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Syndaktylie bei Deutschen Holstein Kälbern

4. Syndaktylie bei Deutschen Holstein Kälbern

BÄHR, C., DRÖGEMÜLLER, C., DISTL, O.

Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Tierärztlichen Hochschule Hannover

BÄHR, C., DRÖGEMÜLLER, C., DISTL, O. (2003): Syndaktylie bei Deutschen Holstein Kälbern.

Dtsch. tierärztl. Wschr.

Zusammenfassung

Bei 8 Kälbern der Rasse Deutsche Holsteins, Farbrichtung schwarzbunt, die in verschiedenen Milchviehbetrieben zwischen 1995 und 2002 geboren wurden, konnte Syndaktylie diagnostiziert werden. Die Kälber zeigten die Syndaktylie an einer, mehreren oder allen Gliedmaßen. Alle betroffenen Kälber konnten auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückgeführt werden, der bereits als Anlageträger für Mulefoot identifiziert war. Das Pedigree war in Übereinstimmung mit einem monogenen autosomal rezessiven Erbgang und variabler Expressivität der Syndaktylie.

Schlüsselwörter: Kongenitale Anomalie, Kalb, Deutsche Holsteins, Syndaktylie, Mulefoot.

BÄHR, C., DRÖGEMÜLLER, C., DISTL, O. (2003): Syndactyly in German Holstein calves.

Dtsch. tierärztl. Wschr.

Summary

In 8 black and white German Holstein calves syndactyly was observed. The affected

4. Syndaktylie bei Deutschen Holsteinkälbern

mulefoot gene. The pedigree was consistent with a monogenic autosomal recessive inheritance and variable expressivity.

Key words: Congenital anomaly, calf, German Holsteins, syndactyly, mulefoot.

.

Die als Syndaktylie bezeichnete partielle oder vollständige Verschmelzung einzelner oder aller Zehen gehört zu der Gruppe der angeborenen unvollständigen Gliedmaßenentwicklungen oder Dysmelien. Hereditäre Syndaktylie tritt beim Menschen sowie bei vielen mehrzehigen Tierarten vereinzelt auf, darunter am häufigsten beim Schwein (DETLEFSEN u. CARMICHAEL 1921). Beim Rind wird die angeborenen Syndaktylie auch als „Einhufigkeit“ oder „Mulefoot“ bezeichnet und ist schon aus dem Altertum von ARISTOTELES und PLINIUS überliefert und bei vielen Rassen in Deutschland beschrieben worden (KRÖLLING 1956). Die beiden Hauptzehen der betroffenen Rindergliedmaßen sind teilweise bis komplett an einer oder mehreren Gliedmaßen verschmolzen, wobei meistens nur ein Hornschuh ausgebildet ist. Diese kegelförmig zugespitzten Hufe zwingen die Tiere zum Auftreten auf kleinsten Flächen, zu schwankender Haltung und bevorzugtem Liegen.

Der Verschmelzungsprozess beginnt an der Zehenspitze im Bereich der Phalanx distalis des dritten und vierten Strahles, häufig sind im Bereich der Phalanx media und proximalis noch äußerliche Kerben als Andeutung einer ursprünglich doppelten Anlage zu erkennen. Sogar am Metacarpus bzw. Metatarsus sind die distalen Zehengelenkswalzen teilweise zu einem einfachen Gelenkskörper verschmolzen (KRÖLLING 1956). In manchen Fällen trat die Syndaktylie beim Rind gleichzeitig mit Polydaktylie als sogenannte Polysyndaktylie auf (BORHOVEN 1968; JOHNSON et al. 1980). ELDRIDGE et al. (1951) konnten erstmals bei Holstein Friesian Rindern übereinstimmend mit dem zuvor berichteten Erbgang der Syndaktylie bei Zeburindern (SINGH u. TANDON 1942) einen monogenen autosomal rezessiven Erbgang für die Syndaktylie bei taurinen Rindern nachweisen. Die Merkmalsausprägung bei Rindern, die homozygot für das mit “sy“ bezeichnete Defektallel waren, zeigte sich jedoch bei Versuchen mit dafür homozygoten Tieren in variabler Expressivität und herabgesetzter Penetranz (GRÜNEBERG u. HUSTON 1968). Das Auftreten der Einhufigkeit wurde hierbei an einer Gliedmaße, zwei, drei

