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Arthrogrypose in Verbindung mit Gesichtsskoliose und Tortikollis bei Deutschen Holsteinkälbern

6. Arthrogrypose in Verbindung mit Gesichtsskoliose und Tortikollis bei Deutschen Holsteinkälbern

BÄHR, C.1, KUIPER, H.1, PETERS, M.2, SCHOLZ, H.3, DISTL, O.1

1Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung, Tierärztliche Hochschule Hannover,

2Institut für Pathologie Tierärztliche Hochschule Hannover,

3Klinik für Rinder, Tierärztliche Hochschule Hannover

BÄHR, C., KUIPER, H., PETERS, M., SCHOLZ, H., DISTL, O. (2003):

Arthrogrypose in Verbindung mit Gesichtsskoliose und Tortikollis bei Deutschen Holsteinkälbern.

Dtsch. tierärztl. Wschr.

Zusammenfassung

Bei 13 Deutschen Holsteinkälbern aus zwei verschieden Milchviehbetrieben konnten Arthrogryposen der Vordergliedmaßen, Gesichtsskoliosen und Halswirbelsäulenverkrümmungen diagnostiziert werden. Exogene Ursachen ließen sich nicht ermitteln, ebenso wurden bei zwei betroffenen Tieren keine chromosomalen Anomalien festgestellt. Auffällig war die Häufung in der Nachkommenschaft eines Deckbullen auf einem Betrieb. Als Ursache kann in diesem Fall eine Keimbahnmutation mit dominanter Genwirkung in Frage kommen.

Schlüsselwörter: Kongenitale Anomalie, Kalb, Deutsche Holsteins, Kampylognathie, Arthrogrypose, Keimbahnmutation.

BÄHR, C., KUIPER, H., PETERS, M., SCHOLZ, H., DISTL, O. (2003):

Arthrogryposis associated with facial scoliosis and torticollis in German Holstein calves. Dtsch. tierärztl. Wschr.

6. Arthrogrypose in Verbindung mit Gesichtsskoliose und Tortikollis bei Deutschen Holsteinkälbern

Summary

In 13 German Holstein calves from two different dairy farms arthrogryposis of the front legs, facial scoliosis and torticollis were observed. Obvious environmental reasons could not be found. Chromosomal anomalies in two affected calves were not detectable. A striking feature was the high frequency of affected calves among the offspring of one natural service sire. A plausible explanation of the congenital anomalies observed is a dominantly inherited mutation restricted to germ cells.

Key words: Congenital anomaly, calf, German Holsteins, campylognathia, arthrogryposis.

Als Arthrogrypose werden angeborene Gelenkverkrümmungen der Gliedmaßen bezeichnet, wobei diese häufig sekundär in Zusammenhang mit Sehnen- und Muskelverkürzungen sowie Innervationsstörungen entsteht. Sie kommt beim Kalb relativ häufig vor und wird in Verbindung mit weiteren Missbildungen des Kopfes und der Wirbelsäule gesehen (REINACHER 1999a). Die Gesichtsskoliose oder Kampylognathie entsteht durch die laterale Verbiegung des Oberkiefer-Nasen-Teils (WEISS 1999), während der Tortikollis durch eine Lateralverkrümmung der Halswirbelsäule entsteht (REINACHER 1999). Es wird zwischen exogenen und endogenen Formen der Arthrogryposis unterschiedenen. Das sogenannte „Crooked calf disease“ wird durch Aufnahme von Pflanzenalkaloiden in der Trächtigkeitsphase zwischen dem 40 – 70. Tag ausgelöst. Beim Kalb zeigen sich hochgradige Verkrümmungen der Vordergliedmaßen und in einem Teil der Fälle Torticollis und Skoliosen der Wirbelsäule sowie gelegentlich Gaumenspalten (SHUPE et al. 1967a).

