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D. Gesamtbetrachtung

I. Auflösung

2. Folgerungen

Der BGH hat somit die Liquidation der Gesellschaft grundsätzlich für zulässig angesehen und es für unbeachtlich gehalten, dass die Kontrollmehrheit den Beschluss mit dem er-klärten und später auch verwirklichten Ziel herbeigeführt hat, wesentliche Teile des Unter-nehmens zu erwerben und die Minderheit in diesem Zuge auszuschließen. Eine Verlet-zung der dem Mehrheitsgesellschafter gegenüber der Minderheit obliegenden Treupflicht liegt nach seiner Ansicht erst dann vor, wenn bereits vor dem Auflösungsbeschluss Maß-nahmen ergriffen werden, mit denen das Abwicklungsverfahren ganz oder teilweise

479 BGHZ 76, 352, 355 f.; BGHZ 103, 184, 193

480 BGHZ 103, 184, 193 f.; zu den Voraussetzungen der „tatsächlichen Absprache“ vgl. OLG Frankfurt ZIP 1991, 657, 661

481 BGHZ 103, 184, 192

482 Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen im GmbH-Recht, S. 160 f.; aber: Bommert, JR 1988, 509

weggenommen und dadurch dem gesetzlichen Auflösungs-und Liquidationsverfahren die Grundlage entzogen wird.

Diese Feststellungen stehen geradezu konträr zu der überwiegenden Ansicht in der an-sonsten nicht immer minderheitenfreundlichen US-amerikanischen Rechtsprechung. Die-se hält eine Auflösung der GeDie-sellschaft mit dem einzigen Ziel des AusschlusDie-ses einer Restminderheit nicht erst auf einer „zweiten Stufe“, nämlich bei der Frage nach den Um-ständen, unter denen die Übernahme des Gesellschaftsvermögens aus der Liquidation stattgefunden hat, für eine Treuepflichtverletzung des Mehrheitsgesellschafters gegen-über der Minderheit. Sie betrachtet vielmehr schon den logisch vorrangigen Auflösungs-beschluss („erste Stufe“) der Gesellschaft als Treuepflichtverletzung der Mehrheit gegen-über der Minderheit, sofern dieser mit dem einzigen Zweck des freeze-out der Restmin-derheit herbeigeführt wurde.483 Im Gegensatz zur deutschen Rechtsprechung setzen nach Auffassung US-amerikanischer Gerichte die Vorschriften über die Auflösung eine Einstel-lung des Unternehmens voraus; demgemäß dürften sie nicht für eine Übertragung des Unternehmens auf die Kontrollmehrheit ausgenutzt werden.484 In der Auflösung der Ge-sellschaft mit dem Ziel des Ausschlusses wird ein Missbrauch dieses Verfahrens gese-hen.485 Es werden damit zur Begründung der Entscheidungen paradoxerweise in Teilen gerade jene Argumente herangezogen, die dem BGH von einigen Kommentatoren in der deutschen Lit. entgegengehalten wurden.486

Jedenfalls im Kontext eines Ausschlusses im Wege der Auflösung der Gesellschaft zeugt dieser praxisnäher anmutende Ansatz US-amerikanischer Gerichte von einer, vergliche-nen mit dem deutschen Gesellschaftsrecht, weiter fortgeschrittevergliche-nen Konkretisierung der dem Mehrheitsaktionär obliegenden Treuepflichten im US-amerikanischen corporate law.

483 Lebold v. Inland Steel Co., 125 F. 2d 369 (7th Cir. 1941); Weisbecker v. Hosiery Patents, Inc., 356 Pa. 244, 51 A.2d 811 (1947); Kavanaugh v. Kavanaugh Knitting Co., 226 N.Y. 185, 123 N.E. 148 (1919);

484 Theis v. Spokane Falls Gaslight Co., 34 Wash. 23, 74 P. 1004, 1007 (1904); Paine v. Saulsbury, 200 Mich. 58, 166 N.W.

1036 (1918); Lebold v. Inland Steel Co., 125 F. 2d 369, 373 (7th Cir. 1941); Barrett v. Bloomfield sav. Institution, 64 N.J.

eq. 425, 54 A. 543, 549 (Ch. 1903).

