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5 Kongenitale Zyklopie und Arhinenzephalie - Eine Literaturübersicht und zwei Fallberichte bei Literaturübersicht und zwei Fallberichte bei

Schaflämmern

Congenital cyclopia and arhinencephaly - Review of the literature and two case reports in lambs

Zusammenfassung

Bei zwei Schaflämmern aus zwei verschiedenen Herden wurden Zyklopie und Arhinenzephalie festgestellt. Beide Lämmer waren Kreuzungstiere mit Anteilen der Rasse Deutsches Schwarzköpfiges Fleischschaf. Bei einem Lamm war makroskopisch median ein Auge in einer als knöcherne Wulst ausgebildeten Orbita sichtbar. Bei dem anderen Lamm konnten lediglich histologisch Anteile von Augengewebe in einem blind endenden Kanal gefunden werden, der mittig im Bereich des Nasenrückens in einer Y-förmigen Öffnung der Haut mündete. Zudem wiesen beide Tiere hochgradige Missbildungen des Gesichts und Gehirns auf. Da diese missgebildeten Lämmer in beiden Herden Einzelfälle darstellten, infektiöse Ursachen durch Pestiviren ausgeschlossen werden konnten und anamnestisch keine Hinweise auf teratogene Pflanzeninhaltsstoffe vorlagen, bleibt die Ursache der Missbildung unklar.

Schlüsselwörter: Schaf, kongenitale Anomalie, Zyklopie, Arhinenzephalie

Summary

Cyclopia and arhinencephaly were diagnosed in two lambs from two different flocks.

Both lambs were mixes with German Blackheaded Mutton sheep. One lamb had only one eye located in the median of the back of the nose in an osseus bulge. In the other lamb only histological residues of the ocular tissue were found in a blind ending canal which had its aperture in the middle of the back of the nose under a Y-shaped hole of the skin. In both animals, face and brain were profoundly malformed. No

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further malformed lambs were observed in these flocks, infectious causes by pestivirus could be excluded and there were no hints on teratogenic plant ingredients.

The causes of these malformations remain unclear.

Key words: sheep, congenital anomaly, cyclopia, arhinencephaly

Einleitung

Zyklopie und Arhinenzephalie beim Schaf Definitionen, Formen und Häufigkeit

Die Zyklopie (griechisch: „kyklops“, „Rundäugiger“) ist ein Teilphänomen von anatomisch sehr komplizierten Missbildungen des Schädels und des Zentralnervensystems (ZNS). Diese kongenitale Anomalie kommt bei allen Haustieren und dem Menschen vor. Bei der typischen Zyklopie findet sich nur ein Auge in einer einzigen Orbita in der unteren Regio frontalis mit einem durch ein einziges Foramen opticum austretenden Nervus opticus. Bei der unvollständigen Zyklopie ist ebenfalls nur eine Orbita angelegt und ein einziger faszikulärer Abgang, wobei die Augäpfel mehr oder weniger nahe beisammen stehen. Dies wird auch als Synophthalmie bezeichnet. Die Nase bildet, wenn sie überhaupt zur Ausbildung kommt, einen dorsal des Auges gelegenen fleischigen, rüsselartigen Fortsatz (Proboskis), oder es entsteht eine Nase mit nur einer Öffnung (SCHWALBE und JOSEPHY, 1909; SCHÄFFER, 1988; HERZOG, 2001).

Unter Arhinenzephalie versteht man das Fehlen des Riechhirns und seiner Abkömmlinge (HERZOG, 2001). Aus den Übereinstimmungen der Hirnmissbildungen ergibt sich die nahe Beziehung zwischen Zyklopie und Arhinenzephalie. So kann keine scharfe Grenze zwischen ihnen gezogen werden (SCHWALBE und JOSEPHY, 1909).

Über die Häufigkeit des Auftretens von Zyklopie bei Schafen ist wenig bekannt.