Als teratogenes Agens wurde das Lupinenalkaloid Anagyrin nachgewiesen (KEELER 1973). Auch bei der Verfütterung von Fleckschierling (Conium maculatum) und

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(1981) vermuteten, dass das Alkaloid Anabasin für die teratogene Wirkung verantwortlich ist. Ein weiterer exogener Faktor ist das Akabane-Virus, ein Arbo-Virus, das bei Infektion der Mütter in der ersten Trächtigkeitsphase, Arthrogrypose und Hydranenzephalie beim Kalb auslöst. Die Krankheit tritt vorwiegend in Australien und Japan auf (KUROGI et al. 1976; HARTLEY et al. 1975).

Von einer Vielzahl von Autoren werden vornehmlich erbliche Faktoren für Arthrogryposen der Vorder- und/oder Hintergliedmaßen bei verschiedenen Rassen verantwortlich gemacht (Tab.1). Nur wenige Autoren gehen von einem monogenen autosomal dominanten Erbgang aus. So berichtete SCHÄPER (1937) von einem schwarzbunten Deckbullen, der 39 Nachkommen in verschiedenen Herden hatte, und die alle Verkrümmungen der Vordergliedmaßen aufwiesen. Da weder der Bulle noch seine Eltern Anzeichen von Gliedmaßenverkrümmungen zeigten, wurde eine Keimbahnmutation bei dem Bullen vermutet, die dominant vererbt wurde. Auch LAUVERGNE u. BLIN (1967) hielten bei Charolais für das Auftreten von Arthrogryposen in Verbindung mit Gaumenspalten und Wirbelsäulendefekten einen monogenen autosomal unvollständig dominanten Erbgang für wahrscheinlich. NES (1953) konnte Arthrogryposen der Hintergliedmaßen und teilweise der Vordergliedmaßen als Folge einer Spina bifida mit teilweiser Myelorachischisis bei der Norwegischen Rotweißen Rasse nachweisen. Für diese Anomalie vermutete er nach einer Pedigreeanalyse einen monogenen autosomal dominanten Erbgang mit herabgesetzter Penetranz und variabler Expressivität.

Dagegen gingen LEIPOLD et al. (1969, 1970), LAUVERGNE (1975) und NAWROT et al. (1980) für die Verkrümmung der Vordergliedmaßen und Hintergliedmaßen mit Gaumenspalte und Wirbelsäulenverkrümmungen von einem monogenen autosomal rezessiven Erbgang beim Charolais aus. NAWROT et al. (1980) untermauerten ihre Erbgangshypothese durch Analyse der Pedigrees und Rückkreuzungsversuche mit betroffenen Tieren. Auch bei Herefords wurde dieselbe Kombination von Anomalien in Form von verkrümmten Vorder- und Hintergliedmaßen, Gaumenspalte und Wirbelsäulenverkrümmungen (Kyphose oder Skoliose) beobachtet und ebenfalls auf Grund der Pedigrees und über Zuchtversuche ein monogener autosomal rezessiver

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Erbgang als wahrscheinlich angesehen (SHUPE et al. 1967b). Auch für die Arthrogryposen ohne weitere Anomalien wurde anhand von Pedigreeanalysen und Zuchtversuchen für die Rassen Charolais, Schweizer Schwarzfleckvieh, Deutsche Schwarzbunte, Deutsches Fleckvieh und Jersey sowie verschiedene Rinderrassen in Belgien eine monogene autosomal rezessive Vererbung als am wahrscheinlichsten angenommen (WEBER 1963, BERG u. GOONEWARDE 1974, DE KESEL et al.

1981, KREPPEL 1981, KLEIN u. HERZOG 1990).

Fälle von Kampylognathie wurden beim Jersey-Rind in den USA, in Südafrika und auf der Insel Jersey beobachtet. Die Pedigreedaten ließen einen monogenen autosomal rezessiven Erbgang als wahrscheinlich erscheinen, jedoch könnten noch weitere Faktoren eine Rolle gespielt haben (BONSMA et al. 1967). So konnten aus der Anpaarung von Tieren mit Kampylognathie auch wieder Nachkommen mit dieser Anomalie in den erwarteten Segregationsverhältnissen eines monogenen autosomal rezessiven Erbgangs erzeugt werden. Jedoch traten auch bei Anpaarung eines betroffenen Bullens mit 48 unverwandten Rindern 4 Tiere mit Kampylognathie auf.