485 Kellog v. Georgia-Pacific Paper Co., 227 F. Supp. 719 (W.D.Ark. 1964); Zimmermann v. Tide Water Associated Oil Co.,143 P. 2d 409 (61 Cal.App. 1943); Kavanaugh v. Kavanaugh Knitting Co., 226 N.Y. 185, 123 N.E. 148 (1919);

Paine v. Saulsbury, 200 Mich. 58, 166 N.W. 1036 (1918); In re San Joaquin Light & Power Co., 52 Cal.App. 2d 814, 127 P. 2d 29 (1942); William B. Riker & Son Co. v. United Drug Co., 79 N.J. Eq. 580, 583, 82 A. 930, 931 (1912)

486 Vgl. z.B. Lutter, ZGR 1981, 171, 177 ff., Hirte, Bezugsrechtsauschluss und Konzernbildung, S. 150; Timm, JZ 1980, 665, 669 f.

Der dem fair dealing durchaus vergleichbare Ansatz des BGH bei der Art und Weise der Durchführung der Gesellschaftsauflösung dürfte regelmäßig schon auf beweisrechtliche Probleme stoßen. Sofern die Minderheitsaktionäre überhaupt von Verhandlungen zwi-schen dem Vorstand der Gesellschaft und dem Mehrheitsaktionär erfahren, wird sich der konkrete Inhalt dieser Absprachen ihrer Kenntnis entziehen. Der BGH behilft sich hier, in-dem in der Verweigerung einer Auskunft der Organmitglieder über den Kaufpreis für die Übernahme der Betriebsteile ein Indiz für die Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht erblicken will.487 Damit werden im Ergebnis ebenso wie im US-amerikanischen Recht Publizitätsgesichtspunkte zur Konkretisierung der gesellschafts-rechtlichen Treuepflicht herangezogen. Die Offenlegung aller für die Auflösung der Ge-sellschaft und Liquidation des GeGe-sellschaftsvermögens bedeutsamen Umstände wird zur Grundlage für eine faire Behandlung der Minderheitsaktionäre durch die Mehrheit. Nicht zu verkennen ist allerdings, dass die im deutschen Recht im Rahmen einer Auflösung der Gesellschaft bestehenden Auskunftspflichten im Vergleich zu den sich im US-amerikanischen Recht etwa aus Rule 10b-5 SEA oder Rule 13e-3 SEA ergebenden Publi-zitätspflichten weitaus unbestimmter sind. Gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG besteht ein Anspruch auf Auskunfsterteilung nur insoweit als dies zur „sachgemäßen Beurteilung“ der Auflösungsentscheidung erforderlich ist. Zudem kann die Auskunft nach § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG verweigert werden, „soweit ihre Erteilung nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung geeignet ist, der Gesellschaft oder einem verbundenen Unternehmen einen nicht nur unerheblichen Nachteil zuzufügen.“

Jedenfalls, aus Sicht der deutschen Mehrheitsaktionäre, ist die so entstandene Rechtsla-ge als positiv zu bewerten.

Von den zum Teil erheblichen steuerlichen Implikationen einer Auflösung der Gesellschaft einmal abgesehen, stellt sich bei einer derartigen Form des Ausschlusses für sie nur noch die (mitunter allerdings entscheidende) Frage, ob die Auflösung und Abwicklung der Ge-sellschaft sowie der damit unter Umständen einhergehende Image- und Reputationsver-lust für den einen Ausschluss betreibenden Mehrheitsgesellschafter akzeptabel ist. Bei großen börsennotierten Aktiengesellschaften dürfte dies eher zweifelhaft sein, während es bei einer Vielzahl der eher familiär oder mittelständisch geprägten Aktiengesellschaften, die zum Teil auch im M-Dax, im SMAX, aber auch am Neuen Markt gelistet sind, alles an-dere als ausgeschlossen erscheint.

