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Untersuchungen zu kongenitalen Anomalien beim Rind

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Academic year: 2022

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Aus dem Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Tierärztlichen Hochschule Hannover

Untersuchungen zu kongenitalen Anomalien beim Rind

INAUGURAL-DISSERTATION Zur Erlangung des Grades einer DOKTORIN DER VETERINÄRMEDIZIN

(Dr. med. vet.)

durch die Tierärztliche Hochschule Hannover

Vorgelegt von Corinna Bähr

aus Dissen

Hannover 2003

(2)

Wissenschaftliche Betreuung: Prof. Dr. O. Distl

1. Gutachter: Prof. Dr. O. Distl

2. Gutachter: Prof. Dr. J. Rehage

(3)

Für meine Eltern

(4)

Teile dieser Arbeit wurden bereits veröffentlicht oder sind zum Druck vorgesehen:

BÄHR, C., PETERS, M., DISTL, O. (2003):Kongenitale Peromelie beim Rind.

Tierärztl. Prax. 31

BÄHR, C., WITTENBERG, K., DISTL, O.(2003): Polydaktylie bei einem Deutschen Holsteinkalb. Dtsch. tierärztl. Wschr. 110, 333-335.

BÄHR, C., DRÖGEMÜLLER, C., DISTL, O.: Syndaktylie bei Deutschen Holstein Kälbern. Dtsch. tierärztl. Wschr. (im Druck).

BÄHR, C., BAUM, B., HEWICKER-TRAUTWEIN, M., SCHOLZ, H., DISTL, O.:

Hyperextension der Fesselgelenke bei Deutschen Holsteinrindern und Deutschen Holstein-Limousin-Kreuzungskälbern. Dtsch. tierärztl. Wschr. (im Druck).

BÄHR, C., KUIPER, H., PETERS, M., SCHOLZ, H., DISTL, O.: Arthrogrypose in Verbindung mit Gesichtsskoliose und Tortikollis bei Deutschen Holsteinkälbern.

Dtsch. tierärztl. Wschr. (im Druck).

BÄHR, C., DISTL, O.: Brachyurie bei Deutschen Holstein-Rindern. Dtsch. tierärztl.

Wschr. (im Druck).

BÄHR, C., KUIPER, H., DISTL, O.: Bilaterale Anophthalmie in Verbindung mit weiteren Missbildungen im Kopfbereich bei Deutschen Holsteinkälbern. Dtsch.

tierärztl. Wschr. (im Druck).

BÄHR, C., DISTL, O.: Fallbericht - Bilaterale Anotie bei einem Deutschen Holsteinkalb. Dtsch. tierärztl. Wschr. (im Druck).

Bähr, C., Drögemüller, C., Distl, O.: Epitheliogenesis imperfecta bei Deutschen Holsteinkälbern. Tierärztl. Prax. (im Druck).

C. BÄHR, BEINEKE, A., DRÖGEMÜLLER, C., DISTL, O.: Diprosopus bei Kälbern verschiedener Rassen. Dtsch. tierärztl. Wschr. (im Druck).

BÄHR, C., DISTL, O.: Fallbericht - Diphallus bei einem Deutschen Holsteinkalb.

Dtsch. tierärztl. Wschr. (im Druck).

(5)

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung 1

2. Kongenitale Peromelie beim Rind 3

3. Polydaktylie bei einem Deutschen Holsteinkalb 18

4. Syndaktylie bei Deutschen Holsteinkälbern 26

5. Hyperextension der Fesselgelenke bei Deutschen Holsteinrindern und

Deutschen Holstein-Limousin-Kreuzungskälbern 39

6. Arthrogrypose in Verbindung mit Gesichtsskoliose und Tortikollis bei

Deutschen Holsteinkälbern 57

7. Brachyurie bei Deutschen Holstein Rindern 72

8. Bilaterale Anophthalmie in Verbindung mit weiteren Missbildungen im

Kopfbereich bei Deutschen Holsteinkälbern 83

9. Bilaterale Anotie bei einem Deutschen Holsteinkalb 93

10. Epitheliogenesis imperfecta bei Deutschen Holsteinkälbern 100

11. Diprosopus bei Kälbern verschiedener Rassen 118

12. Diphallus bei einem Deutschen Holsteinkalb 131

(6)

Inhaltsverzeichnis

13. Untersuchung zur Frequenz von angeborenen Anomalien beim Rind 135

14. Diskussion 156

15. Zusammenfassung 165

16. Summary 169

17. Anhang 173

Zu 2:

Abb. 2.1: Männliches Braunviehkalb mit monobrachialer

Peromelie an der rechten Vordergliedmaße 173

Abb. 2.2: Rechte distal stark verkürzte und gewinkelte Vordergliedmaße des Probanden in mediopalmarer Ansicht

(Pfeil = Karpus) 173

Abb. 2.3: Rechte distale Vordergliedmaße in dorsaler Ansicht. Beachte die Ausbildung eines breiten Kronsaumes

einer einheitlichen Hauptklaue (∆, Pfeil = Karpus) 173 Abb. 2.4: Klaue der rechten Vordergliedmaße mit

Ausbildung eines kurzen, wellenförmigen Klauenschuh und

zweier Afterklauen (Pfeile) 173

Abb. 2.5: Röntgenaufnahme der rechten distalen Vordergliedmaße im laterolateralen Strahlengang. Beachte die phalanxähnlichen, in einer Reihe angeordneten drei

distalen Knochengebilde (Pfeile) 173

(7)

Inhaltsverzeichnis

Zu 4:

Abb. 4.1: Deutsches Holstein Kalb mit Syndaktylie an der

rechten Vordergliedmaße. 174

Abb. 4.2: Röntgenbild von beiden Vordergliedmaßen des von Syndaktylie betroffenen Deutschen Holstein Kalbes im

dorsopalmaren Strahlengang. 174

Zu 5:

Abb. 5.1: Deutsches Holstein–Limousin–Kreuzungskalb mit hochgradiger beidseitiger Hyperextension der

Fesselgelenke an den Vordergliedmaßen (Kalb A3). 174 Abb. 5.2: Distaler Abschnitt der Vordergliedmaßen des

Deutschen Holstein-Limousin-Kreuzungskalbes mit

Hyperextension der Fesselgelenke (Kalb A3). 174 Abb. 5.3: Distaler Abschnitt der Hintergliedmaßen des

Deutschen Holstein-Rindes mit Hyperextension der

Fesselgelenke (Rind B1). 174

Zu 6:

Abb. 6.1: Arthrogrypose der Vordergliedmaßen und

Gesichtsskoliose bei einem Deutsche Holsteinkalb (Kalb 1). 175 Abb. 6.2: Gesichtsskoliose bei einem weiteren Deutschen

Holsteinkalb (Kalb 2). 175

Abb. 6.3: Verkrümmte Vordergliedmaße (Sektionsbild) eines

Deutschen Holsteinkalbes (Kalb 3). 175

Zu 7:

Abb. 7.1: Verkürzte Schwanzwirbelsäule bei Tier 1. 175 Abb. 7.2: Verkürzte Schwanzwirbelsäule bei Tier 2. 175

(8)

Inhaltsverzeichnis

Zu 8:

Abb. 8.1: Deutsches Holsteinkalb mit Anophthalmie und

Brachygnathia superior (Kalb 1). 175

Abb. 8.2: Deutsches Holsteinkalb mit Anophthalmie und

beidseitiger Nasen-Lippen-Spalte (Kalb 2). 175

Zu 9:

Abb. 9.1: Deutsches Holsteinkalb mit beidseitigem Fehlen

der Ohrmuscheln – Ansicht von vorn. 176

Abb. 9.2: Deutsches Holsteinkalb mit beidseitigem Fehlen

der Ohrmuscheln – Ansicht von der Seite. 176

Zu 10:

Abb. 10.1: Deutsches Holsteinkalb mit Epitheliogenesis

imperfecta 176 Abb. 10.2: Phalanx distales der linken Vorderextremität

eines mit Epitheliogenesis imperfecta betroffenen

Deutschen Holsteinkalbes 176

Zu 11:

Abb. 11.1: Flotzmaul von dem Deutsch Anguskalb mit

Diprosopus (Kalb 1) mit 3 Nasenlöchern. 176

Abb. 11.2: Diprosopus bei dem Deutschen Holstein Kalb

(Kalb 2 ). 176

Abb. 11.3: Diprosopus bei dem Deutschen Fleckvieh Kalb

(Kalb 3). 177

Abb. 11.4: Gehirn von Kalb 1 mit doppelt ausgebildeter

(9)

Inhaltsverzeichnis

Zu 12:

Abb. 12.1: Deutsches Holsteinkalb mit Diphallus. 177 Abb. 12.2: Verdopplung des Penis bei einem Deutschen

Holsteinkalb. 177

Zu 13:

Abb. 13.2: Kurzdokumentation der wichtigsten Missbildungen bei Deutschen Holstein Rindern für den Anomalienindex von

Besamungsbullen 178

(10)

Abkürzungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abb. Abbildung

AST Aspartat-Amino-Transferase

bp Basenpaare

BMP bone morphogenetic protein BTA Bos Taurus Autosom

BV Braunvieh

BVD Bovine Virusdiarrhoe bzw. beziehungsweise

ca. circa

CDMP 1 cartilage-derived morphogenetic protein 1 CVM complex vertebral malformation

d. h. das heisst

D-Loop Displacement-Loop DH Deutsche Holstein DRB Deutsche Rotbunte DFV Deutsches Fleckvieh

