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2. ZUR THEORIE ETHNISCHER MOBILISIERUNG

2.1. ETHNIE UND NATION

Der Begriff Ethnizität ist bis heute nicht eindeutig definiert, was angesichts der komplexen und facettenreichen Phänomene, die mit ihm zu beschreiben versucht werden, kaum verwun-dert. Allgemeine - und deshalb nur wenig trennscharfe - Definitionen erklären Ethnizität als eine Mischung aus subjektiver Erfahrung des Glaubens an eine gemeinsame Geschichte und die darauf beruhende Wahrnehmung des 'Andersseins' einerseits und Kontinuität durch Tra-dierung sozialer und kultureller Bedingungen und biologischer Abstammung andererseits.

(Encyclopedia of Nationalism: 94) Gelegentlich wird auch ein normatives Element von Ethnizität betont, indem dieser Begriff auf die „[...] ethnische Identitätsbildung in Form von Aufwertung von Sprache, kulturellen Eigenheiten und Traditionen der ethnischen Gruppe“

(Lexikon zur Soziologie: 185) abstellen soll. Als durchgängige Definitionselemente in der Literatur lassen sich „[...] die Gemeinsamkeit geschichtlicher Erfahrungen, eine auf ”Selbst-Bewußtsein” und Fremdzuweisung gegründete kollektive Identität, ein ZusammengehörigkeitsBewusstsein sowie ein Feld wechselseitiger Beziehungen und Kommunikation in der Gruppe“ (Heckmann 1992: 35-36) feststellen. Hervorgehoben wird dabei v.a. die Vorstellung einer gemeinsamen 'Abstammungsgemeinschaft' - nach Weber ist sie konstitutiv für ethnische Gruppen, „[...] ganz einerlei, ob eine Abstammungsgemeinschaft vorliegt oder nicht.“ (Weber 1972: 237) Die Vorstellung von einer gemeinsamen Herkunft nimmt auch die Form eines gemeinsamen Gruppenschicksals an, bei dem es sich um „Deu-tungen, 'Konstruktionen', Mythen oder auch Erfindungen [...], deren Inhalt von gegenwärtigen Gruppenbedürfnissen bestimmt sind“ (Heckmann 1992: 37), handelt. Der heute gebräuch-lichste Begriff von Ethnizität geht auf Glazer/Moynihan (1975) zurück. Einigkeit läßt sich danach lediglich darüber herstellen, dass Ethnizität nicht nur eine gemeinsame Abstammung

-oder die Vorstellung davon - sondern auch eine gemeinsame Sprache, Religion -oder andere Merkmale kultureller Identität bezeichnet.

Ausgehend von einem solchen Ethnizitätsverständnis wird in der Literatur häufig eine – mal größere, mal kleinere – Kongruenz zwischen Ethnie und Nation angenommen.

Deutlich wird das in einer jüngst von Kellas (1998: 5) formulierten Definition:

”Ethnic group‘ and ‚ethnocentrism‘ are comparable with ‚nation‘ and ‚nationalism‘. The dif-ference between them is that ‚ethnic group‘ is more narrowly defined than ‚nation‘, and

‚ethnocentrism‘ is more rooted in social psychology than is ‚nationalism‘, which has expli-citly ideological and political dimensions. Ethnic groups are generally differentiated from nations on several dimensions: they are usually smaller; they are more clearly based on com-mon ancestry; and they are more pervasive in human history, while nations are perhaps speci-fic time and place. Ethnic groups are essentially exclusive or ascriptive5, meaning that mem-bership in such groups is confined to those who share certain inborn attributes. Nations on the other hand are more inclusive and are culturally or politically defined. However, it is possible to trace the origins of nations and nationalism to ethnic groups and their ethnocentric behavi-our.” (Kellas 1998: 5)

Eine solche Definition bietet den Vorteil, dass sie die Grenze zwischen den beiden Konzepten nicht eindeutig und trennscharf, sondern relativ breit und durchlässig zieht und damit den offensichtlich engen Verbindungen zwischen Ethnie und Nation Rechnung tragen will. Ande-rerseits weist sie im Endeffekt schwerwiegende Nachteile auf:

Es ist zunächst überzeugend, dass die Begriffe ‚Ethnozentrismus‘ und ‚Nationalismus‘ vor allem die unterschiedliche Annäherung verschiedener Disziplinen zum Ausdruck bringen.