Auch in den USA konnte in einer großen Herde das Auftreten von Kampylognathie bei Jerseys in wiederholten Generationen beobachtet werden (EWING 1957). Die Segregationsraten waren mit einem monogenen autosomal rezessiven Erbgang konsistent (HUSTON et al. 2000). Bisher wurden keine Fälle in der Kombination von Arthrogryposen, Tortikollis und Kampylognathie beim Rind beobachtet. Da derartige Fälle in einem Betrieb in größerer Zahl auftraten, sollten die möglichen Ursachen geklärt und überprüft werden, ob möglicherweise erbliche Faktoren eine Rolle spielen.

Material und Methoden

Es wurden drei Kälber aus zwei verschiedenen Milchviehbetrieben mit Missbildungen

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Blutproben ein Blutbild angefertigt. Am Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Tierärztlichen Hochschule Hannover wurde von zwei Tieren und deren Müttern eine Chromosomenanalyse durchgeführt. Die Darstellung der Chromosomen erfolgte nach Standardmethoden aus den Blutlymphozyten einer Phytohämagglutinin stimulierten Vollblutkultur. Die Anordnung der Chromosomen bei der Karyotypisierung entsprach der internationalen Nomenklatur (ISCNDB, 2000).

Zwei Kälber wurden euthanasiert und im Institut für Pathologie der Tierärztlichen Hochschule Hannover pathologisch-anatomisch und –histologisch untersucht und ein drittes Kalb zur Beobachtung der weiteren Entwicklung im Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Tierärztlichen Hochschule Hannover aufgezogen.

Ergebnisse Anamnese

Betrieb 1: In einem Milchviehbestand mit etwa 90 Kühen der Rasse Deutsche Holsteins, Farbrichtung schwarzbunt, traten von Januar bis November 1999 gehäuft Missbildungen und ungeklärte Todesfälle auf. Insgesamt verstarben 27 Kälber, wovon 12 Tiere Missbildungen der Gliedmaßen und des Gesichtsschädels aufwiesen. Es waren sowohl weibliche als auch männliche Tier betroffen. Alle betroffenen Kälber stammten von einem Natursprungbullen ab, der insgesamt 36 Nachkommen auf diesem Betrieb hatte. Während der Trächtigkeit der Muttertiere waren keine Besonderheiten aufgefallen. Eine Verunreinigung des Futters mit Lupinen wurde ausgeschlossen. Ein weibliches Tier mit Deformationen des Gesichtsschädels wurde vom Landwirt aufgezogen. Zwei weitere weibliche Tiere wurden am 15.10.1999 (Kalb 1) und am 9.10.1999 (Kalb 2) mit Deformationen der Gliedmaßen und des Gesichtsschädels geboren und in die Klinik für Rinder der Tierärztlichen Hochschule Hannover eingeliefert.

Betrieb 2: Auf einem anderen Milchviehbetrieb mit etwa 25 Kühen der Rasse Deutsche Holsteins, Farbrichtung rotbunt, wurde ein weibliches Kalb (Kalb 3) am 23.2.2002 mit einer deutlichen Schulter- und Ellbogenbeugehaltung und einer Deformation des Kopfes geboren. Auch hier waren während der Trächtigkeit des

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Muttertieres keine Besonderheiten aufgefallen, und das Auftreten von Lupinen im Futter wurde ausgeschlossen. Auch dieses Kalb wurde zur weiteren Untersuchung in die Klinik für Rinderkrankheiten der Tierärztlichen Hochschule Hannover verbracht.