DNA Desoxyribonukleinsäure (desoxyribonucleic acid) DSB Deutsche Schwarzbunte

EDTA Ethylen-Diamin-tetra-Essigsäure (Acetic-Acid) ELISA enzyme-linked immunosorbent assay

ev. eventuell

F Inzuchtkoeffizient FGF fibroblast-growth-factor FGF4 fibroblast-growth-factor 4 FGF8 fibroblast-growth-factor 8

(11)

Abkürzungsverzeichnis

HF Holstein-Friesian Hrsg. Herausgeber

HSA Homo Sapiens Autosom

IBR Infektiöse Bovine Rhinotracheitis

M. musculus

m-RNA Boten Ribonukleinsäure (messenger ribonucleic acid)

MF Mulefoot

MLP Milchleistungsprüfung

mt-DNA mitochondriale Desoxyribonukleinsäure (desoxyribonucleic acid) N. nervus

Ln. lymphonodus

OMIM Online mendelian inheritance in man p.c. post conceptionem

p. ins. post insemination

PAS Perjodsäure-Schiff-Reaktion (periodic-acid Schiff) PCR Polymerase Kettenreaktion (polymerase chain reaction) prakt. praktischer

R Verwandtschaftskoeffizient RUW Rinder-Union West

RV Rotvieh

s. siehe

Shh Sonic hedgehog

SR Schwarzbuntes Milchrind der ehemaligen DDR

Tab. Tabelle

Tiernr. Tiernummer u. und

z. B. zum Beispiel z. T. zum Teil

(12)
(13)

1. Einleitung

1. Einleitung

Kongenitale Anomalien spielen in der heutigen Rinderhaltung eine große Rolle.

Immer wieder werden neue angeborene Anomalien entdeckt oder bereits bekannte, die Jahrzehnte lang nicht mehr gesehen wurden, treten erneut auf.

Missbildungen sind Defekte von Organen oder Organteilen oder im Zellstoffwechsel, die außerhalb der normalen Variation einer Spezies liegen und während der Ontogenese entstehen. Missbildungen sind sehr vielfältig in den Erscheinungsformen und im Manifestationsalter. Sie können nur ein Organ, mehrere oder nahezu alle Organe eines Tieres betreffen. Dabei kann eine Einteilung in Missbildungen des Bewegungsapparates, des Kopfes, der Wirbelsäule und des Rückenmarks, der Sinnesorgane, der Haut und des Haarkleides, des Herz-Kreislaufsystems, des Verdauungsapparates, der Nieren und harnableitenden Wege und der Geschlechtsorgane und in zentralnervöse und neurogene Störungen, Spaltbildungen des Körpers und Doppelmissbildungen erfolgen.

Die Ursachen für Missbildungen können umweltbedingt oder in vererbten Defekten der DNA begründet sein.

Die Landwirte werden heute von einigen Besamungsstationen der Rinderzucht angehalten, die auftretenden Missbildungen zu melden, damit Ursachen von Missbildungen aufgeklärt und diese durch geeignete Maßnahmen vermieden werden können. Trotzdem verläuft die Meldung der Fälle sehr schleppend. Verlässliche Zahlen über die Häufigkeit der Missbildungen sind nicht verfügbar. Nach Schätzungen der Besamungsstationen wird höchstens ein Viertel aller missgebildeten Tiere gemeldet, da die Landwirte häufig erst das Vorkommen melden, wenn die Missbildungen gehäuft auftreten und damit dem Landwirt ein größeres Problem entsteht.

Ziel dieser Arbeit ist es, die in den letzten zwei Jahren dem Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung gemeldeten Fälle und weitere in Tierarztpraxen erhobene Fälle von kongenitalen Anomalien in ihrem Erscheinungsbild zu beschreiben und nach Möglichkeit die Ursachen aufzuklären. Weiterhin sollten die zahlreichen

(14)

1. Einleitung

Missbildungen nach ihrer Häufigkeit quantifiziert werden, um darauf aufbauend einen Meldebogen für die systematische Erfassung von Missbildungen beim Rind zu entwerfen. Mit Hilfe dieses Meldebogens sollten in Zukunft von den Besamungsstationen die Daten für einen Anomalienindex zur Bewertung von Testbullen hinsichtlich ihrer Anlagefreiheit für Erbfehler erhoben werden.

(15)

2. Kongenitale Peromelie beim Rind

2. Kongenitale Peromelie beim Rind Congenital peromelia in cattle

C. Bähr, M. Peters, O. Distl

Aus dem Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung (Direktor: Prof. Dr. O. Distl) und der Arbeitsgruppe Diagnostik des Instituts für Pathologie (Leiter: Prof. Dr.

J. Pohlenz) der Tierärztlichen Hochschule Hannover

Schlüsselwörter: Rind - Gliedmaßenmissbildung - Peromelie

Zusammenfassung: Bei einem männlichen Kalb der Rasse Deutsches Braunvieh wurde eine monobrachiale Peromelie an der rechten Vordergliedmaße bei der Geburt festgestellt. Die missgebildete Gliedmaße wurde pathologisch-anatomisch und radiologisch untersucht. Die betroffene Gliedmaße war proximal bis einschließlich von Radius und Ulna physiologisch ausgebildet. Die weiter distal gelegenen Gliedmaßenabschnitte waren nur mehr rudimentär vorhanden und endeten in einer Krüppelklaue. Mögliche genetische und exogene Ursachen der seltenen angeborenen Missbildung werden vor dem Hintergrund einer Literaturübersicht zu kongenitalen Gliedmaßenanomalien beim Rind diskutiert. Als mögliche Ursachen könnten Defekte in der Expression von Genen, die für die Ausbildung dieser distalen Gliedmaßenabschnitte verantwortlich sind, in Frage kommen.

Key words: Cattle - malformation of legs - peromelia

Summary: In a male German Brown calf monobrachial peromelia in the right front limb was observed. The malformed limb was examined by means of pathological- anatomical and radiographical methods. The proximal limb from the shoulder up to the radius and ulna was normally developed. Only rudiments of the distal segments

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2. Kongenitale Peromelie beim Rind

of the limb were present and at the distal end of the limb there was only one small malformed claw. Possible genetic and environmental causes of this rare congenital anomaly were discussed in the context of congenital limb anomalies in cattle. Defects in the expression of genes responsible for development of the distal limb could be involved in the pathogenesis of this type of peromelia observed.

Einleitung

Die Peromelie gehört zu den Dysmelien und ist durch das Fehlen oder die Unterentwicklung der distalen Gliedmaßenabschnitte gekennzeichnet (3, 5, 6, 11, 27). Im Gegensatz zu der Ektro- oder Adaktylie sind bei der Peromelie außer den Phalangen auch die weiter proximal liegenden Gliedmaßenabschnitte, wie Metakarpal-, Metatarsal-, Karpal- und Tarsalknochen, betroffen und Rudimente der epidermalen Zehenendorgane, wie der Klauen bei Wiederkäuern, anzutreffen. Die Peromelie wurde in Einzelfällen bei den Haustierarten Rind, Pferd und Katze beschrieben, während bei Schwein, Ziege und Schaf der Defekt häufiger auftritt (1, 2, 4, 5, 6, 11, 20, 29). Die Hemimelie stellt eine Sonderform der Peromelie dar. Die Fehlbildung ist auf einen Gliedmaßenstrahl begrenzt. Die Acroteriasis congenita beim Rind bildet eine weitere Sonderform. Hierbei sind die Gliedmaßenabschnitte distal des Ellbogen- bzw. Kniegelenks an allen vier Gliedmaßen nur unvollständig ausgebildet. Diese Missbildung ist beim Rind häufig mit weiteren Anomalien am Kopf (Hydrozephalus, Brachygnathia inferior) und der Wirbelsäule verbunden und wird als Letalfaktor monogen autosomal rezessiv vererbt (30). Die Erbkrankheit wurde unter der Bezeichnung A5 in die Letalfaktorliste aufgenommen.

Das Fehlen von proximalen Knochen bei normal ausgebildeten distalen Abschnitten bezeichnet man als Phokomelie. Insgesamt zu klein ausgebildete Extremitäten werden als Mikromelien bezeichnet (5, 6, 11, 29). Eine in Zuchtversuchen nachgewiesene monogene, autosomal rezessive Vererbung ist beim Hund für die

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2. Kongenitale Peromelie beim Rind

zum Tarsalgelenk normal ausgebildet. Die Metakarpal- bzw. Metatarsalknochen waren hingegen verkürzt. Die erste und zweite Phalanx fehlte. An der vorhandenen dritten Phalanx fanden sich Klauenschuhe, die aber nur als loser Anhang erschienen und auf denen die Kälber nicht stehen konnten. Die Pedigrees zeigten, dass immer ein bestimmter Bulle und dessen Nachkommen als Väter auftraten. Deshalb vermutete JOHANSSON (10), dass dem Defekt ein monogen autosomal rezessiver Erbgang zugrunde liegt. YOUNG (31) entdeckte in Schottland bei Galloway-Rindern ein Tibia-Hemimelie-Syndrom; die betroffenen Tiere zeigten an beiden Hintergliedmaßen ein Fehlen oder eine starke Verkürzung der Tibia, eine ventrale Abdominalhernie, Kryptorchismus und eine fehlende Verbindung in der Beckensymphyse. Die Kälber wurden tot geboren oder starben kurz nach der Geburt. Ein identisches Krankheitsbild wurde von OJO et al. (19) erneut an sieben Galloway-Kälbern beschrieben. Auch für dieses Syndrom ist ein autosomal rezessives Gen verantwortlich.

