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Gesichtsskoliose in Verbindung mit Arthrogrypose beim Schaf

7 Skoliosen der Wirbelsäule/Tortikollis und Gesichtsskoliose in Verbindung mit Arthrogrypose beim Gesichtsskoliose in Verbindung mit Arthrogrypose beim

Schaf

Scoliosis of the spine/torticollis and cranial deviation in association with arthrogryposis in sheep

Zusammenfassung

Gegenstand und Ziel: Bei vier Schaflämmern verschiedener Rassen wurden kongenitale Skoliosen der Hals- und Brustwirbelsäule bzw. Tortikollis sowie Gesichtsskoliosen und Arthrogrypose diagnostiziert. Die Missbildungen sollten in ihrem Erscheinungsbild charakterisiert und deren Ursache aufgeklärt werden.

Material und Methoden: Alle vier Schafe wurden klinisch, neurologisch und orthopädisch untersucht. Im Blutplasma wurden Kalzium, Phosphat und die Aktivitäten der Alkalischen Phosphatase und Kreatininkinase bestimmt. Für den Nachweis von in Deutschland vorkommenden teratogenen Viren wurden Blutproben serologisch und virologisch untersucht. Weiterführende Untersuchungen erfolgten mittels bildgebender Verfahren, bei einem Schaf mittels Elektromyographie sowie zytogenetischen Chromosomenanalysen und molekulargenetischer Tests auf die das Spider Lamb Syndrome verursachende Mutation im fibroblast growth factor receptor 3 (FGFR3) Gen. Von zwei Tieren wurde Liquor cerebrospinalis untersucht. Drei Tiere wurden nach der Euthanasie pathologisch-anatomisch und -histologisch untersucht.

Ergebnisse: Bei allen Schafen lagen Wirbeldeformationen vor, während Hinweise auf neuromuskuläre Schädigungen fehlten. Die Wirbel- und Gliedmaßendeformationen führten in allen Fällen zu hochgradigen Bewegungsstörungen. Das Spider Lamb Syndrome sowie virale Infektionen konnten als Ursachen ausgeschlossen werden.

Schlussfolgerungen und klinische Relevanz: Skoliosen verschiedener Bereiche der Wirbelsäule können zu Schräg- und Schiefhaltung des Halses führen. Aufgrund der eingeschränkten Lebensqualität ist von der Aufzucht derartig betroffener Schafe

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abzusehen. Da genetische Komponenten nicht ausgeschlossen werden können, sollten betroffene Tiere auch bei geringer Ausprägung der Skoliose nicht zur Zucht verwendet werden.

Schlüsselwörter

Schaf, Kongenitale Anomalie, Skoliose, Tortikollis, Arthrogrypose, Gesichtsskoliose

Summary

Objective: In four lambs of different sheep breeds, congenital scoliosis of the cervical- and thoracic spine or torticollis, cranial deviation and arthrogryposis of the forelegs were observed. The aim of this study was to characterise the malformations feature and to identify responsible factors.

Material and methods: In all four sheep clinical, neurological and orthopedic examinations were performed. Plasma concentrations of calcium, phosphate, alkaline phosphatase and creatine kinase were measured. Blood samples were tested serologically and virologically for infections with teratogen viruses occurring in Germany like Bluetongue virus and Border Disease virus. Further examinations included radiographs of the spine, forelegs and skulls of all lambs. Some affected sections of the spine were analysed by computed tomography, magnet resonance tomography and/or myelography. In one animal an electromyography was performed.

For detection of numeric and structural chromosomal anomalies, cytogenetic examinations of blood lymphocytes were performed. We tested the four lambs for the spider lamb mutation in the fibroblast growth factor receptor 3 (FGFR3) gene. Liquor cerebrospinalis was examined in two lambs and three lambs were dissected after euthanasia.

Results: In all lambs scoliosis was accompanied by vertebral deformations. There was no evidence of neuronal or muscular defects. The deformations of the spine and forelegs led to profound movement disorders. Spider lamb syndrome and viral infections of bluetongue- and pestivirus could be excluded.