SAPERSTEIN et al. (1975) berichteten in einer Zusammenstellung über kongenitale Defekte beim Schaf, dass Aussagen über die Frequenz nicht zu verallgemeinern seien, da die Missbildungen oft an bestimmte Rassen, geographische Lagen und Umweltfaktoren gebunden sind. Bei einer Umfrage von DENNIS (1974) in

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Westaustralien berichteten 31 Farmer, dass in ihrem Betrieb Lämmer mit Zyklopie geboren wurden sowie weitere 12 Farmer von Lämmern ohne Augen und 4 Farmer von Lämmern, bei denen ein Auge fehlte. Zyklopie kommt bei verschiedenen Schafrassen und -kreuzungen vor (BINNS et al., 1959, 1960; PFEIFFER, 1968;

DENNIS, 1975). Auch bei den Wiederkäuern Ziege (SCHWALBE und JOSEPHY, 1909; CHAKRABARTI und PAL, 1991; RAJU und RAO, 2001), Rind (MOHANTY, 1968; IDIART und GIMENO, 1978; STURM, 1984; CHO et al., 1985; VENU et al., 2001, ÖZCAN et al., 2006; SCHULZE und DISTL, 2006) und Büffel (THIPPESWAMY et al., 1996) ist Zyklopie beschrieben worden.

Klinische Symptome

Zyklopische Lämmer werden gewöhnlich lebend geboren, versterben aber meist innerhalb kurzer Zeit (BINNS et al., 1959). Es gibt nur wenige Informationen zu klinischen Symptomen solcher Lämmer. Das von CHAKRABARTI und PAL (1991) untersuchte zyklopische Ziegenlamm konnte aus einer Flasche saugen und mit leichter Unterstützung stehen. Kot- und Urinabsatz waren normal. Es starb nach fünf Tagen, wobei die Autoren zur Todesursache keine Angaben machten. Wenn Missbildungen der Kiefer vorliegen oder die Nasenhöhlen Richtung Pharynx vollständig verschlossen sind, kann zu Problemen beim Saugen kommen (GLADSTONE und WAKELEY, 1920). Ein Kalb und Lamm, die zwar zwei Augen aber unter anderem mit Zyklopie assoziierte Missbildungen des Gehirns aufwiesen, konnten stehen und gehen (CHO et al., 1985; ROTH et al., 1987). GLADSTONE und WAKELEY (1920) merkten an, dass Zyklopen meist wenige Stunden nach der Geburt unter Konvulsionen in Folge der Gehirnmissbildungen versterben.

Pathologie

Das von GLADSTONE und WAKELEY (1920) beschriebene zyklopische Schaflamm wies oberhalb der Orbita einen Proboskis auf, dessen knöcherne Grundlage durch stark verkürzte Nasenbeine und fusionierte, nach dorsal gebogene Zwischenkieferbeine gebildet wurde und zwei angedeutete Nasenlöcher aufwies. Die Oberlippe schien nur vom labialen Anteil des embryonalen Oberkieferfortsatzes

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gebildet worden zu sein. Die jeweils verschmolzenen Ober- und Unterlider umgaben den Augapfel, der noch zwei Hornhäute, zwei unterschiedlich große Linsen und die vorderen Augenkammern enthielt. Der Oberkiefer war wie bei den von BINNS et al.

(1959, 1960) beschriebenen Zyklopen stark reduziert und wurde lediglich durch die Maxilla knöchern gebildet. Die Hirnhemisphären der von BINNS et al. (1959, 1960) untersuchten Lämmer waren zu einem dünnwandigen, flüssigkeitsgefülltem Sack verschmolzen (Hydranzephalie), der Bulbus olfactorius und die Hypophyse fehlten und manchmal wurde, wie bei dem Lamm, über das GLADSTONE und WAKELEY (1920) berichteten, nur ein einzelner Sehnerv gefunden. Außerdem können Mikroenzephalie, Hydrozephalie und Cebozephalie (affenähnliches Gesicht, Nase nur mit einem Nasenloch) vorliegen (DENNIS, 1975). Zyklopie kann mit weiteren Missbildungen wie Polydaktylie, Situs inversus, Zwerchfelldefekten, Nabelbrüchen, Otozephalie und Defekten des Herzens und der Geschlechtsorgane gemeinsam auftreten (SCHWALBE und JOSEPHY, 1909).