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oder allen vier Gliedmaßen beobachtet, die Vordergliedmaßen waren häufiger betroffen als die Hintergliedmaßen und die rechten Gliedmaßen häufiger als die linken. Während KRÖLLING (1956) bei den Untersuchungen an zwei betroffenen männlichen Kälbern der Rasse Deutsches Fleckvieh zunächst nur von einem angelegten Phalangenstrahl ausging, zeigten GRÜNEBERG u. HUSTON (1968) in einer Studie an unterschiedlich alten, homozygoten “sy/sy“ Embryonen der Rasse Holstein Friesian, dass sich zunächst wie bei gesunden Embryonen die beiden Phalangenstrahlen III und IV ausbilden und dann im Laufe der Entwicklung von distal zunehmend vollständig oder unvollständig miteinander verschmelzen. In seltenen Fällen findet keine Verschmelzung statt. Einzelne Embryonen mit dem “sy/sy“

Genotyp wurden als phänotypisch unauffällig mit sich normal entwickelnden Gliedmaßen beobachtet. Deshalb wird bei der bovinen Syndaktylie von einem monogenen autosomal rezessiven Erbgang mit einer variablen Expressivität und unvollständiger Penetranz ausgegangen. Der monogen autosomal rezessive Erbgang mit unterschiedlicher Expressivität konnte für verschiedene Rassen, wie z.B. Holstein Friesian (LEIPOLD et al. 1969; JOHNSON et al. 1980, ADRIAN et al.

1969 a, b, c), Hereford und Chianina Kreuzungen (OJO et al. 1975) und Aberdeen Angus Kreuzungen (LEIPOLD et al. 1998), über die statistische Auswertung von Anpaarungsexperimenten und Pedigreedaten nachgewiesen werden. LEIPOLD et al. (1974) beschrieben bei fünf betroffenen Holstein Friesian Rindern eine höhere Empfindlichkeit gegenüber hohen Temperaturen. Auch beim Braunvieh (STEINER 1945) und beim Japanischen Rind (MOTOHASHI 1954) traten Fälle von Syndaktylie auf (Tab. 1). Die Zahl der betroffenen Gliedmaßen bei einhufigen Aberdeen Angus Rindern lag deutlich höher als bei betroffenen Holstein Friesian und der monogen autosomal rezessive Erbgang zeigte eine vollständige Penetranz, woraufhin ein zweites für die Aberdeen Angus Rinder rassespezifisches “sy“ Allel vermutet wurde (LEIPOLD et al. 1998). Die Syndaktylie hatte insbesondere in der

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Hierbei wurden die zu testenden Tiere an bekannte “sy/sy“ Merkmalsträger angepaart und die neugeborenen Kälber bzw. abortierte Embryonen phänotypisiert.

HART-ELCOCK et al. (1987) bestätigten in ihren Untersuchungen an 139 “sy/sy“

Holstein Friesian Rindern, die aus Embryotransfer gewonnen wurden, die variable Expressivität des “sy“ Gens. Mittlerweile besteht die Möglichkeit Anlageträger mit einem indirekten Gentest über Mikrosatellitenmarker mit einer hohen Sicherheit zu identifizieren. Der Genort für Syndaktylie bei Holstein Friesians wurde auf dem telomeren Ende von Chromosom 15 in der Nähe des Mikrosatelliten BM848 lokalisiert. (CHARLIER et al. 1996). Anlageträger für Syndaktylie werden als

“Mulefoot-Träger“ mit dem Kürzel MF in den Besamungskatalogen gekennzeichnet.

