• Keine Ergebnisse gefunden

Untersuchungen zu kongenitalen Anomalien bei Schaf und Ziege

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Untersuchungen zu kongenitalen Anomalien bei Schaf und Ziege"

Copied!
276
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Tierärztliche Hochschule Hannover

Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung Klinik für kleine Klauentiere, forensische

Medizin und Ambulatorische Klinik

Untersuchungen zu kongenitalen Anomalien bei Schaf und Ziege

INAUGURAL-DISSERTATION zur Erlangung des Grades einer

Doktorin der Veterinärmedizin - Doctor medicinae veterinariae -

(Dr. med. vet.)

vorgelegt von Andrea Kerkmann

aus Simmerath

Hannover 2008

(2)

Wissenschaftliche Betreuung: Univ.-Prof. Dr. Ottmar Distl

Univ.-Prof. Dr. Martin Ganter

1. Gutachter: Univ.-Prof. Dr. Ottmar Distl

Univ.-Prof. Dr. Martin Ganter

2. Gutachter: Apl. Prof. Dr. Wilfried Brade

Tag der mündlichen Prüfung: 29.10.2008

Diese Arbeit wurde gefördert durch die FAZIT Stiftung, Frankfurt

(3)

Für meine Eltern

(4)

Teile dieser Arbeit sind bei folgenden Zeitschriften zur Veröffentlichung angenommen oder bereits veröffentlicht:

Berliner und Münchener Tierärztliche Wochenschrift Deutsche Tierärztliche Wochenschrift

Praktischer Tierarzt

(5)

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung...2

2 Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf ...6

3 Fallbericht - Kongenitale okzipito-atlanto-axiale Malformation (OAAM) bei einem Schaflamm...44

4 Ein sehr seltenes Vorkommen eines Pseudoekstrophie-Komplexes mit Darmduplikatur bei einem Ziegenlamm ...64

5 Kongenitale Zyklopie und Arhinenzephalie - Eine Literaturübersicht und zwei Fallberichte bei Schaflämmern...90

6 Fallbericht - Kongenitale Brachyurie in Verbindung mit multiplen Wirbelmissbildungen bei einer Moorschnucke ...114

7 Skoliosen der Wirbelsäule/Tortikollis und Gesichtsskoliose in Verbindung mit Arthrogrypose beim Schaf ...134

8 Epidermolysis bullosa in sheep: clinical aspects and results of an experimental breeding in German Black Headed Mutton sheep...172

9 Evaluation of mutations within LAMC2 as candidate gene for junctional epidermolyis bullosa (JEB) in German Black Headed Mutton sheep ...196

10 Übergreifende Diskussion ...230

11 Zusammenfassung...244

12 Summary ...250

13 Anhang ...256

14 Publikationsverzeichnis...264

(6)

Verzeichnis der Abkürzungen

A Adenin Abb. Abbildung

AP alkalische Phosphatase

BD Border Disease

BDV Border Disease Virus

BHMS Black Headed Mutton sheep

BLAST Basic Local Alignment Search Tool bp base pairs (Basenpaare)

BRSV Bovines Respiratorisches Synzytialvirus

BSA Bovines Serumalbumin (bovine serum albumin)

BT Bluetongue Disease

BTA Rinderchromosom, Chromosom von Bos taurus

BTV Bluetongue Virus

BTV-8 Bluetongue Virus Serotyp 8

BVD Bovine Virusdiarrhoe

BVDV Bovines Virusdiarrhoe Virus BWS Brustwirbelsäule bzw. beziehungsweise C Cytidin

C1-C7 1. bis 7. Cervikalwirbel ca. circa

cDNA copy DNA

CK Creatinkinase cm Zentimeter COL17A1 collagen type XVII alpha 1

CT Computertomographie CVM Complex vertebral malformation

DEB dystrophic Epidermolysis bullosa (Epidermolysis bullosa dystrophica) Diss. Dissertation

(7)

dl Deziliter DMSO Dimethylsulfoxid

DNA desoxyribonucleic acid (Desoxyribonukleinsäure) dNTP Desoxyribonukleosidtriphosphat

EB Epidermolysis bullosa

EBI European Bioinformatics Institute EBS Epidermolysis bullosa simplex

EDTA Ethylendiamintetraacetat

EI Epitheliogenesis imperfecta

ELISA Enzyme Linked Immunosorbent Assay EMG Elektromyographie EST Expressed sequence tag

et al. et alii

evtl. eventuell

FGFR3 fibroblast growth factor receptor 3 Fig. Figure

g Gramm G Giga G Guanin ggrd. geringgradig h² Heritabilität

HE Hämatoxylin Eosin

HET Heterozygotiegrad hgrd. hochgradig

HI-Tier Herkunftssicherungs- und Informationssystem Tier HPE Holoprosenzephalie

HWS Halswirbelsäule

I1 erste Incisivi

JEB junctional epidermolysis bullosa (Epidermolysis bullosa junctionalis) kb Kilobasen

kg Kilogramm

(8)

KGW Kilogramm Körpergewicht l Liter

L1-L6 1. bis 6. Lendenwirbel LAMA3 laminin alpha 3

LAMB3 laminin beta 3

LAMC2 laminin gamma 2

li. links LOD Logarithm of the odds

LS Leineschaf m Meter M. Musculus max maximum Mb Megabasen mg Milligramm mgrd. mittelgradig MHz Megahertz min minimum min Minute ml Milliliter mm Millimeter mM millimolar mmol Millimol

mRNA messenger-RNA

MRT Magnetresonanztomographie µg Mikrogramm

µl Mikroliter

NCBI National Center for Biotechnology Information ng Nanogramm

Nn. Nervi

OAAM okzipito-atlanto-axiale-Malformation OAR Schafchromosom, Chromosom von Ovis aries

(9)

o.b.B. ohne besonderen Befund

OMIA Online Mendelian Inheritance in Animals OMIM Online Mendelian Inheritance in Man

p probability, Überschreitungswahrscheinlichkeit

PAX1 Transskriptionsfaktor Paired box 1

PCR polymerase chain reaction (Polymerasekettenreaktion)

PCV Packed cell volume

PIC Polymorphism information content pmol picomol

PolyPhen Polymorphism Phenotyping

re. rechts

RFLP Restriktionslängenpolymorphismus RNA ribonucleic acid (Ribonukleinsäure)

s Sekunde SAS Statistical Analysis System

SHH Sonic hedgehog

SLC35A3 Solute carrier family 35 member A3

SLS Spider Lamb Syndrome

SNP single nucleotide polymorphism SRY Sex determining region of Y T Tera T Thymin T1-T13 1. bis 13. Thorakalwirbel Tab. Tabelle

TBE TRIS-Borat-EDTA-Puffer

Tbx T-Box

Th1-Th13 1. bis 13. Thorakalwirbel

T-Gen Brachyury homolog mouse-Gen

TRIS Aminohydroxymethylpropandiol u. und

u.a. unter anderem

(10)

U Units (Enzymeinheiten)

UTR untranslated region

VDL Vereinigung Deutscher Landesschafzuchtverbände vgl. vergleiche

VGLDM Vordergliedmaße

VIT Vereingte Informationssysteme Tierhaltung

WGS Whole Genome Shotgun

WHMS White Headed Mutton sheep

z.B. zum Beispiel

ZNS Zentralnervensystem

(11)

Kapitel 1

Einleitung

(12)

Einleitung

2

1 Einleitung

Unter kongenitalen Anomalien (angeborenen Missbildungen) versteht man Defekte von Organen, Organteilen oder im Zellstoffwechsel, die außerhalb der normalen Variation einer Spezies liegen, zu embryonalen oder fetalen Entwicklungsstörungen führen und bei der Geburt bereits vorhanden sind. Verschiedene Ursachen können für angeborene Anomalien verantwortlich sein: aus der Umwelt stammende Faktoren wie Infektionserreger, chemische Verbindungen, ionisierende Strahlung und Toxine oder erbliche Faktoren, die durch Mutationen in der Erbsubstanz des Tieres verursacht sind und von den Eltern an die betroffenen Nachkommen weitergegeben werden.

Je nach Schweregrad der kongenitalen Anomalien sind die betroffenen Lämmer nicht lebensfähig, erhöhen den Aufwand in der Aufzucht oder erreichen im Vergleich zu gesunden Individuen schlechtere Aufzuchtergebnisse, wodurch dem Schafhalter und -züchter hohe Verluste entstehen können. Ein gezieltes Monitoring von angeborenen Missbildungen sowie konsequente Zuchtverbote von merkmals- und anlagetragenden Schafen und Ziegen bei erblichen Defekten wären erforderlich, um die Lämmerverluste zu verringern und nach dem deutschem Tierschutzgesetz Schmerzen, Leiden und Schäden zu verhindern.

Im Gegensatz zur systematischen Erhebung von angeborenen Anomalien beim Schwein oder vorwiegend regional begrenzten Meldesystemen von Missbildungen bei Rindern, existieren für Schaf und Ziege keine derartigen Meldesysteme.

Missbildungen dieser Tierarten werden nicht zentral, sondern allenfalls dem behandelnden Tierarzt oder Tiergesundheitsdienst gemeldet, und meist erst dann, wenn es bereits zu bedeutenden Verlusten in der Herde gekommen ist. Daher bleiben bisher nicht beschriebene Anomalien sowie eine Häufung von Missbildungen über verschiedene Herden hinweg meist unbemerkt.

