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B. Wirtschaftliche Hintergründe und Motive für den Ausschluss

V. Gemeinsamer Nenner

Bringt man den hinter all den Gründen und Motiven stehenden Grundgedanken auf einen gemeinsamen Nenner, so geht es letztlich fast immer darum, den den Minderheitsgesell-schaftern zugeschriebenen "Lästigkeitswert"45 zu beseitigen.

Der überwiegende Teil der Minderheitsaktionäre betrachtet heutzutage seine Beteiligung an der Gesellschaft als Kapitalanlage, dementsprechend herrscht ein spekulatives Inte-resse vor, welches auf die Maximierung des Kurswertes und der Dividende gerichtet ist.46 Eine konstruktive Einflussnahme eines Minderheitsaktionärs auf die Unternehmenspolitik ist kaum denkbar, zumal bei den meisten Minderheitsaktionären diesbezüglich eher Inte-ressenlosigkeit und Passivität vorherrscht.47

Es genügt aber schon die Opposition einzelner Minderheitsaktionäre, um die Leitung einer Gesellschaft bei einer Vielzahl ihrer unternehmenspolitischen Maßnahmen und Entschei-dungen empfindlich zu stören. Dieser "renitenten Minderheit" sind in den USA mit den im amerikanischen Aktienrecht verankerten Kontrollrechten, insbesondere der „derivative suit“48 und in Deutschland mit der „Anfechtungsklage“49 auch die entsprechenden "Waffen" an die Hand gegeben.

Demgegenüber verfolgt die Kontrollmehrheit häufig das Ziel einer mittel- bis langfristigen Sicherung des Unternehmenserfolges.50 Die Umsetzung der hierzu eingesetzten Unter-nehmensstrategie stellt aus ihrer Sicht im Interesse der Erhaltung und Förderung des Un-ternehmens eine wirtschaftliche Notwendigkeit dar. Die Kontrolle durch vorhandene Min-derheitsaktionäre wird dabei häufig als lästig oder unangenehm empfunden. Um sich die-ser unangenehmen Kontrolle zu entledigen wird die den Ausschluss betreibende Mehrheit bestrebt sein, die Gesellschaft direkt zu kontrollieren und wirtschaftliche Entscheidungen

45 Boujong, in: FS Kellermann, S. 1, 3; Kühn, BB 1992, 291

46 So auch BGHZ 120, 141, 151 = ZIP 1992, 1728; dazu Martens, EWiR 1993, 323; Land/Hasselbach, DB 2000, 557, 562;

Kossmann, NZG 1999, 1198, 1200; Kühn, BB 1992, 291; Schiessl, AG 1999, 442, 451; Großfeld, Aktiengesellschaft, Unternehmenskonzentration und Kleinaktionär, S. 19 f.; Eisenberg, The Legal Roles of Shareholders and Management in Modern Corporate Decisionmaking, 57 Cal.L.Rev., 1, 27 (1969); Borden, Going Private – Old Tort, New Tort or No Tort, 49 N.Y.U.L.Rev., 987, 1007 (1974)

47 BGHZ, 120, 141, 151; Kühn, BB 1992, 291; Großfeld, Aktiengesellschaft, Unternehmenskonzentration und

Kleinaktionär, S. 25; Carney, Fundemental Corporate Changes, Minority Shareholders and Business Purposes, 69 Am.B.Found.Res.J., 107 (1980); Sinclair Oil Corporation v. Levien, 280 A.2d 717 (Del. 1971)

48 Zur derivative suit vgl. statt vieler Cox/Hazen/O´Neal, Corporations, S. 395 ff.; Merkt US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 473 ff.

49 Allgemein zur Anfechtungsklage vgl. statt vieler Hüffer, in: Münch. Komm. AktG, §§ 243 ff.. Ausführlich zur Problematik der Anfechtungsklage vgl. auch unten 4. Teil, B.

50 Unter anderem wird deshalb auch häufig die Thesaurierung des Gewinns einer Dividendenausschüttung vorgezogen.

flexibel und unabhängig von den Interessen der Minderheitsaktionäre treffen zu können.