Klinische Untersuchung

Kalb 1 und 2: Beide Tiere zeigten im Verhalten und in der Allgemeinuntersuchung keine Auffälligkeiten, konnten aber aufgrund von Missbildungen der Gliedmaßen nur mit Mühe stehen. Die Karpal- und Fesselgelenke der Vordergliedmaßen konnten nicht gestreckt werden. Die Schulterblätter beider Kälber lagen nicht am Thorax an, sondern ließen einen etwa handbreiten Zwischenraum. Die gesamte Gliedmaße zeigte eine Rotation nach außen. Die Gesichtschädel erschienen verkürzt und asymmetrisch. Beide Tiere wiesen eine deutliche Skoliose des Gesichtsschädels auf.

Kalb 1 hielt die Zunge vorwiegend seitlich aus dem Maul. Das Sehvermögen beider Kälber erschien eingeschränkt. Die Blutwerte wiesen keinerlei Veränderungen auf.

Kalb 3: Der Ernährungszustand des Kalbes war schlecht. Das Kalb lag in Seitenlage mit zur Seite geneigtem Kopf. Das Verhalten war ruhig und aufmerksam. Nachdem das Kalb aufgestellt wurde, stand es einige Sekunden ohne Hilfe und zeigte heftige Ruderbewegungen der missgebildeten Gliedmaße, während es den Kopf zur rechten Seite neigte. Das Schulter- und Ellbogengelenk der rechten Vordergliedmaße wiesen eine nicht zu behebende Beugehaltung auf, wobei das Ellbogengelenk etwa einen Winkel von 90° aufwies. Die Sensibilität der Haut in diesem Bereich war erhalten. Bei der Untersuchung der Augen fiel ein geringgradiger beidseitiger konvergierender Strabismus und eine geringgradige Asymmetrie des Kopfes auf. Auch bei diesem Kalb wiesen die Blutwerte keinerlei Veränderungen auf.

Pathologisch-anatomische und -histologische Untersuchung

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Arthrogryposen der Karpal- und Fesselgelenke und eine Rotation nach lateral auf.

Die Hüftgelenke zeigten Deformationen des Femurkopfes mit Abflachung der Gelenkfläche. Die Muskeln an Vorder-, Hintergliedmaßen und Rücken zeigten keine pathomorphologischen Veränderungen. An den Karpalgelenken waren oberflächliche Dekubitalstellen zu sehen.

Kalb 3: Das weibliche Kalb wurde im Alter von 13 Tagen mit einem Gewicht von 39 kg pathologisch-anatomisch untersucht. Der Tierkörper wies eine hochgradige Schulter- und Ellbogenbeugehaltung der rechten Vordergliedmaße auf. Die Gliedmaßenachse der rechten Vordergliedmaße ist um ca. 20° nach medial abgeknickt. Das Schulter- und Ellbogengelenk konnte auch nach Durchtrennung von Muskeln und Sehnen nicht vollständig gestreckt werden. Die Muskulatur der rechten Vordergliedmaße im Schulter-, Oberarm- und Unterarmbereich war atrophisch und aufgehellt. Die Schädelknochen wiesen eine Aufwölbung in Form eines Turmschädels mit geringgradigem Hydrocephalus mit geringgradiger Dilatation der Lateralventrikel auf. Es zeigte sich eine Asymmetrie des Os occipitale und der Halswirbel. Der rechte Condylus occipitalis war weiter nach ventrocaudal gerichtet als der linke Condylus occipitalis. Die Halswirbelsäule wies eine Skoliose nach rechts, folglich einen geringgradigen Tortikollis auf. Skapula, Humerus, Radius und Ulna der rechten Gliedmaße waren im Vergleich zur linken Gliedmaße jeweils um ca.

1 cm verkürzt. Die Gelenkflächen waren kleiner, stärker abgeflacht und z. T. leicht deformiert. Die distalen Gliedmaßenknochen wiesen dagegen keine Längendifferenzen und Veränderungen an den Gelenkflächen auf.

Der rechte und linke Musculus triceps brachii wurden histologisch untersucht.