Ursachen

Die Augen entwickeln sich aus einem einzigen Augenfeld, das sich symmetrisch teilt (CHOW und LANG, 2001). Sie stellen Ausstülpungen des Zwischenhirns dar, das sich wiederum aus dem Prosenzephalon (Vorderhirn) entwickelt. Man geht davon aus, dass die Ursache für Zyklopie in der frühen Embryogenese in einer Störung der Prächordalplatte liegt, so dass das prächordale Mesoderm nicht die normalen Strukturen des Vorderhirnes und der Gesichtsstrukturen ausbilden oder induzieren kann. Der Fehler dieser Entwicklung liegt entweder in einem Mangel an Differenzierung, Migration oder Proliferation von Zellen der Neuralleiste oder ist eine Folge der Verzögerung der Differenzierung. Die Ausbildung des Proboskis wird durch Zellen der Neuralleiste induziert. Diese Zellen werden an der Migration in die frontonasale Region durch die medial gelegene Orbita gehindert, so dass sie sich oberhalb der Orbita entwickeln müssen (BACON und MATHIS, 1983).

Die Ursachen für Zyklopie sind vielfältig. Ein Zuchtversuch von BINNS et al. (1959) ergab, dass Fälle von Zyklopie in Idaho (USA) vermutlich keine genetische Ursache hatten. BINNS et al. (1965) führten bei trächtigen Schafen Fütterungsversuche mit

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kalifornischem Germer (Veratrum californicum) durch, der auf subalpinen Weiden wächst, und stellten fest, dass nur die Schafe, die am 14. Trächtigkeitstag Teile dieser Pflanze aufnahmen, Feten mit Zyklopie und weiteren Missbildungen zur Welt brachten. Einige Stunden nach der Aufnahme von Veratrum californicum zeigten die Mutterschafe akute Vergiftungssymptome wie exzessives Speicheln, Schaumbildung, vermehrtes Schlucken, Würgen, Erbrechen, Ataxie und Zyanose (BINNS et al., 1964). Manche Schafe, die keine Vergiftungssymptome zeigten, gebaren trotzdem missgebildete Feten, so dass man davon ausging, dass die teratogene Dosis unter derjenigen liegt, die klinische Symptome verursacht. KEELER (1990) war der Ansicht, dass die Dosis des am 14. Trächtigkeitstages aufgenommenen kalifornischen Germers darüber entscheidet, ob sich zyklopische Lämmer entwickeln oder es bei höherer Dosis zum embryonalen Tod kommt. Die steroidalen Alkaloide Cyclopamin und Jervine, die aus Veratrum isoliert wurden, werden primär für die Missbildungen verantwortlich gemacht. KEELER und BAKER (1989) führten Versuche durch, in denen sie trächtigen Schafen Cyclopamin verabreichten. Bei oraler Gabe in hoher Dosierung wurde ein Lamm mit Zyklopie und Anophthalmie geboren. LEE et al. (2003) entwickelten einen ELISA-Test, mit dessen Hilfe man Cyclopamin und Jervine im Schafblut nachweisen kann, um somit vergiftete Tiere identifizieren zu können.

Der in den USA vorkommende kalifornische Germer ist in Europa nicht beheimatet.

In Europa wächst der giftige Weiße Germer (Veratrum album), vor allem in den Alpen und Osteuropa. Dieser enthält verschiedene Alkaloide, die teilweise zur Therapie hypertensiver Stadien bei Schwangerschaft und Eklampsie eingesetzt wurden (BINNS et al., 1964). Ob seine Inhaltsstoffe ebenfalls Zyklopie verursachen können, ist nicht bekannt.

ÖZCAN et al. (2006) diskutierten neben Pflanzengiften auch Strahlung, Hypovitaminosen und Virusinfektionen als Ursachen für diesen kongenitalen Defekt.