Vor allem rezessive Defektallele können einen hohen Verbreitungsgrad in einer Population erreichen. Dies stellt nicht nur ein Problem in der Rinderzucht dar, wo durch künstliche Besamung die Grundlage einer starken Verbreitung solcher Defektallele geschaffen wird, sondern auch in der Schaf- und Ziegenhaltung mit Natursprungböcken. Wenn merkmalsfreie, jedoch anlagetragende Böcke in Herden

(13)

Einleitung

3

eingesetzt werden, wird das Defektallel an einen Teil der Nachkommen weitergegeben. Die Erkrankung kann sich jedoch erst in späteren Generationen bemerkbar machen, wenn die Frequenz des Defektallels in der Herde eine entsprechende Höhe erreicht hat und dadurch die Anzahl merkmalstragender Tiere steigt. Zu diesem Zeitpunkt kann sich durch Austausch von Böcken zwischen den Herden sowie dem Einsatz von anlagetragenden Jungböcken das Defektallel in der Schafpopulation bereits ausgebreitet haben. Ein Beispiel dafür stellt das Spider Lamb Syndrome dar, das, erstmals in den 70er Jahren beim Suffolkschaf beschrieben, sich sehr rasch über Ländergrenzen hinweg verbreiten konnte.

Bei Schaf und Ziege sind eine Vielzahl an Missbildungen bekannt. In der OMIA (Online Mendelian Inheritance in Animals) Datenbank sind ca. 180 Einträge für hereditäre Merkmale beim Schaf und ca. 65 Einträge für die Ziege gelistet. Der Nachweis kausaler Mutationen ist bislang nur für vergleichsweise wenige Anomalien bei Schaf und Ziege gelungen. Da zurzeit in den öffentlich zugänglichen Datenbanken (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/, http://www.ensembl.org/) nur wenige ovine Gensequenzen verfügbar sind, werden molekulargenetische Untersuchungen erschwert. Zurzeit wird ein oviner 60k SNP (single nucleotide polymorphism)-Chip (http://www.sheephapmap.org/) entwickelt und es kann davon ausgegangen werden, dass in naher Zukunft dieser SNP-Chip und die Schafgenomsequenz allgemein zugänglich wird. Dies wird die Aufklärung genetischer Ursachen von Missbildungen erheblich erleichtern können.

Ziel dieser Arbeit war es, die der Klinik für kleine Klauentiere, forensische Medizin und Ambulatorische Klinik sowie dem Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover gemeldeten Fälle von kongenitalen Anomalien bei Schaf und Ziege in ihrem Erscheinungsbild zu beschreiben und nach Möglichkeit die Ursachen aufzuklären. Dazu dienten weiterführende klinische, pathologische, zytogenetische und in Einzelfällen molekulargenetische Untersuchungen. Bei einer familiären Häufung einer Missbildung sollten zusätzlich Zuchtversuche die Reproduzierbarkeit der Erkrankung feststellen, dadurch die Erblichkeit von umweltbedingten Ursachen abgegrenzt und Aussagen bezüglich des Erbgangs ermöglicht werden.

(14)

Einleitung

4

Nach §8 Absatz 3 der Promotionsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 1.12.2005 der Tierärztlichen Hochschule Hannover wurde diese Arbeit kumulativ verfasst. Insgesamt wurden in dieser Studie sieben verschiedene Missbildungen genauer untersucht. Zu den seltenen Missbildungen beim Schaf zählten hierbei die Einzelfälle von okzipito-atlanto-axialer Malformation beim Rauhwolligen Pommerschen Landschaf (Kapitel 3) und die Zyklopie und Arhinenzephalie von Kreuzungstieren der Rasse Deutsches Schwarzköpfiges Fleischschaf (Kapitel 5). Bei einem Ziegenlamm der Rasse Toggenburger x Pfauenziege wurden verschiedenartige Missbildungen, wie Rektusdiastase, Spaltbecken, Darmduplikatur und Rektovaginalfisteln diagnostiziert, deren gemeinsames Auftreten beim Haustier bisher noch nicht beschrieben wurde (Kapitel 4). Missbildungen des Skelettsystems lagen als Einzelfall bei einer Moorschnucke in Form einer Brachyurie und hochgradigen Verschmelzungen und Deformationen von Wirbeln und Rippen vor (Kapitel 6). Bei vier Schafen unterschiedlicher Rassen wiesen die Anomalien des Skeletts, wie Skoliosen der Hals- und/oder Brustwirbelsäule bzw. Tortikollis, Gesichtsskoliosen und Arthrogryposen morphologische Ähnlichkeiten auf (Kapitel 7).

Da die Unterkieferverkürzung beim Haustier eine häufig anzutreffende Anomalie darstellt, wurde sie in dieser Arbeit modellhaft am Schaf untersucht. Dazu diente ein Zuchtversuch mit merkmalstragenden und merkmalsfreien Schafen vorwiegend der Rasse Ostfriesisches Milchschaf (Kapitel 2). Die erbliche Hauterkrankung Epidermolysis bullosa wurde in dieser Studie erstmalig beim Deutschen Schwarzköpfigen Fleischschaf diagnostiziert und ebenfalls mittels eines Zuchtversuchs der Erbgang analysiert (Kapitel 8). Durch die anschließende molekulargenetische Untersuchung wurde ein SNP-Marker zur Diagnosestellung und Identifizierung von Trägern des mutierten Allels entwickelt (Kapitel 9).

(15)

Kapitel 2

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim

Ostfriesischen Milchschaf

Andrea Kerkmann¹,², Heidi Kuiper¹, Martin Ganter², Ottmar Distl¹

¹Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

²Klinik für kleine Klauentiere, forensische Medizin und Ambulatorische Klinik der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover

Veröffentlicht in: Berliner und Münchener Tierärztliche Wochenschrift 121(2008) 292-305.

(16)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

6

2 Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

Review of literature and results from test matings of East Friesian milk sheep affected with brachygnathia inferior

Zusammenfassung

Die Verkürzung des Unterkiefers (Brachygnathia inferior, Unterbeißer, Schweinemaul) ist eine bei vielen Schafrassen häufig anzutreffende angeborene und meist erbliche Missbildung. Es ist davon auszugehen, dass Chromosomenanomalien bei Schafen mit Unterkieferverkürzung keine Rolle spielen. Umweltbedingte Ursachen für Unterkieferverkürzung stehen mit viralen Infektionen, teratogenen Medikamenten und Pflanzeninhaltsstoffen in Verbindung. Diese umweltbedingten Noxen führen meist zu hochgradigen kraniofazialen Anomalien und zu weiteren multiplen Organmissbildungen. Weiterhin werden Eisenmangelanämien bei den Muttertieren als mögliche Ursache für Unterkieferverkürzung diskutiert. In einem dreijährigen Zuchtversuch haben wir Paarungen zwischen Merkmalsträgern sowie Merkmalsträgern und phänotypisch unauffälligen Schafen, vorwiegend der Rasse Ostfriesisches Milchschaf, durchgeführt, um Rückschlüsse auf den Erbgang zu erhalten. Von den im Zuchtversuch geborenen 60 Lämmern zeigten 37 Tiere eine unterschiedlich starke Ausprägung von Brachygnathia inferior. Der Grad der Unterkieferverkürzung nahm mit steigendem Alter der Tiere zu. Hochgradig betroffene Lämmer wiesen Ulzera am Gaumen auf und einige blieben in der Entwicklung zurück. Manche Tiere hatten zudem Fehlstellungen der Schneidezähne, eine Verkrümmung des Unterkiefers und Missbildungen des äußeren Ohrs. Die Analyse des Pedigrees sprach nicht für einen monogenen Vererbungsmodus, vielmehr erschien ein oligogener Erbgang, an dem ein dominanter und ein rezessiver Genort für die Hauptgeneffekte verantwortlich und möglicherweise noch weitere Genorte beteiligt sind, wahrscheinlicher. Umweltbedingte Ursachen wie virale

(17)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

7

Infektionen, teratogene Medikamente und eine Eisenmangelanämie der Mütter konnten ausgeschlossen werden. Chromosomenanomalien waren nicht nachweisbar und schieden somit als Ursachen für die Unterkieferverkürzungen ebenfalls aus.

Schlüsselwörter: Brachygnathia inferior, Ostfriesisches Milchschaf, Gaumenulkus, Erbgangsanalyse, Chromosomenanomalien

Summary

Shortness of the lower jaw (brachygnathia inferior, underbite, overshot, parrot mouth) is an inborn and mostly hereditary malformation often seen in many sheep breeds.

Chromosomal anomalies are generally not involved in ovine brachygnathia inferior.

Viral infections, teratogenic drugs and alkaloids of plants often lead to craniofacial malformations associated with brachygnathia inferior. A maternal deficiency of iron is discussed as a cause for brachygnathia inferior. We performed a three-year breeding trial using mainly East Friesian milk sheep affected by brachygnathic occlusion.

Mating schemes included affected by affected and affected by unaffected matings. In the breeding trial, 60 lambs were born and 37 animals had variable degrees of brachygnathia inferior. The brachygnathic condition increased with rising age of the lambs. Extremely affected lambs showed palatine ulcers and growth retardation.

Moreover, some animals had abnormal positions of the incisor teeth, distortion of the lower jaw and deformities of the external ear. Analysis of the pedigree did not support a monogenic inheritance pattern. An oligogenic inheritance including a dominant and recessive locus responsible for the major gene effects and possibly further modifying loci appeared much more likely. Other causes for brachygnathia inferior such as viral infections and anaemia of the ewes could be ruled out. Chromosomal abnormalities were not evident and thus, large chromosomal defects were not associated with brachygnathia inferior.