Clinical relevance: Scoliosis in different areas of the spinal column can lead to tilted head and cervical posture. Severely malformed animals have a low quality of life and

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therefore, these animals should not be reared. Because genetic causes cannot be ruled out, also mildly affected sheep should not be used for breeding.

Keywords

Sheep, congenital malformation, scoliosis, torticollis, arthrogryposis, campylognathia

Einleitung

Angeborene Achsenverkrümmungen der Wirbelsäule können in Form eines Tortikollis (Schiefhals), einer Kyphose (Karpfenrücken, dorsale Krümmung), einer Lordose (Senkrücken, ventrale Krümmung), einer Skoliose (laterale Verkrümmung) und einer Kontorsio (Drehung um die Längsachse) auftreten (Herzog, 2001). Ein Tortikollis (aus dem Lateinischen für toquere (drehen) und collum (Hals)) äußert sich klinisch in einer Verkrümmung des Halses und Schiefhaltung des Kopfes (Wiesner und Willer, 1974). Humanmedizinisch werden neben dem Tortikollis (rotatorischer/drehender Tortikollis, Kopf und Hals zur Seite gedreht) der Laterokollis (zur Schulter kippend), Anterokollis (nach vorn auf die Brust gebeugt) und Retrokollis (nach hinten überstreckt) unterschieden.

Die Achsenverkrümmungen der Wirbelsäule sind entweder Einzeldefekte oder treten häufiger in unterschiedlichen Kombinationen auf und können von Arthrogrypose begleitet sein (Angus, 1992). Als Arthrogrypose werden angeborene Gelenksverkrümmungen der Extremitäten bezeichnet. An der Ausprägung sind nicht nur primäre Gelenkverformungen, sondern auch Sehnen- und Muskelverkürzungen sowie Muskelinnervationsstörungen beteiligt (Reinacher, 2007). Arthrogrypose tritt ebenfalls als Einzeldefekt oder zusammen mit verschiedenen Missbildungen, beispielsweise einem Schistosoma reflexum (offene Bauchspalte mit stark gekrümmtem Rücken und offen liegenden Eingeweiden), auf (Dennis, 1972). Unter einer Gesichtsskoliose (Kampylognathie) versteht man die Abknickung der distalen Abschnitte des Gesichtsschädels nach rechts oder links (Herzog, 2001).

Über die Häufigkeit dieser Missbildungen beim Schaf liegen nur wenige Berichte vor.

In einer dreijährigen Studie zur perinatalen Mortalität bei Schaflämmern in Westaustralien wiesen von 401 kongenital missgebildeten Lämmern 8 %

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Arthrogrypose, 1,5 % Tortikollis, 1,2 % verbogene Vordergliedmaßen, 0,7 % Kyphoskoliose, 0,5 % Skoliose, 0,5 % Kampylognathie und 0,3 % Kyphose auf (Dennis, 1975). Eine Umfrage zu kongenitalen Missbildungen bei Schaflämmern in Westaustralien zeigte, dass verbogene Vordergliedmaßen, Arthrogrypose und Tortikollis zu den häufigsten Missbildungen zählten (Dennis, 1974).

Bei der Arthrogrypose wird zwischen endogenen und exogenen Ursachen unterschieden. Eine erbliche Form der Arthrogrypose der Vordergliedmaßen mit beidseitig in Beugehaltung fixierten Karpal- und Metakarpophalangealgelenken tritt beim Suffolk mit monogen autosomal rezessivem Erbgang auf (Doherty et al., 2000).

Die Kandidatenregion der zugrundeliegenden Mutation wurde auf dem ovinen Chromosom 5 lokalisiert (Murphy et al., 2007). Eine genetische Komponente wird auch bei der Schafrasse Columbia für Arthrogrypose und bei der Schafrasse Targhee für Tortikollis angenommen (Ercanbrack und Knight, 1978). Whittington et al. (1988)) beschrieben einen Missbildungskomplex mit Arthrogrypose aller 4 Gliedmaßen, Kampylognathie, Kyphoskoliose, Unterkieferverkürzung, Hydranenzephalie, Hypoplasien des Hirnstamms, Kleinhirns und Rückenmarks bei Lämmern der Rasse Corridale in Australien mit einem autosomal rezessiven Erbgang. Missbildungen der Gliedmaßen, des Angesichts und des Axialskeletts beim Schaf treten auch beim erblichen Spider Lamb Syndrome (SLS) auf. Dabei sind die Gliedmaßen weniger in Streck- oder Beugehaltung fixiert als vielmehr durch die disproportional verlängerten Diaphysen in ihrer Winkelung eingeschränkt.