Beim Schaf können Missbildungen des Gehirns durch eine Infektion der Mutter mit dem Bluetongue-Virus, dem Akabane-Virus, dem Border Disease Virus und dem Virus der Bovinen Virusdiarrhoe verursacht werden (ANGUS, 1992; RÜSSE und SINOWATZ, 1991).

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Fehlernährung des Embryos kann ebenfalls zu Zyklopie führen. In diesem Zusammenhang können Fehler der Wasserzusammensetzung bei Amphibien und Fischen und in der Belüftung, Temperatur und Luftfeuchtigkeit beim Bebrüten von Vogel- und Reptilieneiern zu Zyklopie führen. Weiterhin verursachen Fehler in der fetalen Ernährung infolge einer plazentaren Insuffizienz bei einer Endometritis vermutlich Missbildungen des Embryos (GLADSTONE und WAKELEY, 1920).

Der Zuchtversuch mit Border Leicester Schafen, die Lämmer mit Holoprosenzephalie und assoziierten Missbildungen des Gesichts geboren hatten, legte einen autosomal rezessiven Erbgang nahe. Eine Umfrage zeigte zudem, dass Holoprosenzephalie bei dieser Rasse mit niedriger Inzidenz weit verbreitet zu sein scheint (ROTH et al., 1987). HENRY et al. (1966) untersuchten fünf lebende kurznasige Lämmer zytogenetisch. Diese Lämmer waren innerhalb von zwei Jahren geboren worden und deren Mütter hatten während der Trächtigkeit Veratrum californicum aufgenommen.

Bei einem der Lämmer fanden sie in allen Metaphasen eine Deletion des kurzen Armes eines submetazentrischen Chromosoms und bei den anderen Lämmern bei 2-8 % der Metaphasen ein gehäuftes Auftreten von Chromosomen, die longitudinal am Zentromer getrennt waren.

Holoprosenzephalie des Menschen Definition, Formen und Häufigkeit

Zyklopie kommt beim Menschen vor allem in Verbindung mit Holoprosenzephalie (HPE) vor. Holoprosenzephalien sind komplexe und in der Ausprägung variable Missbildungen des Vorderhirns und Gesichts in Folge des Ausbleibens oder der Unvollständigkeit der Teilung des embryonalen Prosenzephalons (Vorderhirn). Je nach Schweregrad werden vier Formen unterschieden: alobar, semi-lobar, lobar und Synthelenzephalie (CARL et al., 2002; DUBOURG et al., 2007). HPE ist mit einer Prävalenz von 1:16000 der Lebendgeburten (DUBOURG et al., 2004) und einer Prävalenz von 1:250 der Konzeptionen (MATSUNAGA und SHIOTA, 1977) die häufigste Missbildung des Vorderhirns beim Menschen.

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96 Klinische Symptome

Die klinische Symptomatik von lebend geborenen Kindern mit HPE ist abhängig vom Schweregrad der Missbildungen. Sie bleiben in der Entwicklung zurück, zeigen Epilepsie, Hypotonie, Dystonie, Schwäche, spastische Lähmungen, endokrinologische Störungen und Probleme bei der Nahrungsaufnahme. Die Regulation der Körpertemperatur, Herz- und Atemfrequenz kann gestört sein (DUBOURG et al., 2007). Zyklopie, die mit der schweren alobaren Form der HPE einhergeht, ist innerhalb weniger Tage nach der Geburt letal (EDISON und MUENKE, 2003). Untersuchungen zur Sehfähig solcher Kinder liegen nach unserem Wissen nicht vor.

