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D. Gesamtbetrachtung

III. Zusammenlegung von Aktien (Reverse Stock Split)

Ähnlich dem US-amerikanischen Recht besteht in Ausnahmefällen auch im deutschem Recht die Möglichkeit, die Technik des reverse stock split zu einem Herausdrängen der Minderheitsaktionäre aus der Gesellschaft zu nutzen.534 Auch hier erfolgt bei der Zusam-menlegung von Aktien die angestrebte Verringerung der Zahl der ausgegebenen Aktien und damit auch das Absinken535 der Zahl der Aktionäre durch den „Umtausch“ von mehre-ren „alten“ Aktien in eine „neue“ Aktie derselben Gesellschaft.536 Im Rahmen der Durch-führung eines solchen reverse stock splits müssen sich alle Aktionäre, die über weniger als die festgesetzte Anzahl alter Aktien verfügen, entscheiden, ob sie ihren Aktienbestand durch entsprechende Zukäufe zunächst aufstocken und dann den Umtausch durchführen oder aber den vorhandenen Aktienbestand verkaufen wollen.537

Wenn allerdings ein Ausschluss der Minderheit auf diesem Wege intendiert ist, so wird das Umtauschverhältnis von der Kontrollmehrheit regelmäßig so hoch angesetzt werden, dass es dem Großteil der Minderheitsaktionäre aufgrund ihrer beschränkten Finanzmittel

534 Vgl. hierzu auch oben, 2 Teil, B., III

535 Der Reverse Stock Split wird international verbreitet auch als effiziente going private-Technik vor allem dann einge- setzt, wenn die gesetzlichen Bestimmungen eines Staates bzw. dessen Börsenvorschriften eine automatische Dere-gistrierung der Gesellschaft von der Börse vorsehen, falls die Anzahl der Aktionäre eine bestimmte Mindestzahl unter-schreitet, vgl. z. B. Rule 4310 Subparagraph (c) (6) Marketplace Rules für den Nasdaq Stock Market. In Deutschland ist dieser Effekt nach der momentanen Gesetzeslage allerdings nicht zu erzielen, da § 2 AktG einen Aktionär als ausrei-chend betrachtet und die börsenrechtlichen Vorschriften zur Frage der Mindestaktionärszahl keine Regelungen enthal-ten.

Krieger, in: Münch. Hdb. GesR, Bd. 4 AktG, § 60, Rnr. 5; Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, Bd. IV,

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§ 222, Rnr. 15

537 Beispielhaft wurde ein vergleichbares Vorgehen im Falle der „Hilgers AG“- BGH AG 1999, 517 = DB 1999, 1747- gewählt: Zugrunde lag ein von den Minderheitsaktionären angefochtener Gesellschafterbeschluss über die Herabset-zung des Grundkapitals auf Null bei gleichzeitiger Erhöhung auf ein den Mindestnennbetrag übersteigendes Kapital (§ 228 AktG); dabei sollten die Aktien aus der Kapitalerhöhung, wie die alten Aktien zuvor, mit einem Nennbetrag von 50 DM gestückelt werden. Infolgedessen konnte - ohne einen weiteren Hinzuerwerb von Bezugsrechten - eine neue Aktie nur von Aktionären gezeichnet werden, die Inhaber von 60 Altaktien im Gesamtwert von 3000 DM waren. Im Hinblick auf die Aktionärsstruktur der Gesellschaft musste dies zu einem Ausscheiden einer beträchtlichen Anzahl von Minder-heitsaktionären führen.

nicht möglich sein wird, die für den Umtausch benötigten zusätzlichen Aktien zu erwerben, um weiterhin an der Gesellschaft beteiligt zu bleiben.538

1. Voraussetzungen

Zwingende Voraussetzung für eine Zusammenlegung von Aktien ist nach deutschem Akti-enrecht zunächst einmal die Herabsetzung des Grundkapitals. Sowohl bei der vereinfach-ten (§ 229 AktG), als auch bei der ordentlichen Kapitalherabsetzung (§ 225 AktG) sind dabei zunächst die Nennbeträge der Aktien herabzusetzen. Nach § 222 Abs. 4 Satz 2 AktG ist eine Zusammenlegung der Aktien als weiteres Mittel der Herabsetzung des Grundkapitals erst dann zulässig, wenn der Nennbetrag oder rechnerische Nennwert der einzelnen Aktie unter den Mindestbetrag von einem Euro herabsinkt, § 8 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 3 AktG.539

