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Epitheliogenesis imperfecta bei Deutschen Holsteinkälbern

Missbildungen im Kopfbereich bei Deutschen Holsteinkälbern

10. Epitheliogenesis imperfecta bei Deutschen Holsteinkälbern

10. Epitheliogenesis imperfecta bei Deutschen Holsteinkälbern

Epitheliogenesis imperfecta in German Holstein calves

C. Bähr, C. Drögemüller, O. Distl

Aus dem Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung (Direktor: Prof. Dr. O. Distl) der Tierärztlichen Hochschule Hannover

Schlüsselwörter: Rind – Erbfehler – Epitheliogenesis imperfecta – Epidermolysis bullosa – mitochondriale DNA

Zusammenfassung: Auf einem Milchviehbetrieb wurde in den Jahren 1999 und 2000 bei 6 Kälbern der Rasse Deutsche Holsteins, Farbrichtung schwarzbunt, Epitheliogenesis imperfecta diagnostiziert. Die davon betroffenen Kälber überlebten mit diesen Defekten nur wenige Tage bis einige Wochen. An einem männlichen Kalb konnten mittels pathologisch-anatomischen und -histologischen Untersuchungen die für Epitheliogenesis imperfecta typischen Symptome festgestellt werden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit stammen alle betroffenen Kälber von einem Natursprungbullen ab. Die Pedigrees der betroffenen Kälber lassen einen monogenen autosomal rezessiven Erbgang als wahrscheinlich erscheinen. Das autosomal rezessive Defektallel wurde wahrscheinlich über Natursprungbullen in der untersuchten Milchviehherde verbreitet. Die gefundenen Fälle von Epitheliogenesis imperfecta zeigen somit, dass das dafür verantwortliche Defektallel noch heute in der Deutschen Holstein-Population verbreitet ist.

10. Epitheliogenesis imperfecta bei Deutschen Holsteinkälbern

Summary: In 6 German Holstein calves, black and white-colored, from a single dairy farm epitheliogenesis imperfecta was observed in the years 1999 and 2000. The affected calves survived only a few days up to some weeks. In a male calf the typical symptoms of epitheliogenesis imperfecta were realized using pathological and histological examination. With high probability all affected calves descended from the same natural service sire. The pedigree of the affected calves suggested a monogenic autosomal recessive inheritance. The autosomal recessive defective allele was probably disseminated in the cows of this dairy farm through natural service sires. The cases of epitheliogenesis imperfecta collected show that the causative allele is still prevalent in the German Holstein population.

Einleitung

Angeborene Anomalien der Haut und ihrer Anhangsgebilde kommen beim Rind recht häufig und in den verschiedensten Formen vor. Man kann hier Störungen der Epithelbildung, Störungen der Unterhautentwicklung, Anomalien der Behaarung und Anomalien der Pigmentierung unterscheiden. Zu den Störungen der Epithelisierung zählt man unter anderem die Epitheliogenesis imperfecta, die Epidermolysis bullosa, die Ichthyosis congenita und die Parakeratose.

Die Epitheliogenesis imperfecta zeigt sich durch ein Fehlen der Epidermis und ihrer Adnexe, so dass die blutigrote Lederhaut zu Tage tritt. Die veränderten Stellen sind von den normalen Hautbezirken scharf abgegrenzt. Die Kälber werden meist mit normalem Geburtsgewicht geboren. Die Lebenserwartung für diese Kälber ist sehr gering, da die meisten Kälber an einer Septikämie infolge der hohen Infektionsgefahr sterben, oder da sie auf Grund von Läsionen in der Maulhöhle nicht trinken können.