487 BGHZ, 103, 184, 196

Gerade in den Fällen, in denen die Kontrollmehrheit stärker an bestimmten einzelnen Vermögenswerten, wie z.B. Markenrechten, bestimmten Produktionsmethoden oder Marktpositionen der von ihr erworbenen Gesellschaft als an deren gesellschaftsrechtli-chem Fortbestand interessiert ist, kann insbesondere bei Beachtung der vorgenannten rechtlichen Voraussetzungen ein Ausschluss der Minderheit im Wege der Auflösung ernsthaft in Betracht gezogen werden.

II. Verkauf des gesamten Gesellschaftsvermögens, § 179a AktG

Ein dem US-amerikanischen sale of assets (and liquidation) vergleichbares Ausschluss-instrumentarium im deutschen Recht ist der Verkauf des gesamten Gesellschaftsvermö-gens an die Kontrollmehrheit oder an eine in ihrem Besitz stehende und eiGesellschaftsvermö-gens zu diesem Zweck gegründete Mantelgesellschaft gem. § 179a AktG.488

Nach § 179a AktG i.V.m. § 179 AktG bedarf ein solcher Verkauf der gleichen Mehrheit wie eine Satzungsänderung, mithin also 75 % des bei Beschlussfassung in der Hauptver-sammlung vertretenen Grundkapitals; die Verpflichtung zur Veräußerung des ganzen Ge-sellschaftsvermögens an einen Dritten berührt die Grundlagen der Gesellschaft genauso wie eine Satzungsänderung.489

Regelmäßig wird im Zusammenhang mit der Veräußerung auch die Auflösung der Gesell-schaft beschlossen werden, §§ 179a Abs. 3, 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG; zwingend ist dies je-doch nicht.490

1. Beurteilung durch Rechtsprechung und Literatur

Hinsichtlich der Beurteilung der Vermögensübertragung in Verbindung mit einer Auflösung der Gesellschaft – für diese Gestaltungsform hat sich im Anschluss an Lutter/Drygalla491

488 Zur Abgrenzung inwieweit vorhandenes Restvermögen die Anwendbarkeit des § 179a AktG, also Übertragung des

„ganzen“ Vermögens nicht ausschliesst, vgl. BGHZ 83, 122, 128 - wonach entscheidend ist, ob das vorhandene Ver-mögen ausreicht, den Unternehmensgegenstand weiter zu verfolgen; Hüffer, AktG, § 179a, Rnr. 5; Mertens, in: FS Zöll-ner, Band I, S. 385, 392; Henze, in: FS Boujong, S. 233, 244

489 Hüffer, AktG, § 179a, Rnr. 8

490 Hüffer, AktG, § 179a, Rnr. 20; Lutter/Leinekugel, ZIP 1999, 261, 264; Für die Ausschlusstechnik „Auflösung“ ist dies hingegen denknotwendig zwingend – hierin liegt auch der wesentliche Grund für eine getrennte Abhandlung. Der Ver-fasser verkennt indes nicht, dass die Beurteilungsmaßstäbe zu § 179a AktG und der Auflösung regelmäßig miteinander verzahnt sind.

491 Lutter/Drygalla, in: FS Kropff, S. 193 ff.

die abkürzende Bezeichnung „übertragende Auflösung“ durchgesetzt – durch die Recht-sprechung, insbesondere die „Moto Meter I und II“-Entscheidungen des OLG Stuttgart492 und die „Magna-Media“-Entscheidung des BayOLG,493 galten jedenfalls bis zur jüngsten Stellungnahme des Bundesverfassungsgerichts zunächst im Grundsatz dieselben Über-legungen, die für die Auflösung der Gesellschaft unter Veräußerung eines Teils des Ge-sellschaftsvermögens in der „Linotype/Stempel AG“-Entscheidung des BGH494 als maß-gebend erachtet worden sind: Die „überschießende Innentendenz“ der Verfolgung der Ab-sicht, das gesamte Gesellschaftsvermögen zu übernehmen, möglicherweise unter Auflö-sung der Gesellschaft, und das damit verbundene Ausscheiden der Minderheitsgesell-schafter verleiht dem zur Verwirklichung dieser Zielsetzung gewählten Rechtsinstitut nicht den Charakter einer unzulässigen Umgehung der Vorschriften über die Umwandlung bzw.