Keywords: brachygnathia inferior, East Friesian milk sheep, ulcers of the palate, inheritance, chromosomal anomalies

(18)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

8 Einleitung

Definitionen

Kraniofaziale Missbildungen kommen beim Schaf von allen Säugetieren am häufigsten vor. Vor allem Anomalien der Kiefer werden sehr oft beschrieben (Angus, 1992). Doppelmissbildungen wie die Dignathie (Auftreten eines zweiten Kiefers oder -teils an verschiedenen Regionen des Kopfes und Halses), Epignathie (Fetus in fetu, der Parasit füllt die Mundhöhle aus), Desmiognathie (zusätzlicher Unterkiefer mit Lippen und Zunge, der durch eine stielartige Verbindung aus Haut und Muskulatur mit dem Kopf oder Hals in Verbindung steht), Otognathie (rudimentärer zusätzlicher Mund an der Basis der Ohrmuscheln) und Agnathie (Fehlen des Unterkiefers) sind Missbildungen, die leicht zu diagnostizieren sind (Wiesner und WiIller, 1974; Herzog, 2001). Ober- und Unterkieferverkürzungen hingegen sind, je nach Ausprägungsgrad, meist nicht so offensichtlich.

Als Brachygnathie (Mikrognathie) wird die mangelhafte Ausbildung der Ober- oder Unterkieferfortsätze bezeichnet. Einen zu kurzen Oberkiefer nennt man Brachygnathia superior (Hechtgebiss, Überbeißer, Bulldoggenkopf, Affenmaul); das Vorliegen eines zu kurzen Unterkiefers bezeichnet man als Brachygnathia inferior (Karpfengebiss, Unterbeißer, Schweinemaul, Vogelgesicht, Papageienschnabel). Die abnorme Verlängerung von Ober- oder Unterkiefer ist als Prognathia superior bzw.

inferior bekannt. Ob bei einem Tier mit zu kurz erscheinendem Unterkiefer eine wirkliche Verkürzung des Unterkiefers (Brachygnathia inferior) oder eine Verlängerung des Oberkiefers (Prognathia superior) zugrunde liegt, ist schwierig zu unterscheiden (Herzog, 2001). Von manchen Autoren wurden die Begriffe synonym verwendet (Distl, 2001). So zeigten Nordby et al. (1945) anhand von Kiefermessungen, dass bei Schafen mit Brachygnathia inferior eine Verkürzung der Mandibula und gleichzeitig eine Verlängerung der Maxilla im Vergleich zu den Kontrolltieren vorhanden war. Brachygnathien, vor allem die Brachygnathia inferior, treten viel häufiger auf als Prognathien (Herzog, 2001) oder Oberkieferverkürzungen (Wiesner und Willer, 1974).

Neben angeborenen Deformationen des Nasenrückens kann bei Schwein und Ziege eine durch toxische Stämme von Pasteurella multocida und haemolytica verursachte

(19)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

9

Rhinitis atrophicans zu Verbiegungen des Nasenseptums, seitlicher Deviation und Verkürzung des Gesichtsschädels führen (Bostedt und Dedié, 1996).

Kiefervermessungen

Hitchin (1948) war der Ansicht, dass die normale Kieferstellung je nach Schafrasse unterschiedlich zu definieren sei: Beim Scottish Blackface würden die Schneidezähne die Mitte der Dentalplatte treffen, bei der Rasse Cheviot den vorderen Teil der Dentalplatte und bei den Border-Leicester Schafen über den vorderen Rand der Dentalplatte hinausragen.

Studien zu Kiefervermessungen beim Schaf sind lediglich in der älteren Literatur zu finden. Nordby et al. (1945) führten bei Schafen der Rasse Rambouillet in Idaho (USA) Vermessungen an den Schädeln gesunder sowie von Unterkieferverkürzung betroffener Schafe durch. Dabei verwendeten sie speziell hergestellte Instrumente zur Strecken- und Winkelbestimmung. Bei den betroffenen erwachsenen weiblichen Schafen war die Mandibula durchschnittlich 1 cm kürzer und der Oberschädel insgesamt durchschnittlich 0,8 cm länger als bei den nichtbetroffenen Tieren. Dies ergab insgesamt eine durchschnittliche Verkürzung um 1,8 cm. Alle Abschnitte der Mandibula waren bei den betroffenen Tieren kürzer, wobei der Backenzahnbereich am geringsten betroffen war. Am Oberschädel war die Maxilla die am stärksten verlängerte Struktur. Der Variationskoeffizient des Unterkieferwinkels war bei den betroffenen Schafen größer als bei den phänotypisch normalen Schafen, wobei keine signifikanten Unterschiede im durchschnittlichen Winkel zu sehen waren.

Schneider (1978a) führte Messungen am Oberschädel und Unterkiefer von lebenden Schafen verschiedener Rassen in Hessen (Schwarzköpfiges Fleischschaf, Texelschaf, Rhönschaf, Merinolandschaf, Scottish-Blackface, Heidschnucke und Kreuzungstiere) mittels eines speziell angefertigten Winkelmessgerätes und einer Schublehre durch. Er stellte fest, dass Brachygnathie durch Störung der Proportionen von Unterkiefer und Oberkiefer bedingt war. Der Unterkiefer war bei Tieren mit Brachygnathia inferior insgesamt kleiner und bei Prognathia inferior größer. Der Oberkiefer wies bei Tieren mit Brachygnathia inferior im Gegensatz zu den Ergebnissen von Nordby et al. (1945) keine deutlichen Längenunterschiede im

(20)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

10

Vergleich zu den Kontrolltieren auf. Anhand der Stellung des von Unterkieferkörper und Unterkieferast gebildeten Winkels konnte bei wenigen Wochen alten Lämmern eine Abweichung vom Normalwinkel von 82° bis auf 72° bei Brachygnathia inferior und bis auf 90° bei Prognathia inferior festgestellt werden.

Purser et al. (1982) merkten an, dass über die normale Variation der Kieferlängen wenig bekannt sei. Die Definition von Anomalien werde meistens willkürlich getroffen.

Sie untersuchten unter anderem die Kieferstellung von weiblichen Schafen der Rasse Scottish Blackface im Alter zwischen 1,5 bis 4,5 Jahren in Südschottland.

Gemessen wurde der horizontale Abstand zwischen der vorderen Oberfläche der Schneidezähne und dem vorderen Rand der Dentalplatte. Am häufigsten trafen die Schneidezähne 1 mm hinter dem vorderen Rand der Dentalplatte auf. Bei 1,5 % der Tiere wich die Kieferstellung um mehr als 5 mm vom Durchschnitt ab.

Nordby et al. (1945) stuften Schafe in folgenden Klassen ein: normal, geringe Unterkieferverkürzung (Unterkiefer geringgradig kürzer als der Oberkiefer), Unterkieferverkürzung (Abstand Schneidezähne zur Dentalplatte zwischen 0,2 und 0,5 cm) und starke Unterkieferverkürzung (über 0,5 cm). Schafe mit geringer Unterkieferverkürzung wurden als „nicht betroffen“ und solche mit einer Unterkieferverkürzung von 0,2 cm und mehr als „betroffen“ eingestuft, wobei sie die Tiere, die während der Entwicklung Unterschiede im Grad der Unterverkürzung zeigten, nach dem höchsten beobachteten Grad klassifizierten.

Einflussfaktoren auf das Verhältnis der Kieferlängen

Purser et al. (1982) stellten fest, dass die Länge der ersten Incisivi (I1) mit dem Alter der Schafe leicht zunahm und die Dentalplatte weiter vorne trafen.

Nordby et al. (1945) zeigten anhand von Kiefervermessungen, dass bei Lämmern mit einer durchschnittlichen Unterkieferverkürzung von 0,5 cm bei der Geburt diese auf 0,98 cm im Absetzalter anstieg. Eine weitere Zunahme der Unterkieferverkürzung erfolgte bei den Jährlingen. Bei Schafen mit normalem Kieferschluss können geringgradige Abweichungen der Oberkiefer- und Unterkieferlänge durch die Stellung der Schneidezähne kompensiert werden. Diese Kompensation wird durch den Druck der Dentalplatte auf die Zähne verursacht.

(21)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

11

Haben die Schafe jedoch eine Brachygnathia inferior, fehlt der Druck durch die Dentalplatte und eine Kompensation durch eine nach weiter vorne geneigte Stellung der Schneidezähne ist nicht mehr möglich.

Schneider (1978a) stellte fest, dass Rasse oder Geschlecht keinen Einfluss auf die Häufigkeit und den Grad der Brachygnathie beim Schaf hatten.

Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Arbeiten zur ovinen Brachygnathia inferior, Mikrognathie und Agnathie mit assoziierten Missbildungen. Neben der Anzahl der Fälle und der Rasse ist auch die Geschlechterverteilung dargestellt.

Klinische Symptomatik

Beim Schaf ist die Symptomatik abhängig vom Ausprägungsgrad der Brachygnathie.

Bei wenig (bis 2 mm) verkürzten oder verlängerten Kiefern sind Symptome nur schwach ausgeprägt. Mit zunehmendem Grad der Abweichung kann es zu Störungen bei der Nahrungsaufnahme, Abmagern, Kümmern und Tod der Tiere kommen (Herzog, 2001). Bei von Brachygnathia inferior oder von Brachygnathia superior betroffenen Lämmern ist das Saugen stark behindert. Die Futteraufnahme ist verzögert und beim Wiederkäuen kommt es zum vermehrten Speicheln.

Quetschungen und Geschwüre am Gaumen können Schmerzen beim Kauen verursachen. Infolge von Ober- oder Unterkieferverkürzungen weisen nicht nur die Schneidezähne eine Fehlstellung auf, sondern auch die Backenzähne (Kaulfuß und Hoffmann, 2004). Dem widersprechen Nordby et al. (1945), die bei Schafen mit verkürzten Kiefern keine Veränderungen der Backenzähne von Ober- und Unterkiefer feststellen konnten.

In einem von Hamori (1983) aufgezeichneten Fall verstarben 29,7 % der Nachkommen eines Bockes infolge von Saugunfähigkeit. Die Lämmer wiesen eine Brachygnathia inferior auf und der Tod trat in den ersten Lebenstagen ein. Weniger betroffene Lämmer konnten zwar später ohne Hilfe saugen, blieben jedoch Kümmerer und wurden mit 1-2 Monaten gemerzt. Die beiden von Narayanan et al.