Überleben die Kälber einige Tage, treten an umgrenzten Bereichen Regenerationsprozesse an den Rändern der intakten Epidermis auf. Die normal erscheinende Haut ist leicht verletzbar (8). Als kausale Ursache für die Epitheliogenesis imperfecta wird ein genetischer Defekt angesehen, der monogen autosomal rezessiv vererbt wird, und deshalb als Letalfaktor A2 bezeichnet wird (19.) Bisher wurde die Epitheliogenesis imperfecta in Deutschland nur bei 5 Kälbern der

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Rasse Deutsche Schwarzbunte (21, 29) und einem Vorderwälderkalb (31) beschrieben (Tab. 1).

Die ebenfalls wahrscheinlich erblich bedingte Epidermolysis bullosa gehört zu den mechanobullösen Hautkrankheiten. Bei dieser Erkrankungen treten die Ablösungen der Epidermis während der ersten Lebenstage an vorwiegend mechanisch beanspruchten Stellen auf. Auch sie tritt bei verschiedenen Rinderrassen auf, wie in Tab. 2 gezeigt wird. Die Symptome der Epitheliogenesis imperfecta werden denen der Epidermolysis bullosa in Tab. 3 gegenübergestellt. Bei der Epitheliogenesis imperfecta werden 7 verschiedene Ausprägungsformen nach Art und Lokalisation der Epidermisdefekte unterschieden. Bei Typ 1 befinden sich die Epidermisdefekte unterhalb der Karpalgelenke, an der Flotzmaulregion, an Zunge, hartem Gaumen und Gingiva. Die Klauen sind unterentwickelt und deformiert. Bei Typ 2 befinden sich die defekten Stellen bilateral an den Karpalgelenken und an den Fesselgelenken aller vier Extremitäten. Oberhalb der Klauenschuhe befindet sich ein Streifen intakter Haut. Flotzmaul und Zunge sind weniger stark betroffen als bei Typ 1. Typ 3 ist vergleichbar mit Typ 2, aber weniger stark ausgeprägt. Das äußere Ohr ist deformiert. Bei Typ 4 zeigen sich die Epidermisdefekte wieder distal der Karpal- und Tarsalgelenke bis an die Klauenschuhe heran. Die Klauenschuhe sind teilweise abgelöst. Flotzmaul, Zunge, bukkale Schleimhaut und Perineum sind betroffen. Die Ohrmuscheln sind deformiert. Bei Typ 5 befinden sich die defekten Stellen an Ellbogen, Karpal- und Tarsalgelenken. Zunge und bukkale Schleimhaut sind betroffen. Die Klauenschuhe lösen sich ab. Typ 6 ist von der Ausprägung der schwerste Typ: die Epidermisdefekte befinden sich an allen Extremitäten unterhalb der Karpal- und Tarsalgelenke, an Kopf, Nacken, Flanken, Rumpf und Schwanz. Die Ohrmuscheln fehlen komplett. Die Zähne sind deformiert. Teilweise werden die Kälber abortiert. Bei Typ 7 sind wieder die Karpal- und Tarsalgelenke betroffen.

Zusätzlich befinden sich Defekte der Epidermis um das Flotzmaul und die Augen.

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Rissen durchzogen. Haare fehlen meistens. Meist sind Flotzmaul, die Beugeseiten der Gliedmaßen und der Bauch betroffen (25). Die angeborene Parakeratose ist durch einen erblichen Zinkmangel bedingt. Im Alter von 4 bis 6 Wochen beobachtet man eine Schuppen- und Borkenbildung an mechanisch beanspruchten Stellen (24).