Beim Menschen wurden bereits viele erbliche Formen der Syndaktylie, die teilweise in Kombination mit anderen angeborenen Gliedmaßenanomalien auftreten, molekulargenetisch aufgeklärt und die kausalen Mutationen identifiziert (GURRIERI et al. 2002). Verschiedene Mutationen in Genen der entwicklungsrelevanten Homeobox (HOX) Gencluster sind z.B. an der Ausbildung von Synpolydaktylien beim Menschen beteiligt (GOODMAN 2002). Auch sind inzwischen viele Proteine durch nachgewiesene Mutationen bei poly- und oder syndaktylen Mäusen bzw.

Menschen aufgeklärt worden (HERMANNS u. LEE 2001; HILL et al. 2003). Bei durch Mutation veränderten Gli3 Proteinen zeigen Mäuse Polysyndaktylie (HUI und JOYNER 1993). Aus diesen Ergebnissen konnten zahlreiche Kenntnisse über die embryonale Gliedmaßenentwicklung gewonnen werden. Die embryonale Gliedmaßenknospe entwickelt sich bei allen Vertebraten, beim Rind zwischen dem 24. und 34. Tag der Trächtigkeit (RÜSSE u. SINOWATZ 1991), aus mesenchymalen Zellen, die von einer Lage ektodermaler Zellen bedeckt sind. Das weitere Gliedmaßenwachstum erfolgt in drei beschriebenen Ebenen (NISWANDER 2003).

Das Längenwachstum von Humerus bzw. Femur (Stylopodium) über das Zeugopodium zu den Zehen (Autopodium) läuft entlang der proximo-distalen Achse.

Die weitere Aufgliederung im Bereich des Zeugo- und Autopodiums orientiert sich entlang der beiden weiteren Entwicklungsachsen. Die anterior-posteriore Achse bestimmt die Aufgliederung der Zehen oder von Ulna und Radius bzw. Tibia und Fibula und die dorso-ventrale Achse die dorsale und palmare bzw. plantare

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Differenzierung der distalen Gliedmaßenabschnitte. Die embryonale Gliedmaßenausbildung wird durch eine von Transkriptionsregulationsfaktoren zeitlich und räumlich koordinierte Genexpression gesteuert, die die Funktionen der sich differenzierenden mesenchymalen und ektodermalen Zellen spezifiziert.

Ziel dieser Arbeit war es, nachzuweisen, ob Mulefoot bei Deutschen Holstein in unveränderter Form auftritt und ob Bullen, die bisher nicht als Anlageträger bekannt waren, beteiligt waren.

Material und Methoden

Der Untersuchung liegen insgesamt 8 Fälle von Syndaktylie bei Kälbern der Rasse Deutsche Holsteins, Farbrichtung schwarzbunt, zugrunde. Die betroffenen Kälber stammten aus verschiedenen Betrieben. Sieben der betroffenen Tiere wurden bereits zwischen 1995 und 1997 geboren und damals dem Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung mit Abstammungsinformation sowie dem Befund Syndaktylie an mindestens einer Gliedmaße gemeldet. Ein weiteres betroffenes weibliches Tier wurde am 18.11.2002 auf einem Milchviehbetrieb geboren. Das betroffene Kalb und die auf dem Betrieb vorhandenen verwandten Tiere wurden klinisch untersucht. Von beiden Vordergliedmaßen des betroffenen Kalbes wurden am 9.1.2003 Röntgenbilder im lateromedialen und dorsopalmaren Strahlengang in der Klinik für Pferde der Tierärztlichen Hochschule Hannover angefertigt. Im August 2003 wurde bei einer Außentemperatur zwischen 30 °C und 37 °C und Weidehaltung der Tiere bei Kalb 1 und einem nicht betroffenen Kontrolltier zweimal täglich (morgens und nachmittags) über drei Tage die Rektaltemperatur, Herzfrequenz und Atemfrequenz gemessen. Von diesen beiden Tieren wurden in dieser Zeit im Labor der Klinik für Rinder der Tierärztlichen Hochschule Hannover das rote und weiße Blutbild, der Blutplasmaglucosespiegel sowie Leber- und Nierenwerte untersucht.