(2004) untersuchten Lämmer mit Brachygnathia inferior und mehreren assoziierten Missbildungen wie muskuloskeletaler Dysplasie wurden tot geboren.

(22)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

12

Lämmer mit extremer Ausprägung der Brachygnathie, wie einen um die Hälfte verkürzten Unterkiefer oder mit Agnathie, werden meist tot geboren oder sterben kurz nach der Geburt (Smith, 1968; Singh et al., 1970; Dennis und Leipold, 1972;

Hamori, 1983; Mandal et al., 2003).

Ursachen der Brachygnathia inferior

Genetische Ursachen und Erbgangshypothesen

Im Allgemeinen werden erbliche Ursachen für Brachygnathie angenommen, allerdings werden verschiedene Erbgänge diskutiert, wobei keiner der vorgeschlagenen Erbgänge für die isolierte Kieferverkürzung tatsächlich bestätigt werden konnte.

Für die Entstehung der Brachygnathia inferior und Agnathie wird ein rezessives Gen vermutet (Angus, 1992). Hutt (1946) berichtete, dass Prognathie und Brachygnathie bei Schafen vor allem in Reinzuchten vorkam. Hamori (1983) beschrieb Brachygnathia inferior als semiletal rezessiv mit variabler Expressivität. Die Tiere einer Herde, in der diese Anomalie auftrat, waren ingezüchtet. Auch Ercanbrack und Knight (1978) vermuteten einen genetischen Hintergrund der Unterkieferverkürzung, da sie gehäuft bei bestimmten Inzuchtlinien der Rasse Targhee festgestellt werden konnte. In einem Zuchtversuch mit Anpaarung betroffener verwandter Tiere konnten Nordby et al. (1945) die Häufigkeit von Brachygnathia inferior von 1,4 % auf 16,4 % steigern. Sie waren der Ansicht, dass vermutlich mehrere Gene beteiligt sind, die Allelwirkungen teilweise dominant und teilweise rezessiv sind und die Frequenz der Defektallele bei ingezüchteten Tieren ansteigt. Zudem vermuteten sie, dass Brachygnathia inferior mit einer geringen Körpergröße assoziiert ist. In einem weiteren Bericht wurde eine Herde mit Fällen von Brachygnathia inferior und weiteren assoziierten Missbildungen beschrieben. Grund für diese Anomalien war vermutlich eine intensive Linienzucht (Narayanan et al., 2004). Wiesner und Willer (1974), Distl (2001) und Herzog (2001) waren der Ansicht, dass der Erbgang der Brachygnathia inferior beim Schaf kompliziert sei und dass wahrscheinlich mehrere Gene für diese Anomalie verantwortlich seien.

(23)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

13

Verringerte Hämoglobin- und Serumeisenkonzentrationen

Von Schneider (1978a) durchgeführte Blutuntersuchungen von Tieren mit Brachygnathia inferior und Prognathia inferior sowie deren Eltern und Kontrolltieren zeigten, dass Mutterschafe betroffener Lämmer sowie erwachsene Schafe mit Brachygnathie und Prognathie im Vergleich zu den gesunden Kontrollen eine verringerte Hämoglobinkonzentration und Serumeisenkonzentration aufwiesen.

Betroffene Lämmer hatten niedrige Serumeisenkonzentrationen und eine hohe Eisenbindungskapazität, die im Laufe des Lebens sank. Aufgrund der Fütterungsanamnese (stark betroffene Herden waren intensiv mit Kraftfuttermischungen aus Getreide und Sojaschrot gefüttert worden) stellte der Autor die These auf, dass der hohe Gehalt an Phytin und Oxalat im Futter die Verwertbarkeit des Eisens herabsetze und dadurch die Mutterschafe während der Trächtigkeit in eine Eisenmangelsituation gerieten. Dies wiederum führe zum Sauerstoffmangel beim Embryo und somit zu einer frühembryonalen Hemmungsmissbildung in Form einer Brachygnathia inferior oder Prognathia inferior.

In diesem Zusammenhang könnte beim Schaf auch die beim Menschen vorkommende erbliche Atransferrinämie sowie mit Eisenmangel assoziierten Chromosomenanomalien bei Missbildungen eine Rolle spielen. Somit könnte ein Zusammenhang zwischen Eisenmangel, Gesichtsmissbildungen und Chromosomenbrüchen bestehen.

Chromosomenanomalien

Schneider (1978b) führte zytogenetische Untersuchungen bei einigen Schafen mit Kiefermissbildungen durch. Bei zwei Lämmern mit Prognathia inferior und vier Mutterschafen, die Lämmer mit Prognathia inferior bzw. Brachygnathia inferior hatten, wurden mehr numerische und strukturelle Chromosomenanomalien als bei Kontrolltieren gefunden. Da die chromosomalen Defekte Ähnlichkeiten mit den zytogenetischen Befunden bei der Fanconi-Anämie und dem Bloom-Syndrom des Menschen aufwiesen, wurde vermutet, dass eine mangelnde Verwertungsfähigkeit des Eisens aus der Nahrung oder ein ständiger Transferrinverlust zur Unterversorgung der Zelle mit Sauerstoff und somit zu Chromosomendefekten führe.

(24)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

14

Für die Prognathie wurden deshalb multifaktorielle Ursachen einschließlich einer familiären Disposition für die Unfähigkeit der genügenden Verwertung des Eisens aus der Nahrung postuliert.

Luft (1972) fand ebenfalls chromosomale Veränderungen bei Schafen mit Brachygnathia superior. Beim Rind wurden Chromosomenanomalien auch im Zusammenhang mit Brachygnathia inferior gesehen: Das letale Brachygnathie- Trisomie-Syndrom (Letalfaktor A19 der internationalen Letalfaktorliste), das sehr heterogen ist und als Leitsymptom eine Unterkieferverkürzung hat, kommt bei vielen Rinderrassen vor. Betroffene Tiere haben eine Trisomie 18 (Herzog, 1985; Herzog, 2001). Mayr et al. (1985) fanden bei einem Kalb mit geringgradiger Brachygnathia inferior, Agerholm und Christensen (1993) bei einem Kalb mit Brachygnathia superior sowie Christensen und Juul (1999) bei einem Kalb mit einer Brachygnathia superior von 2 cm eine Trisomie 22, wobei alle Kälber weitere verschiedene Missbildungen aufwiesen. Dunn und Johnson (1972) berichteten von einem Kalb mit hochgradiger Brachygnathia inferior, Mikrophthalmie, Gaumenspalte und weiteren Missbildungen des Herzens und des Genitaltrakts, das in 6 von 17 Metaphasen ein zusätzliches großes akrozentrisches Autosom aufwies. Lioi et al. (1995) wiesen bei einem Kalb mit multiplen Missbildungen und Brachygnathia inferior eine Trisomie 20 nach.

Mineralstoffmangel

Die Werte für Kalzium, Kalium, anorganisches Phosphat und der Aktivität der alkalischen Phosphatase von Schafen mit Brachygnathia befanden sich im Normbereich, so dass Knochenstoffwechselstörungen infolge von Mineralstoffmangel ausgeschlossen werden konnten (Schneider, 1978a).

Infektiöse Ursachen

Plant et al. (1983) fanden bei Merinolämmern, deren seronegative Mütter während der Trächtigkeit mit einem nichtzytopathogenen Pestivirus (Virus der Border Disease) infiziert worden waren, neben weiteren schweren Missbildungen des Skelettsystems und Gehirns auch Brachygnathia inferior. Angus (1992) sah Infektionen des trächtigen Muttertieres mit dem Bluetongue-Virus und dem Akabane-Virus als

(25)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

15

Ursachen an. Hunter et al. (2001) berichteten von Brachygnathia inferior bei Schaflämmern, deren empfängliche Mütter während der Trächtigkeit experimentell mit dem Rift Valley Virus infiziert wurden. Diese Lämmer wiesen noch weitere Missbildungen wie Hydranenzephalie und Arthrogrypose auf.

Teratogene Pflanzeninhaltsstoffe

Eine Intoxikation der trächtigen Muttern durch die Aufnahme von Pflanzen der Gattung Tragant (Astragalus) und Kalifornischem Germer, wobei letztere vor allem für das Entstehen von schweren kraniofazialen Missbildungen (Zyklopie) bekannt ist, werden als Ursachen für Brachygnathie diskutiert (Angus, 1992).

James und Keeler (1968) verabreichten Schafen der Rasse Columbia während unterschiedlichen Stadien der Trächtigkeit subkutan den Folsäurehemmstoff Aminopterin. Dabei traten bei den Früchten neben Missbildungen des Skelettsystems auch eine Aplasie der Mandibula und der Ohren auf.

Teratogene Medikamente

Das Anthelminthikum Netobimin löste experimentell bei oraler Gabe von 20 mg/kg am 17. Tag der Trächtigkeit verschiedene skelettale Missbildungen, unter anderem eine mandibulofaziale Asymmetrie und Brachygnathia superior bei Schaflämmern aus (Navarro et al., 1998).

Jeder Züchter steht in der Verantwortung, Schmerzen, Leiden oder Schäden bei seinen Tieren zu verhindern. Nach § 11b des deutschen Tierschutzgesetzes ist es verboten, Tiere zu züchten, wenn damit gerechnet werden muss, dass bei der Nachzucht Körperteile für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten.