LEIPOLD et al. (16) führten einen Paarungsversuch mit Elterntieren, bei denen bereits missgebildete Nachkommen aufgetreten waren, durch. Dazu wurden 8 Galloway-Kühe und ein Galloway-Bulle ausgewählt. Während des Versuchszeitraumes wurden 16 Kälber geboren, wovon 6 Tiere eine tibiale Hemimelie zeigten. Auf Grund der Variabilität der missgebildeten Skelettabschnitte und der assoziierten Missbildungen bei den Kälbern aus diesem Anpaarungsversuch vermuteten Leipold et al. (16) einen monogenen, autosomal rezessiven Erbgang mit variabler Expressivität und pleiotroper Wirkung auf verschiedene Körpersysteme.

Eine bilateral auftretende Peromelie an den Vordergliedmaßen sowie an allen vier Gliedmaßen fand BLOKHUIS (4) bei zwei 5 bzw. 5 ½ Monate alten Rinderfeten und interpretierte sie in Analogie zu ähnlichen Beobachtungen bei Schaf und Ziege als letale rezessive Missbildung. Bei diesen Kälbern waren der Karpus bzw. der Karpus und Tarsus nicht ausgebildet und die darüber liegende Haut fehlte bzw. war froschartig ausgebildet. DUZGUNES und TUNCAY (7) beobachteten beim Schweizer Braunvieh eine Peromelie aller vier Gliedmaßen. WEBER (28) beschrieb eine monobrachiale Peromelie bei einem weiblichen Simmentalerkalb. Bei diesem Tier war der Humerus normal ausgebildet, Radius und Ulna waren um ca. 15 % verkürzt.

(18)

2. Kongenitale Peromelie beim Rind

Auf 6 Karpalgelenksknochen folgten nur noch 2 verkürzte Metakarpalknochen und ein Horngebilde, das durch Längsrillen in der Oberfläche wie 5 lange Hornkrallen erschien. Über eine mögliche Ursache äußerte sich der Autor nicht.

SALAKO und ABDULLAHI (22) beschrieben bei einem Bunajikalb eine tibiale Hemimelie beider Hintergliedmaßen, ähnlich dem Tibia-Hemimelie-Syndrom beim Galloway, verbunden mit Kryptorchismus. Ein ähnliches Syndrom beobachteten LAPOINTE et al. (15) bei Shorthorn-Kälbern. Hier zeigten 6 Kälber eine beidseitige tibiale Hemimelie in Kombination mit einer abdominalen Hernie. 3 Kälber zeigten zusätzlich eine Meningozele. Auf Grund des Pedigrees vermuteten LAPOINTE et al.

(15) einen monogenen autosomal rezessiven Erbgang.

Für die Peromelie der Angoraziege konnte in einer dänischen Studie ein monogen, autosomal rezessiver Erbgang nachgewiesen werden. Das erwartete Mendelsche Verhältnis von 1 : 7 (Betroffene zu Nicht-betroffene Zicklein) konnte in dem Anpaarungsschema von Anlageträgern x Nachkommen von Anlageträgern ziemlich genau erreicht werden. Da das Ausmaß der Deformationen an den einzelnen Gliedmaßenabschnitten und die Anzahl der betroffenen Gliedmaßen variierten, postulierten die Autoren eine variable Expression (1, 18). Allen Fällen war gemeinsam, dass die Phalangen gänzlich und Teile des Metakarpus oder Metatarsus an einer, zwei, drei oder allen vier Gliedmaßen fehlten. In zwei der insgesamt acht Fälle waren die Knochen proximal des Metatarsus unterentwickelt (18). Die Klauenhornschuhe waren stets vorhanden, wenn auch in rudimentärer Form.

Ansonsten gibt es bei der Ziege weitere Berichte über die Peromelie bei Baladie Ziegen (8) und in der West-Berliner Ziegenzucht (23).

Beim Schaf traten Peromelien vor allem in Australien bis zu einer Häufigkeit von 11 % auf (2). Als Ursache dafür werden bestimmte Lupinensorten (Lupinus consentinii) und andere teratogene Futterpflanzen wie Veratrum californicum diskutiert, aber konnten bisher nicht eindeutig als kausal nachgewiesen werden (2,

(19)

2. Kongenitale Peromelie beim Rind

Ergebnisse

Anamnese und Klinik

Ein männliches Braunviehkalb fiel bereits bei der Geburt durch die stark verkürzte rechte Vordergliedmaße auf. Das Tier war munter, konnte stehen und sich auf drei Beinen fortbewegen. Die distalen Gliedmaßenabschnitte fehlten und die Gliedmaße endete in einer Krüppelklaue (Abb. 1). Das Kalb wurde im Alter von etwa 4 ½ Monaten mit einem Lebendgewicht von ca. 120 kg geschlachtet, da aufgrund des zunehmenden Gewichtes die normal ausgebildete Vordergliedmaße zu stark belastet wurde und bereits der Schulterknorpel am Übergang zum knöchernen Teil der Scapula in horizontaler Richtung abknickte. Die im Ellbogengelenk abgesetzte rechte Vordergliedmaße gelangte nach der Schlachtung zur pathologisch-anatomischen Untersuchung.

Pathologisch-anatomische und radiologische Untersuchung

Die normal behaarte Gliedmaße zeigte einen proportioniert erscheinenden Unterarm, wobei die Länge des Radius 16,6 cm und die Länge der Ulna vom distalen Caput ulnae bis zur Incisura trochlearis 16 cm betrug. Die distalen Gliedmaßenabschnitte waren hochgradig verkürzt (Abb. 2 und 3). Im Karpalbereich wies die Gliedmaße eine manuell nicht zu streckende Beugehaltung mit einem Winkel von ca. 45° auf, um nach einer Strecke von 6 cm erneut in gestreckter Haltung, achsenparallel zum Unterarm nach ca. 10 cm mit einer klauenähnlichen Morphologie zu enden. Auch diese Abweichung der Gliedmaßenachse war manuell nicht zu korrigieren. Palmar waren an der distalen Gliedmaße zwei mit jeweils einem Klauenschuh versehene Afterklauen nachweisbar. Aus einem breiten, schwach behaarten, braun-grau- pigmentierten Kronsaum ging ein max. 1,5 cm langer, halbkreisförmiger, einheitlicher und damit unpaariger Hornschuh mit gewelltem Relief hervor (Abb. 4). Anstelle einer Sohlenfläche fand sich eine ca. 2 cm tiefe Einziehung der Haut unmittelbar hinter dem Wandhorn des rudimentären Klauenschuhs. Die röntgenologischen (Abb. 5) Aufnahmen zeigten eine regelrechte Ausbildung von Radius und Ulna mit distal noch nicht geschlossenen Epiphysenfugen. Im weiteren distalen Gliedmaßenverlauf waren mindestens 6 röntgendichte, knochenähnliche Gebilde zu erkennen. Die Zuordnung

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2. Kongenitale Peromelie beim Rind

dieser knochenähnlichen Gebilde zu normalanatomischen Knochenstrukturen ist unsicher. Zwischen der distalen Radiusepiphyse und einem länglichen, palmodistal angrenzenden Knochenfragment bestand ein einheitlicher, ca. 4 mm breiter Gelenksspalt. Die am weitesten distal gelegenen, drei Knochengebilde besaßen eine längliche, an den Polen abgerundete Gestalt und lagen phalanxähnlich in einer Reihe, um in der lateralen Afterklaue zu enden (Abb. 5). Gelenksspalten waren zwischen diesen Knochen nicht ausgebildet. Bei diesen Knochenfragmenten handelte es sich offenbar um einen einzelnen Gliedmaßenstrahl im Zentrum der distalen Gliedmaße.

Weitergehende tierzüchterische Erhebungen

Das Pedigree des betroffenen Kalbes konnte 5 Generationen zurückverfolgt werden.

In der Verwandtschaft des Probanden konnten keine weiteren betroffenen Tiere ermittelt werden. Auch zeigte sich keine Inzucht für den Probanden. Zuvor war kein derartiger Fall in der Herde aufgetreten. Der Vater des Kalbes ist ein zur Besamung eingesetzter Testbulle der Rasse Deutsches Braunvieh aus dem Geburtsjahrgang 1998 aus Baden-Württemberg. Es wurden ab Mai 2000 800 Besamungen für den Prüfeinsatz vorgesehen. Bisher wurden 256 Geburten registriert, davon waren 135 Tiere weiblich. Ein weiterer Fall von Peromelie ist bisher unter diesen Nachkommen nicht bekannt. Von dem betroffenen Kalb wurden EDTA-Blut- und Gewebeproben und von seinen Eltern EDTA-Blut- bzw. Spermaproben asserviert, um bei Auftreten weiterer Fälle molekulargenetische Untersuchungen durchführen zu können.

Diskussion

Peromelien beim Rind sind bisher selten beschrieben worden. Der von WEBER (28) beobachtete Fall einer monobrachialen Peromelie bei einem Simmentalerkalb zeigt große Ähnlichkeiten mit dem eigenen Fall. Bei beiden Kälbern traten die

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2. Kongenitale Peromelie beim Rind

wurden die zwei weiter distal gefundenen Knochen den Metakarpalknochen zugeordnet. Im Gegensatz dazu scheinen beim eigenen Fall die distalen drei der 6 Knochen phalanxähnlich angeordnet zu sein und einen Gliedmaßenstrahl zu bilden.

Bei beiden Tieren befand sich am Ende der Gliedmaße ein rudimentärer Klauenschuh.

Prinzipiell können Missbildungen endogen oder exogen entstehen. Bei endogener Entstehung würden Erbfaktoren verantwortlich sein, während bei exogener Vererbung äußere teratogene Faktoren eine Rolle spielen.