Auffällig waren Kalibervariationen von Muskelfasern im rechten M. triceps brachii, während der linke M. triceps brachii ohne besonderen Befund war. Ebenfalls wurde aus folgenden fünf Gehirnlokalisationen Gehirngewebe histologisch untersucht:

Cortex frontalis, Großhirn in Höhe des Ammonshorn, Pons cerebri, Kleinhirn und Medulla oblongata. Diese waren ohne besonderen Befund. Im rechten Nervus radialis fielen fokale Vakuolisierungen von Axonen und multifokal geschwollene Achsenzylinder auf.

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Das untersuchte Kalb wies also eine Arthrogrypose der rechten Vordergliedmaße mit Sehnenkontraktur und geringgradigen Deformationen der Gliedmaßenknochen auf.

Die Muskelatrophie ist als kombinierte neurogene Atrophie und Inaktivitätsatrophie zu interpretieren.

Virologischer Untersuchungsbefund

Die Untersuchung der Proben auf BVDV-Antigen und –Antikörper verlief bei allen untersuchten Tieren negativ.

Zytogenetische Untersuchung

Bei der zytogenetischen Untersuchung der Kälber und deren Mütter konnten lichtmikroskopisch weder erkennbare Abweichungen in der Chromosomenanzahl noch strukturelle Chromosomenanomalien nachgewiesen werden. Alle vier Tiere wiesen den Karyotyp eines normalen weiblichen Rindes mit 2n=60,XX auf.

Analyse der Pedigreedaten

Betrieb 1: Der Betrieb setzte schon seit langer Zeit Deckbullen zur Belegung der Kühe ein. Die 27 missgebildeten und verendeten Kälber stammten alle von einem 1997 geborenen Deckbullen der Rasse Deutsche Holsteins, Farbrichtung

schwarzbunt, ab. Insgesamt hatte der Bulle 36 Nachkommen auf diesem Betrieb. Die Mütter der betroffenen Tiere stammten alle von einem anderen Deckbullen ab,

während 16 der mütterlichen Großmütter wiederum von einem anderen Deckbullen abstammten. Die Abstammung der anderen mütterlichen Großmütter war nicht bekannt. Die Muttertiere waren bisher nicht durch missgebildete Nachkommen aufgefallen. Nach Auftreten der missgebildeten Kälber wurde der Bulle aus der Herde entfernt. Seitdem traten keine weiteren Missbildungen derselben Art auf.

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missgebildete Nachkommen dieses Bullen waren nicht bekannt. Auch das erste Kalb der Mutter zeigte keine angeborenen Anomalien.

Diskussion

Bei den drei untersuchten Kälbern traten Arthrogryposen in Verbindung mit Gesichtsskoliosen und Tortikollis auf. Während die beiden Kälber von Betrieb 1 fast identische Veränderungen der Gliedmaßen, des Kopfes und der Wirbelsäule aufwiesen, zeigte das Kalb von Betrieb 2 eine stärkere Verkrümmung einer einzelnen Gliedmaße im Gegensatz zu den anderen beiden Kälbern, welche die Veränderungen an allen vier Gliedmaßen aufwiesen, und eine weniger starke Veränderung des Gesichtsschädels und der Wirbelsäule. Die weiteren betroffenen Kälber von Betrieb 1 zeigten laut Auskunft des Landwirtes und des Haustierarztes fast identische, aber auch mehr oder weniger schwere Symptome wie die beiden untersuchten Kälber. Gaumenspalten und Wirbelsäulenverkrümmungen, wie sie u. a.

von LEIPOLD et al. (1969) und NAWROT et al. (1980) beim Charolais-Rind beobachtet wurde, traten hier nicht auf. Die Gesichtsskoliosen waren vergleichbar mit denen, die EWING (1957) und BONSMA et al. (1967) beim Jersey-Rind beobachteten.