Bezüglich Brachygnathia inferior ist zu fragen, ob die Kiefer für den artgemäßen Gebrauch untauglich sind und deshalb die Tiere hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden erfahren. Über den Zuchtversuch sollte der Vererbungsmodus aufgeklärt werden, da sehr widersprüchliche Ansichten zur Vererbung der Unterkieferverkürzung existieren. Sofern keine monogene Vererbung vorliegt, ist die

(26)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

16

züchterische Einflussnahme zusätzlich erschwert. Dann kann nur über systematische Zuchtprogramme das Auftreten von Unterkieferverkürzungen vermindert werden. Da Brachygnathia inferior beim Schaf und anderen Haustierarten ein weit verbreitetes Problem darstellt und über dessen Erbgang kaum Untersuchungen angestellt wurden, sind diese Fragestellungen von großem Interesse und sollten deshalb modellhaft beim Schaf untersucht werden.

Material und Methoden Zuchtversuch

Im Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover wurden Anpaarungen zwischen Schafen mit Brachygnathia inferior sowie merksmalsfreien und merkmalstragenden Schafen durchgeführt. Dazu wurden Gründertiere aus verschiedenen Betrieben erworben.

Betrieb 1

In diesem Herdbuchbetrieb mit Ostfriesischen Milchschafen der Farbrichtung schwarz traten gehäuft Fälle von Brachygnathia inferior auf. Für den Zuchtversuch wurden ein hochgradig betroffener Bock (B1/I), ein hochgradig betroffenes weibliches Schaf (S1/I) sowie ein Schaf mit normalem Kieferschluss (S2/I) erworben.

Betrieb 2

Der Züchter dieses Herdbuchbetriebes mit ca. 20 Muttern der Rasse Ostfriesisches Milchschaf, Farbrichtung schwarz, hatte einen phänotypisch unauffälligen Bock aus Betrieb 1 erworben. In dessen Nachkommenschaft traten Lämmer mit Brachygnathia inferior und superior auf. Eines dieser weiblichen Nachkommen mit hochgradiger Brachygnathia inferior (S1/II) wurde für den Zuchtversuch erworben. Nachdem der Bock und alle betroffenen Nachkommen im Betrieb 2 gemerzt wurden, trat in der Herde keine Unterkieferverkürzung mehr auf. Die maternalen Halbgeschwister von Tier S1/II zeigten im Herkunftsbetrieb keine Unterkieferverkürzung.

(27)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

17 Betrieb 3

Ein weibliches Bentheimer Landschaf (S1/III) mit hochgradiger Unterkieferverkürzung, das als Gründertier erworben wurde, stammte aus einem Herdbuchbetrieb mit ca. 30 Mutterschafen, in dem neben mehreren Tieren mit Unterkieferverkürzung auch andere Missbildungen wie Arthrogryposen der Vordergliedmaßen, Deformationen der Ohrmuscheln und Tortikollis aufgetreten waren.

Der merkmalstragende Bock B1/I aus Betrieb 1 deckte im Zuchtversuch neben den genannten Gründertieren außerdem drei phänotypisch unauffällige weiße Ostfriesische Milchschafe (Tiere S1/IV, S2/IV und S3/IV), ein Schwarzköpfiges Fleischschaf (Tier S4/IV) und ein Kamerunschaf (Tier S5/IV). Die Tiere S1/IV-S5/IV waren Schafe aus der institutseigenen Zucht. Unterkieferverkürzung wurde in dieser Herde vor diesem Zuchtversuch nicht beobachtet. Der Bock kam vier Jahre zum Deckeinsatz und wurde teilweise auch an seine Töchter und Enkelinnen angepaart.

Im geringeren Umfang wurden auch sein merkmalstragender Sohn (B1/06) sowie ein phänotypisch unauffälliger Sohn (B1/05) zur Zucht eingesetzt.

Eine orale antiparasitäre Behandlung aller Schafe des Bestands erfolgte vor der Decksaison mit Triclabendazol(Fasinex 10 %, Novartis, München) in einer Dosierung von 1 ml/10 kg (10 mg Triclabendazol/kg) und Moxidectin (Cydectin 0,1 %, orale Lösung für Schafe, Fort Dodge Veterinär, Würselen) in einer Dosierung von 1 ml/5 kg (200 µg Moxidectin/kg).

Messung der Kieferverkürzung

Zur Messung der Unterkieferverkürzung wurden die Schafe fixiert, die Oberlippe und Unterlippe nach oben bzw. unten geschoben und der Abstand zwischen der Schneidekante der I1 und dem vorderen Rand der Dentalplatte mittels Maßband bestimmt. Um Verschiebungen von Ober- und Unterkiefer im Kiefergelenk zu vermeiden, musste der Kopf in einer physiologischen Stellung gehalten und weder überstreckt noch stark gebeugt werden. Die Tiere wurden zum Zeitpunkt der Geburt sowie im weiteren Verlauf des Wachstums in ca. monatlichen Abständen auf den

(28)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

18

Grad der Brachygnathia inferior untersucht. Tiere, die einen Abstand der Schneidezahnkante der I1 und dem vorderen Rand der Dentalplatte von -2 (Brachygnathia superior) über 0 bis < 3 mm (Brachygnathia inferior) aufwiesen, wurden als nicht betroffen eingestuft. Tiere, bei denen der Abstand 1 cm oder mehr betrug, wurden als hochgradig betroffen, Tiere mit Längenunterschieden von 0,3 bis 0,9 cm als gering- bis mittelgradig betroffen klassifiziert. Da die Gründertiere des Zuchtversuchs erst als Adulte erworben wurden und einige Schafe, die im Zuchtversuch geboren wurden, nicht mehr als Adulte zur Verfügung standen, konnten nicht alle Tiere im gleichen Alter klassifiziert werden. Daher wurde der höchste Längenunterschied der Kiefer, der - unabhängig vom Alter - jeweils bei einem Tier gemessen wurde, für die Einteilung in Kategorien gewählt.

Analyse des Erbgangs

Für die Analyse des Erbgangs standen die Ergebnisse des Zuchtversuchs, dargestellt im Pedigree (Abb. 1), zur Verfügung. Die Unterkieferverkürzung wurde als qualitatives Merkmal mit den drei (trichotom) Ausprägungsstufen keine Unterkieferverkürzung (nicht betroffen), gering- bis mittelgradige (nicht eindeutiger Phänotyp) und hochgradige (eindeutiger Phänotyp) Unterkieferverkürzung definiert.

Klinische Untersuchung

Neben einer allgemeinen klinischen Untersuchung wurde vor allem auf Zahnanomalien, weitere Missbildungen und mögliche Folgen der Brachygnathia inferior wie Verletzungen des Gaumens und Problemen bei der Nahrungsaufnahme geachtet.

Hämatologische Untersuchung

Von drei weiblichen Schafen (Tier S1/I, S1/II, S3/05) und einem männlichen Schaf (B1/06) mit deutlicher Unterkieferverkürzung und zwei weiblichen Schafen ohne (Tier S8/06) bzw. mit geringgradiger (Tier S13/05) Unterkieferverkürzung wurden bei einer hämatologischen Untersuchung die Parameter Hämoglobin [g/l], Hämatokrit [l/l], die

(29)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

19

Erythrozytenzahl [T/l] und Leukozytenzahl [G/l] entsprechend Bickhardt und König (1985) ermittelt.

Zytogenetische Untersuchung

Von einem weiblichen (S1/II) und einem männlichen (B1/06) Schaf mit deutlicher Unterkieferverkürzung sowie zwei weiblichen Schafen ohne (Tier S8/06) bzw. mit geringgradiger (Tier S13/05) Unterkieferverkürzung wurden zytogenetische Untersuchungen durchgeführt. Die Chromosomendarstellung erfolgte aus den Blutlymphozyten einer steril entnommenen Vollblutprobe wie bei Kuiper (2001) beschrieben.

Virologische Untersuchung

In den Zuchtjahren 2004 bis 2006 traten keine klinischen Fälle von Blauzungenkrankheit (BT) bei den Schafen des Zuchtversuchs auf. Als im Jahr 2007 Schafe an BT in Niedersachsen erkrankten und ein Lamm des Zuchtversuchs ohne Brachygnathie an BT verstarb, wurden alle Schafe des Zuchtversuchs, die verpaart werden sollten, mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR) auf Blauzungenvirus- Antigen und/oder mittels Enzyme Linked Immunosorbent Assay (ELISA) auf Antikörper gegen das Virus der BT untersucht.

Ergebnisse Messungen

Insgesamt wurden im Zuchtversuch 34 männliche und 26 weibliche Lämmer geboren. Jeweils 8 Lämmer von beiden Geschlechtern konnten in die Kategorie

„nicht betroffen“, 14 männliche und 15 weibliche in die Kategorie „geringgradig betroffen“ und 6 männliche und 2 weibliche Tiere in die Kategorie „hochgradig betroffen“ eingestuft werden. Der Kieferschluss eines Tieres, das als Lamm und auch als adultes Schaf der Kategorie „nicht betroffen“ zugeordnet wurde, ist in Abbildung 2 dargestellt. Sieben Lämmer zeigten keine offensichtliche Unterkieferverkürzung. Da bei diesen Lämmern jedoch keine Messungen durchgeführt wurden und somit die

(30)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

20

Einstufung nach Messergebnissen nicht möglich war, wurde ihr Phänotyp als unbekannt gesetzt.

Phänotypisch war bereits bei der Geburt eine Abgrenzung der Lämmer mit hochgradiger Unterkieferverkürzung möglich (Tiere S3/05, B1/06, S3/07, S7/07, S9/07 S17/07). Diese Lämmer waren auch in ihrem weiteren Leben hochgradig betroffen. Bei den anderen Lämmern konnte zum Zeitpunkt der Geburt keine oder nur eine geringe Stufenbildung zwischen Ober- und Unterkiefer gefühlt werden. Ein Teil dieser Lämmer zeigte bis zum ersten Lebensjahr eine Zunahme der Unterkieferverkürzung, so dass sie von der Kategorie „nicht betroffen“ in

„geringgradig betroffen“ hochgestuft wurden. Zwei Schafe (S5/06, S15/06), die als Lämmer keine offensichtliche Kieferverkürzung aufwiesen, waren mit ca. 6 Monaten noch in der Kategorie „geringgradig betroffen“ (0,9 cm bzw. 0,7 cm), während sie mit 13 Monaten als „hochgradig betroffen“ (1,4 cm bzw. 1 cm) eingestuft werden mussten. Damit lagen sie dennoch unterhalb der Werte der Tiere, die bereits als Lämmer hochgradig betroffen waren (S3/07, S9/07, S17/07) und die mit vier Monaten bereits eine Unterkieferverkürzung von 1,8 cm, 2 cm bzw. 1 cm aufwiesen.