Verschmelzung – sie kann weder an der Zulässigkeit der Auflösung der Aktiengesell-schaft, noch der Übertragung ihres Vermögens auf die Kontrollmehrheit etwas ändern. In-soweit unterliegen die an der Vermögensübertragung und Auflösung Beteiligten keinem Typenzwang.495

Eine entsprechende Anwendung der gesetzlichen Regeln des Spruchstellenverfahrens wird entweder schon nicht für möglich gehalten496, oder aber die Existenz eines materiel-len Anspruchs verneint.497 Das Fehlen von Abfindungsansprüchen (vgl. z.B. § 29 Abs. 1 UmwG, § 320b Abs. 1, Sätze 3 und 4 AktG, § 305 AktG) für den Vermögensübernahme-vertrag bei Auflösung der Aktiengesellschaft wird nicht als Anfechtungsgrund angese-hen.498 Zwar bedeute es unter Umständen einen Wertungswiderspruch, nur bei der ei-gentlichen (technischen) Verschmelzung, nicht aber bei der wirtschaftlichen Fusion die Angemessenheit der Barabfindung auf Kosten der Gesellschaft im Wege der

492 OLG Stuttgart, 21. 12. 1993-10 U 48/93, ZIP 1995, 1515 ff. – „Moto-Meter I“; OLG Stuttgart, 4.12.1996-8 W 43/93, ZIP 1997, 362 f. – „Moto-Meter II“, dazu Dreher/Neumann, EWiR 1997, 197

493 BayOLG, 17. 9. 1998-3 Z BR 37/98, ZIP 1998, 2002

494 BGHZ 103, 184; vgl. dazu auch die Ausführungen zur „Auflösung“ einschließlich der dortigen Literaturnachweise.

495 BGHZ 103, 184, 187 ff.; OLG Stuttgart ZIP 1995, 1515, 1518 - mit Verweis auf die Entscheidung „Linotype“; Henze, ZIP 1995, 1473, 1477, 1479; Die Frage, ob die Gestaltungsform der übertragenden Auflösung eine unzulässige Umgehung der Vorschriften des Umwandlungsgesetzes darstellt, wird im Rahmen der „Magna-Media“-Entscheidung des BayOLG ZIP 1998, 2002 ff. nicht erörtert.

496 LG Stuttgart DB 1993, 472, 473 f., zustimmend wohl auch Hüffer, AktG, § 179 a, Rnr. 12 f.: Abfindungsanspruch nach Vorbild des z.B. § 305 AktG nur de lege ferenda möglich; a.A. BayObLG ZIP 1998, 2002

497 OLG Stuttgart ZIP 1997, 362; BayObLG ZIP 1998, 2002, 2004; ebenso: Hüffer, AktG, § 179 a, Rnr. 12; Kraft, in: Kölner Komm. AktG, § 361 Rnr. 2; Kropff, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, § 361, Bd. VI, Rnr. 25; Schaub, NZG 1998, 626; a. A. z.B. Wiedemann, ZGR 1978, 477, 490 f.; Windbichler, AG 1981, 169; Timm, AG 1980, 172, 185; ders.

JZ 1982, 403, 407

498 OLG Stuttgart ZIP 1995, 1515, dazu auch Henze, ZIP 1995, 1473, 1479

lung gerichtlich zu überprüfen.499 Der Gesetzgeber des Umwandlungsgesetzes habe sich jedoch bewusst dafür entschieden, die Minderheitsinteressen stattdessen im Anfech-tungsverfahren zu wahren. Eine planwidrige Regelungslücke, welche es durch eine ana-loge Anwendung der §§ 304 ff AktG, § 305 UmwG zu schließen gelte, liege mithin nicht vor.500 Die Differenzierung stelle allenfalls einen rechtspolitischen Fehler501 dar, verfas-sungsrechtlich (Art. 3, 14 GG) solle sie jedoch nicht zu beanstanden sein, solange durch die Verfahrensausgestaltung der übertragenden Auflösung sichergestellt sei, dass den Minderheitsaktionären mit der Anfechtungsklage ein effektiver Rechtsbehelf gegen eine Beeinträchtigung ihrer Rechtsposition zusteht.502

Es wird zudem ausdrücklich auf das Fragerecht des Aktionärs nach § 131 AktG, die Mög-lichkeit von Beweislasterleichterungen in Gestalt einer Modifizierung der Darlegungslast für den Anfechtungsklägersowie auf die Streitwertspaltung nach § 247 Abs. 2 AktG zur Minderung des Prozesskostenrisikos verwiesen.