Material und Methoden

Der Untersuchung liegen 6 Fälle von Epitheliogenesis imperfecta bei Kälbern der Rasse Deutsche Holsteins, Farbrichtung schwarzbunt, zu Grunde. Bei den Kälbern fielen nach der Geburt haarlose, dunkelrot erscheinende, scharf abgegrenzte Bezirke, hauptsächlich an den Beinen und der Maulregion, und deformierte Ohrmuscheln auf. Die 5 ersten Kälber überlebten ca. 4 bis 6 Wochen mit diesen Defekten. Das letztgeborene Kalb starb nach einem Tag. Alle betroffenen Tiere wurden zwischen Januar 1999 und April 2000 auf einem Betrieb mit 120 Milchkühen geboren. Alle betroffenen Kälber stammten höchstwahrscheinlich von einem Bullen ab (Abb. 1). Die Mütter (Tier 1 und 4) der Kälber 10 und 11 waren väterliche Halbgeschwister, ebenso die Mütter (Tier 5 und 7) der Kälber 13 und 14. Zusätzlich waren die Mütter (Tier 3 und 5) der Kälber 6 und 13 mütterliche Halbgeschwister. An einem betroffenen männlichen Kalb (Tier 13) wurde eine pathologisch-anatomische Untersuchung am Institut für Pathologie der Tierärztlichen Hochschule vorgenommen.

Molekulargenetische Analysen

Für acht Familienmitglieder konnte eine molekulargenetische Analyse durchgeführt werden. Dies waren alle Mütter und der Vater der betroffenen Kälber und ein betroffenes männliches Kalb. Mittels molekulargenetischen Untersuchungen sollte geklärt werden, ob für die betroffenen Kälber ein gemeinsamer maternaler Ursprung anzunehmen ist. Deshalb wurde die DNA-Sequenz der D-Loop-Region der mt-DNA bei den Müttern (Tiernr. 1 - 7) und den beiden männlichen beprobten Familienmitgliedern (Tiernr. 6 und 8) untersucht.

Das mitochondriale Genom des Rindes besteht aus einem zirkulären Doppelstrang mit insgesamt 16338 Basenpaaren (bp). Die mitochondriale

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Sequenz ist beim Rind aufgeklärt und beinhaltet 37 Gene (3). Man unterscheidet zwei Stränge der mt-DNA, einen schweren (heavy) Guanin-reichen H-Strang mit 28 Genen und einen leichten (light) Cytosin-reichen L-Strang mit 9 Genen. Da es innerhalb bzw. zwischen den Genen keine Introns gibt, stoßen die kodierenden Sequenzen benachbarter mt-DNA-Gene in den meisten Fällen aneinander oder werden nur durch eine oder zwei nichtkodierende Basen getrennt. Die Gene im mitochondrialen Genom kodieren die Information für mRNAs, die an eigenen Ribosomen der Mitochondrien translatiert werden. Das mitochondriale Genom ist jedoch nur für einen sehr kleinen Teil der mitochondrialen Funktionen verantwortlich.

Die Mehrzahl der mitochondrialen Proteine werden von den Genen im Kern codiert.

In einem kleinen Bereich hat die mt-DNA eine Dreifachstrangstruktur. An dieser Stelle befindet sich ein zusätzlich synthetisierter Abschnitt, ein kurzes Stück vom H-Strang der mitochondrialen DNA, der sogenannte Displacement (D) -Loop, der einzige nichtkodierende DNA-Bereich der mitochondrialen DNA des Rindes. Im D-Loop startet die Replikation der mt-DNA von zwei dicht benachbarten Promotoren aus. Der 910 bp umfassenden D-Loop Bereich beim Rind kann als Kontrollregion zur Verwandtschaftsbestimmung eingesetzt werden, da in diesem Abschnitt der mt-DNA die größte Sequenzvariabilität (Polymorphie) beobachtet wird. Dieser hohe Polymorphiegrad lässt sich durch die im Vergleich zum Kerngenom viel höhere Anzahl der Replikationen der mt-DNA erklären.