Dieser gemäß § 222 Abs. 1 Satz 1 AktG mit einer ¾-Mehrheit des bei der Beschlussfas-sung vertretenen Grundkapitals zu fassende Kapitalherabsetzungsbeschluss der Haupt-versammlung bedarf nach der „Sachsenmilch“-Entscheidung des BGH540 keiner sachli-chen Rechtfertigung.541

Die bloße Nennwertherabsetzung gemäss § 222 Abs. 4 Satz 1 AktG als erste Stufe der Maßnahme muss mangels Eingriff seitens der Gesellschaft in das durch die Aktie verkör-perte Mitgliedsschaftsrecht sachlich nicht gerechtfertigt werden: Die Beteiligungsquote und das anteilige Stimmrecht jedes Aktionärs bleiben unverändert, da alle Aktien gleich-mässig von der Herabsetzung betroffen sind.542

Erfolgt auf der zweiten Stufe der Herabsetzung die Zusammenlegung der Aktien (§ 222 Abs. 4 Satz 2 AktG), so bleibt die Beteiligungsstruktur an sich zwar auch erhalten, jedoch führt dies zu einem Eingriff in das Mitgliedschaftsrecht der Aktionäre, wenn diesen nur

Richard/Weinheimer, BB 1999, 1613, 1615; Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, Bd. IV, § 222,

538

Rnr. 17

539 Hüffer, AktG, § 222, Rnr. 23

540 BGH BB 1998, 810 = ZIP 1998, 692, dazu Anm. Thümmel, BB 1998, 911, 912

541 Zustimmend z.B. Hüffer, AktG, § 222, Rnr. 14; Krieger, in: Münch. Hbd. GesR, Bd. 4 AktG, § 60, Rnr. 11; Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, S. 303 ff.; LG Hannover AG 1995, 285, 286; Wirth, DB 1996, 867, 870 f.; a.A. z.B. LG Dresden ZIP 1995, 1596, 1599 f.; OLG Dresden ZIP 1996, 1780, 1782 f.; Martens, in: FS Fischer, S. 437, 445; ders., GmbHR 1984, 263, 269 f.; Wiedemann, ZGR 1980, 147, 157; ders., JZ 1989, 448 f.; diffe-renzierend Lutter, in: Kölner Komm. AktG, § 222, Rnr. 44 ff.

542 Hüffer, AktG, § 222, Rnr. 14, 22; Krieger, in : Münch. Hdb. GesR, Bd. 4 AktG, § 60, Rnr. 11; Lutter, in: Kölner Komm.

AktG, § 222, Rnr. 46

sog. „Spitzen“ verbleiben und ihnen ohne den Erwerb zusätzlicher Aktien infolgedessen der Verlust der Mitgliedschaft droht. Nach Ansicht des BGH ist allerdings auch in diesem Fall die Rechtfertigung der Kapitalherabsetzung in der gesetzlichen Regelung selbst zu sehen, insbesondere in der Subsidiarität der Zusammenlegung, die nur als ultima ratio in Betracht kommt.543 Tritt ein solcher Fall ein, mute das Gesetz dem betroffenen Kleinaktio-när zu, seine Beteiligung entweder durch Zukauf aufrecht zu erhalten oder durch Verkauf der Teilrechte („Spitzen“) abzugeben. Die Situation stellt sich für die Aktionäre auch nicht anders dar als im Falle einer regulären Kapitalerhöhung unter Aufrechterhaltung des ge-setzlichen Bezugsrechts; auch dabei hat der Aktionär nur die Wahl zwischen dem Erwerb zusätzlicher Anteile oder einer Veränderung seiner mitgliedschaftsrechtlichen Position.544 Mit Augenmerk auf eine gemäß § 243 Abs. 2 AktG in Betracht zu ziehende Anfechtbarkeit, stellt der Senat weiter fest, dass es keinen sachwidrigen Sondervorteil darstelle, wenn die Aktien des Mehrheitsaktionärs von der Zusammenlegung nicht oder nur in geringerem Umfang betroffen sind als die der Kleinaktionäre oder wenn nur ihm als alleinigem Inves-tor nach Erwerb der Aktienmehrheit der steuerliche Verlustvortrag zugute kommt.545