Abgesehen von der Möglichkeit der Beschlussanfechtung werde ein weiterer Schutz des Minderheitsaktionärs gegen einen ungerechtfertigt geringen Erwerbspreis durch die auf-grund eines derartigen Verhaltens ausgelösten Schadensersatzansprüche der betroffenen Gesellschaft (§117 Abs. 1, § 93 Abs. 2, § 116 AktG; § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 StGB;

400 AktG) wahrgenommen.503

Auch unter europarechtlichen Gesichtspunkten sei die Entscheidung, die Minderheitsakti-onäre bei der übertragenden Auflösung statt eines Spruchstellenverfahrens auf die An-fechtungsklage zu verweisen, nicht zu beanstanden, da die EU-Fusionsrichtlinie504 weder unmittelbar, noch mittelbar anwendbar sei.505

Der BGH506 hat im Zusammenhang mit einer Vermögensübertragung ohne Auflösung dar-auf verwiesen, dass es zwar rechtspolitisch denkbar sei, widersprechenden Aktionären bei der Übertragung des Gesellschaftsvermögens einen Abfindungsanspruch zu geben, da ein solcher Vertrag mit Rücksicht auf die mit ihm verbundenen Strukturänderungen den

499 BayOLG ZIP 1998, 2002

500 OLG Stuttgart ZIP 1995, 1515, 1518; OLG Stuttgart ZIP 1997, 362; BayOLG ZIP 1998, 2002, 2004

501 BayOLG ZIP 1998, 2002, 2004

502 OLG Stuttgart ZIP 1995, 1515; OLG Stuttgart ZIP 1997, 362; BayOLG ZIP 1998, 2002

503 BayOLG ZIP 1998, 2002, 2005

504 Dritte gesellschaftsrechtliche Richtlinie des Rates der europäischen Gemeinschaften vom 9. 10. 1978 betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften, 78/855/EWG, Abl Nr. L 295, S. 36

505 BayOLG ZIP 1998, 2002, 2005

506 BGHZ 82, 188 – „Hoesch/Hoogovens“

Wert und den inneren Gehalt der Mitgliedschaft unmittelbar beeinträchtigen könne - ver-fassungsrechtlich geboten sei dies jedoch nicht.507

Diese Auffassung hat in der Literatur zu einer heftigen Kontroverse geführt, wobei einige Stimmen zu der Bewertung gelangen, dass es sich heute unter Geltung des neuen Um-wandlungsgesetzes bei der auflösenden Übertragung einerseits und der Verschmelzung bzw. dem Formwechsel andererseits mehr denn je um nahezu austauschbare Vorgänge handele, mit denen sich wirtschaftlich gleiche Ergebnisse herbeiführen lassen508, weshalb ein „Schutz gegen die Flucht aus dem Umwandlungsrecht“509 mit seinem hohen gesetzli-chen Schutzniveau für die Minderheitsgesellschafter befürwortet werden müsse und das Umwandlungsgesetz nicht durch „problematische Konstruktionen“510 umgegangen werden sollte.511 Folgerichtig wird deshalb verlangt, zumindest die Schutzmaßnahmen des Um-wandlungsgesetzes mit seinem System des Berichts (§ 8 UmwG), der Pflicht zur Prüfung des Vorgangs (§§ 9-12 UmwG) und der gerichtlichen Wertkontrolle (§§ 15, 29, 34, 305 ff.