Zur PCR-Amplifikation der gesamten hypervariablen D-Loop Region beim Rind wurden die Primer Rd_mtD_F (5´-AAA CTG CAG TCT CAC CAT C-3´) und Rd_mtD_R (5´-GGG TGT AGA TGA TTG CAT G-3´) aus der publizierten Sequenz (GenBank Acc. No. V00654; ANDERSON et al. 1982) ausgewählt, die einen Bereich von 1099 bp der bovinen mt-DNA amplifizieren. Somit umfassen die PCR-Produkte der ausgewählten Primer den gesamten D-Loop Bereich der bovinen mt-DNA. Bei den untersuchten 8 Tieren konnten insgesamt 776 bp des D-Loop Bereichs der

mt-10. Epitheliogenesis imperfecta bei Deutschen Holsteinkälbern

Das einen Tag alte, männliche Kalb hatte ein Gewicht von 34,4 kg bei gutem Ernährungszustand. Die Haut wies im Bereich des Flotzmauls einen landkartenähnlichen Epidermisverlust über eine Fläche von 2,5 x 2,5 cm auf. Der Defekt breitete sich entlang der Oberlippe bis zum mukokutanen Übergang in beide Mundwinkel aus. An der linken Vordergliedmaße fiel die fehlende Epidermis distal des Karpalgelenks mit scharfrandigem Übergang zur normal behaarten und epithelialisierten Haut im Bereich des proximalen Extremitätenabschnittes auf. Das Eponychium war vorhanden. Die Gelenke waren beweglich. Der mediale Klauenschuh und beide Afterklauen fehlten. An der rechten Vordergliedmaße zeigte sich ein von der Mitte des Metacarpus bis zur medialen Klaue reichender Streifen nicht behaarter Haut. An dieser Gliedmaße waren beide Afterklauen vorhanden. Die linke Hintergliedmaße wies etwa 5 bis 8 cm distal des Tarsalgelenkes ein abruptes Fehlen der Epidermis bis zu den Klauen auf. Auch hier fehlten beide Afterklauen.

Auch die rechte Hintergliedmaße zeigte ein abruptes Fehlen der Epidermis ca. 3 cm distal des Tarsalgelenkes bis zu den Klauen, während sich an der kaudo-lateralen Seite zungenartig, bis zur Mitte des Metatarsus reichende normal strukturierte Haut befand. Hier fehlten wieder beide Afterklauen. An allen haarlosen, nicht-epithelisierten Stellen war das Korium hochgradig hyperämisch und abgetrocknet. In der Mundhöhle befanden sich Epithelverluste im Bereich beider Schneidezähne und im Bereich des rechten harten Gaumens.

Histologisch waren im Bereich der fehlenden Epidermis eine hochgradige Hyperämie, graduell variierende frische Blutungen und herdförmig geringgradige granulo-histiozytäre Infiltrationen zu finden. Die Epidermis war regulär strukturiert mit orthokeratotischer Verhornung. Die Basalmembran war deutlich verdickt. Es traten multifokal subepidermale kleine, teils konfluierende Spaltbildungen auf; mit Hilfe der PAS-Reaktion wurden unter der Basalmembran liegende Spalträume nachgewiesen.

Analyse der Pedigrees

Das Pedigree der 6 Kälber konnte über 2 Generationen verfolgt werden. Die Mütter der Kälber zeigten keine Defekte. Zu den Belegungszeitpunkten der Mütter waren zwei Deckbullen in der Herde. Bulle 9 war ein selbstgezogener Bulle, Bulle 8 war

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zugekauft worden. Bei Kalb 13 und Kalb 6 war Bulle 8 definitiv der Vater, bei den übrigen 4 Kälbern kamen Bulle 8 und Bulle 9 in Frage. Kalb 10 und Kalb 11 stammten vom selben mütterlichen Großvater ab, Kalb 12 und Kalb 13 hatten dieselbe mütterliche Großmutter und Kalb 13 und Kalb 14 wiederum denselben mütterlichen Großvater. Die beiden Deckbullen wurden inzwischen aus der Herde entfernt. Es wurde ein neuer Bulle zugekauft. Seitdem trat kein neuer Fall von Epitheliogenesis imperfecta mehr auf.