Auf Grund des Pedigrees und der Nachforschungen über die Nachkommenschaft des Vaters liegen keine Hinweise auf einen monogen autosomal rezessiven Erbgang vor. Es ist sogar im Hinblick auf die größere Anzahl von Nachkommen des Vaters eher unwahrscheinlich, da dann weitere Fälle zu erwarten gewesen wären.

Eine X-chromosomal rezessive Vererbung ist weder auszuschließen noch anzunehmen. Hier würde sich das mutierte Gen auf dem X-Chromosom befinden und durch die Mutter weitergegeben werden. Bei männlichen Nachkommen besteht dann eine 50 %-ige Wahrscheinlichkeit, dass der Defekt in Erscheinung tritt.

Für bilateral symmetrische Peromelien an beiden Vorder- oder Hintergliedmaßen oder sogar an allen 4 Gliedmaßen lassen sich in der Literatur Hinweise auf eine Erblichkeit beim Rind finden (4, 7). Sowohl bei der Acroteriasis congenita und den

„Creeper Calves“ als auch beim Tibia-Hemimelie-Syndrom dürfte von einem monogen autosomal rezessiven Erbgang ausgegangen werden (10, 16, 19, 30, 31).

Diese in der Literatur beschriebenen Fälle von Peromelie unterschieden sich jedoch in dem Ausmaß der bilateral fehlenden oder missgebildeten Gliedmaßenabschnitte erheblich von dem hier vorliegenden Fall.

Gesicherte Hinweise auf erbliche Ursachen monobrachialer Dysmelien lassen sich in der Literatur mit Ausnahme der Dreibeinigkeit des Schweines (11, 20) und der Peromelie der Angoraziege (1) nicht finden. Bei Angoraziegen traten in einem Anpaarungsversuch neben bilateral von Peromelie betroffenen Zicklein auch Tiere auf, die nur einseitig Peromelie aufwiesen. Alle diese Fälle konnten mit einem monogen, autosomal rezessiven Erbgang erklärt werden. Fütterungsbedingte Ursachen konnten ausgeschlossen werden (1, 18). FISCHER (9) berichtete über ein

(22)

2. Kongenitale Peromelie beim Rind

Kalb mit Phokomelie der rechten Vordergliedmaße und diskutierte die möglichen Ursachen der monobrachialen Missbildung. Während andere Autoren vermuteten, dass derartige Missbildungen in der Embryonalentwicklung durch Druck, Verlagerung oder Abschnürungen durch Nabelgefäße entstehen können, nahm FISCHER (9) an, dass es sich bei dem von ihm beschriebenen Fall um einen monogenen autosomal rezessiven Erbgang handelt, da ein weiteres Kalb von demselben Bullen ebenfalls eine Missbildung aufwies. Teratogene Faktoren, die eine Missbildung der Gliedmaßen hervorrufen, müssen zum Zeitpunkt der Gliedmaßenentwicklung eingewirkt haben. Laut RÜSSE und SINOWATZ (21) entwickeln sich beim Rind die Extremitätenknospen schon zu einem frühen Zeitpunkt der Embryonalentwicklung;

eine exogene Noxe muss folglich bereits ab dem 24. bis 34. Tag p.c. einwirken. Um eine monobrachiale oder monopodale Extremitätenmissbildung zu entwickeln, muss die Noxe einseitig auf nur eine Extremitätenknospe des Embryos beschränkt bleiben.

Laut Auskunft des Besitzers waren keine Auffälligkeiten in der Frühträchtigkeit der Mutter des Kalbes bekannt, so dass bisher keine Anhaltspunkte für eine externe Ursache ermittelt werden konnten.

Die neuen molekulargenetischen Erkenntnisse der Entwicklungsbiologie lassen jedoch bereits gewisse Rückschlüsse auf die Faktoren und Gene zu, die für das Entstehen derartiger Missbildungen verantwortlich sein können.

Die Gliedmaßen beginnen sich beim Embryo im Grenzbereich zwischen dorsaler und ventraler Körperseite zu entwickeln, wenn die Strukturen der Hauptkörperachse festgelegt sind. Beim Mensch erscheinen die Extremitätenknospen der vorderen Gliedmaße am Tag 26-28 und der Hinterextremität 2 Tage später (3).

Die Gliedmaßenknospen werden von den sich schnell teilenden mesenchymalen Zellen gebildet und von einem Saum ektodermaler Zellen bedeckt (apikaler ektodermaler Streifen). In diesen ektodermalen Zellen und in bestimmten Zentren der

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2. Kongenitale Peromelie beim Rind

Feedback Regelkreis. Die Expression des Morphogens Sonic Hedgehog (Shh) in der Progressionszone hält die Konzentration der Fibroblasten-Wachstumsfaktoren (FGF4, FGF8) im apikalen ektodermalen Streifen aufrecht und vice versa. Die lokale Applikation von mit FGF4 getränkten Implantaten an der Körperflanke induziert die Entwicklung einer ektopischen Gliedmaße. Es entsteht eine Vordergliedmaße, wenn die Applikation im vorderen Bereich der Flanke erfolgt, und eine Hintergliedmaße für die entsprechende Applikation an dem hinteren Bereich der Körperseite. Weiterhin spielen die bone morphogenetic Proteine (BMP) und das Protein Gremlin eine komplexe Rolle im Regelkreis für die Gliedmaßenentwicklung. Mit dem Auswachsen der Gliedmaßenknospe proliferieren die Zellen in der Progressionszone und erhalten dabei die Information, für welche Knochen sie Knorpelzellen bilden sollen. Die Gliedmaßenskelettentwicklung beginnt zuerst beim Stylopodium (Humerus, Femur), danach wird das Zeugopodium (Radius, Ulna, Tibia, Fibula) geformt und zum Schluss erst das Autopodium (Karpal,- Tarsal-, Metakarpal-, Metatarsalknochen und Phalangen) (3, 17).

Aus mikrochirurgischen Experimenten bei Küken ist bekannt, dass die Entfernung des apikalen ektodermalen Streifens (säulenartige Epithelzellen an den Extremitätenknospen) zu einer Entwicklungsstörung der Gliedmaße führt. Umso früher dies geschieht, desto stärker wird die proximo-distale Entwicklung der Gliedmaße reduziert. So entwickelt sich nach Entfernung des apikalen ektodermalen Streifens an der Vorderextremität am Tag 3 p.c. nur der Humerus und sehr kleine Teile von Radius und Ulna entstehen, während bei einem Eingriff am Tag 4 bereits die Entwicklung von Humerus, Radius, Ulna und Teilen der Karpalknochen sichergestellt ist. Bei Substitution der mikrochirurgisch manipulierten Gliedmaßenknospe mit FGF8 (fibroblast growth factor 8) kann wiederum eine fast normale Gliedmaße entstehen (3, 17).

Aus knock-out Experimenten mit der Maus ist weiterhin bekannt, dass eine Inaktivierung des Hoxd 11-Gens zu einer Längenreduktion von Radius und Ulna führt; werden Hoxa 11 und Hoxd 11 inaktiviert, so fehlen Radius und Ulna vollständig, bei einer Inaktivierung von Hoxd 13 fehlen Knochenanteile im Autopodium wie Metakarpalknochen, einzelne Phalangen und einzelne

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2. Kongenitale Peromelie beim Rind

Karpalknochen. Bei Mäusen mit knock-out Genen für die FGF-Rezeptoren entwickeln sich keine Gliedmaßenknospen (3, 12, 25).

Die molekulargenetische Aufklärung von schweren angeborenen Dysmorphogenesen der Extremitäten beim Mensch zeigte, dass Mutationen in Genen für bestimmte Signalproteine der Knorpel- und Knochenentwicklung dafür verantwortlich zu machen sind. Bei der Chondrodysplasie, Typ Grebe (OMIM:

200700), werden die Metakarpal- und Metatarsalknochen sowie die proximalen und mittleren Phalangen nicht ausgebildet. Karpal- und Tarsalbeine sind miteinander verschmolzen. Finger und Zehen erscheinen als Hautanhänge und besitzen keine Gelenke. Die Missbildung betrifft beide Vorder- und Hintergliedmaßen gleichermaßen. Das Achsen- sowie das Kopfskelett sind normal ausgebildet. Der Erbgang ist monogen, autosomal rezessiv und wird durch Mutationen im Gen CDMP1 (cartilage-derived morphogenetic protein 1 = GDF5, growth differentiation factor 5) auf HSA 20q11.2 verursacht (26). Bei Eltern, die Kinder mit der Chondrodysplasie, Typ Grebe, hatten, und somit nachweislich heterozygote Anlageträger sind, ist eine Brachydaktylie auffällig. Dabei sind die mittleren Phalangen der Finger 2-5 sowie die Metakarpalknochen des Daumens betroffen (26).

Durch eine andere Mutation in demselben Gen wird die Acromesomelische Dysplasie, Hunter-Thompson Typ (OMIM: 201250), verursacht. Bei diesen Patienten sind die Metakarpal- und Metatarsalknochen sowie die Phalangen verkürzt. Der Radius ist gekrümmt. Zusätzlich können Gelenke (Hüft-, Knie-, Ellbogen- und Sprunggelenk) disloziert sein (27).