UmwG) entsprechend heranzuziehen.512

Die übertragende Auflösung sei unter Umgehungsgesichtspunkten nicht generell unzuläs-sig - im Hinblick auf den Bestandsschutz der Mitgliedschaft solle sie dann legitim sein, wenn sie dem Zwecke dient, die Trennung von einer wirtschaftlich nicht mehr nennens-werten und daher für die Gesellschaft eher belastenden Minderheit von bis zu 5% herbei-zuführen.513

Unzulänglich hingegen seien die Schutzvorkehrungen im Hinblick auf den Vermögens-schutz, namentlich vor allem der Gesichtspunkt der Sicherung des Liquidationserlöses.

Gesetzliches Leitbild des § 179a AktG sei die Übertragung des Gesellschaftsvermögens auf einen gesellschaftsexternen Dritten, bei der die Gesellschaft bestehen bleibt,

507 Hierzu auch Wiedemann, ZGR 1978, 477, 488, 491 f., m. w. N.

508 Schmidt, ZGR 1995, 675; Wiedemann, ZGR 1999, 857; Lutter/Leinekugel, ZIP 1999, 261; Lutter/Drygalla, in:

FS Kropff, S. 193

509 Schmidt, ZGR 1995, 675, 676

510 Lutter, in: Lutter, UmwG, § 1, Rnr. 21

511 Generelle Kritik an der Methode der übertragenden Auflösung üben auch Wenger/Kaserer/Hecker, ZBB 2001, 317, 326, 327

512 So z.B. Emmerich, AG 1998, 151, 152; Lutter/Drygalla, in: FS Kropff, S. 193, 222; vgl. auch schon Wiedemann, ZGR 1978, 477, 490 f.; Windbichler, AG 1981, 169, Timm, AG 1980, 172, 185; ders., JZ 1982, 403, 407

513 Lutter/Drygalla, in: FS Kropff, S. 193, 220; Emmerich, AG 1998, 151, 152

auch nach § 179a Abs. 3 AktG aufgelöst werden kann.514 Unter Berücksichtigung der Ge-setzes-materialien zum Umwandlungsbereinigungsgesetz515 ist gedachter Regelfall der Norm der Drittverkauf, nicht der Verkauf an den Mehrheitsaktionär und schon gar nicht der Ausschluss einer größeren Anzahl von Minderheitsgesellschaftern.516 Da für diesen ge-setzlichen Normalfall ein Gleichlauf zwischen Mehrheits- und Minderheitsinteressen da-hingehend erreicht wird, einen möglichst hohen Kaufpreis zu erzielen, besteht im Zuge der Vermögensübertragung für ein Spruchverfahren und eine Prüfung durch externe Sachverständige keinerlei Bedürnis.517 Demgegenüber werde im Falle des Verkaufs des Gesellschaftsvermögens an die Kontrollmehrheit dieser Verkaufscharakter von einem po-tenziellen Mehrheits-/Minderheitskonflikt beim Preisbildungsprozess überlagert, weshalb § 179a AktG im Rahmen einer übertragenden Auflösung aus seiner ratio heraus und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen mit gleichrangigen Normen einschränkend aus-gelegt werden müsse.518

Das Bundesverfassungsgericht hat nun in der Begründung zur Ablehnung der Verfas-sungsbeschwerden gegen die „Moto Meter I und Moto Meter II“-Entscheidungen519 des OLG Stuttgart im Anschluss an die Entscheidungen „Feldmühle“520 und „DAT/Altana“521 hierzu unter anderem ausgeführt, dass ein Großaktionär grundsätzlich auf die Aktien der

514 LG Karlsruhe ZIP 1998, 385, 389, dazu Bork, EWiR 1997, 1147; Lutter/Leinekugel, ZIP 1999, 261, 264; Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht, S. 54; Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, S.