Analyse des Erbgangs

Die verschiedenen Anpaarungstypen und die Anzahl der betroffenen Lämmer sind aus Abbildung 1 ersichtlich. Bei einem monogen autosomal dominanten Erbgang hätten alle Nachkommen der beiden hochgradig betroffenen Böcke (B1/I, B1/06) eine Unterkieferverkürzung aufweisen müssen. Fünfzehn ihrer Nachkommen waren jedoch nicht betroffen. Bei einem X-chromosomal rezessiven oder monogen autosomal rezessiven Erbgang hätten alle Nachkommen von hochgradig betroffenen weiblichen und männlichen Eltern erkrankt sein müssen. In solchen Anpaarungen wurden allerdings 3 Lämmer der Kategorie „nicht betroffen“ geboren. Zwei dieser Tiere (B1/05, S1/05) konnten auch im Alter von zwei Jahren noch vermessen werden, so dass ihre Einteilung in die Kategorie zuverlässig ist. Im Gegensatz zu einem monogenen Erbgang erscheinen Erbgänge, an denen mehrere Gene beteiligt sind, wahrscheinlicher. Bereits ein digenes Modell kann das sich aus unserem Zuchtversuch ergebende Pedigree deutlich besser unter folgenden Annahmen erklären: Nur bei Vorhandensein eines dominanten Allels an Genort A (Genotyp Aa

(31)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

21

oder AA) kann eine Unterkieferverkürzung auftreten (Initiatorgenort). Der zweite Genort reguliert den Schweregrad über einen rezessiven Modus. Bei einem rezessiv homozygoten Genotyp an Genort B (bb) kommt es zu einer deutlichen Unterkieferverkürzung. Genotypen mit A-/Bb würden in diesem Modell nur geringere Grade der Unterkieferverkürzung aufweisen, während alle aa/-- Genotypen keine Anzeichen für Unterkieferverkürzung aufweisen würden. Dieses digene Modell kann jedoch die Phänotypenverteilung der Nachkommen bei Paarung von Elterntieren mit deutlicher Unterkieferverkürzung nur unzureichend erklären. Deswegen müssen weitere Genorte angenommen werden, die für das häufige Auftreten von Nachkommen mit nur geringer Unterkieferverkürzung aus solchen Anpaarungen verantwortlich sind. Daher erscheint es plausibel, dass neben den Genorten A und B zusätzliche Modifikatorgene (Genorte C und D) vorhanden sind, die zu einer verminderten Ausprägung der Unterkieferverkürzung beitragen, wenn mindestens eines dieser Allele dominant vorhanden ist, und andererseits es zu einer sehr deutlichen Unterkieferverkürzung kommt, wenn an einem dieser Genorte (C oder D) beide Allele rezessiv sind.

Klinische Untersuchung

Klinische Untersuchungen zeigten, dass 4 Tiere (Tier S2/05, S3/05, S2/07 und S17/07) ein- oder beidseitige Anomalien des äußeren Ohres (hängende, verkleinerte Ohrmuschel, Atresie des äußeren Gehörgangs), 2 Tiere (S2/05, S17/07) eine Verbiegung des Unterkiefers nach links und 1 Tier (S17/07) eine Hodenhypoplasie aufwiesen. Abbildung 3 zeigt das Lamm (S17/07) mit Brachygnathie, Kampylognathie (Verbiegung des Gesichtsschädels) und Missbildungen des äußeren Ohres. Einige Schafe mit Brachygnathie wiesen hochgradige Fehlstellungen der Schneidezähne auf (Abb. 4). Bei Tieren mit deutlicher Brachygnathia inferior waren an der Stelle, wo die Schneidezähne den Gaumen trafen, tiefe Eindrücke oder Ulzera des Gaumens und später Narbenbildung zu sehen (Abb. 5). Kein Lamm mit starker Unterkieferverkürzung zeigte Probleme beim Saugen. Ein weibliches Schaf (S3/05) blieb stark in der Entwicklung zurück und konnte erst später als die anderen, weniger betroffenen Tiere, gedeckt werden. Ein weiteres weibliches Schaf (S15/06) mit etwas

(32)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

22

geringerer Unterkieferverkürzung, das ebenfalls in der Entwicklung zurückgeblieben war, wurde zwar zur gleichen Zeit wie seine gleichaltrigen Geschwister gedeckt, hatte jedoch Geburtsprobleme.

Auffallend war, dass Tiere mit starker Unterkieferverkürzung (S1/I, S3/05, S3/07, S9/07) meist einen geraden Nasenrücken hatten und solche mit Ramsnase (S2/05) weniger von der Unterkieferverkürzung betroffen waren. Auf Abbildung 6 sind die Köpfe und die Bissstellung zweier gleichaltriger weiblicher Vollgeschwister im Profil zu sehen. Das unten abgebildete Schaf (Tier S3/05) mit einem geraden und langen Nasenrücken zeigte von Geburt an eine starke Unterkieferverkürzung. Das oben abgebildete Schaf (Tier S2/05) hatte eine deutliche Ramsnase, von Geburt an eine Kampylognathie und entwickelte erst im Laufe der ersten beiden Lebensjahre eine geringgradige Unterkieferverkürzung.

Hämatologische Untersuchung

Unter der Annahme von Normwerten für Hämoglobin zwischen 85-133 g/l, für den Hämatokrit zwischen 0,25-0,41 l/l, für die Leukozytenzahl zwischen 2,7-13 G/l (Bickhardt, 2001) und für die Erythrozytenzahl zwischen 7,3-11,3 T/l (Bostedt und Dedié, 1996) hatte ein Schaf (S1/II) mit Brachygnathia inferior eine leicht erhöhte Erythrozytenzahl, während die Werte aller anderen Schafe im Normbereich waren.

Zytogenetische Untersuchung

Bei der mikroskopischen Auswertung von 100 Metaphasen von jedem der vier Tiere konnten keine Veränderungen der Chromosomenzahl gesehen werden. Mit einer Häufigkeit von 1 % (Tier S13/05, geringgradige Brachygnathie) und 2 % (Tier S1/III, hochgradige Brachygnathie) fanden sich Brüche bei metazentrischen und akrozentrischen Chromosomen unterschiedlicher Größe, während beim brachygnathen Bock (B1/06) und einem weiblichen phänotypisch unauffälligem Schaf (S8/06) keine Chromosomenbrüche vorlagen.

(33)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

23 Virologische Untersuchung

Die virologische und serologische Untersuchung auf Antikörper gegen das Virus der Blauzungenkrankheit waren negativ. Kein weiteres Tier des Zuchtversuchs zeigte klinische Symptome einer Infektion mit diesem Virus.

Diskussion

Ausbildung der Brachygnathia inferior und Zusammenhang mit weiteren Missbildungen

Bei den Schafen unseres Zuchtversuchs war auffällig, dass einige Tiere mit starker Unterkieferverkürzung im Gegensatz zu solchen mit keiner oder geringgradiger Unterkieferverkürzung einen geraden Nasenrücken ohne die rassetypische Ramsnase zeigten. Wenn Schafe mit starkem Ramskopf einen normalen Biss zeigen und solche mit geradem Nasenrücken einen großen Abstand zwischen Dentalplatte und Schneidezähnen haben, würde dies eher für eine Oberkieferverlängerung als eine Unterkieferverkürzung sprechen. Abbildungen von Koch (1957) zeigten einen Ziegenschädel mit geradem Nasenrücken und normaler Bissstellung sowie einen Schädel mit Brachygnathia superior und starker Ramsnase. Dies bestätigt unsere Theorie, dass die Kieferstellung im Zusammenhang mit der Ausbildung einer Ramsnase stehen könnte.

Ob ein zu kurzer Unterkiefer oder ein zu langer Oberkiefer oder beides für Brachygnathia inferior verantwortlich sind, erscheint für die Klinik ohne Bedeutung.

Die von Nordby et al. (1945) untersuchten Schafe mit Brachygnathia inferior wiesen sowohl eine Verkürzung des Unterkiefers als auch eine Verlängerung des Oberschädels, insbesondere der Maxilla, auf. Schafe könnten gleichzeitig Genvarianten tragen, die für die Ausbildung eines kurzen Unterkiefers und kurzen Oberkiefers verantwortlich sind, so dass der Biss wieder normal ist. Je nach Vererbung dieser Gene könnten die Nachkommen dann eine Brachygnathia superior oder inferior zeigen.