Veränderungen des Gesichts treten in Form einer starken Ramsnase auf, und Missbildungen der Wirbelsäule äußern sich in Lordose, Kyphose und Kyphoskoliose (Seidel et al., 2006).

Exogene Ursachen der Arthrogrypose und Wirbelsäulenmissbildungen beim Schaf, verursacht durch verschiedene Viren, teratogene Inhaltsstoffe von Medikamenten und Pflanzen, sind in Tabelle 1 gelistet. Beim Menschen kann eine Reduktion der fetalen Bewegungen zu Arthrogrypose führen, die durch eine abnorme Morphologie oder Struktur der peripheren oder zentralen Nerven oder der Muskulatur oder Abnormitäten des Bindegewebes bedingt ist (Hall, 1985).

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Kampylognathie wird beim Schaf in der Regel in Kombination mit weiteren Missbildungen gesehen (Whittington, 1988). Beim Rind wurde für die isoliert auftretende Gesichtsskoliose der Jerseys (Bonsma et al., 1967) mittels Zuchtversuch ein monogen autosomal rezessiver Erbgang nachgewiesen und bei der gemeinsam mit Arthrogrypose und Tortikollis auftretenden Gesichtsskoliose der Holsteinkälber (Bähr et al., 2004) eine Erblichkeit diskutiert. Beim Menschen können Gesichtsskoliosen sekundär in Folge von Wirbelsäulenskoliosen oder beim Krankheitsbild des muskulären Schiefhalses (einseitige Verkürzung des Musculus sternocleidomastoideus) vorkommen (Hirschfelder u. Hirschfelder, 1983). Beim Schaf soll vorwiegend die muskuläre Form des Tortikollis auftreten (Pietschmann, 1942, Herzog, 2001), jedoch ist auch eine ossäre Form als Folge einer Kondylusdysplasie des Hinterhauptbeins beim Jakobschaf beschrieben (Johnson et al., 1994).

Material und Methoden Klinische Untersuchungen

Es wurden vier Schafe aus verschiedenen Betrieben mit Anomalien der Wirbelsäule, des Gesichts und der Gliedmaßen untersucht. Tier 1 war ein weibliches Schaf der Rasse Ostfriesisches Milchschaf, Farbrichtung schwarzbraun, Tier 2 ein weibliches Bentheimer Landschaf, Tier 3 eine männliche Moorschnucke und Tier 4 ein männliches Rhönschaf. Tier 1 wurde im Alter von ca. 3 Monaten, Tier 2, 3 und 4 im Alter von 2 Tagen in die Klinik für kleine Klauentiere, forensische Medizin und Ambulatorische Klinik der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover verbracht.

Neben einer gründlichen Anamnese wurden alle vier Lämmer klinisch, orthopädisch und neurologisch untersucht. Von allen Schafen wurden Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule, der klinisch veränderten Gliedmaßen und des Schädels mittels analogem (Tier 1, 3, 4) und digitalem (Tier 2) Röntgensystem in zwei Ebenen angefertigt.

Untersuchungen in Narkose

Für weiterführende Untersuchungen wurden die Schafe gegebenenfalls mittels intravenöser Injektion von 10 mg Ketamin/kg KGW (Ursotamin®,

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Bernburg, Bernburg) immobilisiert. Tier 1 wurde im Alter von 16 Monaten myelographisch untersucht. Dazu wurde in Vollnarkose mittels aseptischer subarachnoidaler Punktion sowohl atlantookzipital als auch lumbosakral jeweils 10 ml des Kontrastmittels Iopamidol (Solutrast®, Byk Gulden) injiziert. Anschließend wurde die Wirbelsäule abschnittsweise unmittelbar nach der Injektion und anschließend im Abstand von 10 Minuten in 2 Ebenen geröntgt. In der Klinik für Kleintiere der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover wurde bei Tier 1 eine Computertomographie (CT;