Damit ist allerdings nicht geklärt, inwieweit sie auch tatsächlich unterschiedliche Phänomene beschreiben.

Die Erklärung der Unterschiede zwischen ‚ethnischer Gruppe‘ und ‚Nation‘ leuchtet allein schon empirisch nicht ein – ohne weiteres lassen sich zahlenmäßig große Ethnien und demge-genüber kleine Nationen als Beispiele finden. Mehr noch ist es auf der Analyseebene bereits schwierig, das Maß der gemeinsamen Abstammung oder die Bedeutung ihres Platzes in der Menschheitsgeschichte zu bestimmen, gerade wenn – wie von Kellas unterstellt - kein quali-tatives Merkmal ethnische Gruppen von Nationen trennt.

Wichtig im Zusammenhang mit der Fragestellung dieser Arbeit erscheint auch, dass Kellas Ethnien Exklusivität als notwendiges Merkmal zuschreibt, Nationen hingegen Inklusivität.

Diese Unterscheidung würde die den zentralen Annahmen der Modernisierungstheorie ent-sprechende Schlußfolgerung zulassen, dass ethnische Differenzen im Zuge von National-staatsbildungsprozessen überwunden werden.

Dieser Sichtweise widerspricht allerdings wiederum eine Auffassung, wonach Nationalstaaten sich in ‚zivile‘ und ‚ethnische‘ unterscheiden lassen. In der zivilen Nation beziehen sich die Bürger ungeachtet ihrer ethnischen, religiösen oder regionalen Herkunft auf eine gemeinsame Verfassung (ius soli). In der ”ethnischen” Nation ist der Bezugspunkt die angenommene ge-meinsame Herkunft, geteilte Traditionen und Lebensweisen. Diese beiden Nationskonzepte werden nahezu eindeutig politisch-geographischen Territorien zugeordnet – Westeuropa, v.a.

Frankreich, wird als die Verkörperung des zivilen Modells, Ost- und Mitteleuropa (zu dem auch Deutschland gerechnet wird) als die Verkörperung des ethnischen Prinzips interpretiert.

(vgl. Brubaker 1999: 56ff)

Der analytische Wert dieser dichotomisierenden Typologie ist jedoch in die Kritik geraten (Greenfeld 1999), die Ambivalenz, Widersprüchlichkeit und Normativität der Begriffe wurde festgestellt, sogar der Vorwurf der als Wissenschaft verbrämten Ideologie ist erhoben worden (Brubaker 1999): Das zivile Modell, bzw. die damit identifizierten Länder erschienen inklu-siv, liberal und modern und böten im politischen Diskurs eine ideologische Legitimation ge-genüber dem ethnischen Modell, das als exkludierend, rassistisch, vormodern usw. abgelehnt werde (Brubaker). Es wird, ähnlich wie bei Kellas, Ethnizität im engen Zusammenhang mit Exklusivität gesehen. Die in der westlichen Forschung tief verankerte Unterscheidung zwi-schen ‚zivil‘ und ‚ethnisch’ wird zum einen als nicht die Realität abbildend kritisiert, zum anderen als eine politisch-moralisch problematische Auffassung von Nation abgelehnt.