Bei vier Schafen des Zuchtversuchs traten Missbildungen der Ohrmuscheln und des äußeren Gehörgangs auf. Diese Anomalien scheinen mit der Unterkieferverkürzung in kausalem Zusammenhang zu stehen, da sich die veränderten Organe aus

(34)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

24

gleichen Anlagen (erster Kiemenbogen bzw. erste Kiemenfurche) entwickeln. Zwei dieser Schafe hatten eine hochgradige Unterkieferverkürzung, die anderen beiden eine geringgradige Unterkieferverkürzung und jeweils ein Schaf aus beiden Gruppen zeigte eine Kampylognathie, wobei der Unterkiefer nach links gebogen war. Dies zeigt, dass bei Unterkieferverkürzung immer auf assoziierte Missbildungen zu achten ist, die für die Schafe eine weitere Beeinträchtigung des Wohlbefindens bedeuten können. Einige der von Hughes et al. (1972) untersuchten Lämmer mit Agnathie hatten ebenfalls Missbildungen der Ohren (Anotie, Fehlstellungen oder Fehlbildungen). Auch die von Mikrognathie betroffenen Lämmer der Untersuchung von Dennis (1975) zeigten eine Hypoplasie der Ohrmuschel auf ¼ der normalen Ohrlänge sowie ein Fehlen des äußeren Gehörgangs. Der enge Zusammenhang in der embryonalen Entwicklung von Ober- und Unterkiefer sowie Nase sprechen ebenfalls für einen Zusammenhang mit Missbildungen des Ohres. Die zum ersten Kiemenbogen gehörigen Unterkieferwülste entwickeln sich zur Unterlippe und Mandibula und die Oberkieferwülste des ersten Kiemenbogens zu Teilen der Oberlippe, der Oberkiefer und des sekundären Gaumens. Aus den medialen Nasenwülsten und dem mittleren Teil des Stirnnasenfortsatzes bilden sich der Nasenrücken, Teile des Nasenseptums, das Philtrum und der primäre Gaumen. Die erste Kiemenfurche entwickelt sich zum äußeren Ohr (Rüsse und Sinowatz, 1991;

Schnorr und Kressin, 2001). Dagegen ist die Hodenhypoplasie (Tier S17/07) schwer mit Missbildungen des Gesichts in Einklang zu bringen. Neben genetischen Ursachen kommen hierfür auch exogene Einflüsse in Betracht (Bostedt und Dedié, 1996).

Klinische Relevanz der Brachygnathia inferior

Für das Schaf ist Brachygnathia inferior vor allem von Bedeutung, wenn damit klinisch relevante Erscheinungen verbunden sind. In einem von Hamori (1983) aufgezeichneten Fall verstarben 29,7 % der Nachkommen eines Bockes aufgrund von Brachygnathia inferior. Dies bedeutete einen erheblichen ökonomischen Verlust für den Züchter. Bei allen Tieren unseres Zuchtversuchs, auch bei denen, die eine starke Unterkieferverkürzung zeigten, traten keine Schwierigkeiten beim Saugen auf

(35)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

25

und keines der Tiere verhungerte. Schafe weiden, indem sie die Grashalme durch festen Schluss von Schneidezähnen und Dentalplatte unter kurzen Bewegungen des Kopfes abschneiden. Bei der Aufnahme von Heu und Silage werden die Schneidezähne als Greifinstrument benutzt (Markham und Stewart, 1962). Bei Brachygnathie sind diese Funktionen beeinträchtigt und es kann zu Problemen in der Futteraufnahme bei Weide- und Stallhaltung kommen. Purser et al. (1982) wiesen nach, dass bei den von ihnen untersuchten Schafen im Alter von 1,5 Jahren die Kieferstellung signifikant mit dem Lebendgewicht korreliert war. Nordby et al. (1945) vermuteten, Brachygnathia inferior könnte genetisch mit einer geringen Körpergröße assoziiert sein. Auch Schafe unseres Zuchtversuchs mit starker Unterkieferverkürzung blieben in der Entwicklung infolge verminderter Futteraufnahme zurück, so dass ein betroffenes Tier erst ein Jahr später als die anderen Schafe gedeckt werden konnte. Tiere mit geringgradiger Unterkieferverkürzung zeigten dagegen keine Probleme bei der Futteraufnahme. Ein vermehrtes Speicheln, von dem Kaulfuß und Hoffmann (2004) berichteten, konnten wir bei unseren Tieren mit Brachygnathia inferior nicht beobachten, jedoch zeigten alle Tiere mit hochgradiger Unterkieferverkürzung Vertiefungen bis hin zu Ulzera und Narben an den Stellen des Gaumens, wo die Schneidezähne ihn trafen. Barrett und Chalmers (1975) berichteten von einem 7-8 Jahre alten Rothirsch mit mittelmäßigem bis gutem Ernährungszustand, der bei der Futteraufnahme häufig mit dem Kopf schlenkerte und den Kopf zurückwarf. Die Schneidezähne trafen den Gaumen 4 cm hinter der Dentalplatte. Bemerkenswert ist hierbei, dass dieses Tier mit einer so starken Unterkieferverkürzung in recht gutem Ernährungszustand war und ein so hohes Lebensalter erreicht hatte, obwohl die Futteraufnahme offensichtlich erschwert war. Schlenkern mit dem Kopf konnten wir bei den Tieren unseres Zuchtversuchs nicht feststellen. Koch (1957) war der Ansicht, dass Brachygnathia inferior für Haustiere, soweit sie nicht ausschließlich auf Weidegang angewiesen sind, ohne größere Bedeutung ist. Dies kann nicht so allgemein formuliert werden, da Ulzera des Gaumens sicherlich mit Schmerzen verbunden sind. Melling und Alder (1998) wiesen zudem darauf hin, dass die Lebensdauer bei Schafen von der Widerstandskraft ihrer Zähne gegen Abnutzung abhängt. Wenn die Schneidezähne

(36)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

26

mit der Dentalplatte abschließen, würden sie weniger stark durch raues Futter abgenutzt.

Somit wird deutlich, dass zumindest eine starke Unterkieferverkürzung für das Schaf klinische Bedeutung hat und tierschutzrelevant ist. Für den Schafhalter ist es zudem von ökonomischem Interesse, möglichst langlebige Schafe mit ungestörter Futteraufnahme und guten täglichen Zunahmen zu züchten.

Grad der Brachygnathia inferior

In den Kategorien „nicht betroffen“ und „geringgradig betroffen“ waren männliche und weibliche Lämmer zu fast gleichen Anteilen vertreten. Männliche Lämmer waren dreimal häufiger von hochgradiger Unterkieferverkürzung betroffen als weibliche.

Dies könnte darin begründet sein, dass insgesamt im Zuchtversuch mehr männliche Lämmer geboren wurden, oder dass das Geschlecht einen Einfluss auf die Penetranz des Merkmals hat, wobei in früheren Studien das Geschlecht keinen Einfluss auf die Häufigkeit und den Grad der Brachygnathie beim Schaf hatte (Distl, 2001; Herzog, 2001; Schneider, 1978a; Wiesner und Willer, 1974).

Die Einteilung der Brachygnathie in verschiedene Grade ist nicht unproblematisch.

Eine Untersuchung bei Damhirschen unterschiedlichen Alters ergab, dass die Länge der Mandibula vor allem im ersten Lebensjahr stark zunahm und das Wachstum erst im Alter von 30 Monaten, wenn auch der Zahnwechsel abgeschlossen war, endete.

Zum Geburtszeitpunkt war die Länge der Unterkiefer bei beiden Geschlechtern gleich, während im ersten Lebensjahr die Länge der Mandibula und des Diastemas bei den männlichen Tieren stärker zunahm (Chapman und Chapman, 1970). Beim Schaf ist der Zahnwechsel der Backenzähne mit ca. 18 Monaten und der Schneidezähne mit ca. 4 Jahren abgeschlossen (Kaulfuß und Hoffmann, 2004). Die Untersuchungen von Nordby et al. (1945) zeigten, dass zwischen der Geburt und dem Absetzalter die durchschnittliche Unterkieferverkürzung bei betroffenen Tieren von 0,5 auf 0,98 cm stieg und die auch als Jährlinge gemessenen Tiere eine weitere Zunahme der Unterkieferverkürzung zeigten. Diese Zunahme der Unterkieferverkürzung konnte durch unsere Untersuchungen bestätigt werden.

Lämmer unserer Studie, die schon bei der Geburt eine deutliche

(37)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

27

Unterkieferverkürzung aufwiesen, zeigten diese auch mit steigendem Alter noch.

Dabei vergrößerte sich der Abstand der Kiefer beispielsweise bei den Lämmern S3/07 und S9/07 von 1 bzw. 1,3 cm in der ersten Lebenswoche auf 2,2 bzw. 2 cm im 7. Monat. Lämmer, die bei der Geburt als nicht betroffen eingestuft wurden, wiesen teilweise später eine geringgradige und zwei Tiere (S5/06, S15/06) als Adulte sogar eine hochgradige Unterkieferverkürzung auf. Somit sind durch Messungen des Abstands von der Schneidekante der Incisivi und dem vorderen Rand der Dentalplatte bei neugeborenen Lämmern nicht alle brachygnathen Tiere zu erfassen.

Da sich mit zunehmendem Alter die Schneidezähne weiter nach vorne richten und die Länge der I1 mit steigendem Alter leicht zunimmt, kann dies eine Unterkieferverkürzung in geringem Grade kompensieren (Purser et al., 1982; Melling und Alder, 1998). Somit können der Winkel und die Länge der Schneidezähne den gemessenen Abstand beeinflussen. Probleme bei den Messungen ergeben sich außerdem durch Verschiebungen im Kiefergelenk, die nicht vollständig zu vermeiden sind.

Die Interpretation der geringgradigen Brachygnathie ist nicht einfach, da man nicht sicher sagen kann, ob eine leichte Inkongruenz der Kieferlängen eine Variation der Norm oder schon ein pathologisches Phänomen darstellt. Purser et al. (1982) sagten, dass über die normale Variation der Kieferlängen wenig bekannt sei. Die Definition von Anomalien würde meistens willkürlich getroffen. Selbst wenn geringgradige Unterkieferverkürzungen bei den betroffenen Tieren keine klinische Relevanz haben, könnte die Anlage für eine Unterkieferverkürzung weitervererbt werden und sich bei den Nachkommen stärker ausprägen und entsprechende Folgen haben.