Bei Mäuselinien führen Mutationen im Gdf5-Gen zu verkürzten Gliedmaßen (Brachypodie), jedoch zu keinem Fehlen von Gliedmaßenknochen. Betroffen sind vor allem die distalen Gliedmaßenabschnitte, nämlich Metakarpal- und Metatarsalknochen sowie die basalen wie mittleren Phalangen (12, 25). Die ersten

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2. Kongenitale Peromelie beim Rind

Zusammenfassend läßt sich somit feststellen, dass lokale Störungen bestimmter Zellen im apikalen ektodermalen Streifen oder bestimmter mesenchymaler Zellpopulationen in der Extremitätenknospe in einem späteren Stadium der embryonalen Gliedmaßenentwicklung zu dem hier beschriebenen Bild der gestörten Entwicklung der Gliedmaße führen können. Eine Störung der Signaltransduktion in den Zellen des apikalen ektodermalen Streifens könnte nur dann als Ursache in Frage kommen, wenn dadurch Signalfaktoren betroffen werden, die für die Knorpel- und Knochenentwicklung von Bedeutung sind. Dies könnten Proteine der Fibroblasten Wachstumsfaktor Familie und deren Rezeptoren sein. In diesem Fall müsste die Noxe zeitlich so determiniert sein, dass nur die Entwicklung der Knorpel- und Knochenentwicklung des Zeugopodiums und nicht des Zeugopodiums insgesamt gestört wird, da die Haut und Rudimente der Klauen bei dem vorliegenden Fall angelegt waren. Eine Mutation in dem CDMP1 (GDF5) – oder Hoxd 13-Gen erscheint unwahrscheinlich auf Grund des streng symmetrischen Auftretens der Missbildungen beim Menschen. Jedoch könnte die Expression des CDMP1 (GDF5) – oder des Hoxd 13-Gens in der betroffenen Gliedmaße gestört worden sein. Eine monogenetische Ursache erscheint für den vorliegenden Fall wenig wahrscheinlich, da bei den entsprechenden Mutationen bei Mensch und Maus die Defekte an allen Extremitäten auftraten und symmetrisch an den Vorder- bzw. Hinterextremitäten erschienen. Eine variable Expression des Defektes an den verschiedenen Gliedmaßen kann durch die Beteiligung weiterer Gene an einer Signaltransduktionskette oder einem Stoffwechselprozess erklärt werden. Da sehr viele Gene an der Entwicklung der Gliedmaßen beteiligt sind, könnte es durchaus sein, dass bei einer variablen Expression eines Defektes mehrere Gene Mutationen in unterschiedlichem Ausmaß aufweisen. Bei symmetrisch angelegten Organen ist es vorstellbar, dass Reparatursysteme oder Kompensationsmechanismen für bestimmte Gene eine verschieden hohe Aktivität zwischen den paarigen Organen aufweisen oder unterschiedlichen somatischen Mutationen unterliegen. Dadurch kann der Defekt zum Beispiel an einer Gliedmaße exprimiert werden und an der kontralateralen Gliedmaße nicht, da ein weiteres dazu notwendiges Gen nicht mutiert war oder eine entsprechende Aktivität zeigte, dass ein bestimmter Prozess ablaufen

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2. Kongenitale Peromelie beim Rind

konnte. Diese Hypothese unterstützen die Beobachtungen über das Auftreten der Dreibeinigkeit beim Schwein (11, 20) und die Untersuchungen an den Angoraziegen, bei denen eine hohe Variabilität der Befunde zwischen den Gliedmaßen der jeweiligen Tiere auftrat (1, 18). Die früher häufig geäußerten Vermutungen wie fehlendes Platzangebot der Frucht, Abschnürungen durch die Nabelschnur oder Traumata in einem späteren Graviditätsstadium, sind auf der Grundlage der neuen molekulargenetischen Zusammenhänge als Ursachen ziemlich unwahrscheinlich. Ob die manuelle Trächtigkeitsuntersuchung mittels des Eihautgriffes zu einer Gefäßschädigung an den sich entwickelnden Extremitäten führen kann und damit möglicherweise eine Bedeutung für derartige angeborene Missbildungen hat, kann nicht beurteilt werden. Entsprechend den Erfahrungen mit dem Entstehen von Darmaplasien (24) sollte die Trächtigkeitsuntersuchung vor dem 42. Tag p. ins.

manuell nur sehr vorsichtig oder besser sonografisch durchgeführt werden.

Fazit für die Praxis

Kongenitale Missbildungen der Gliedmaßen, wie zum Beispiel Peromelien, treten beim Rind in sehr verschiedenen Formen auf. Eine systematische klinische und pathologische Beschreibung der Symptome trägt wesentlich zur besseren Klassifizierung der Fälle bei und kann über den Vergleich mit analogen Fällen bei anderen Spezies wie Mensch oder Maus die rasche molekulargenetische Aufklärung des Defektes ermöglichen. Der praktische Tierarzt kann wesentlich zur Aufklärung von kongenitalen Anomalien beitragen, wenn er die Fälle aus seiner Praxis interessierten Instituten meldet. Insbesondere bei sporadisch auftretenden kongenitalen Missbildungen ist es besonders wichtig, dass eine Erfassung an einem oder mehreren Instituten erfolgt, um mögliche Ursachen aufzuklären.

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2. Kongenitale Peromelie beim Rind

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Danksagung

Herrn Dr. F. R. Gauchel, prakt.Tierarzt, sei für die Ermittlung des Falles und seine engagierte Mithilfe bei der Erhebung der Daten sehr herzlich gedankt.

Herrn Dr. C. Kampmann, Klinik für Pferde der Tierärztlichen Hochschule Hannover (Direktor: Prof. Dr. Dr. h. c. Deegen), sei für die Erstellung der Röntgenaufnahmen herzlich gedankt.

Abb.: s. Anhang Abb. 2.1 –2.5.

Corinna Bähr, Prof. Dr. Ottmar Distl

Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Tierärztlichen Hochschule Hannover

Bünteweg 17p D-30559 Hannover

E-mail: ottmar.distl@tiho-hannover.de Dr. Martin Peters

Institut für Pathologie der Tierärztlichen Hochschule Hannover Bünteweg 17

D-30559 Hannover

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3. Polydaktylie bei einem Deutschen Holsteinkalb

3. Polydaktylie bei einem Deutschen Holsteinkalb

Bähr, C.1, Wittenberg, K.2, Distl, O.1

1Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Tierärztlichen Hochschule Hannover

2Besamungsstation Hündersen der Rinder-Union West eG

BÄHR, C., WITTENBERG, K., DISTL, O.(2003): Polydaktylie bei einem Deutschen Holsteinkalb

Dtsch. tierärztl. Wschr.

Zusammenfassung

Ein weibliches Zwillingskalb der Rasse Deutsche Holstein wurde mit Polydaktylie in Form einer dritten medial angelegten Zehe an beiden Vordergliedmaßen und an einer Hintergliedmaße geboren. Der männliche Zwillingspartner und vier weitere mütterliche Nachkommen wiesen keine Missbildungen der Gliedmaßen auf. Das von Polydaktylie betroffene Kalb konnte anhand seines Pedigrees auf gemeinsame Vorfahren zurückgeführt werden. Der Inzuchtkoeffizient betrug 1,312 %. Da für ähnliche Fälle von monogenen oder digenen Erbgängen ausgegangen wird, könnte dem vorliegenden Fall auch eine genetische Ursache zu Grunde liegen.

Schlüsselwörter: Rind - Polydaktylie – Gliedmaßenmissbildung

BÄHR, C., WITTENBERG, K., DISTL, O.(2003): Polydactyly in a German Holstein calf

Dtsch. tierärztl. Wschr.

Summary

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3. Polydaktylie bei einem Deutschen Holsteinkalb

ancestors. The coefficient of inbreeding in this family was 1,312 %. Because a monogenic or digenic gene expression was suspected in similar cases, it is most probable that the polydactyly is inherited in the present case.

Key words: Cattle – Polydactyly - Malformation of limbs

Einleitung und Literaturübersicht

Polydaktylie ist durch das Vorhandensein überzähliger Zehen gekennzeichnet. Sie führt bei den meisten Tieren zu Lahmheiten unterschiedlichen Grades. Die Polydaktylie beim Rind ist bereits von mehreren Autoren in unterschiedlichen Formen und bei mehreren Rassen beschrieben worden. Einige Autoren unterscheiden zwischen atavistischer und teratologischer Polydaktylie (NEFF 1937, MAROLT 1967, ILJAS 1967, BORHOVEN 1968). Als Unterscheidungsmerkmal wird die Lokalisation der überzähligen Zehe herangezogen. Befindet sich die überzählige Zehe an einer Stelle, an der sie sich im Laufe der Phylogenese bei den Urahnen reduziert hat, dann spricht man von einem Atavismus (NEFF, 1937). Beim Rind sind bei physiologischer Entwicklung die Zehenstrahlen 3 und 4 vollkommen ausgebildet. Die Strahlen 2 und 5, an denen sich die Afterklauen befinden, sind phylogenetisch reduziert und weisen nur noch zwei Phalangen auf. LEIPOLD et al. (1971) sehen diese Unterscheidung als veraltet an und weisen auf eine Überschneidung der Begriffe hin, da ein Atavismus in Form einer Polydaktylie sowohl hereditär als auch teratogen bedingt sein kann. Es werden verschiedene Formen der Polydaktylie unterschieden. So teilten JOHNSON et al. (1982) die Polydaktylie in 7 verschiedene Typen ein:

Typ 1: Bilaterale Polydaktylie an den Vorderextremitäten mit zusätzlichen Metakarpalknochen und Phalangen medial. Dies ist die häufigste Form beim Rind.

Typ 2: Unilaterale Form der Polydaktylie an einer Vorder- oder Hinterextremität mit überzähligen Metakarpal- oder Metatarsalknochen und Phalangen.

Typ 3: Alle 4 Extremitäten weisen medial zusätzliche Zehen auf.

Typ 4: Bilaterale Verdopplung der Zehe mit Dimelie (doppelter Ausbildung) der Vorder- oder Hinterextremitäten. Seltene Form.