Unter der Annahme, dass Bulle 8 Vater aller betroffenen Kälber ist, beträgt der Verwandtschaftsgrad zwischen den betroffenen Tiere 10 und 11, 12 und 13 sowie den Tieren 13 und 14 31,25 %. Alle übrigen betroffenen Tiere weisen untereinander einen Verwandtschaftsgrad von 25 % auf.

Die in Tabelle 4 zusammengefassten interindividuellen Sequenzunterschiede an insgesamt 11 Nukleotidpositionen des untersuchten Familienmaterials zeigen 6 unterschiedliche mt-DNA Haplotypen auf. Nur die Tiere 2 und 6 (Mutter-Sohn-Paar) sowie die Tiere 3 und 5 (mütterliche Halbgeschwister) weisen jeweils einen gemeinsamen mt-DNA Haplotyp in der untersuchten Sequenz auf. Somit ist für die betroffenen Kälber kein gemeinsamer mütterlicher Vorfahre nachzuweisen, das heisst, die Mütter der von Epitheliogenesis imperfecta betroffenen Kälber sind nicht über die Mutterlinien miteinander verwandt.

Diskussion

Über das Vorkommen des Letalfaktors Epitheliogenesis imperfecta in der Holstein Friesian-Zucht wurde von mehreren Autoren berichtet, in Deutschland wurde bisher allerdings nur von einem Fall bei einem schwarzbunten Kalb in Tübingen (28) und 4 schwarzbunten Kälbern in Gießen (21) berichtet. Das Auftreten dieses Defekts spricht dafür, dass das Defektgen in der aktuellen Deutschen Holstein-Zucht verbreitet ist. Dass der Defekt in der Holstein Friesian-Zucht noch vorhanden war,

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sind nicht bekannt. Da die Abstammung des hier erwähnten Bullen nicht bekannt ist, können allerdings keine Schlüsse auf die Verwandtschaft zu heute eingesetzten Besamungsbullen gezogen werden. Die Deckbullen wurden bereits aus der Herde entfernt, so dass von dieser Seite ein weiteres Auftreten der Epitheliogenesis imperfecta eingeschränkt wurde. Von den Kühen wurde ein Tier aus dem Betrieb verkauft. Da die anderen Kühe aber bisher in der Herde verblieben sind und auch teilweise die Nachzucht dieser zur Remontierung eingesetzt wird, ist ein Wiederauftreten des Defekts in der betreffenden Herde nicht auszuschließen.

Die Deutschen Holstein-Kälber zeigten makroskopisch das Bild der Epitheliogenesis imperfecta, welche eine kongenitale monogen, autosomal rezessiv vererbte Anomalie darstellt, die in den letzten Jahrzehnten allerdings nur noch vereinzelt festgestellt wurde.

Die Kälber wiesen von Geburt an scharf begrenzte Defekte der Epidermis auf, unter denen die Lederhaut zu sehen war. Vom makroskopischen Bild wiesen die hier beschriebenen Fällen mit den aus der Literatur bekannten Fällen von Epitheliogenesis imperfecta eine große Ähnlichkeit auf. Als Differentialdiagnose kommt allerdings die Epidermolysis bullosa in Frage. Das äußere Erscheinungsbild der Epidermolysis bullosa zeigt mit den Symptomen der Epitheliogenesis imperfecta gewisse Parallelen, ist aber differentialdiagnostisch davon abzugrenzen. Die Tatsache, dass alle Kälber scharf abgegrenzten defekte Stellen unmittelbar nach der Geburt aufwiesen, spricht gegen eine sich erst im Laufe der ersten Lebenstage entwickelnden Epidermolysis bullosa, die meist weniger gut abgegrenzte Stellen aufweist. Auch wurde in diesen Fällen keine Bläschenbildung beobachtet. Allerdings beschrieb BASSETT (6) eine Form der bovinen Epidermolysis beim Simmentaler Kälbern, die ohne Bläschenbildung auftrat. Ein weiterer wichtiger Unterschied sind die deformierten Ohrmuscheln bei den hier beschriebenen Kälbern. Ein Auftreten von deformierten Ohrmuscheln wurde bisher nur bei Kälbern mit Epitheliogenesis imperfecta beobachtet. Gegen die aufgrund der makroskopischen Befunde gestellte Diagnose der Epitheliogenesis imperfecta sprechen allerdings die Befunde der mikroskopischen Untersuchung der Haut. Bei einer mikroskopischen Betrachtung der

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dem Defekt angrenzenden Haut fielen subepidermale Spaltbildungen auf, wie sie bei der Epidermolysis bullosa beschrieben worden sind.