Ursachen der Brachygnathia inferior

Umweltfaktoren, die in den einzelnen Betrieben für das Entstehen der Unterkieferverkürzung hätten verantwortlich gemacht werden können, konnten durch den Zuchtversuch im Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung reduziert werden. Die Reproduzierbarkeit und familiäre Häufung des Merkmals zeigen, dass die Ursache der Brachygnathie der von uns untersuchten Tiere erblich ist. Wiesner

(38)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

28

und Willer (1974) sowie Distl (2001) waren der Ansicht, dass der Erbgang der Brachygnathia inferior beim Schaf kompliziert sei und dass wahrscheinlich mehrere Gene für diese Anomalie verantwortlich seien. Auch unsere Auswertungen des Pedigrees lassen auf einen oligogenen Erbgang schließen. Insbesondere die Unterscheidung in verschiedene Grade der Unterkieferverkürzung unterstützt die Annahme eines oligogenen Erbgangs. Bereits die Annahme eines dominanten Initiatiorgens und eines rezessiven Modifikatorgens führt zu einer plausiblen Erklärung fast aller Fälle in dem Zuchtversuch. Bei einer vereinfachten Definition als ja/nein Merkmal würde das dominante Initiatorgen einen Großteil der Fälle in unserem Pedigree erklären. Wahrscheinlich haben noch weitere Gene einen Einfluss auf die Ausprägung der Unterkieferverkürzung beim Schaf, da sonst die variable Expressivität nicht erklärt werden kann. Im Gegensatz zu Purser et al. (1982), die der Ansicht waren, dass aufgrund der nahe bei Null liegenden Heritabilität der Kieferstellung Selektionsmaßnahmen wenig effizient seien, scheint somit durch Selektion eine Beeinflussung des Merkmals möglich. Um die natürliche Variation, auch ohne Kenntnis ihrer genauen Größe, zu berücksichtigen, wurden Tiere mit Unterkieferverkürzungen - ähnlich Nordby et al. (1945) - bis einschließlich 0,2 cm als normal eingestuft. Dennoch ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt, ob diese Grenze der tatsächlichen Norm entspricht oder zu hoch oder niedrig angesetzt wurde.

Eine Infektion mit dem Virus der Blauzungenkrankheit ist aufgrund der klinischen und virologischen Untersuchung auszuschließen. Außerdem konnte die Missbildung bereits in den Jahren reproduziert werden, bevor die Blauzungenkrankheit in Deutschland auftrat. Ebenso kann Border Disease als Ursache vernachlässigt werden, da außer der Unterkieferverkürzung keine typischen klinischen Symptome dieser Krankheit (Lebensschwäche, haariges Vlies, Zittern) gesehen wurden.

Pflanzen, von denen bekannt ist, dass sie Brachygnathia inferior verursachen können, konnten von uns nicht auf den beweideten Arealen festgestellt werden.

Schafe, die nicht aus diesem Zuchtversuch stammen, sowie Ziegen und Rinder, die auf den gleichen Weiden grasen, hatten bisher keine Nachkommen mit Unterkieferverkürzung oder den bei diesen Pflanzen beschriebenen multiplen

(39)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

29

Missbildungen. Die Entwurmung der Schafe erfolgte vor der Decksaison und nicht bei trächtigen Schafen. Das Anthelminthikum Triclabendazol ist bei Ratten weder teratogen noch embryotoxisch und Laborstudien mit Moxidectin an Ratten und Kaninchen ergaben keinen Hinweis auf teratogene oder foetotoxische Wirkungen (http://vptserver1.uzh.ch). Daher können diese Medikamente als Ursache der Unterkieferverkürzung ausgeschlossen werden.

Numerische und strukturelle Chromosomenanomalien konnten wir bei unseren zytogenetischen Untersuchungen nicht finden. Lediglich bei zwei Schafen fanden sich bei 1 % bzw. 2 % der 100 untersuchten Metaphasen Brüche von verschiedenen Chromosomen. Die geringe Häufigkeit und Unspezifität der Brüche weist auf Präparationsfehler hin. Aufgrund dieses Ergebnisses haben wir von einem zytogenetischen Screening der Herde abgesehen, zumal außer bei Schneider (1978b), Brachygnathie bei Chromosomenanomalien bisher nur im Zusammenhang mit Syndromen beschrieben wurde, und die meisten unserer Tiere eine isolierte Form der Brachygnathia inferior zeigten. Die Chromosomeninstabilitäten und Polyploidien, die von Schneider (1978b) beschrieben wurden, waren unspezifisch. Die Trisomie 25, die bei 6 Tieren gefunden wurde, trat lediglich in einer oder zwei von 25 Metaphasen auf. Diese strukturellen und numerischen Chromosomenanomalien sind wahrscheinlich präparationsbedingt. Schneider (1978b) führte als Erklärung für die Entstehung der Prognathie und Brachygnathie das hohe Differenzierungsniveau der Region und die Verteilung der verantwortlichen Gene über das gesamte Genom an.

Die Lokalisation der Gene für die Entwicklung von Ober- und Unterkiefer beim Schaf sind unbekannt. Außerdem ist es unwahrscheinlich, dass es bei so heterogenen Chromosomenanomalien immer nur zur isolierten Brachygnathie und Prognathie kommt und nie andere Missbildungen auftreten. Auch das vergleichend angeführte Bloom-Syndrom und die Fanconi-Anämie beim Menschen sind Syndrome. Die Ergebnisse der hämatologischen Untersuchung gaben keinen Hinweis auf eine Anämie. Daher wurde auf die Messung von der Eisenkonzentration und der Eisenbindungskapazität verzichtet. Lediglich ein Schaf (S1/II) mit Brachygnathia inferior hatte eine geringgradig erhöhte Erythrozytenzahl, was vermutlich ohne Bedeutung ist. Von einer größeren Probenzahl zur sicheren statistischen Abklärung

(40)

Literaturübersicht und Ergebnisse eines Zuchtversuchs zur Brachygnathia inferior beim Ostfriesischen Milchschaf

30

von Unterschieden in den hämatologischen Werten zwischen Schafen mit und ohne Unterkieferverkürzung wurde abgesehen, da hierfür aufgrund der klinischen Untersuchung sowie der vergleichenden Blutuntersuchung dieser sechs Tiere keine Anhaltspunkte vorlagen.

Schlussfolgerung

Böcke mit Unterkieferverkürzung sollten nicht gekört und auch weibliche Schafe mit Unterkieferverkürzung nicht zur Zucht zugelassen werden. Schafe mit deutlicher Unterkieferverkürzung (über 1 cm) sind auf jeden Fall von der Zucht auszuschließen und solche mit geringgradiger Unterkieferverkürzung (0,3 cm bis 0,9 cm) sollten, wenn sie zur Zucht eingesetzt werden, vor der zweiten Decksaison auf eine Zunahme der Unterkieferverkürzung kontrolliert werden. Zusätzlich müssen die Eltern zukünftiger Zuchttiere auf Unterkieferverkürzung überprüft werden und bei Vorliegen einer Brachygnathia inferior bei einem der Elterntiere sollte ebenfalls ein Ausschluss der zur Zucht vorgesehenen Nachkommen, zumindest der Böcke und, sofern möglich, auch der weiblichen Schafe erfolgen. Da die Elterntiere zu diesem Zeitpunkt bereits mindestens 2 Jahre alt sind, hat sich bei ihnen eine Unterkieferverkürzung bereits manifestiert, während sie sich bei den potentiellen Zuchttieren noch ausprägen kann. Durch die Untersuchung der Elterntiere können somit die Zuchttiere erfasst werden, die nach unserem Vererbungsmodell das dominante Allel des Initiatorgenorts und rezessive Allele weiterer Genorte an ihre zur Zucht vorgesehenen Nachkommen weitervererben können.

Literatur

Agerholm, J.S., K. Christensen (1993): Trisomy-22 in a calf. J. Vet. Med. A. 40, 576-581. - Angus, K. (1992): Congenital malformations in sheep. In Pract. 14, 33-38.

- Barrett, M.W., G.A. Chalmers (1975): Congenital anomalies in a neonatal white- tailed deer in Alberta. J. Wildl. Dis. 11, 497-501. - Bickhardt, K. (2001):

Referenzwerte. In: Ganter, M. (Hrsg): Lehrbuch der Schafkrankheiten, 4. Aufl., Parey, Berlin und Wien, 457. - Bickhardt, K., G. König (1985): Blutmesswerte von gesunden Mutterschafen der Merino- und Schwarzkopfrasse zur Zeit der Geburt

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Our results on the existence of walls of silence (combined with potentially high levels of misbehavior) are most robust in cases where teams are asymmetric in the sense that,

Schematische Darstellung der Spaltbildungsebenen in der dermo-epidermalen Junktionszone bei den verschiedenen EB-Formen. Bei EBS findet sich die Blase im Bereich der ba-

Während andere Autoren vermuteten, dass derartige Missbildungen in der Embryonalentwicklung durch Druck, Verlagerung oder Abschnürungen durch Nabelgefäße entstehen können,

Insbesondere hochleistende Milchkühe entwickeln im peripartalen Zeitraum häufig Hypocalcämien. In Studien, die die Pathogenese und Therapie der Gebärparese der Milchkuh

Bei einem drei Tage alten, weiblichen Kalb der Rasse Deutsche Holsteins, Farbrichtung schwarzbunt, wurde ein mittelgradiger Hydrozephalus internus, eine Aplasie des

Sowohl die Lage der Spaltbildung als auch die Veränderungen der Hemidesmosomen und die verminderte Expression von Laminin 5 sind beweisend für das Vorliegen von Epidermolysis

• Zu hohe Kupfergaben sind für Schaf und Zie- ge giftig (Schaf über 15 mg beziehungsweise Ziege über 30 mg/kg TS Ration).. • Deshalb nur für Schaf und Ziege bestimmte Futter

The solution to these problems has to be found in a better herd management, whether with permanent shepherding by a shepherd (Chatelain and Troxler, 2004a) or with the creation