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Anlageträger für Syndaktylie war und zugleich der eingesetzte Besamungsbulle ebenfalls als Mulefoot-Trägertier gekennzeichnet war. Nach der Geburt des Kalbes fiel dem Landwirt sofort die Syndaktylie an der rechten Vordergliedmaße auf.

Klinische Untersuchung

Das weibliche Kalb (Kalb 1) der Rasse Deutsche Holstein, Farbrichtung schwarzbunt, wurde im Alter von 2 Wochen klinisch untersucht. Das Kalb war munter und dem Alter entsprechend gut entwickelt. An der rechten Vordergliedmaße war nur ein Klauenschuh ausgebildet. An beiden Vordergliedmaßen war ein geringgradiger Sehnenstelzfuß ausgebildet, so dass das Kalb beidseitig auf den Klauenspitzen fußte und nur mit Mühe mit kleinen Schritten laufen konnte. Die Afterklauen waren an allen vier Gliedmaßen normal ausgebildet. Das Kalb wurde danach in den folgenden 9 Lebensmonaten in regelmäßigen wöchentlichen Abständen klinisch untersucht. Im Alter von drei Monaten zeigte sich an der nicht betroffenen linken Vordergliedmaße eine Verbesserung des Sehnenstelzfußes, die Winkelung der einhufigen Zehe veränderte sich dagegen entgegengesetzt, so dass das Kalb zunehmend nur noch auf der Dorsalfläche der Klaue fußen konnte.

Die anderen betroffenen Kälber zeigten die Syndaktylie an mindestens einer Gliedmaße. Ein Kalb wies die Syndaktylie an allen vier Gliedmaßen auf.

Die Messungen der Herz- und Atemfrequenz bei hohen Außentemperaturen ergaben bei Kalb 1 und dem Kontrolltier leichte Schwankungen, wobei die Atemfrequenz bei beiden Tieren leicht anstieg und die Herzfrequenz nahezu konstant blieb. Diese Schwankungen lagen aber innerhalb der physiologischen Norm, wobei kein Unterschied zwischen den beiden Tieren auffiel. Die Körpertemperatur wies allerdings größere Schwankungen auf, die auch außerhalb der physiologischen Grenzen lagen und wobei Kalb 1 mit Temperaturen von 38,7 – 38,9 °C (morgens) bzw. 38,6 – 39,8 °C teilweise höhere Werte zeigte als das Kontrolltier. In der Blutuntersuchung fiel bei beiden Tieren eine geringgradige Hyperglykämie und bei Kalb 1 eine geringgradige Leukozytose auf.

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Röntgenologische Untersuchung

Auf den Röntgenbildern ist nur der einfach ausgebildete Phalangenstrahl der rechten Vordergliedmaße zu erkennen, während an der linken Vordergliedmaße die Phalangenstrahlen paarig angelegt waren. Im Vergleich zur linken Vordergliedmaße war das Klauenbein in der lateromedialen Richtung um etwa 15 % breiter als die Klauenbeine der linken Vordergliedmaße. Die Facies parietalis und die Facies solearis des Klauenbeins waren im Vergleich um etwa 10 % verkürzt. Während an der linken Gliedmaße vier normal ausgebildete Sesambeine des Fesselgelenks zu erkennen waren, waren an der rechten Gliedmaße nur drei ausgebildet. Dabei war das mittlere Sesambein deutlich kleiner als das laterale und das mediale Sesambein und wies eine eher runde Form auf.

Analyse des Pedigrees

Kalb 1 wurde als 5. Kalb einer phänotypisch unauffälligen Kuh geboren. Vater des Kalbes war ein als Mulefoot-Träger identifizierter Besamungsbulle des Geburtsjahrgangs 1993 (MF-Bulle C). Von diesem Bullen wurden im Besamungsjahr 2002 531 Kühe besamt. Der Vater der Mutter (MF-Bulle B) war ebenfalls bereits als Mulefoot-Träger identifiziert und gekennzeichnet. Zwei gesunde väterliche Halbgeschwister der Mutter sowie zwei weitere Nachkommen der Mutter und zwei Nachkommen der ersten Tochter der Mutter waren noch auf dem Betrieb. Alle verwandten Tiere zeigten eine reguläre Ausbildung der beiden Klauen und Afterklauen. Die Elterntiere des betroffenen Tieres wiesen in der 4. bzw. 5.