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3. Polydaktylie bei einem Deutschen Holsteinkalb

Typ 5: Polysyndaktylie: Kombination von Poly- und Syndaktylie, wobei die distalen Gliedmaßenanteile des zweiten und dritten Zehenstrahles von einem Hornschuh eingeschlossen werden.

Typ 6: Bilateral unvollständige Ausbildung der zweiten Metakarpalknochen.

Typ 7: Polydaktylie in Verbindung mit einem Missbildungskomplex.

JOHNSON et al. (1982) vermuteten bei den Typen 1 bis 6 eine genetische Ursache und beim Typ 7 eher eine umweltbedingte Ursache.

Die Polydaktylie wurde in der Literatur häufig als erblich beschrieben. Verschiedene Erbgänge wurden vermutet: polygene, autosomal dominante, autosomal rezessive und X-chromosomal rezessive. ROBERTS (1921) beschrieb die Polydaktylie bei einer Kuhfamilie der Rasse Holsteins als autosomal monogen dominant vererbt, wobei in dieser Familie Mutter, Großmutter und drei Söhne betroffen waren. Bis auf ein Tier zeigten alle anderen Tiere mit Polydaktylie jeweils 3 Zehen an allen 4 Extremitäten. Die Ausnahme bildete ein Sohn, der ebenfalls 3 Zehen an den Vordergliedmaßen aufwies und an einer Hintergliedmaße jedoch vier sowie an der anderen Hintergliedmaße 5 Zehen. Auch LAUVERGNE (1962) beschrieb die Polydaktylie in der Nachkommenschaft eines Bullen der Rasse Normänner, wo die betroffenen Tiere ebenfalls eine dritte Zehe an der medialen Seite aller Gliedmaßen zeigten. Als Ursache wurde ein dominanter Erbgang mit unvollständiger Penetranz vermutet. MATHER (1987) dagegen beschrieb mehrere Fälle von Polydaktylie in einer Friesian-Herde. Die 22 Nachkommen mit Verdopplungen der Zehen stammten von einem Hereford-Bullen, der keine Polydaktylie aufwies. Auch alle 69 Kühe der Rasse Holstein Friesian aus dieser Herde wiesen keine Missbildungen der Gliedmaßen auf. Bei den betroffenen Nachkommen war meist an einer oder beiden Vordergliedmaßen medial eine zusätzliche Zehe angelegt. Der Autor vermutete hier einen monogen autosomal rezessiven Erbgang. OJO et al. (1975) fanden bei einem Holstein-Friesian-Kalb mit Polydaktylie keine Hinweise auf Chromosomenanomalien.

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3. Polydaktylie bei einem Deutschen Holsteinkalb

MORILL (1945) beobachtete Polydaktylie in Form einer zusätzlichen Zehe an beiden Vordergliedmaßen in einer Hereford-Herde. Zwei Kühe mit physiologischer Ausbildung der Gliedmaßen, Mutter und Tochter, hatten bei Anpaarung an jeweils einen anderen Bullen, je einen männlichen Nachkommen mit Polydaktylie. Da die Mutter noch zusätzlich eine Tochter mit phänotypisch normal ausgebildeter Gliedmaße hatte, vermutete der Autor einen rezessiven X-chromosomalen Erbgang.

JOHNSON et al. (1981) nahmen Anpaarungsversuche, teilweise mit Hilfe von Embryotransfer, in einer Simmentaler Herde vor, in der vier weibliche Tiere eine Polydaktylie in Form einer dritten medialen Zehe aufwiesen, und vermuteten aufgrund der Ergebnisse einen polygenen Erbgang mit einem dominanten Gen auf einem Locus und homozygot rezessiven Genen auf einem anderen Locus.

Material und Methoden

In einer Milchviehherde wurde ein von Polydaktylie betroffenes Kalb der Rasse Deutsche Holsteins, Farbrichtung schwarzbunt, und dessen verwandte Tiere klinisch untersucht. Anhand des Pedigrees des betroffenen Tieres konnten Inzuchtkoeffizient und Verwandtschaftskoeffizient der Familienmitglieder berechnet werden.

Ergebnisse

Anamnese und klinische Untersuchung

Auf einem Milchviehbetrieb wurde am 15.4.1999 ein weibliches Zwillingskalb der Rasse Deutsche Holsteins mit einer Gliedmaßenmissbildung geboren. Es zeigte medial an beiden Vordergliedmaßen und an der rechten Hintergliedmaße eine zusätzliche voll ausgebildete Klaue anstelle der sonst rudimentären Afterklauen (Abb. 1). Das Kalb wies eine verhältnismäßig kleine Vulva auf, was bei einem männlichen Zwillingspartner auf eine Zwickenbildung hinweist. Weitere Anomalien hatte das vitale Tier nicht. Der männliche Zwillingspartner besaß keine offensichtlichen Anomalien. Die 4 älteren mütterlichen Halbgeschwister zeigten keine angeborenen Anomalien der Gliedmaßen.

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3. Polydaktylie bei einem Deutschen Holsteinkalb

Auswertung des Pedigrees

Das Kalb stammt von dem US-amerikanischen Besamungsbullen JAZZMAN ab.

Vater der Mutter ist der kanadische Besamungsbulle LINCOLN. Für die Mutter und den Vater des Kalbes wurden zwei gemeinsame Ahnen ermittelt (Abb. 2). Das betroffene Kalb weist einen Inzuchtkoeffizienten F = 1,312 % auf, wobei die Bullen ELEVATION und ASTRONAUT je einen Beitrag von 44,65 % zur Inzucht F leisten.

Der Vater des Kalbes und der mütterliche Vater weisen einen Verwandtschaftskoeffizienten von 5,25 % auf.

Weitere Fälle sind weder in der Nachkommenschaft der genannten Bullen noch in der Verwandtschaft der Mutter bekannt. Die vier weiteren Kälber der Mutter, die von anderen Besamungsbullen abstammten, sowie der männliche Zwillingspartner waren nicht von Gliedmaßenanomalien betroffen.

Diskussion

In dem hier vorgestellten Fall handelte es sich um eine in der Literatur als häufigste Form der Polydaktylie beschriebene Verdopplung der Zehen. Es lag eine bilaterale Polydaktylie an den Vordergliedmaßen und eine unilaterale Polydaktylie an der rechten Hintergliedmaße vor. Diese Anomalie kann sicherlich als Atavismus eingestuft werden, da offensichtlich die überzähligen Zehen am 2. Zehenstrahl ausgebildet sind und sich somit an einer phylogenetisch rückgebildeten Stelle befinden. Die Definition als Atavismus gibt keinen Hinweis auf die Ursache der Anomalie. Der Atavismus kann sowohl erblich als auch umweltbedingt sein.

Durchaus denkbar ist, dass bestimmte Signalfaktoren, die an der Ausbildung der distalen Extremität beteiligt sind und zu einer Unterdrückung der Entwicklung des 3.

Zehenstrahls führen, durch endogene oder exogene Einflüsse inaktiviert wurden.

Aussagen über eine Erblichkeit sind, wenn nur ein betroffenes Tier vorliegt, schwierig zu machen. Jedoch ist bei bilateral symmetrisch angelegten Anomalien der

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3. Polydaktylie bei einem Deutschen Holsteinkalb

Oligogone und polygene Einflüsse können nicht ausgeschlossen werden. Es wurde bereits in der Literatur über ähnliche Fälle von Polydaktylie bei Holstein-Kälbern berichtet. MATHER (1987) vermutete bei Holstein Friesian x Hereford Nachkommen für eine Polydaktylie in Form einer zusätzlichen medial angelegten Zehe an den Vordergliedmaßen einen monogen autosomal rezessiven Erbgang. Eine monogen autosomal dominante Vererbung, wie ROBERTS (1921) sie vermutete, kann für den hier vorgestellten Fall nicht zutreffen, da sonst noch weitere Tiere betroffen sein müssten. In den verschiedenen Familien können durchaus, auch in Hinblick auf den großen zeitlichen Abstand zwischen den Berichten, verschiedene Erbgänge existieren.

Die verhältnismäßig kleine Vulva, die auf eine Zwickenbildung hinweist, war in Hinblick auf den männlichen Zwillingspartner nicht ungewöhnlich und stand höchstwahrscheinlich in keinem Zusammenhang mit der Missbildung.

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Korrespondenzadresse:

Corinna Bähr, Prof. Dr. Ottmar Distl

Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Tierärztlichen Hochschule Hannover

Bünteweg 17p D-30559 Hannover

E-Mail: ottmar.distl@tiho-hannover.de

Dr. Karl Wittenberg

Besamungsstation Hündersen der Rinder-Union West eG Liemer Str. 30

D-32108 Bad Salzuflen

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3. Polydaktylie bei einem Deutschen Holsteinkalb

Abb. 1: Pedigree des von Polydaktylie betroffenen Tieres

weiblich männlich

Geschlecht unbekannt weiblicher Merkmalsträger

Weitere Abb.: s. Anhang Abb. 3.2.

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4. Syndaktylie bei Deutschen Holsteinkälbern

4. Syndaktylie bei Deutschen Holstein Kälbern

BÄHR, C., DRÖGEMÜLLER, C., DISTL, O.

Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Tierärztlichen Hochschule Hannover

BÄHR, C., DRÖGEMÜLLER, C., DISTL, O. (2003): Syndaktylie bei Deutschen Holstein Kälbern.

Dtsch. tierärztl. Wschr.

