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D. Gesamtbetrachtung

IV. Mehrheitseingliederung, § 320 AktG

Als eine deutlich probatere Variante des Hinausdrängens von Minderheitsaktionären hat sich die Mehrheitseingliederung gemäß den Vorschriften der §§ 320 ff. AktG erwiesen.

Grundsätzlich differenziert das Gesetz zwischen zwei Formen der Eingliederung: Zum ei-nen die Eingliederung einer 100%-igen Tochtergesellschaft nach § 319 AktG, zum andere-ren die Eingliederung einer mindestens 95%-igen Tochtergesellschaft gemäß § 320 AktG, sog. Mehrheitseingliederung.553

1. Voraussetzungen

Die Mehrheitseingliederung, die in der einzugliedernden Gesellschaft einen Mehrheitsbe-sitz von 95% des Grundkapitals in den Händen des Hauptaktionärs (§ 320 Abs. 1 Satz 1 AktG) und zusätzlich in der Hauptgesellschaft einen ¾-Mehrheitsbeschluss (§ 319 Abs. 2 Satz 2 AktG) erfordert, führt gemäß § 320a AktG mit der Eintragung der Eingliederung in das Handelsregister zum Erwerb sämtlicher Aktien der eingegliederten Gesellschaft durch die Hauptgesellschaft554; eines gesonderten Übertragungsgeschäfts bedarf es hierfür nicht mehr.555

Mit der Wirksamkeit des Eingliederungsbeschlusses (§ 320 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 319 Abs. 7 AktG) wird die eingegliederte Gesellschaft wirtschaftlich als eine Art Betriebsabtei-lung der Hauptgesellschaft556 fortgeführt; ihre Rechtspersönlichkeit bleibt dessen unge-achtet jedoch bestehen.557

Aus den Wirkungen der Eingliederung resultiert unter anderem ein umfassendes Wei-sungsrecht der Hauptgesellschaft nach § 323 AktG einschließlich einer

553 Ausführlich hierzu: Krieger, in: Münch. Hdb. GesR, Bd. 4 AktG, § 73

554 Vgl hierzu auch: Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht, § 320, Rnr. 1 ff; Hüffer, AktG, § 320, Rnr. 1 ff.; Grunewald, in: Geßler/Hefermehl/ Eckardt/ Kropff, AktG, Bd. VI, § 320, Rnr. 1 ff.

555 Hüffer, AktG, § 320a, Rnr. 2; Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht, § 320a, Rnr. 3

556 Begründung des Regierungsentwurfs zu § 325, abgedruckt bei Kropff, Aktiengesetz, S. 429, 431

557 Grunewald, in: Münch. Komm. AktG, Bd. 8, vor § 319, Rnr. 3; Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht,

§ 319, Rnr. 3; zu den damit der Verschmelzung gegenüber bestehenden Vorzügen, wie z. B. Wahrung des good will, Erhalt der Firma und des Vorstandes bzw. des Aufsichtsrats, geringere verkehrssteuerliche Belastung siehe Kop-pensteiner, in: Kölner Komm. AktG, Vorb. zu § 319, Rnr. 8; Krieger, in: Münch. Hdb. GesR, Bd. 4 AktG, § 73, Rnr. 1

fugnis über die vermögensmäßige Substanz der eingegliederten Gesellschaft558 (aller-dings ohne die Schranke des § 308 AktG, die bei Bestehen eines Beherrschungsvertra-ges eingreifen würde), die Haftung der HauptBeherrschungsvertra-gesellschaft für Verbindlichkeiten der eingegliederten Gesellschaft gemäß § 322 AktG sowie die Verpflichtung zum Verlustausgleich nach § 324 Abs. 3 AktG und zu Sicherheitsleistungen gegenüber Gläubigern gemäß § 321 AktG. Hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Auswirkungen steht die Eingliederung somit zwischen Beherrschungsvertrag und Verschmelzung.559

Auch wenn die Eingliederung unter den genannten Voraussetzungen zu einem zwangs-weisen Erwerb der noch außenstehenden restlichen 5% der Aktien der Zielgesellschaft durch die Kontrollmehrheit führt, so können die Minderheitsaktionäre dennoch nicht gegen ihren Willen aus der Gesellschaft hinausgedrängt werden. Die außenstehenden Aktionäre scheiden im Rahmen einer Eingliederung zwar automatisch aus der eingegliederten Ge-sellschaft aus (§ 320a AktG). Gleichwohl ist ihnen als Kompensation für den erlittenen Rechtsverlust nach § 320b Abs. 1 Satz 2 AktG eine angemessene Abfindung zu gewäh-ren, die grundsätzlich in Aktien der Hauptgesellschaft zu bestehen hat. Ist die Hauptge-sellschaft ihrerseits eine abhängige GeHauptge-sellschaft, so steht den ausscheidenden Aktionä-ren (und eben gerade nicht dem Hauptaktionär!) gemäß § 320b Abs. 1 Satz 3 AktG ein Wahlrecht zwischen Aktien der Hauptgesellschaft oder einer angemessenen Barabfindung zu.560

Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut besteht hingegen für die Hauptgesellschaft kei-nerlei Möglichkeit, ausschließlich eine Barabfindung anzubieten; allenfalls kann sie die Abfindung so attraktiv gestalten, dass die Mehrzahl der Minderheitsaktionäre diese Alter-native dem Aktientausch vorzieht.561 Sofern der den Ausschluss betreibende Mehrheitsak-tionär eine ausländische Gesellschaft ist, wird darüber hinaus die Abgabe eines alternativen Barangebots sogar faktisch verpflichtend, da diese nicht selbst als Hauptgesellschaft fun-gieren kann, sondern gezwungen ist, eine von ihr abhängige deutsche AG als

558 Semler, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, Bd. VI, Vor § 319, Rnr. 2; Grunewald, in: Münch. Komm. AktG, Bd.

8, vor § 319, Rnr. 3

559 Krieger, in: Münch. Hdb. GesR, Bd. 4 AktG, § 73, Rnr. 1; Semler in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, Bd. VI, vor

§ 319, Rnr. 2

560 Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht, § 320b, Rnr. 9; Grunewald, in: Münch. Komm. AktG, Bd. 8,

§ 320b, Rnr. 5. Zu den Beschränkungen des Optionsrechtsinhabers bei Mehrheitseingliederung auf einen Abfindungs-anspruch gegen die Obergesellschaft analog §§ 320a, 320b AktG vgl. BGH NZG 1998, 304 („Siemens/Nixdorf“)

561 Kühn, BB 1992, 291, 296, 297

onsvehikel zwischenzuschalten (vgl. § 319 Abs. 1 Satz 1 AktG, nach dem eine Zielgesell-schaft nur in eine AktiengesellZielgesell-schaft mit Sitz im Inland eingegliedert werden kann).

Im Ergebnis hat der Minderheitsaktionär damit in jedem Falle einen unentziehbaren An-spruch darauf, auch nach Umgestaltung seines Eigentumsrechts weiterhin zumindest an der nach der Eingliederung entstandenen Vermögensmasse beteiligt zu bleiben. Aller-dings müssen die Minderheitsaktionäre in Kauf nehmen, dass ihre jetzige Beteiligungs-quote in dem Verhältnis abnimmt, in dem der Gesamtwert des durch die Eingliederung entstehenden Unternehmensverbundes zu dem Wert jenes Unternehmens steht, an dem die Minderheitsaktionäre ursprünglich beteiligt waren.562

Der Mehrheitsaktionär kann zudem - sofern er über die entsprechende Beschlussmehrheit verfügt - ebenso wie im Rahmen eines Unternehmensvertrages und einer Verschmelzung, jedenfalls im Grundsatz zunächst einmal die Bedingungen eines Eingriffs in die Eigen-tumsrechte der Minderheitsaktionäre selbst festsetzen. Etwaige Vetorechte der Minder-heitsaktionäre sind davon abhängig, dass es gelingt, den Vollzug der Eingliederung (bzw.

der Verschmelzung oder des Unternehmensvertrages) durch eine Anfechtungsklage zu blockieren. Zur Durchführung einer Squeeze-Out-Transaktion sind dabei zumindest aus Sicht der Mehrheitsaktionäre die Bestimmungen in §§ 320b Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 3 i.V.m. § 306 AktG äusserst hilfreich, nach denen ein unangemessenes Abfindungsangebot nicht zur Anfechtbarkeit der Eingliederung sondern lediglich zur gerichtlichen Überprüfung im Rahmen eines Spruchstellenverfahrens führt.563

2. Folgerungen

Die Mehrheitseingliederung ermöglicht damit zwar einen Ausschluss von Minderheitsakti-onären aus der Ziel-AG auch gegen ihren Willen in einer Größenordnung von bis zu 5%.

Dies ist aber nur zu dem Preis möglich, dass die Minderheit nunmehr Aktionär der Ober-gesellschaft ist.

Im Rahmen einer Mehrheitseingliederung kommt es daher lediglich zu einer Mediatisie-rung des mitgliedschaftlich vermittelten Einflusses und der Vermögensrechte. Das

562 Wenger/Kaserer/Hecker, ZBB 2001, 317, 326

563 Hüffer, AktG, § 320b, Rnr. 8, 9; Habersack, in: Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht, § 320b, Rnr.

lem der Existenz von Minderheitsaktionären wird damit lediglich auf eine andere Konzern-stufe verlagert. Darüber hinaus verbleibt auch eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich et-waiger Nachzahlungspflichten infolge unangemessener Abfindungen bestehen.

Im Ergebnis führt eine Eingliederung somit nicht zu einem endgültigen Ausschluss der Minderheitsaktionäre. Sie kann deswegen allenfalls als eine Art „beschränkte“

Ausschlusstechnik bezeichnet werden.564