Generation einen gemeinsamen Vorfahren auf. Das von Syndaktylie betroffene Kalb war auf diesen Bullen mit einem Inzuchtkoeffizienten F = 0,098 % ingezüchtet.

Dieser Bulle war ebenfalls im Besamungseinsatz und als Mulefoot-Anlageträger (MF-Bulle A) bereits identifiziert. Des weiteren lagen Befunde von 7 weiteren betroffenen Tieren vor. 5 dieser Tiere (Kalb 4 bis 8) hatten den bei Kalb 1 ermittelten

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Diskussion

Die hier vorliegenden Fälle von Syndaktylie zeigten in Übereinstimmung mit der Literatur eine variable Expressivität in Form von ein bis vier betroffenen Gliedmaßen.

Ebenfalls in Übereinstimmung mit der Literatur war vorwiegend die rechte Vordergliedmaße betroffen, wobei nur ein Phalangenstrahl ausgebildet war und die Anzahl der Sesambeine des Fesselgelenks auf drei reduziert war. Während in der Literatur häufig von vergrößerten Afterklauen berichtet wurde (LEIPOLD et al. 1969), konnten bei Kalb 1 keine Veränderungen an den Afterklauen festgestellt werden.

LEIPOLD et al. (1974) zeigten bei fünf Kälbern ein hochgradiges Ansteigen der Körpertemperatur und der Herz- und Atemfrequenz. Die Hyperglykämie war bei den hier untersuchten zwei Tieren in gleicher Weise ausgeprägt und als Streßsymptom zu werten. Die Körpertemperaturen wiesen bei Kalb 1 teilweise, aber nicht regelmäßig höhere Werte auf als bei dem Kontrolltier, was aber auch auf die hellere Fellfarbe des Kontrolltieres zurückzuführen war. Das Allgemeinbefinden von Kalb 1 erschien trotz hoher Außentemperaturen ungestört, somit konnten hier keine Anzeichen für eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Hitze gefunden werden. Da nur ein Kalb untersucht werden konnte, sind diese Ergebnisse sehr vorsichtig zu bewerten und sie zeigen nur, dass die hohe Temperaturempfindlichkeit einer Variation unterliegt und nicht bei allen Kälbern mit Syndaktylie in gleichem Ausmaß auftreten muss.

Für den aktuellen Fall (Kalb 1) konnte gezeigt werden, dass das Defektallel über mehrere Ahnengenerationen auf den Vater der Kuh und den Vater des Kalbes übertragen wurde. Die Mutter hat somit mit hoher Wahrscheinlichkeit das Defektallel von dem MF-Bullen B geerbt. Bei 5 geborenen Kälbern beträgt der Erwartungswert bei einer vollständigen Penetranz von 100 % und einer monogen autosomalen rezessiven Vererbung 1,25 betroffene Kälber. Die Penetranz für diese Nukleusfamilie ist somit rein rechnerisch 80 %. Jedoch besitzt dieser Wert wegen der geringen Zahlen wenig Aussagekraft. Der Vater des Kalbes (MF-Bulle C) wird in Deutschland als Bullenvater eingesetzt. Alle in Deutschland gezogenen Söhne von ihm wurden mit negativem Ergebnis auf Mulefoot getestet. In den USA wurde allerdings ein als Besamungsbulle eingesetzter Sohn mit positivem Ergebnis