Zusammenfassung

Bei 8 Kälbern der Rasse Deutsche Holsteins, Farbrichtung schwarzbunt, die in verschiedenen Milchviehbetrieben zwischen 1995 und 2002 geboren wurden, konnte Syndaktylie diagnostiziert werden. Die Kälber zeigten die Syndaktylie an einer, mehreren oder allen Gliedmaßen. Alle betroffenen Kälber konnten auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückgeführt werden, der bereits als Anlageträger für Mulefoot identifiziert war. Das Pedigree war in Übereinstimmung mit einem monogenen autosomal rezessiven Erbgang und variabler Expressivität der Syndaktylie.

Schlüsselwörter: Kongenitale Anomalie, Kalb, Deutsche Holsteins, Syndaktylie, Mulefoot.

BÄHR, C., DRÖGEMÜLLER, C., DISTL, O. (2003): Syndactyly in German Holstein calves.

Dtsch. tierärztl. Wschr.

Summary

In 8 black and white German Holstein calves syndactyly was observed. The affected

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4. Syndaktylie bei Deutschen Holsteinkälbern

mulefoot gene. The pedigree was consistent with a monogenic autosomal recessive inheritance and variable expressivity.

Key words: Congenital anomaly, calf, German Holsteins, syndactyly, mulefoot.

.

Die als Syndaktylie bezeichnete partielle oder vollständige Verschmelzung einzelner oder aller Zehen gehört zu der Gruppe der angeborenen unvollständigen Gliedmaßenentwicklungen oder Dysmelien. Hereditäre Syndaktylie tritt beim Menschen sowie bei vielen mehrzehigen Tierarten vereinzelt auf, darunter am häufigsten beim Schwein (DETLEFSEN u. CARMICHAEL 1921). Beim Rind wird die angeborenen Syndaktylie auch als „Einhufigkeit“ oder „Mulefoot“ bezeichnet und ist schon aus dem Altertum von ARISTOTELES und PLINIUS überliefert und bei vielen Rassen in Deutschland beschrieben worden (KRÖLLING 1956). Die beiden Hauptzehen der betroffenen Rindergliedmaßen sind teilweise bis komplett an einer oder mehreren Gliedmaßen verschmolzen, wobei meistens nur ein Hornschuh ausgebildet ist. Diese kegelförmig zugespitzten Hufe zwingen die Tiere zum Auftreten auf kleinsten Flächen, zu schwankender Haltung und bevorzugtem Liegen.

Der Verschmelzungsprozess beginnt an der Zehenspitze im Bereich der Phalanx distalis des dritten und vierten Strahles, häufig sind im Bereich der Phalanx media und proximalis noch äußerliche Kerben als Andeutung einer ursprünglich doppelten Anlage zu erkennen. Sogar am Metacarpus bzw. Metatarsus sind die distalen Zehengelenkswalzen teilweise zu einem einfachen Gelenkskörper verschmolzen (KRÖLLING 1956). In manchen Fällen trat die Syndaktylie beim Rind gleichzeitig mit Polydaktylie als sogenannte Polysyndaktylie auf (BORHOVEN 1968; JOHNSON et al. 1980). ELDRIDGE et al. (1951) konnten erstmals bei Holstein Friesian Rindern übereinstimmend mit dem zuvor berichteten Erbgang der Syndaktylie bei Zeburindern (SINGH u. TANDON 1942) einen monogenen autosomal rezessiven Erbgang für die Syndaktylie bei taurinen Rindern nachweisen. Die Merkmalsausprägung bei Rindern, die homozygot für das mit “sy“ bezeichnete Defektallel waren, zeigte sich jedoch bei Versuchen mit dafür homozygoten Tieren in variabler Expressivität und herabgesetzter Penetranz (GRÜNEBERG u. HUSTON 1968). Das Auftreten der Einhufigkeit wurde hierbei an einer Gliedmaße, zwei, drei

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4. Syndaktylie bei Deutschen Holsteinkälbern

oder allen vier Gliedmaßen beobachtet, die Vordergliedmaßen waren häufiger betroffen als die Hintergliedmaßen und die rechten Gliedmaßen häufiger als die linken. Während KRÖLLING (1956) bei den Untersuchungen an zwei betroffenen männlichen Kälbern der Rasse Deutsches Fleckvieh zunächst nur von einem angelegten Phalangenstrahl ausging, zeigten GRÜNEBERG u. HUSTON (1968) in einer Studie an unterschiedlich alten, homozygoten “sy/sy“ Embryonen der Rasse Holstein Friesian, dass sich zunächst wie bei gesunden Embryonen die beiden Phalangenstrahlen III und IV ausbilden und dann im Laufe der Entwicklung von distal zunehmend vollständig oder unvollständig miteinander verschmelzen. In seltenen Fällen findet keine Verschmelzung statt. Einzelne Embryonen mit dem “sy/sy“

Genotyp wurden als phänotypisch unauffällig mit sich normal entwickelnden Gliedmaßen beobachtet. Deshalb wird bei der bovinen Syndaktylie von einem monogenen autosomal rezessiven Erbgang mit einer variablen Expressivität und unvollständiger Penetranz ausgegangen. Der monogen autosomal rezessive Erbgang mit unterschiedlicher Expressivität konnte für verschiedene Rassen, wie z.B. Holstein Friesian (LEIPOLD et al. 1969; JOHNSON et al. 1980, ADRIAN et al.

1969 a, b, c), Hereford und Chianina Kreuzungen (OJO et al. 1975) und Aberdeen Angus Kreuzungen (LEIPOLD et al. 1998), über die statistische Auswertung von Anpaarungsexperimenten und Pedigreedaten nachgewiesen werden. LEIPOLD et al. (1974) beschrieben bei fünf betroffenen Holstein Friesian Rindern eine höhere Empfindlichkeit gegenüber hohen Temperaturen. Auch beim Braunvieh (STEINER 1945) und beim Japanischen Rind (MOTOHASHI 1954) traten Fälle von Syndaktylie auf (Tab. 1). Die Zahl der betroffenen Gliedmaßen bei einhufigen Aberdeen Angus Rindern lag deutlich höher als bei betroffenen Holstein Friesian und der monogen autosomal rezessive Erbgang zeigte eine vollständige Penetranz, woraufhin ein zweites für die Aberdeen Angus Rinder rassespezifisches “sy“ Allel vermutet wurde (LEIPOLD et al. 1998). Die Syndaktylie hatte insbesondere in der US-

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4. Syndaktylie bei Deutschen Holsteinkälbern

Hierbei wurden die zu testenden Tiere an bekannte “sy/sy“ Merkmalsträger angepaart und die neugeborenen Kälber bzw. abortierte Embryonen phänotypisiert.

HART-ELCOCK et al. (1987) bestätigten in ihren Untersuchungen an 139 “sy/sy“

Holstein Friesian Rindern, die aus Embryotransfer gewonnen wurden, die variable Expressivität des “sy“ Gens. Mittlerweile besteht die Möglichkeit Anlageträger mit einem indirekten Gentest über Mikrosatellitenmarker mit einer hohen Sicherheit zu identifizieren. Der Genort für Syndaktylie bei Holstein Friesians wurde auf dem telomeren Ende von Chromosom 15 in der Nähe des Mikrosatelliten BM848 lokalisiert. (CHARLIER et al. 1996). Anlageträger für Syndaktylie werden als

“Mulefoot-Träger“ mit dem Kürzel MF in den Besamungskatalogen gekennzeichnet.

Beim Menschen wurden bereits viele erbliche Formen der Syndaktylie, die teilweise in Kombination mit anderen angeborenen Gliedmaßenanomalien auftreten, molekulargenetisch aufgeklärt und die kausalen Mutationen identifiziert (GURRIERI et al. 2002). Verschiedene Mutationen in Genen der entwicklungsrelevanten Homeobox (HOX) Gencluster sind z.B. an der Ausbildung von Synpolydaktylien beim Menschen beteiligt (GOODMAN 2002). Auch sind inzwischen viele Proteine durch nachgewiesene Mutationen bei poly- und oder syndaktylen Mäusen bzw.

Menschen aufgeklärt worden (HERMANNS u. LEE 2001; HILL et al. 2003). Bei durch Mutation veränderten Gli3 Proteinen zeigen Mäuse Polysyndaktylie (HUI und JOYNER 1993). Aus diesen Ergebnissen konnten zahlreiche Kenntnisse über die embryonale Gliedmaßenentwicklung gewonnen werden. Die embryonale Gliedmaßenknospe entwickelt sich bei allen Vertebraten, beim Rind zwischen dem 24. und 34. Tag der Trächtigkeit (RÜSSE u. SINOWATZ 1991), aus mesenchymalen Zellen, die von einer Lage ektodermaler Zellen bedeckt sind. Das weitere Gliedmaßenwachstum erfolgt in drei beschriebenen Ebenen (NISWANDER 2003).

Das Längenwachstum von Humerus bzw. Femur (Stylopodium) über das Zeugopodium zu den Zehen (Autopodium) läuft entlang der proximo-distalen Achse.

Die weitere Aufgliederung im Bereich des Zeugo- und Autopodiums orientiert sich entlang der beiden weiteren Entwicklungsachsen. Die anterior-posteriore Achse bestimmt die Aufgliederung der Zehen oder von Ulna und Radius bzw. Tibia und Fibula und die dorso-ventrale Achse die dorsale und palmare bzw. plantare

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4. Syndaktylie bei Deutschen Holsteinkälbern

Differenzierung der distalen Gliedmaßenabschnitte. Die embryonale Gliedmaßenausbildung wird durch eine von Transkriptionsregulationsfaktoren zeitlich und räumlich koordinierte Genexpression gesteuert, die die Funktionen der sich differenzierenden mesenchymalen und ektodermalen Zellen spezifiziert.