Somatom spiral AT, Siemens AG Medical Solutions Computed Tomography, Forchheim) der Halswirbelsäule und des kranialen Bereichs der Brustwirbelsäule durchgeführt und bei Tier 2 und 3 computertomographische und magnetresonanztomographische (MRT; Magnetom impact plus, 1,0 Tesla, Siemens AG Medical Solutions Magnetic Resonance Imaging, Forchheim) Aufnahmen der Brustwirbelsäule angefertigt. Hiefür wurden die anästhesierten Tiere in Bauchlage gelagert. Zur Narkoseeinleitung wurde den Schafen intramuskulär Xylazin (Rompun® 2 %, Bayer Vital, Leverkusen) in einer Dosierung von 0,1 mg/kg und anschließend Ketamin intravenös in einer Dosierung von 5 mg/kg injiziert. Die Anästhesie wurde nach Intubation mit Isofluran (Isofluran-Baxter®, Baxter Deutschland, Unterschleißheim) in einem Sauerstoff-Luft-Gemisch fortgesetzt. Als weiterführende neurologische Diagnostik wurde bei Tier 2 in Vollnarkose eine Elektromyographie (EMG) zur Messung der elektrischen Aktivität der Kopf-, Hals-, Rücken-, und Gliedmaßenmuskulatur durchgeführt. Bei Tier 2 und 3 erfolgte eine Gewinnung von Liquor cerebrospinalis aseptisch aus der Cisterna magna.

Labormedizinische Untersuchungen

Zum Ausschluss stoffwechselbedingter Skelettveränderungen und von Erkrankungen der Muskulatur wurden von allen vier Schafen die Plasmakonzentration von Kalzium, Phosphat, der alkalischen Phosphatase (AP) und der Kreatinkinase (CK) gemessen.

Alle vier Tiere sowie das Mutterschaf von Tier 4 wurden mittels Antikörper-ELISA und PCR (Polymerase Chain Reaction) auf BTV-8 (Bluetongue Virus Serotyp 8) spezifische RNA-Sequenzen sowie mittels BDV- und BVDV-Antigen ELISA auf eine Infektion mit dem Virus der Border Disease bzw. der Bovinen Virusdiarrhoe

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untersucht. Tier 3 wurde zusätzlich immunfluoreszenzmikroskopisch sowie virologisch kulturell auf Border Disease Virus und Tier 1, 2 und 4 qualitativ auf BVDV-Antikörper getestet. Diese Untersuchungen wurden im Institut für Virologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover bzw. im Veterinärinstitut Hannover des Niedersächsischen Landesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit durchgeführt.

Im Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover erfolgte bei allen Tieren eine zytogenetische Untersuchung nach Standardmethoden an Blutlymphozyten einer steril entnommenen Heparinblutprobe. Zum Ausschluss einer Zwickenbildung wurde mittels PCR zusätzlich bei Tier 1 ein Fragment der Größe von 519 Basenpaaren des Y-spezifischen SRY-Gens amplifiziert und auf einem Agraosegel dargestellt.

Alle vier Schafe wurden auf die für das Spider Lamb Syndrome verantwortliche Mutation im FGFR3 Gen (fibroblast growth factor receptor 3 gene) getestet (Beever et al., 2006). Dazu wurden Primer der cDNA Sequenz (Accession Nr. AY737276) verwendet und der Test erfolgte wie bei Drögemüller et al. (2005) beschrieben.

Pathologische Untersuchung

Tier 1 wurde im Alter von 21 Monaten, Tier 2 mit 6 Monaten, Tier 3 mit 4 Monaten mittels intravenöser Injektion von Pentobarbital (Eutha 77® in einer Dosierung von ca.

1,5 ml/ 10kg, Essex Tierarznei, München) euthanasiert. Die pathologisch-anatomische und -histologische Untersuchung sowie die Mazeration von Schädel, Wirbelsäule und Vordergliedmaßen (Tier 1), Wirbelsäule, Vordergliedmaßen und Becken (Tier 2) und Wirbelsäule (Tier 3) erfolgte im Institut für Pathologie bzw. im Anatomischen Institut der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (Mazeration der Knochen von Tier 1). Tier 4 verblieb bis zum jetzigen Zeitpunkt von 4 Monaten in der Klinik für kleine Klauentiere zur Beobachtung der weiteren Entwicklung.

