einer gemeinschaftlichen Buchveröffentlichung von vier Jungautoren.154 Auffällig an den Gedichten Kibirovs, die in besagten Band Общие места (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Einzelbuch!) auf-genommen wurden, ist das Fehlen der parodistischen Dekonstruktionen, die für Kibirovs Frühwerk als charakteristisch gelten. Stattdessen sind zahlreiche Ge-dichte abgedruckt, die nicht ins kanonische Œuvre eingegangen sind – es debü-tierte eigentlich ein anderer Kibirov.

150 Театральная жизнь (1988) 18. 30–32. Die Reihenfolge der Publikationen aus dem Jahr 1988 nach Натаров, Евгений: Тимур Кибиров. Обзор критики, 38.

151 Юность (1988) 9. 71–72 (Сквозь прощальные слезы: Вступление).

152 Театр (1989) 6. 140–144 (u. a. Смерть Черненко). Begleitet von dem Vorwort Солнцева, Алена: Тимур Кибиров. «Мы не увидели неба в алмазах...» (ebd., 140).

153 Поэзия. Альманах № 52. М.: Молодая гвардия 1989. 95–97; Истоки 89. Стихи и проза молодых. Альманах. М: Молодая гвардия 1989. 6–19; Молодая поэзия 89. Стихи. Ста-тьи. Тексты. Сост.: С. М. Мнацаканян, А. В. Тюрин. М.: Советский писатель 1989. 360–

370.

154 Кибиров, Тимур; Хабаров, Александр; Смык, Владимир; Росков, Александр: Общие места / Спаси меня / Встречи / Стихи из деревни. М.: Молодая гвардия 1990.

42 2. GRUNDLAGEN

tion des Skandalpoems Л. С. Рубинштейну in der inoffiziellen Rigaer Zeitschrift Tretʼja modernizacija, das schon im Samizdat-Stadium von der sow-jetischen Presse negativ rezensiert wurde.144 Sie stellt sozusagen den Auftakt für die in Kap. 1.1 beschriebene Auseinandersetzung um Л. С. Рубинштейну in der lettischen Sowjetrepublik dar. In der Tat ist auffällig, in welchem Umfang Ge-dichte von Kibirovs und Texte anderer inoffizieller Autorinnen und Autoren in (halb-) legalen baltischen Periodika gedruckt wurden.145 An der Peripherie war die Kontrolle der sowjetischen Behörden offenbar weniger rigide bzw. das Stre-ben nach nationaler Unabhängigkeit verband sich mit dem StreStre-ben nach ästheti-schen Alternativen zur offiziellen Literatur.

Für Kibirovs provokante Texte interessierte sich auch der Tamizdat: Sintaksis (Paris), Vremja i my (New York / Jerusalem / Paris), Kontinent (Paris).146 Das Skandalpoem Л. С. Рубинштейну wurde 1989 gleich doppelt publiziert,147 wo-bei der Abdruck in der Zeitschrift Sintaksis als Grundlage für die Publikation in der Leningrader Zeitung Čas pik diente,148 deren Relevanz Zolotonosov heraus-streicht.149

Рубинштейну); Третья модернизация (1989) 12. (Любовь, комсомол и весна) – beide via Журнал «Третья модернизация». // http://emc2.me.uk/tm/index.html.

Ахметьев, И. и др.: Кибиров Тимур. Комментарий verzeichnet zusätzlich die nicht einsehbare Samizdat-Publikation Эпсилон-салон (1987) 9.

144Геронян, Александр: Опьянение от свободы? // Советская молодежь 03.01.1989. 3.

Anlass war ein von der Zeitschrift Tretʼja modernizacija am 23.12.1988 an der Philologischen Fakultät der Lettischen Staatlichen Universität veranstalteter Auftritt. Kritisch zu dieser

Anlass war ein von der Zeitschrift Tretʼja modernizacija am 23.12.1988 an der Philologischen Fakultät der Lettischen Staatlichen Universität veranstalteter Auftritt. Kritisch zu dieser

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