Trotz dieser für die einen Ausschluss durch Zusammenlegung von Aktien anstrebende Kontrollmehrheit grundsätzlich positiven Beurteilung durch die obergerichtliche Recht-sprechung, hat der BGH in seiner „Hilgers“-Entscheidung546 einem solchen Vorgehen nen Riegel vorgeschoben. In seinem Urteil, welches zumindest auf den ersten Blick in ei-nem gewissen Kontrast zu der Auffassung des BGH in der eben dargestellten „Sachsen-milch“-Entscheidung steht, hat der Senat diese Verfahrensweise beanstandet und deutlich gemacht, dass die Grundsätze der „Sachsenmilch“-Entscheidung keine Ermächtigung zur Verdrängung von Kleinaktionären darstellen. Seiner Auffassung nach gebietet die auch zwischen den Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft bestehende Treuepflicht547, einem die Hauptversammlung kontrollierenden Mehrheitsaktionär bei einem reverse stock split möglichst vielen Aktionären den Verbleib in der Gesellschaft zu eröffnen. Das Umtausch-verhältnis muss folglich bei einer Zusammenlegung von Aktien stets so gewählt werden, dass möglichst geringe Spitzen entstehen und möglichst viele Minderheitsaktionäre auch

545

543 BGH BB 1998, 810, 811

544 BGH, BB 1998, 810, 811; Hüffer, AktG, § 222, Rnr. 14; Mennicke, NZG 1998, 549 f.; Wirth, DB 1996, 867, 870 f.;

zweifelnd Thümmel, BB 1998, 911, 912; differenzierend Lutter, in: Kölner Komm. AktG, § 222, Rnr. 47 f., der eine Kapi-talherabsetzung durch Zusammenlegung wohl auch ohne sachliche Rechtfertigung als zulässig ansieht, wenn diese das Ziel einer echten Teil-Liquidation verfolge, während er in anderen Fällen eine sachliche Rechtfertigung befürwortet.

BGH BB 1998, 810, 812, 813

546 BGH AG 1999, 517 = ZIP 1999, 1444, dazu Henze, Aktienrecht-höchstrichterliche Rechtsprechung, Rnr. 866 ff.

547 Vgl. dazu schon BGHZ 103, 184, 193 f.; BGHZ 129, 136, 142 f.

ohne Aufwendungen für den Zukauf von Bezugsrechten in der Gesellschaft verbleiben können.548 Um das Entstehen unverhältnismäßig hoher Spitzen zu vermeiden, muss der Nennwert der durch die Zusammenlegung entstehenden neuen Aktien auf den nach § 8 Abs. 2 und 3 AktG gesetzlich zulässigen Mindestnennwert von einem Euro festgesetzt werden, sofern nicht „sachliche Gründe“549 eine abweichende Regelung gebieten550.

2. Folgerungen

Der Kapitalschnitt ist zum einen ein aufwendiges Verfahren551, da im Rahmen eines Kapi-talherabsetzungsbeschlusses entweder die umfassenden Gläubigerschutzvorschriften des § 225 AktG, die eine vorherige völlige Bereinigung der Gläubigerbeziehungen erfor-derlich machen552, beachtet werden müssen (ordentliche Kapitalherabsetzung) oder aber es eines Krisenfalles der Gesellschaft bedarf (vereinfachte Kapitalherabsetzung, § 229 AktG). Zum anderen lässt die Beurteilung des reverse stock splits durch die Rechtspre-chung des BGH eine solche Vorgehensweise nur in Ausnahmefällen zu. Insoweit liegt die deutsche Rechtsprechung damit auf einer Linie mit Teilen der US-amerikanischen Judika-tur.

Die Zusammenlegung von Aktien als Ausschlusstechnik sollte unter den genannten Vor-aussetzungen daher de lege lata nur dann praktiziert werden, wenn ein hinreichender, auch die Interessen der Minderheitsaktionäre berücksichtigender, sachlicher Grund vor-liegt und die angestrebten Vorteile die Risiken sowie den Zeit- und Kostenaufwand sowohl des Kapitalherabsetzungs- als auch des Zusammenlegungsverfahrens rechtfertigen.

548 BGH AG 1999, 517 = ZIP 1999, 1444, 1445

549 Als derartige sachliche Gründe können ausnahmsweise etwa ein über einen längeren Zeitraum durchgängig destruk tives, die Interessen der Gesellschaft nachhaltig beeinträchtigendes Verhalten der Minderheitsaktionäre oder eine dro-hende, nur durch ein verstärktes Engagement des Mehrheitsaktionärs abwendbare Insolvenz der Gesellschaft in Be-tracht kommen, vgl. Henze, Aktienrecht - höchstrichterliche Rechtsprechung, Rnr. 866 ff.

550 BGH AG 1999, 517

551 Vgl. auch Picot/Land, DB 1999, 570, 573

552 Hüffer, AktG, § 225, Rnr. 1; Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, Bd. IV, § 225, Rnr. 1