Von diesem Standpunkt aus betrachtet kann somit schon die bloße Existenz von Minder-heitsgesellschaftern zu einem Schaden der Gesellschaft führen.51

Obwohl es bei Ausschlussvorgängen regelmäßig zu einer erheblichen Belastung des Un-ternehmens aufgrund eines hohen Organisations- und Kostenaufwandes, sowie eines großen Prozessrisikos kommt, kann es aus den dargelegten Gründen trotz alledem güns-tiger sein den Ausschluss der Minderheitsgesellschafter zu betreiben, als dieselben in der (übernommenen) Gesellschaft dulden.52

51 Kossmann, NZG 1999, 1198, 1200

52 Gilson, The Law and Finance of Corporate Acquisition, S. 857 hierzu: „There is a reason to believe that the freezeout price may be higher than the implicit price of allowing the minority to remain.“

2. Teil

Der Ausschluss von Aktionären im US-amerikanischen Recht

Das US-amerikanische Aktien- und Gesellschaftsrecht eröffnet der Kontrollmehrheit ver-schiedene Wege, um sich unliebsamer Minderheitsaktionäre zu entledigen. Im folgenden sollen die wichtigsten zum Zwecke des Ausschlusses erdachten und angewandten Me-thoden erläutert und ihre Beurteilung insbesondere durch die Rechtsprechung sowie ihre Auswirkungen auf die Stellung der Minderheitsaktionäre dargestellt werden. Entsprechend der praktischen Relevanz wird der Schwerpunkt hierbei vor allem in der Betrachtung des US-amerikanischen Fusionsverfahrens, der zum Schutz der Minderheit heranziehbaren bundesrechtlichen Vorschriften Rule 10b-5 und Rule 13e-3, sowie der einzelstaatlichen Schutzinstrumente "appraisal right" und "entire fairness test" liegen.

A. Auswahl des Landesrechts

Das förderale System der USA sieht eine verfassungsmäßige Teilung der Regelungskom-petenzen zwischen Bund und Einzelstaaten vor.53 Das die Gesellschaften (business orga-nizations) betreffende Recht liegt dabei genau im Grenzbereich zwischen bundesstaatli-cher und einzelstaatlibundesstaatli-cher Regelungskompetenz. Während die Regelungen des zwi-schenstaatlichen und internationalen Handels und damit auch die Kontrolle des Kapital-marktes und die Regelungen des Wertpapierhandels dem Bund obliegen,54 haben die Einzelstaaten die Regelungskompetenz im Bereich des eigentlichen Gesellschaftsrechts und regeln demzufolge die Rechtsverhältnisse der in ihrem Bundesstaat inkorporierten Gesellschaften, insbesondere deren Satzung, sowie die Rechte und Pflichten ihrer Orga-

53 Zur förderalen Kompetenzverteilung in den USA vgl. Abernathy, Law in the United States, S. 315 ff.

54 Diese Regelungskompetenz des Bundes wird auf die sog. „commerce clause“ der amerikanischen Verfassung gestützt (U.S. Const. Art. 1 § 8, cl. 3); dazu auch Abernathy, Law in the United States, S. 327 ff. und 787 ff.; Merkt,

Der Bund hat hiervon auch wiederholt Gebrauch gemacht: wichtige Beispiele sind u.a. der

Securities Act von 1933 ( 15 U.S.C.A. §§ 77a – 77aa) und der Securities Exchange Act von 1934 (15 U.S.C.A.

§§ 78 – 78jj)

ne und Aktionäre.55 Dementsprechend findet sich in den USA in jedem Bundesstaat ein eigenes Gesellschaftsrecht, d.h. insgesamt also 50 teilweise nicht unerheblich differieren-de business corporation statutes. Vor diesem Hintergrund wurdifferieren-de unter Vereinheitli-chungsgesichtspunkten zwar ein einheitliches „Modellgesetz“ geschaffen, nämlich der Model Business Corporation Act (M.B.C.A.), der von einem Ausschuss der American Bar Association (ABA) im Jahre 1946 verfasst und seitdem mehrfach abgeändet worden ist;

es orientieren sich aber nur etwa 2/3 aller Staaten mehr oder minder stark am M.B.C.A.

bzw. an dessen im Jahre 1984 erlassenen Nachfolger dem „Revised Modell Business Corporation Act“ (R.M.B.C.A).56

Das Hauptaugenmerk wird dabei bezüglich der US-amerikanischen Rechtslage während der gesamten Arbeit auf die Regelungen in Delaware, New York und Kalifornien, sowie dem M.B.C.A. bzw. R.M.B.C.A. gerichtet werden.

Die Auswahl der drei Staaten erfolgt in erster Linie aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeu-tung und/oder ihres Einflusses auf das Aktienrecht.

Das Delaware General Corporation Law (Del.Gen.Corp.L.) ist dabei zunächst wegen sei-ner überragenden Bedeutung, die insbesondere aus der Anzahl der Inkorporationen57 und dem umfassendsten Fallrecht herrührt, von besonderem Interesse. Nach dem Recht von Delaware ist die Mehrzahl der größten US-amerikanischen Gesellschaften, namentlich die an der New York Stock Exchange notierten und in der Fortune 500 Liste geführten, ge-gründet worden.58 Dies hat unter dem Regime der in fast allen Staaten der USA befolgten

55 Das X. Amendment zur Verfassung lautet: „The powers not delegated to the United States by the Constitution, nor prohibited by it to the States, are reserved to the States respectively, or to the people." Die Zuständigkeit der Einzel-staaten ergibt sich deshalb daraus, dass der Bund nur in den in der Verfassung ihm ausdrücklich zugewiesen Fällen die Regelungskompetenz besitz und es an einer solchen Zuweisung im Bereich des Gesellschaftsrecht gerade fehlt. Im Falle der Überschneidung von Regelungskompetenzen kann der Bund das in Frage stehende Sachgebiet an sich zie-hen - eine eigene Regelung der Einzelstaaten ist dann nach der sog. „supremacy clause“ der Verfassung (U.S. Const.