Ursachen

Die Ätiologie von HPE ist sehr heterogen. HPE kann bei Syndromen mit normalem Karyotyp und mit verändertem Karyotyp (Trisomie 13, Trisomie 18, Triploidie) auftreten (DUBOURG et al., 2004, CROEN et al., 1996). Bisher sind sieben Gene und einige Kandidatengene bekannt, deren zahlreiche Mutationen für die Ausbildung der solitären (nicht syndromischen, nicht chromosomalen) HPE verantwortlich sind (DUBOURG et al., 2007). Die für HPE verantwortlichen Gene kodieren Signalmoleküle, Rezeptoren und Transskriptionsfaktoren, die Bedeutung für die regelgerechte Ausbildung des Prosenzephalons haben. In dem hauptsächlich beteiligten Gen SHH (Sonic hedgehog) wurden bisher die meisten Mutationen gefunden. Cholesterin wird für den SHH-Signalweg benötigt. Cyclopamin ähnelt strukturell Cholesterin. So kann Cyclopamin vermutlich als Nebeneffekt in hohen Konzentrationen den Cholesterintransport hemmen (INCARDONA und ROELINK, 2000). Man geht davon aus, dass Cyclopamin vor allem durch die Bindung an ein Molekül des SHH-Signalwegs diesen hemmt (CHEN et al., 2002).

Bei familiärer HPE treten Unterschiede in der Ausprägung der Missbildung auf, selbst wenn dieselbe Mutation im SHH Gen vorliegt. Dies deutet darauf hin, dass die Interaktionen zwischen verschiedenen Genprodukten letztendlich den Phänotyp beeinflussen. Es konnte keine Korrelation zwischen dem Grad der HPE und der Art der Mutationen im SHH-Gen hergestellt werden (WALLIS und MUENKE, 2000).

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Außerdem sind metabolische und Umweltfaktoren während der Schwangerschaft wie der insulinabhängige Diabetes mellitus der Mutter (MING und MUENKE, 2002), maternale Hypercholesterinämie, Alkoholismus und Rauchen an der Ätiologie von HPE beteiligt. Medikamente wie Retinolsäure und Hemmstoffe der Cholesterinbiosynthese (COHEN und SHIOTA, 2002; DUBOURG et al., 2004) oder Infektionen mit dem Zytomegalievirus (BYRNE et al., 1987), Toxoplasmose und Röteln (DUBOURG et al., 2007) können ebenfalls HPE hervorrufen. Ca. 65 % der Fälle von HPE sind noch nicht molekulargenetisch aufgeklärt. Man vermutet, dass mehrere Mutationen oder Kombinationen mit Umwelteinflüssen letztendlich zu HPE führen („multiple-hit hypothesis“).

Material und Methoden

Bei zwei Kreuzungslämmern mit Anteilen der Rasse Deutsches Schwarzköpfiges Fleischschaf wurde Zyklopie festgestellt. Die Lämmer stammten von zwei verschiedenen Betrieben, wobei Lamm 1 durch einen Kaiserschnitt in der Klinik für kleine Klauentiere der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover tot entwickelt und Lamm 2 ohne Geburtshilfe auf dem Betrieb lebend geboren wurde, jedoch kurz nach der Geburt verstarb. Beide Lämmer wurden im Institut für Pathologie der Stiftung Tierärztlichen Hochschule Hannover pathologisch-anatomisch und -histologisch untersucht. Bei der Sektion entnommene Gewebeproben von beiden Lämmern wurden mittels Immunfluoreszenzmikroskopie auf Pestiviren (Virusantigen des Border Disease Virus und des Virus der Bovinen Virusdiarrhoe) untersucht. Des Weiteren wurde aus Gewebe von Lamm 1 eine Zellkultur zur zytogenetischen Untersuchung angesetzt.

Ergebnisse

Anamnese und Klinik Lamm 1

Das Mutterschaf wurde am 04.04.2006 mit bereits seit einigen Stunden bestehenden Geburtsanzeichen in die Klinik für kleine Klauentiere der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover eingeliefert. Die Cervix war manuell nicht passierbar, so dass

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ein Kaiserschnitt durchgeführt wurde. Die Bauchhöhle enthielt vier Liter Flüssigkeit und die Gebärmutter war um 360° nach rechts gedreht. Nach Reposition der Torsio uteri und Eröffnung der Gebärmutter wurde ein männliches missgebildetes Einlingslamm tot entwickelt.