Eine Aufnahme von Lupinen und damit von Pflanzenalkaloiden als Ursache für die Missbildungen wurde durch die Landwirte ausgeschlossen. Ebenso unwahrscheinlich ist eine Infektion mit dem Akabane-Virus, da ein Auftreten des Akabane-Virus in Deutschland bisher nicht beobachtet wurde. Auch Vitamin- und Mineralstoffunter- oder -überversorgungen der betroffenen Kälber kamen als Ursache vermutlich nicht in Frage, da sich hierfür anhand der Blutuntersuchungen keine Hinweise ergaben.

Wahrscheinlicher als exogene Ursachen sind in diesen hier vorliegenden Fällen demnach endogene und somit erbliche Ursachen. Chromosomale Aberrationen in Form von numerischen Abweichungen der Autosomen (Aneuploidien) oder lichtmikroskopisch sichtbare Deletionen konnten bei den zwei untersuchten Kälbern nicht nachgewiesen werden. Allerdings konnte auf Betrieb 1 ganz eindeutig eine Häufung von Missbildungen bei den Nachkommen eines Deckbullen in der

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Milchviehherde beobachtet werden. Wegen des begrenzten Deckeinsatzes in nur einer Herde konnten keine weiteren Nachkommen, die unter anderen betrieblichen Bedingungen heranwuchsen, beobachtet werden. Weder die Muttertiere noch der Vater wiesen Missbildungen auf, so dass ein monogen autosomal dominanter Erbgang ausgeschlossen werden kann. Wenig wahrscheinlich erscheint die Beteiligung mehrere Genorte oder ein monogen autosomal rezessiver Erbgang, wie er beim Jersey-Rind beobachtet wurde (EWING 1957; BONSMA et al. 1967), da keine gemeinsamen Vorfahren bei den betroffenen Tieren zu finden waren und von einer größeren Verbreitung eines dafür verantwortlichen Defektallels bei den weiblichen Tieren nicht ausgegangen werden kann. Vielmehr ist anzunehmen, dass bei dem Deckbullen eine dominant vererbte Keimbahnmutation in Form einer Mosaikbildung der Keimzellen vorlag. In diesem Fall tritt eine Mutation in den Genen der Urkeimzellen während der embryonalen Entwicklung des Bullen auf, während die übrigen Körperzellen davon nicht betroffen sind. Somit ist das davon betroffene Tier phänotypisch ohne besonderen Befund, während z. B. die Samenzellen zu einem gewissen Prozentsatz die den Defekt verursachende Mutation tragen. Dies würde die hohe Anzahl von missgebildeten Kälbern mit Abstammung von unverwandten oder wenig verwandten Müttern erklären und auch, dass nach Entfernung dieses Bullen aus der Herde keine weiteren Fälle auftraten. Da keine umweltbedingten Ursachen nachweisbar und Mendelsche Erbgänge wenig wahrscheinlich waren, erscheint die Annahme einer Keimbahnmutation als die plausibelste Erklärung. Keimbahnmosaike wurden beim Menschen vor allem bei autosomal dominant oder X-chromosomal vererbten Defekten festgestellt. So wurden z.B. bei der autosomal dominant vererbten Glasknochenkrankheit des Menschen (Osteogenesis imperfecta) Keimbahnmosaike über die Untersuchung der kausalen Mutation im COL1A1-Gen der Samenzellen nachgewiesen (LUND et al. 1997). Beim Schwein wurde eine Form

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Kälbern mit Osteogenesis imperfecta in Betracht gezogen. Ein Nachweis der kausalen Mutation war jedoch nicht möglich (AGERHOLM et al. 1994).

Da auf Betrieb 2 das Auftreten von Arthrogrypose bei einem Kalb nur als Einzelfall beobachtet wurde und auch in der Nachkommenschaft des Vaters kein weiterer Fall von Arthrogrypose bekannt wurde, kann hier keine Aussage über die Möglichkeit einer Erblichkeit getroffen werden. Ebensowenig kann von dem ähnlichen Erscheinungsbild wie bei den anderen Kälbern auf eine gleiche Ursache geschlossen werden. In diesem Einzelfall ist eine Phänokopie mit exogenen Ursachen ebenso möglich wie eine erbliche Ursache.

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