(Wimmer in Einleitung zu Brubaker 1999)

Schon früh wurde darauf hingewiesen, dass kein Land nur einem der beiden Typen entspricht – in der Realität mischen sich in allen Staaten zivile mit ethnischen Elementen. (Smith 1986) Die Hauptkritik richtet sich heute jedoch auf die Inadäquatheit der Begriffe, die dichotomisie-ren, wo offensichtlich gemeinsame Merkmale gegeben sind. So illustriert das ‚Volk‘, welches durch eine gemeinsame Sprache und politische Kultur verbunden ist, auch in ‚Zivilnationen‘

wie Frankreich oder Amerika ein Verständnis von Nationalität, das implizit auf kulturelle Homogenität und Identität setzt. Auf der anderen Seite enthält auch ethnischer Nationalismus

5 Hervorhebungen v. A.

v.a. im Prozeß kultureller Assimilation Elemente von Wahl und freiwilligen Anschluss, die nach der Modelleinteilung eigentlich den zivilen Nationen zugerechnet werden müssten.

(Brubaker 1999)

Aus den diskutierten Ansätzen zur Differenzierung zwischen Ethnie und Nation läßt sich an dieser Stelle lediglich ableiten, dass sich die beiden Phänomene ‚Ethnie‘ und ‚Nation‘ kei-neswegs eindeutig trennen lassen und sich die Diskussion dessen, was eine Nation ausmacht, sehr häufig auf das ‚ethnische Fundament‘ bezieht und umgekehrt.

Ein weiterführendes Konzept zum Verständnis von Nation und Ethnie ist bei Weber (1980) zu finden, der nicht die phänomenologischen Unterschiede zwischen beiden betont, sondern auf die dynamischen Prozesse abstellt, die zwischen Ethnie und Nation entstehen.

Wie bereits erwähnt definiert Weber Ethnie als eine tatsächliche oder geglaubte ‚Abstam-mungsgemeinschaft‘. Auf der einen Seite wird diese von der Sippe geschieden (als reale Ge-meinschaft mit realem GeGe-meinschaftshandeln). Ethnie ist der Sippe gegenüber ”nicht selbst Gemeinschaft, sondern nur ein die Vergemeinschaftung erleichterndes Moment. Sie kommt der allerverschiedendsten, vor allem freilich erfahrungsgemäß: der politischen Vergemein-schaftung, fördernd entgegen”. (Weber 1980: 237)

Die politische Gemeinschaft und ihr Handeln zeichnet sich bei Weber durch ein irgendwie benenn- und begrenzbares Territorium aus und durch das Handeln der darauf dauernd oder auch zeitweilig befindlichen Menschen. Territorium und Menschen werden durch Bereitschaft zu physischer (i.d.R.) Waffengewalt der geordneten Beherrschung durch die Beteiligten vor-behalten (Weber 1980: 515) Es handelt sich dabei also um mehr als eine bloße Wirtschafts-gemeinschaft, die allein nicht diese Solidarität bewirken kann.

”Für uns genügt ein ‚Gebiet‘, die Bereithaltung von physischer Gewalt zu dessen Behauptung und ein nicht n u r in einem gemeinwirtschaftlichen Betrieb zur gemeinsamen Bedarfsdeckung sich erschöpfendes, die Beziehungen der auf dem Gebiet befindlichen Men-schen regulierendes Gemeinschaftshandeln, um eine gesonderte ‚politische‘ Gemeinschaft zu konstituieren”. (Weber 1980: 515)

Die politische Gemeinschaft bezieht sich aber nicht nur häufig auf ihr ‚entgegenkommende‘

ethnische Gemeinsamkeiten. Einmal konstituiert, produziert sie wiederum ethnischen Ge-meinsamkeitsglauben und deutet ‚rationale Vergesellschaftung‘ in persönliche Gemein-schaftsbeziehungen um (Weber 1980: 237), welche die Identifizierung mit der Gemeinschaft begünstigt.

Hier findet sich der Anschluß an die ‚Nation‘: Die wesentliche Differenz zur Ethnie besteht darin, dass der Begriff Nation v.a. politische Vergemeinschaftung (und damit eine Solidarge-meinschaft) anzeigt. Dieser Gemeinschaft ist eine spezifische Art von Pathos eigen, welches sich in einer Gruppe mit dem Gedanken einer politischen Machtgebildeorganisation verbin-det. Die politische Gemeinschaft knüpft das Postulat, eine Nation zu sein, besonders häufig an die Sprachgemeinschaft, oft auch an Religion, aber auch Sozialstruktur oder Sitten und Tradi-tionen.

