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D. Gesamtbetrachtung

I. Auflösung

1. Beurteilung durch Rechtsprechung und Literatur

So ähnlich die Vorgehensweise im Falle der Auflösung (Dissolution) in den USA und in Deutschland sein mag, so unterschiedlich ist ihre rechtliche Beurteilung insbesondere in der Rechtsprechung. In diesem Zusammenhang sind vor allem die vom BGH in der Ent-scheidung Linotype GmbH/Stempel AG466 entwickelten Grundsätze von Bedeutung.467 Der BGH hat in diesem Urteil die Liquidation der Gesellschaft grundsätzlich für zulässig angesehen und es für unbeachtlich gehalten, dass die Kontrollmehrheit den Beschluss mit dem erklärten und später auch verwirklichten Ziel herbeigeführt hat, wesentliche Teile des Unternehmens zu erwerben und in diesem Zuge die Minderheit auszuschließen. Der BGH konstatierte hier zunächst einmal, dass in dieser Vorgehensweise keine Umgehung der

466 BGHZ 103, 184 = ZIP 1988, 301 = WM 1988, 325 = DB 1988, 593; dazu u.a. Anm. Lutter, ZHR 1989, 446 ff., insb. 450 f.; Anm. Bommert JR 1988, 509; Anm. Wiedemann, JZ 1989, 447; Anm. Timm, NJW 1988, 1582 f.

467 Die Entscheidung „Linotype“ fußt auf der Entscheidung BGHZ 76, 352 ff. = ZIP 1980, 275 aus dem Jahr 1980 –die dort für die GmbH entwickelten Grundsätze wurden auf die AG übertragen; dazu u.a.: Lutter, ZGR 1981, 171, 177 f.; Timm, JZ 1980, 665, 669; Hüffer, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, Bd. V, § 243, Rn. 56

gesetzlichen Vorschriften über die Umwandlung und Verschmelzung zu sehen sei und der durch sie bezweckte Minderheitenschutz nicht unterlaufen werde.468 Der für die Umwand-lung oder Verschmelzung vorgesehene Schutz der RechtstelUmwand-lung der Minderheit könne für die Vermögensübernahme nach Liquidation der Gesellschaft durch den Mehrheitsgesell-schafter nicht gewährt werden, da mit der Auflösung der Gesellschaft der Gesellschafts-zweck beendet werde und der Gesellschafter damit aus der Gesellschaft ausscheide. Ei-ne Ausschließlichkeitswirkung dahingehend, dass die für die Umwandlung und Ver-schmelzung geltenden Regelungen generell die Wertung zum Ausdruck bringen, eine AG könne nur unter Wahrung dieser vom Gesetz zur Gewährung des Minderheitenschutzes vorgesehenen Voraussetzungen fortgeführt werden, gleichgültig auf welchem Weg dieses Ziel angesteuert wird, kommt diesen somit nicht zu.

Ein weiterer wichtiger Schritt im Hinblick auf die Möglichkeit eines Ausschlusses der Min-derheit auf diesem Wege liegt in der Feststellung, dass der mit qualifizierter Mehrheit ge-fasste Auflösungsbeschluss keiner sachlichen Rechtfertigung bedarf und darüber hinaus keiner gerichtlichen Inhaltskontrolle im Hinblick auf seine Erforderlichkeit und Verhältniß-mässigkeit unterliegt.469

Die in der Literatur470 auch schon gegen das Urteil BGHZ 76, 352 vorgebrachten Einwän-de, dass auch bei einer Grundlagenentscheidung wie der Gesellschaftsauflösung die Konkretisierung der unter den Gesellschaftern bestehenden Treuepflicht eine funktions-konforme, die Minderheitsinteressen schonende Kompetenzausübung gebiete und der Auflösungsbeschluss zur Vermeidung von Umwegpressionen nach den Grundsätzen von Erforderlickeit und Verhältnissmäßigkeit einer sachlichen Rechtfertigung unterworfen wer-den soll, wurwer-den vom BGH unter Hinweis auf die bei der Forderung nach einer sachlichen Rechtfertigung eintretende erhöhte Bindung des investierten Kapitals abgetan; das Maß der Bindung gehe über die vom Gesetz aufgestellten Voraussetzungen hinaus und finde darin keine Stütze 471. Ein Auflösungsbeschluss bedürfe, soweit der Gesellschaftsvertrag für die Auflösung nicht weitere Erfordernisse aufstelle, nur der nach dem Gesetz

468 BGHZ, 103, 184, 187 ff.

469 BGHZ 76, 352, 353; BGHZ 103, 184, 189 f.; OLG Stuttgart AG 1994, 411, 412; OLG Stuttgart ZIP 1997, 362, 363;

Lutter, ZHR 1989, 446, 449; Hüffer, AktG, § 243, Rn. 28; Henze, ZIP 1995, 1473, 1475 f.; Friedrich, BB 1994, 89, 93;

a.A. z.B. Wiedemann, JZ 1989, 447, 448

470 Vgl. u.a. Wiedemann, ZGR 1980, 147, 156 f.; ders. JZ 1989, 447, 448; Timm, JZ 1980, S. 665, 669; Lutter, ZGR 1981, 171, 177 ff.; Martens, GmbHR 1984, 265, 269 f.; ders., ZHR 1984, 183, 199; ders., in: FS Fischer, 1979, S. 437, 442 ff.;

Wiedemann/Hirte, ZGR 1986, S. 163, 169;