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Anamnese

Das weibliche Milchschaf der Rasse Ostfriesisches Milchschaf, Farbrichtung schwarzbraun (Tier 1) und das Bentheimer Landschaf (Tier 2) wurden mit einer Halsschiefhaltung nach links, die männliche Moorschnucke (Tier 3) mit einer nach rechts gerichteten Halsschiefhaltung und das männliche Rhönschaf (Tier 4) mit einer Skoliose der Brustwirbelsäule geboren. Alle Lämmer zeigten zudem angeborene Verkrümmungen der Vordergliedmaßen. Bei keinem der Elterntiere oder Geschwister (Tier 1: Fünflinge, 2 weiblich, 3 männlich; Tier 2 und 3: Zwillinge; Tier 4: Einling) lagen derartige Veränderungen vor. Beim weiblichen Geschwister von Tier 1 wurde zytogenetisch und molekulargenetisch eine Zwickenbildung diagnostiziert. Laut Angaben der Züchter konnten die Lämmer selbstständig stehen und gehen, Tier 2 und 3 aufgrund der Verkrümmungen der Vordergliedmaßen jedoch nur unter großen Schwierigkeiten. Der Besitzer von Tier 1 berichtete, dass durch eine Schienung der Vordergliedmaßen eine Reduktion der Verkrümmung erzielt worden sei. Während die Geburten von Tier 2 und 3 spontan verliefen, waren bei Tier 1 und 4 manuelle Hilfe notwendig. Alle vier Trächtigkeiten verliefen unauffällig. Soweit die Schafzüchter Auskunft geben konnten, wurde das Mutterschaf von Tier 1 während der Trächtigkeit mit Praziquantel (Cestocur®, Bayer Vital) und Doramectin (Dectomax®, Pfizer, Karlsruhe) und die Mutterschafe von Tier 2 und 4 eventuell mit Moxidectin (Cydectin®) entwurmt und das Mutterschaf von Tier 3 mit Covexin 8® (Essex Tierarznei, München) geimpft.

Die vier Lämmer stammten aus verschiedenen Herdbuchbetrieben mit Herdengrößen von 17 Muttern und einem Bock (Tier 1), 30 Muttern und zwei Böcken (Tier 2), 900 Muttern und 20 Böcken (Tier 3) sowie 25 Muttern und vier Böcken (Tier 4). Die Haltung erfolgte im Stall und auf der Standweide (Tier 1, 2 und 4) bzw. in Form einer Wanderschafhaltung zur Landschaftspflege (Tier 3). Gefüttert wurden Heu, handelsübliches Schafkraftfutter und Mineralfutter sowie zusätzlich Stroh, Weizen, Gerste und Trockenschnitzel (Tier 1 und 4), Grassilage, zeitweise getoastete Süßlupine (Betrieb von Tier 1) und Sojaschrot (Tier 4).

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Soweit es den Schafhaltern bekannt war, traten in der direkten Nachkommenschaft der Eltern der betroffenen Lämmer keine weiteren Missbildungen auf. In früheren Jahren waren in den Herden Lämmer mit Entropium, Unter- und Oberkieferverkürzungen (Betrieb von Tier 1), Unterkieferverkürzung, verkrümmten Gliedmaßen, Amorphus globosus (Gewebegebilde mit amorpher Grundgestalt als Zwilling eines normalen Fetus) (Betrieb von Tier 2), Verkürzungen der Schwanzwirbelsäule, Verschmelzungen von Wirbeln und Rippen, geringgradige Gliedmaßenverkrümmungen, Amelie (vollständiges Fehlen aller Gliedmaßen), Inguinalhernien (Betrieb von Tier 3) sowie Hypospadie (Harnröhrenspalte), Agnathie, Oberkieferverkürzung, Kampylognathie mit Arthrogrypose und isolierte Arthrogrypose aufgetreten (Betrieb von Tier 4). Die arthrogrypotischen Lämmer von Betrieb 4 hatten mütterlicherseits eine gemeinsame Großmutter, waren jedoch mit dem hier beschriebenen Lamm nicht verwandt.