Das Mutterschaf kam aus einer Hobbyhaltung mit 22 Mutterschafen, 3 Böcken, 4 Jungböcken und 21 Lämmern. Die Tiere wurden im Stall mit Auslauf gehalten.

Gefüttert wurden Heu, Stroh, eingeweichte gepresste Rübenschnitzel, Hafer und Mineralfutter. Die Mutter des Lammes war ein Kreuzungstier der Rassen Heidschnucke und Deutsches Schwarzköpfiges Fleischschaf. Sie war zum Zeitpunkt der Geburt des Lammes 7 Jahre und 5 Monate alt und hatte vorher noch nie gelammt. Mehrere ältere Schafe der Herde wurden in diesem Jahr zum ersten Mal gedeckt und zeigten Geburtsschwierigkeiten. Die Trächtigkeit verlief bei dem Mutterschaf unauffällig. Während dieser Zeit wurde das Mutterschaf nicht geimpft oder medikamentös behandelt, allerdings ist unklar, ob eine Entwurmung durchgeführt wurde. Sie war das letzte Tier der Herde, das in dieser Saison noch nicht gelammt hatte. Da zum Deckzeitpunkt mehrere geschlechtsreife Böcke in der Herde waren, konnte der Vater des betroffenen Lammes nicht mit Sicherheit bestimmt werden. Vermutlich war es ebenfalls ein Kreuzungstier mit Anteilen der Rassen Graue Gehörnte Heidschnucke und Deutsches Schwarzköpfiges Fleischschaf und mit dem Mutterschaf verwandt, so dass Inzucht vorlag. Im folgenden Jahr brachte das Mutterschaf komplikationslos ein weibliches gesundes Lamm zu Welt, dessen Vaterschaft unklar war.

In der Herde waren außer diesem Lamm bisher keine Fälle von Zyklopie aufgetreten.

Vor 10 Jahren hatten bis zu 1/3 der Lämmer Entropium und ein Jahr nach dem Auftreten der Zyklopie wurden von einem anderen Mutterschaf getrenntgeschlechtliche Zwillinge mit Brachygnathia inferior geboren, wobei das weibliche Lamm zusätzlich ein Entropium zeigte.

Lamm 2

Das weibliche Lamm wurde am 01.02.2007 als Zwilling eines gesunden, 4 kg schweren männlichen Lammes geboren. Die Geburt wurde nicht beobachtet und der

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Züchter fand das Lamm tot im Stall. Das Mutterschaf, eine Kreuzung der Rassen Finnisches Landschaf x Deutsches Schwarzköpfiges Fleischschaf, hatte zum ersten Mal gelammt. Die Trächtigkeit verlief unauffällig, und das Muttertier wurde während dieser Zeit weder entwurmt noch anderweitig medikamentös behandelt. Impfungen wurden in diesem Betrieb nicht durchgeführt. Obwohl dieses Lamm ein Mischling war, handelte es sich um einen Herdbuchbetrieb, der Deutsche Schwarzköpfige Fleischschafe züchtete und ca. 230 Muttertiere und 13 Böcke hielt. Der Vater des missgebildeten Lammes war ein reinrassiges Deutsches Schwarzköpfiges Fleischschaf. Dieser Bock wurde 2006 zum ersten Mal als Deckbock eingesetzt, alle bis zu diesem Zeitpunkt von ihm abstammenden Nachkommen zeigten keine Missbildungen. Zyklopie war bisher in dieser Herde noch nicht aufgetreten. Einige Lämmer anderer Böcke und Muttern wurden im Jahr 2004 mit der Hautmissbildung Epidermolysis bullosa geboren.