179; Lutter/Drygalla, in: FS Kropff, S. 193, 202; Mecke, Konzernstruktur und Aktionärsentscheid, S. 156; a.A. OLG Stuttgart ZIP 1997, 362; Hüffer, AktG, § 179a, Rnr. 1, 12 a; LG Hamburg AG 1997, 238; Heckschen, DB 1998, 1385, 1386; Bungert, NZG 1998, 367-der die Entscheidung des LG Karlsruhe wegen der Übergehung des gesetzgeberischen Willens scharf kritisiert; Sosnitza, NZG 1998, 1003

515 Gesetzesbegründung abgedruckt bei Ganske, Umwandlungsrecht, S. 16

516 LG Karlsruhe ZIP 1998, 385, 387 ff.: Soweit das Umwandlungsbereinigungsgesetz wirtschaftliche Umwandlungen im Allgemeinen und die Vermögensübertragung nach § 179a AktG im Besonderen nicht weiter anspricht, lässt sich dies nicht als bewusste Entscheidung dahingehend deuten, dass hier nach Auffassung des Gesetzgebers ein spezieller Schutz der Minderheitsgesellschafter nicht erforderlich sei. Vielmehr enthält das Umwandlungsbereinigungsgesetz in diesem Punkt eine blosse Nichtregelung (im Ergebnis wohl ebenso Bayer, ZIP 1997, 1613, 1625), die Raum für einen Wertungstransfer aus dem Umwandlungsgesetz lässt.; Wiedemann, ZGR 1999, 857, 864; Lutter/Leinekugel, ZIP 1999, 261, 265; Lutter/Drygalla, in: FS Kropff, S. 193 ff.,

517 Vgl die Nachweise in Fn. 516

518 LG Karlsruhe ZIP 1998, 385; Lutter/Leinekugel, ZIP 1999, 261, 264; siehe auch die Nachweise in Fn. 487; vgl. aber auch BGHZ 82, 188, 193 – „Hoesch/Hoogovens“- wo der Verkauf an den Mehrheitsaktionär zwar als Ausnahmefall ge-sehen wird, jedoch statuiert wird, dass trotz des an sich gegebenen Interessengegensatzes zwischen Mehrheit und Minderheit beim Preisbildungsprozess die Vermögensübertragung nach § 361 AktG a. F. (§ 179a AktG n. F.) „jedenfalls nicht generell durch die Gefahr einer Schädigung der Minderheit gekennzeichnet ist.“

519 BVerfG, 1 BvR 68/95, 1 BvR 147/97 vom 23.8.2000, BB 2000, 2011 ff.

520 BVerfGE 14, 263

521 BVerfGE 100, 289

Minderheitsaktionäre auch im Wege der „übertragenden Auflösung“ zugreifen darf.522 Art.

14 Abs.1 GG schütze zwar auch das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum523 – er schütze Minderheitsaktionäre aber nicht prinzipiell davor, gegen ihren Willen aus der Ge-sellschaft hinausgedrängt zu werden.524 Es sei von Verfassungs wegen auch nicht zwin-gend erforderlich, den Anwendungsbereich von § 179a AktG auf Fälle zu beschränken, in denen das gesamte Vermögen an einen „unbeteiligten Dritten“ veräußert wird.

Ein solches Vorgehen setze jedoch voraus, dass die Minderheitaktionäre für den Verlust ihrer Aktien wirtschaftlich voll entschädigt werden und dies rechtlich auch entsprechend abgesichert ist. Bei der Methode der „übertragenden Auflösung“ müsste daher analog entsprechender Vorschriften des Aktien– und Umwandlungsrecht geprüft werden, ob die Minderheitsaktionäre im Zuge der Veräußerung des gesamten Unternehmens und der Li-quidation für den Verlust ihrer Aktien wirtschaftlich voll entschädigt worden sind.525 Es las-se sich entgegen anderer Auffassungen526 nicht feststellen, dass eine analoge Anwen-dung entsprechender aktienrechtlicher Vorschriften (§ 306 AktG) zwingend ausscheide, weil der Gesetzgeber bei der Novellierung der Vorschrift trotz Kenntnis des Problems auf die Regelung eines Abfindungsanspruchs und Spruchverfahrens verzichtet habe.527 Aus der Gesetzgebungsgeschichte könne man jedenfalls nicht ableiten, dass der Gesetzgeber die Minderheitsaktionäre in diesem Fall um ein gerichtlich nachprüfbares Abfindungsan-gebot habe bringen wollen.528