Allgemeine klinische Untersuchung

Die vier Lämmer zeigten zum Zeitpunkt der Aufnahme in die Klinik im Verhalten und in der Allgemeinuntersuchung keine Auffälligkeiten. Vor allem Tier 2 und 3 konnten aufgrund der Missbildungen der Vordergliedmaßen jedoch nur unter Schwierigkeiten aufstehen, stehen und sich fortbewegen. Auch im weiteren Verlauf ruderten Tier 1 und Tier 2 bei Aufstehversuchen aus linker Seitenlage mit den Gliedmaßen. Tier 2 konnte sich aus dieser Position nur unter großen Schwierigkeiten, Tier 1 nicht selbständig erheben. Aus rechter Seitenlage und Brust-Bauchlage war ein Aufstehen problemlos möglich. Tier 3 verweilte bei Aufstehversuchen auf dem rechten Karpalgelenk oder knickte in diesem nach medial ein. Dabei wurde die linke Vordergliedmaße gestreckt nach vorne gehalten.

Tier 1 wies im Alter von neun Monaten eine rechtsseitige mittelgradige Konjunktivitis auf, die im Alter von zehn Monaten rezidivierte. Im Alter zwischen dem 11. und 14.

Lebensmonat erkrankte Tier 1 mehrfach mit inspiratorisch verschärfter Atmung, tracheobronchial geringgradig pfeifenden oder rasselnden Atemgeräuschen, spontanem Husten und sero-mukösem Nasenausfluss.

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Im Alter von fünf Wochen zeigte Tier 4 eine hochgradige respiratorische Symptomatik mit einer Atemfrequenz von 138 Atemzügen in der Minute, einem lauten trachealen Stridor und einem reduzierten Allgemeinbefinden. Auskultatorisch war vorwiegend bronchobronchiolär beidseits ein hochgradiges pfeifendes und giemendes inspiratorisches und mittelgradiges exspiratorisches Atemgeräusch zu hören. Unter Medikation mit den Antibiotika Amoxicillin (Duphamox LA®, Fort Dodge Veterinär) bzw. Oxytetracyclin (Terramycin LA®, Pfizer) und dem Bronchosekretolytikum Bromhexin (Bisolvon®, Boehringer Ingelheim, Ingelheim) über einen Zeitraum von 10 Tagen verbesserte sich lediglich das Allgemeinbefinden. Vor allem bei geringer körperlicher Belastung waren auch elf Wochen nach Beginn der Symptome noch ein trachealer Stridor und Atemnebengeräusche auskultierbar.

In der neurologischen und orthopädischen Untersuchung zeigten alle 4 Schafe aufgrund der Wirbelsäulen- und Gliedmaßenfehlstellungen generalisierte Gangveränderungen mit teilweise Lahmheit einzelner Gliedmaßen. Bei Tier 1 wurde in den schnelleren Gangarten die Bewegung zunehmend unkoordiniert, da das rechte Vorderbein durch seine Rotation im Karpalgelenk an das linke Vorderbein anstieß. Richtungswechsel von Tier 1 erfolgten aufgrund des eingeschränkten Gesichtsfeldes vorwiegend über die linke Seite, obwohl dies auch über die rechte Seite möglich war. Bei Tier 2 erfolgte das Hüpfen auf der linken Vordergliedmaße sowie das Hemiwalking vorne links und hinten rechts verzögert und bei Tier 3 war das Hüpfen auf beiden Vordergliedmaßen nur eingeschränkt möglich.

Bei der neurologischen Untersuchung von Tier 1 fielen zudem eine verzögerte Stellreaktion der rechten Hinterextremität sowie abnorm stark ausgeprägte Reaktionen auf Oberflächen- und Tiefenschmerz (Kneifen des Zwischenklauenbereichs) beider Hintergliedmaßen und des Perianal- und Pannikulusreflexes auf. Beim Führen über ein Hindernis stieß es dieses an. Bei Tier 2 war der Flexorreflex der linken Vordergliedmaße geringgradig reduziert und bei Tier 4 die Unterstützungsreaktion aufgehoben.