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getestet. Ein weiterer MF-Anlagepositiver Bulle der Rasse Deutsche Holsteins, Farbrichtung rotbunt, wird in Deutschland als Bullenvater eingesetzt. Auch von diesem Bullen ist ein MF-positiver Sohn bekannt. Da Anpaarungen zweier Anlageträger nach § 11b des Tierschutzgesetzes vom 25. Mai 1998 tierschutzrelevant sind, müssen zur Vermeidung dieser Anpaarungen auch die älteren Bullen, die Anlageträger für Syndaktylie sind, veröffentlicht werden. Wird das nicht gemacht, so kann der Landwirt das eventuelle Risiko bei der Anpaarung nicht richtig einschätzen. Die Landwirte sind auf jeden Fall bei Anpaarungen mit bekannten MF-Anlageträgern verpflichtet, die Kühe zur Vermeidung dieses Erbdefektes mittels des indirekten Gentestes untersuchen zu lassen. Dies ist insbesondere dann zwingend, wenn Kühe von einem bekannten oder vermuteten Anlageträger abstammen und somit für sie ein Risiko von 50% besteht, Anlageträgerinnen zu sein. Dem verantwortungsbewussten Züchter sollte generell von dem Einsatz von MF-Anlageträgern abgeraten werden, da keine Weiterverbreitung des Defektallels befürwortet werden kann, und der Züchter Sorge tragen muss, die MF-Anlageträgerinnen als Zuchttiere auszuschließen. Wie der hier vorliegende Fall von Syndaktylie zeigt, dürfte dies häufig in der Praxis nicht gelingen.

Weiterhin ist zu bedenken, dass der indirekte Gentest nicht alle MF-Anlageträger aufdecken muss und bei stärkerer Verbreitung des Defektallels in den Milchviehherden Rekombinationen zwischen dem Marker und dem Defektallel häufiger auftreten und so die Nachverfolgung von Anlageträgerinnen sehr schwierig und teuer wird.

Danksagung

Herrn Dr. Karl Wittenberg, Tierarzt an der Besamungstation Hündersen der Rinder-Union West, sei für die Ermittlung der Fälle und die Hilfe bei der Datenerhebung sehr herzlich gedankt. Frau PD Dr. Barbara Harlizius danken wir für die Überlassung der

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Korrespondenzadressen:

Corinna BÄHR und Prof. Dr. Ottmar DISTL, Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Tierärztlichen Hochschule Hannover, Bünteweg 17p, 30559 Hannover.

E-mail: ottmar.distl@tiho-hannover.de.

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Tab.1: Von Syndaktylie betroffene Rassen.

Rasse (Land) Anzahl

betroffener Tiere

Art des Versuches Autor

Deutsche Holsteins (BRD) 2 Feldstudie RIECK 1972

Holstein-Friesian (USA) 2 Feldstudie ELDRIDGE et al.

1951

Holstein-Friesian (USA) 2 Anpaarungsversuch GRÜNEBERG u.

HUSTON 1965 Holstein-Friesian (USA) 55 Feldstudie LEIPOLD et al.

1969

Holstein-Friesian (USA) 4 Anpaarungsversuch JOHNSON et al.

1980

Holstein-Friesian (USA) 139 Anpaarungsversuch HART-ELCOCK et al. 1987

Feldstudie OJO et al. 1975

Holländische Holsteins (NL) 12 Feldstudie CHARLIER et al.

1996

Aberdeen Angus (USA) 1 Feldstudie LEIPOLD et al.

1969

Aberdeen Angus (USA) 21 Feldstudie LEIPOLD et al.

1998

Deutsches Fleckvieh (BRD) 2 Feldstudie KRÖLLING 1956

Simmentaler Fleckvieh (CH) 1 Feldstudie KÖNIG et al. 1980

Schweizer Braunvieh (CH) 12 Feldstudie STEINER 1945

Japanisches Rind (Japan) 26 Feldstudie MOTOHASHI 1954

Hariana (Zebu) (Indien) 10 Anpaarungsversuch SINGH u.

BHATTACHARYA 1949

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Abb.: s. Anhang Abb. 4.1 und 4.2.

Abb. 3: Pedigree der von Syndaktylie betroffenen Kälber.

5. Hyperextension der Fesselgelenke bei Deutschen Holsteinrindern