471 BGHZ 103, 184, 191

lichen Beschlussmehrheit. An weitergehende Voraussetzungen könne er nicht gebunden werden, insbesondere bedürfe er keiner sachlichen Rechtfertigung, „da er seine Rechtfer-tigung in sich trage“.472

Den Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft ist es demgemäß gestattet, mit der gesetz-lichen oder satzungsmäßigen Mehrheit den Gesellschaftszweck zu beenden und auf die-se Weidie-se die mit der Vereinbarung über den Gedie-sellschaftszweck geschaffenen Minder-heitsrechte zu beseitigen.473

Allerdings ist es der Kontrollmehrheit nicht erlaubt, ihr Auflösungsrecht dazu zu missbrau-chen, Sondervorteile zu Lasten der Minderheitsaktionäre zu erlangen. Ein solcher, die An-fechtungsmöglichkeit nach § 243 Abs. 2 AktG eröffnender Missbrauch kann nach Ansicht des BGH entgegen einiger Stimmen in der Literatur474 nicht schon darin gesehen werden, dass die Kontrollmehrheit mit der Auflösung und Liquidation nicht das Ziel verfolgt, das in-vestierte Kapital liquide zu machen und für andere Investitionen freizustellen, sondern vielmehr die Möglichkeit der Auflösung der Gesellschaft von vorneherein dazu nutzt, de-ren Vermögen aus der Liquidation zu übernehmen und auf diese Weise die Minderheits-gesellschafter aus der Gesellschaft zu entfernen.475 Die gesetzliche Folge der Auflösung, die Abwicklung, treffe die Aktionäre nach dem Maß ihrer Beteiligung rechtlich in gleicher Weise. Die Beendigung des Gesellschaftszwecks befreie das Kapital von seiner gesell-schaftlichen Bindung. Das Gesetz enthalte keine Anhaltspunkte dafür, dass der Mehr-heitsgesellschafter sein von der Bindung frei gewordenes Kapital nicht in den Erwerb des Liquidationsvermögens oder wesentlicher Teile davon investieren dürfe.476

Die auch zwischen den Aktionären bestehende gesellschaftsrechtliche Treuepflicht477 ver-letzt die Kontrollmehrheit vielmehr erst dann, wenn diese den geplanten späteren Erwerb mit dem Vorstand schon vor der Auflösung derartig fest vereinbart hat, dass eine Über-nahme durch einen Dritten rechtlich ausgeschlossen ist.478 Der Mehrheitsaktionär handelt also treuwidrig, wenn der Minderheitsgesellschafter eine Möglichkeit zur Übernahme des Gesellschaftsvermögens schon deshalb nicht hat, weil die Kontrollmehrheit mit dem Vor-stand bereits vor der Beschlussfassung Absprachen getroffen und Verhandlungen über

472 BGHZ 76, 352, 353; BGHZ 103, 184, 190

473 BGHZ 103, 184, 190; BGHZ 76, 352, 353

474 Vgl. z.B. Timm, JZ 1980, 665, 669 f.; Lutter, ZGR 1981, 171, 177 ff.; Hirte, Bezugsrechtsauschluss und Konzernbildung, S. 150 f.

475 BGHZ 103, 184, 191 f.

476 BGHZ 103, 184, 193.; BGHZ 76, 352, 354

477 Vgl. BGHZ 103, 184, 195. ; BGHZ 129, 136, 142 f.; BGH NJW 1992, 3167, 3171; Timm, NJW 1988, S. 1582, 1583;

Lutter, ZHR 1989, 446, 455

478 BGHZ 103, 184, 193; OLG Frankfurt WM 1991, 681; Henze, ZIP 1995, 1473, 1477

eine Übernahme geführt hat. Dies stelle einen den Minderheitsaktionär schädigenden Sondervorteil i.S.d § 243 Abs. 2 AktG dar.479 In diesem Zusammenhang sei auch dann ei-ne Treuepflichtverletzung gegenüber der Minderheit zu bejahen, wenn andere Umstände vorlägen, die - ähnlich vertraglichen Bindungen - eine ausreichend sichere Grundlage für den alleinigen Erwerb durch den Mehrheitsgesellschafter bildeten und den Ausschluss Dritter von der Übernahmemöglichkeit garantierten.480 Unbeachtlich sein soll hierbei aller-dings, wenn der Minderheitsgesellschafter tatsächlich, etwa aus finanziellen Gründen, nicht in der Lage ist, den Unternehmensteil zu erwerben.481

Der BGH stützt damit die Angreifbarkeit des Auflösungsbeschlusses auf ein Vorverhalten, das die von ihm im Liquidationsverfahren als abschließende Regelung des Minderheiten-schutzes verstandenen Vorschriften über die Gesellschaftsabwicklung (§§ 264 ff AktG) außer Kraft setzt oder zu setzen geeignet ist. In derartigen Fällen sind die Abwickler der Gesellschaft nicht mehr in der Lage, die ihnen obliegende Aufgabe zu erfüllen, die Gesell-schaft unter Ausnutzung der durch den Preiswettbewerb gegebenen Marktmöglichkeiten zur Erzielung eines optimalen Liquidationserlöses abzuwickeln.482 Dieses Verständnis ist den Versuchen der US-amerikanischen Rechtsprechung vergleichbar, den Schutz der ausgeschlossenen Minderheit zumindest unter dem Gesichtspunkt des fair price wahrzu-nehmen.