Ziel dieser Arbeit war es, nachzuweisen, ob Mulefoot bei Deutschen Holstein in unveränderter Form auftritt und ob Bullen, die bisher nicht als Anlageträger bekannt waren, beteiligt waren.

Material und Methoden

Der Untersuchung liegen insgesamt 8 Fälle von Syndaktylie bei Kälbern der Rasse Deutsche Holsteins, Farbrichtung schwarzbunt, zugrunde. Die betroffenen Kälber stammten aus verschiedenen Betrieben. Sieben der betroffenen Tiere wurden bereits zwischen 1995 und 1997 geboren und damals dem Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung mit Abstammungsinformation sowie dem Befund Syndaktylie an mindestens einer Gliedmaße gemeldet. Ein weiteres betroffenes weibliches Tier wurde am 18.11.2002 auf einem Milchviehbetrieb geboren. Das betroffene Kalb und die auf dem Betrieb vorhandenen verwandten Tiere wurden klinisch untersucht. Von beiden Vordergliedmaßen des betroffenen Kalbes wurden am 9.1.2003 Röntgenbilder im lateromedialen und dorsopalmaren Strahlengang in der Klinik für Pferde der Tierärztlichen Hochschule Hannover angefertigt. Im August 2003 wurde bei einer Außentemperatur zwischen 30 °C und 37 °C und Weidehaltung der Tiere bei Kalb 1 und einem nicht betroffenen Kontrolltier zweimal täglich (morgens und nachmittags) über drei Tage die Rektaltemperatur, Herzfrequenz und Atemfrequenz gemessen. Von diesen beiden Tieren wurden in dieser Zeit im Labor der Klinik für Rinder der Tierärztlichen Hochschule Hannover das rote und weiße Blutbild, der Blutplasmaglucosespiegel sowie Leber- und Nierenwerte untersucht.

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4. Syndaktylie bei Deutschen Holsteinkälbern

Anlageträger für Syndaktylie war und zugleich der eingesetzte Besamungsbulle ebenfalls als Mulefoot-Trägertier gekennzeichnet war. Nach der Geburt des Kalbes fiel dem Landwirt sofort die Syndaktylie an der rechten Vordergliedmaße auf.

Klinische Untersuchung

Das weibliche Kalb (Kalb 1) der Rasse Deutsche Holstein, Farbrichtung schwarzbunt, wurde im Alter von 2 Wochen klinisch untersucht. Das Kalb war munter und dem Alter entsprechend gut entwickelt. An der rechten Vordergliedmaße war nur ein Klauenschuh ausgebildet. An beiden Vordergliedmaßen war ein geringgradiger Sehnenstelzfuß ausgebildet, so dass das Kalb beidseitig auf den Klauenspitzen fußte und nur mit Mühe mit kleinen Schritten laufen konnte. Die Afterklauen waren an allen vier Gliedmaßen normal ausgebildet. Das Kalb wurde danach in den folgenden 9 Lebensmonaten in regelmäßigen wöchentlichen Abständen klinisch untersucht. Im Alter von drei Monaten zeigte sich an der nicht betroffenen linken Vordergliedmaße eine Verbesserung des Sehnenstelzfußes, die Winkelung der einhufigen Zehe veränderte sich dagegen entgegengesetzt, so dass das Kalb zunehmend nur noch auf der Dorsalfläche der Klaue fußen konnte.

Die anderen betroffenen Kälber zeigten die Syndaktylie an mindestens einer Gliedmaße. Ein Kalb wies die Syndaktylie an allen vier Gliedmaßen auf.

Die Messungen der Herz- und Atemfrequenz bei hohen Außentemperaturen ergaben bei Kalb 1 und dem Kontrolltier leichte Schwankungen, wobei die Atemfrequenz bei beiden Tieren leicht anstieg und die Herzfrequenz nahezu konstant blieb. Diese Schwankungen lagen aber innerhalb der physiologischen Norm, wobei kein Unterschied zwischen den beiden Tieren auffiel. Die Körpertemperatur wies allerdings größere Schwankungen auf, die auch außerhalb der physiologischen Grenzen lagen und wobei Kalb 1 mit Temperaturen von 38,7 – 38,9 °C (morgens) bzw. 38,6 – 39,8 °C teilweise höhere Werte zeigte als das Kontrolltier. In der Blutuntersuchung fiel bei beiden Tieren eine geringgradige Hyperglykämie und bei Kalb 1 eine geringgradige Leukozytose auf.

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4. Syndaktylie bei Deutschen Holsteinkälbern

Röntgenologische Untersuchung

Auf den Röntgenbildern ist nur der einfach ausgebildete Phalangenstrahl der rechten Vordergliedmaße zu erkennen, während an der linken Vordergliedmaße die Phalangenstrahlen paarig angelegt waren. Im Vergleich zur linken Vordergliedmaße war das Klauenbein in der lateromedialen Richtung um etwa 15 % breiter als die Klauenbeine der linken Vordergliedmaße. Die Facies parietalis und die Facies solearis des Klauenbeins waren im Vergleich um etwa 10 % verkürzt. Während an der linken Gliedmaße vier normal ausgebildete Sesambeine des Fesselgelenks zu erkennen waren, waren an der rechten Gliedmaße nur drei ausgebildet. Dabei war das mittlere Sesambein deutlich kleiner als das laterale und das mediale Sesambein und wies eine eher runde Form auf.

Analyse des Pedigrees

Kalb 1 wurde als 5. Kalb einer phänotypisch unauffälligen Kuh geboren. Vater des Kalbes war ein als Mulefoot-Träger identifizierter Besamungsbulle des Geburtsjahrgangs 1993 (MF-Bulle C). Von diesem Bullen wurden im Besamungsjahr 2002 531 Kühe besamt. Der Vater der Mutter (MF-Bulle B) war ebenfalls bereits als Mulefoot-Träger identifiziert und gekennzeichnet. Zwei gesunde väterliche Halbgeschwister der Mutter sowie zwei weitere Nachkommen der Mutter und zwei Nachkommen der ersten Tochter der Mutter waren noch auf dem Betrieb. Alle verwandten Tiere zeigten eine reguläre Ausbildung der beiden Klauen und Afterklauen. Die Elterntiere des betroffenen Tieres wiesen in der 4. bzw. 5.

Generation einen gemeinsamen Vorfahren auf. Das von Syndaktylie betroffene Kalb war auf diesen Bullen mit einem Inzuchtkoeffizienten F = 0,098 % ingezüchtet.

Dieser Bulle war ebenfalls im Besamungseinsatz und als Mulefoot-Anlageträger (MF-Bulle A) bereits identifiziert. Des weiteren lagen Befunde von 7 weiteren betroffenen Tieren vor. 5 dieser Tiere (Kalb 4 bis 8) hatten den bei Kalb 1 ermittelten

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4. Syndaktylie bei Deutschen Holsteinkälbern

Diskussion

Die hier vorliegenden Fälle von Syndaktylie zeigten in Übereinstimmung mit der Literatur eine variable Expressivität in Form von ein bis vier betroffenen Gliedmaßen.

Ebenfalls in Übereinstimmung mit der Literatur war vorwiegend die rechte Vordergliedmaße betroffen, wobei nur ein Phalangenstrahl ausgebildet war und die Anzahl der Sesambeine des Fesselgelenks auf drei reduziert war. Während in der Literatur häufig von vergrößerten Afterklauen berichtet wurde (LEIPOLD et al. 1969), konnten bei Kalb 1 keine Veränderungen an den Afterklauen festgestellt werden.

LEIPOLD et al. (1974) zeigten bei fünf Kälbern ein hochgradiges Ansteigen der Körpertemperatur und der Herz- und Atemfrequenz. Die Hyperglykämie war bei den hier untersuchten zwei Tieren in gleicher Weise ausgeprägt und als Streßsymptom zu werten. Die Körpertemperaturen wiesen bei Kalb 1 teilweise, aber nicht regelmäßig höhere Werte auf als bei dem Kontrolltier, was aber auch auf die hellere Fellfarbe des Kontrolltieres zurückzuführen war. Das Allgemeinbefinden von Kalb 1 erschien trotz hoher Außentemperaturen ungestört, somit konnten hier keine Anzeichen für eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Hitze gefunden werden. Da nur ein Kalb untersucht werden konnte, sind diese Ergebnisse sehr vorsichtig zu bewerten und sie zeigen nur, dass die hohe Temperaturempfindlichkeit einer Variation unterliegt und nicht bei allen Kälbern mit Syndaktylie in gleichem Ausmaß auftreten muss.

Für den aktuellen Fall (Kalb 1) konnte gezeigt werden, dass das Defektallel über mehrere Ahnengenerationen auf den Vater der Kuh und den Vater des Kalbes übertragen wurde. Die Mutter hat somit mit hoher Wahrscheinlichkeit das Defektallel von dem MF-Bullen B geerbt. Bei 5 geborenen Kälbern beträgt der Erwartungswert bei einer vollständigen Penetranz von 100 % und einer monogen autosomalen rezessiven Vererbung 1,25 betroffene Kälber. Die Penetranz für diese Nukleusfamilie ist somit rein rechnerisch 80 %. Jedoch besitzt dieser Wert wegen der geringen Zahlen wenig Aussagekraft. Der Vater des Kalbes (MF-Bulle C) wird in Deutschland als Bullenvater eingesetzt. Alle in Deutschland gezogenen Söhne von ihm wurden mit negativem Ergebnis auf Mulefoot getestet. In den USA wurde allerdings ein als Besamungsbulle eingesetzter Sohn mit positivem Ergebnis

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