Beim Pferd, insbesondere beim Kaltblutfohlen, konnte ebenfalls Epitheliogenesis imperfecta beobachtet werden. SPIRITO et al. (27) konnten eine Kosegregation einer Mutation im Lamc2 Gen mit Epitheliogenesis imperfecta bei 4 Belgischen Kaltblutfohlen nachweisen. Dabei wurde der Begriff der Epidermolysis bullosa als Synonym für Epitheliogenesis imperfecta gebraucht.

Das Pedigree schließt einen autosomal dominanten Erbgang, wie BASSETT (6) ihn für die Simmentalkälber vermutete, nahezu aus, da die Eltern der defekten Kälber keine Hautveränderungen im Sinne einer Epitheliogenesis imperfecta aufwiesen. Bei den hier vorliegenden Fällen ist eher ein autosomal rezessiver Erbgang zu vermuten.

Die Kühe und der Deckbulle als Vater der Kälber wären dann phänotypisch normale Anlageträger. Da der zugekaufte Bulle der Vater zweier betroffener Kälber ist, kann davon ausgegangen werden, dass er Anlageträger ist. Ob auch der im eigenen Betrieb gezogene Bulle Anlageträger ist, ist nicht mit Sicherheit nachzuweisen, da nicht bekannt ist, ob er wirklich der Vater von betroffenen Kälber ist. Da keine maternale Verwandtschaft zwischen den Müttern der betroffenen Tiere nachweisbar war, können die Mütter nicht aus einer Kuhlinie stammen und somit ist ein Ursprung des Defektallels in einem gemeinsamen mütterlichen Ahnen unwahrscheinlich. Ob eine Verwandtschaft der Mütter über die paternale Seite besteht, konnte nicht geklärt werden. Beim jahrelangen Einsatz von eigenen und zugekauften Deckbullen in einer Kuhherde ist dies nicht auszuschließen. Deshalb ist zu vermuten, dass das Defektallel für Epitheliogenesis imperfecta über einen oder mehrere Bullen in die Herde getragen wurde und damit einige Kühe zu Anlageträgerinnen wurden. Da Epitheliogenesis imperfecta in der Deutschen Holstein-Zucht sehr selten aufzutreten scheint, dürfte nicht zu erwarten sein, dass der Ursprung des Defektallels in den verschiedenen Mutterlinien liegt. Fälle von Epitheliogenesis imperfecta sollten

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Fazit für die Praxis

Kongenitale Missbildungen der Haut, wie z. B. die Epitheliogenesis imperfecta, treten beim Rind relativ selten auf. Die Unterscheidung der verschiedenen kongenitalen Anomalien der Haut ist, wie in dem hier gezeigten Fall, nicht immer einfach. Eine systematische klinische, pathologisch-anatomische und –histologische Beschreibung kann zur besseren Einteilung beitragen und über den Vergleich mit analogen Fällen bei anderen Spezies wie dem Pferd die molekulargenetische Aufklärung ermöglichen. Fälle, die dem praktizierenden Tierarzt in seiner Praxis vorgestellt werden, sollten zur Erleichterung der Aufklärung von kongenitalen Anomalien bei interessierten Instituten gemeldet werden.

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Tabelle 1: Fälle von Epitheliogenesis imperfecta in der Literatur seit 1927

Jahr Rasse

Anzahl betroffener

Tiere

Tiere