Pathologisch-anatomische und pathologisch-histologische Untersuchungsbefunde

Lamm 1

Zur Untersuchung lagen die Frucht und die Plazenta vor (Abb. 1). Das Körpergewicht des Lammes betrug 5,9 kg. Die Gelenke der Gliedmaßen konnten abnorm gestreckt und gebeugt werden und das Haarkleid war für den Entwicklungsstand zu lang. Es hatte nur ein einzelnes Auge, das in der Medianen in einer als dorsale knöchernen Wulst ausgebildeten Orbita lag. Eine dreieckige Schleimhautfalte, die mit ihrer Basis am ventralen Augenrand lag, trug an ihrer zipfelförmigen Spitze, die teilweise die Pupille bedeckte, lange, wimpernähnliche Haare (Abb. 2). Ein Chiasma opticum war nicht vorhanden. Histologisch waren das Auge und der Nervus opticus unauffällig.

Kleinhirn, Stammhirn und Rückenmark waren sowohl makro- als auch mikroskopisch normal ausgebildet. Das Großhirn und der Bulbus olfactorius fehlten vollständig. Es waren zwei Ohrmuscheln, jedoch nur ein äußerer Gehörgang ausgebildet, der in einer knöchernen Zyste mündete. Ein Pharynx war ausgebildet, der Rachen endete jedoch rostral blind, so dass keine Öffnung der Mundhöhle nach außen bestand. Eine

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Nase war nicht angelegt. Die Plazenta zeigte beginnende Autolyse und Fäulnis.

Weitere Missbildungen oder Hinweise auf ein infektiöses Geschehen lagen nicht vor.

Zusammenfassend konnten bei diesem, wahrscheinlich übertragenem Lamm eine vollständige Zyklopie, telenzephale Anenzephalie, Arhinenzephalie und Dysplasie der Ohren und des Pharynx festgestellt werden.

Lamm 2

Der 2,5 kg schwere Tierkörper (Abb. 3) wurde bis zur Sektion tiefgefroren. Der Kopf war im Verhältnis zum restlichen Körper unproportioniert klein. Median auf der Stirn, etwa in Höhe des letzten Backenzahns, befand sich in der Haut eine Y-förmige, von Sinushaaren umgebene Öffnung (Abb. 4) mit mukokutanem Übergang am Umschlagsrand und einem wenige Millimeter, durch ein ca. 0,5 cm breites, rautenförmiges Loch des Schädelknochens in der Tiefe sondierbarem, blind endendem Gewebsschlauch. Die Schenkel der Y-förmigen Öffnung hatten jeweils eine Länge von ca. 1 cm. Makroskopisch waren keine Orbita, Augenlider oder Augäpfel-ähnlichen Strukturen zu erkennen. Histologisch waren im Längsschnitt des Gewebeschlauchs oberflächlich Lidstrukturen und Knorpelgewebe, in der Tiefe Anteile einer Augenanlage mit Retina, Ciliarkörper, Sklera, peribulbärem Fettgewebe und Muskelgruppen mit Nerven darstellbar (Abb. 5). Ein Chiasma opticum war nicht nachweisbar.

Ca. 0,8 cm rostral der Y-förmigen Hautstruktur befand sich median auf dem Schädelrücken ein von einem ca. 1 mm breitem runden Hautwall gebildeter hautausgekleideter Krater, der gegenüber dem darunterliegenden Knochen nicht verschieblich war. Diese Hautgrube wies histologisch im Längsschnitt multiple, hochgradig dilatierte Sinushaarfollikel mit mittelgradiger Hyperplasie der Talgdrüsenläppchen auf. Rostral der Hautgrube wurde ein Querschnitt des Schädels

Ca. 0,8 cm rostral der Y-förmigen Hautstruktur befand sich median auf dem Schädelrücken ein von einem ca. 1 mm breitem runden Hautwall gebildeter hautausgekleideter Krater, der gegenüber dem darunterliegenden Knochen nicht verschieblich war. Diese Hautgrube wies histologisch im Längsschnitt multiple, hochgradig dilatierte Sinushaarfollikel mit mittelgradiger Hyperplasie der Talgdrüsenläppchen auf. Rostral der Hautgrube wurde ein Querschnitt des Schädels