Webers Nationsbegriff macht deutlich, was die Definitionen, wie sie z.B. Kellas bietet, wenig trennscharf macht: In den allermeisten Fällen ist die Ethnie die Basis und zugleich das Resul-tat politischer Vergemeinschaftungsprozesse. Deswegen gelingen Abgrenzungsversuche, die in erster Linie nicht-ethnische Elemente im Nationsbegriff ausmachen wollen, nur unbefriedi-gend. Die wesentliche Differenz liegt dort, wo nur ethnische Gemeinsamkeit, nicht jedoch ethno-politische Vergemeinschaftung vorliegt.

Ethnische Gruppen sind demnach zwar ohne Nation, aber die meisten Nationen nicht ohne ethnische Gruppen denkbar, da in der Nationenbildung für die Konstruktion des Nationalen auf den ethnischen Fundus zurückgegriffen wird.

Schließt man sich der Analyse Webers an, scheint die Kritik an der Unterscheidung von ‚zi-viler‘ und ‚ethnischer‘ Nation in weiten Teilen berechtigt zu sein. Die wichtigste Organisati-onsform politischer Vergemeinschaftung bleibt auch am Anfang des 21. Jahrhunderts der Nationalstaat, dessen Fundament die ethnische Gemeinsamkeit ist – sei es, dass eine Gruppe mit ethnischen Gemeinsamkeiten nach politischer Vergemeinschaftung im Sinne Webers strebt und die ethnischen Gemeinsamkeiten zum kulturellen ‚Überbau‘ der Gemeinschaft ge-rinnen, sei es dass dem mehr oder minder rationalen Zusammenschluß einer Gruppe zur poli-tischen Gemeinschaft die ‚Ethnisierung‘ folgt.6

6 Webers Ausführungen zur rationalen Vergemeinschaftungen sind m.E. zu Recht in der Literatur problematisiert worden (s.

Als wichtiges Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass Ethnie und Nation in einem dynami-schen Wechselverhältnis zueinander stehen und die Ethnie den Kern der gemeinsamen Iden-tität bildet. Die Abgrenzung entlang ethno-nationaler Linien ist nichts anderes als der Ver-such, Herrschaft und ethnische Zugehörigkeit in Übereinstimmung zu bringen. Ob diese Grenzziehung in Westeuropa anders, d.h. inklusiver, liberaler, demokratischer wirkt als in den Ländern, die als ’ethnische‘ Nationen gekennzeichnet werden, weil stärkere Zivilgesellschaf-ten bereits vor Staatsgründung vorhanden waren, ist dabei fraglich.

Damit soll nicht behauptet werden, dass Nationenbildung in Ost- und Westeuropa nicht sehr unterschiedlichen Bedingungen unterlag und unterliegt oder dass die Brisanz in Osteuropa durch die demographischen, politischen, sozialen und ökonomischen Verhältnisse nicht sehr unterschiedlich wäre. Es geht vielmehr um die Feststellung, dass auch die alten Nationen Westeuropas ihre ethnische Basis haben, die vom Universalismus zum Partikularismus führt und Mechanismen von Exklusion und Inklusion über Demokratie, Staatsbürgerschaft etc.

entlang ethno-nationaler Grenzziehungen neu organisiert. Dass Nationen generell, wie es Kellas auffaßt, ‚more inclusive‘ sind und ihre Definition als Gemeinschaft nicht auch essen-tiell auf ethnische Abgrenzung setzt, ist deshalb zu bestreiten.

Was aber sind die Voraussetzungen, welche die Übereinstimmung von ethnischer Zugehörig-keit und Herrschaft, d.h., die Nationenbildung ermöglichen? Dieser Frage soll im folgenden nachgegangen werden.

im folgenden) legen sie doch ein Maß rationaler Durchdringung nahe, die empirisch wohl kaum nachweisbar ist. Webers Beispiele beziehen sich ausschließlich auf antike Gesellschaften.