Tier 3 bewegte sich im Alter von 3 Monaten zeitweise auf den Karpalgelenken fort, so dass sich dorsal des rechten Karpalgelenks eine Liegeschwiele ausbildete. Das

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Wandhorn aller Klauen von Tier 3 und vor allem beider Klauen der rechten Vordergliedmaße von Tier 4 war im Alter von 3 Monaten stark gewachsen und auf die Sohle umgeschlagen.

Aufgrund ihrer individuellen Erscheinungsbilder und zur besseren Übersicht sind Teile der Ergebnisse für die einzelnen Tiere in Tabelle 2 separat aufgeführt.

Am auffälligsten waren bei den vier Schafen die angeborenen Achsenverkrümmungen der Hals- und/oder Brustwirbelsäule, die Gesichtsskoliose sowie die Arthrogrypose der Vordergliedmaßen. Bei Tier 1 war die Gesichtsskoliose progressiv, während die Gliedmaßenfehlstellungen durch Verbände teilweise korrigiert werden konnten. Vor allem bei Tier 3 und 4 waren die Achsenabweichungen und Arthrogrypose progressiv, die Gesichtsskoliosen und Inkongruenz der Kiefer jedoch nur minimal ausgeprägt.

Bei Tier 1 lag ein Tortikollis mit Rotation der Halswirbelsäule nach links, Neigung des Kopfes nach rechts und geringgradiger Beugung von Hals und Kopf nach ventral (Anterokollis) vor. Die anderen drei Schafe hielten den Hals und Kopf seitlich (Pleurothotonus) nach links (Tier 2, 4) und rechts (Tier 3) aufgrund von Achsenverkrümmungen des kaudalen Bereichs der Hals- und kranialen Bereichs der Brustwirbelsäule (Tier 2 und 3) bzw. Brustwirbelsäule (Tier 4). Bei Tier 4 lag zusätzlich eine Halswirbelsäulenkontorsio nach links vor, wobei es aufgrund der atlanto-okzipitalen Subluxation klinisch nicht zur Schrägstellung des Kopfes kam. Die Lageasymmetrie der Hinterhauptskondylen führte bei Tier 3 zu einer Neigung des Kopfes nach links. Diese Achsenabweichungen hatten bei allen Tieren eine mehr oder weniger starke Einschränkung der Beweglichkeit und Seitwärtsstellung des Halses zur Folge.

Blutchemische Untersuchung

Die Plasmaphosphatkonzentration bei Tier 3 war mit einem Wert von 3,63 mmol/l, die Plasmakalziumkonzentration bei Tier 4 mit 3,59 mmol/l und die Aktivität der Alkalischen Phosphatase mit 401 U/l geringgradig erhöht. Alle anderen Werte lagen im Referenzbereich (Normwerte nach Bickhardt, 2001).

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145 Virologische Untersuchung

In keinem der Betriebe lagen bis zum Zeitpunkt der Geburt der vier Lämmer Hinweise auf Infektionen mit dem Virus der Blauzungenkrankheit oder Pestiviren vor.

Die Untersuchungen auf Infektionen mit diesen Viren verliefen alle negativ.

Zytogenetische Untersuchung

Bei allen vier untersuchten Schafen konnten weder numerische noch strukturelle Chromosomenanomalien gefunden werden. Da beim weiblichen Geschwister von Tier 1 ein Blutchimärismus (Zwickenbildung) diagnostiziert wurde, fiel bei diesem Tier zudem ein besonderes Augenmerk auf die Geschlechtschromosomen. Es wurden nur Metaphasen mit zwei X-Chromosomen (2n=54, XX) nachgewiesen, so dass Tier 1 demnach nicht an der intrauterinen Anastomosenbildung beteiligt war.

Molekulargenetische Untersuchung

Bei Tier 1 konnte kein PCR-Produkt für das Y-spezifische SRY-Gen nachgewiesen werden. Der Nachweis der für das Spider Lamb Syndrome bekannten Mutation im FGFR3-Gen verlief bei allen vier Schafen negativ.

Liquoruntersuchung

Der Liquor cerebrospinalis war bei den untersuchten Tieren (Tier 2 und 3)

Der Liquor cerebrospinalis war bei den untersuchten Tieren (Tier 2 und 3)