Dennoch sei es verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten, die Vorschriften über die Abfindungsregelungen oder das Spruchstellenverfahren, insbesondere § 306 AktG ana-log, anzuwenden. Entscheidend sei vielmehr, dass die Rechtsordnung hinreichende Schutzvorkehrungen für die Minderheitsaktionäre bereit halte – diese Voraussetzung wur-de durch die Möglichkeit wur-der Anfechtungsklage als erfüllt betrachtet.529

Mit den grundrechtlichen Anforderungen an eine wirtschaftlich volle Kompensation des Verlustes der Gesellschaftsbeteiligung stehe es allerdings nicht in Einklang, dass es der

522 BVerfG BB 2000, 2011

523 BVerfGE 14, 263, 276 f.; BVerfGE 25, 371, 407; BVerfGE, 50, 290, 339

524 BVerfGE 100, 289, 302 f.; BVerfGE 14, 263, 283 f.

525

Das BVerfG nimmt hierbei insbesondere Bezug auf die Entscheidung OLG Stuttgart ZIP 1997, 362 BVerfGE BB 2000, 2011, 2012

526

527 OLG Stuttgart ZIP 1997, 362, 363 hierzu: „Denn jedenfalls aus der durch das Gesetz zur Bereinigung des Umwand- lungsrechts in das Aktiengesetz neu eingefügten Vorschrift des § 179a AktG, die an die Stelle des § 361 AktG a.F. getre-ten ist, ergibt sich klar, dass der Gesetzgeber bewusst bei Vermögensübetragungen keinen im Spruchverfahren gelgetre-tend zu machenden Anspruch auf angemessenen Ausgleich begründen wollte.“

528 BVerfG BB 2000, 2011, 2013 mit Verweis auf Wiedemann, ZGR 1999, 857, 863

529 BVerfG BB 2000, 2011, 2013

Kontrollmehrheit möglich ist, den Preis für das Gesellschaftsvermögen und damit mittelbar den Liquidationserlös letztlich selbst und ohne jegliche gerichtliche Kontrolle unter Aus-schaltung der Marktmechanismen festzulegen.530 Sollten sich die Gerichte durch das Akti-enrecht an einer solchen Wertkontrolle gehindert sehen, müsste der Weg der „übertra-genden Auflösung“ auf eine aktienrechtliche Anfechtungsklage hin untersagt werden.531

2. Folgerungen

Grundsätzlich lässt sich mit diesem sog. „asset deal“ das Ziel des Mehrheitsaktionärs verwirklichen – er ermöglicht ein vollständiges Hinausdrängen der Minderheitsaktionäre aus der Ziel-AG.532

Im Falle einer sich anschliessenden Auflösung der Gesellschaft nehmen die außenste-henden Aktionäre wie alle anderen lediglich an der Verteilung des nach der Berichtigung der Verbindlichkeiten verbleibenden Abwicklungsüberschusses gemäss § 271 AktG teil, der sich bei einer gleichmäßigen Einlageleistung grundsätzlich nach den Anteilen am Grundkapital richtet, § 272 Abs. 2 AktG. Im Ergebnis besteht für die Minderheitsaktionäre damit ausschließlich ein Anspruch auf Auskehrung des anteiligen Liquidatonserlöses.

Zu einer aus Sicht der Kontrollmehrheit unerwünschten Beteiligung der Minderheitsaktio-näre an der Obergesellschaft kommt es gerade nicht. Zudem lassen sich auf dem Weg der übertragenden Auflösung Unsicherheiten im Hinblick auf etwaige Nachzahlungspflich-ten infolge einer womöglich unangemessenen Abfindungszahlung umgehen.

Zu einer aus Sicht der Kontrollmehrheit unerwünschten Beteiligung der Minderheitsaktio-näre an der Obergesellschaft kommt es gerade nicht. Zudem lassen sich auf dem Weg der übertragenden Auflösung Unsicherheiten im Hinblick auf etwaige Nachzahlungspflich-ten infolge einer womöglich unangemessenen Abfindungszahlung umgehen.