Art. 6 cl. 2) ausgeschlossen, sog. „preemption doctrine“.

56 Goldstein/Elliot, The Revised Model Business Corporation Act, 38 Bus.Law., 1019 (1983); Eisenberg, The MBCA, 29 Bus.Law., 1407 (1974); Henn/Alexander, Laws of Corporations, S. 8 f. Fn. 15; Cary, Federalism and Corporate Law, 83 Yale L.J., 663 (1974); Campbell, The MBCA, 11 Bus.Law., 98 (1956); Garret, MBCA, 6 Bus.Law., 1 (1950)

57 Die entscheidungserheblichen Faktoren für die Wahl des Gründungsstaates sind aufgezählt bei Henn/Alexander, Laws of Corporations, S. 179 ff.; siehe auch Cary, Federalism and Corporate Law, 83 Yale L.J., 663, 671

58 Bebchuk, Federalism and the Corporation: The Desirable Limits on State Competition in Corporate Law, 105

Harv.L.Rev., 1437, 1443 (1992); Henn/Alexander, Laws of Corporations, S. 7 f.; Jennings, Federalization of Corporation Law, 31 Bus.Law., 991, 992 f. (1976); Eisenberg, The Legal Roles of Shareholders and Management in Modern Corpo-rate Decisionmaking, 57 Cal.L.Rev., 1, 61 Fn. 184 (1969); Cary, Federalism and CorpoCorpo-rate Law, 83 Yale L.J., 663, 671 (1974)

Gründungstheorie59 die Anwendbarkeit des Gesellschaftsrechts von Delaware zur Folge.60 Diese überragende Rolle lässt sich auch daran ablesen, dass neue Gesetzesregelungen und Gerichtsentscheide in Delaware nicht selten von anderen Bundesstaaten bzw. deren Gerichten unverändert übernommen werden und die Praxis diese Rechtslage als de-facto Bundesstandard ansieht.61

Von besonderer Bedeutung ist zum einen das New York Business Corporation Law (N.Y.Bus.Corp.L.) aufgrund des traditionellen Wirtschaftszentrums New York, zum ande-ren der California Corporation Code (Cal.Corp.Code) im - nicht zuletzt infolge der in den letzten Jahren angesiedelten IT-Branche - wirtschaftlich stark expandierenden Kalifornien.

Die Berücksichtigung des M.B.C.A. bzw. R.M.B.C.A. liegt deshalb nahe, weil diese Mo-dellgesetze zahlreichen Aktiengesetzen mehr oder weniger als Vorbild gedient haben.

Über die wirtschaftliche Bedeutung hinaus spiegeln sich in diesen Regelwerken aber auch unterschiedliche Tendenzen und Ansätze zur Lösung des Konfliktes zwischen Mehrheits-macht und Minderheitenschutz auf dem Gebiet des Beteiligungsschutzes wider. Während die Aktiengesetze des Bundesstaates Delaware als eher liberal und (zu?!)

59 Hierunter wird die kollisionsrechtliche Regel verstanden, dass das Gesetz des Inkorporationsstaates bundesweit auf die inneren Angelegenheiten einer corporation anzuwenden ist. Damit müssen die übrigen Staaten die durch das Aktien gesetz des Gründungsstaates festgelegten Rechtsverhältnisse auch dann respektieren, wenn die Gesellschaft außer-halb ihres Inkorporationsstaates geschäftlich tätig ist. Instruktiv z. B. Reese/Kaufman, The Law Governing Corporate Af-fairs, 58 Colum.L.Rev., 1118, 1121 ff., 1144 (1958); Conard, An Overview of the Laws of Corporations, 71 Mich.L.Rev., 623, 634 ff. (1973); Twitchell, The Myth of General Jurisdiction, 101 Harv.L.Rev., 610, 633 (1988); Beveridge, The Inter-nal Affairs Doctrine: The Proper Law of a Corporation, 44 Bus.Law., 693 (1989); vgl. auch Bungert, Die GmbH im US-amerikanischen Recht – close corporation, S. 103 f., m.w.N.

60 Eine Ausnahme hierzu bilden New York und Kalifornien. Diese beiden Staaten dehnten den Anwendungsbereich einiger aktienrechtlicher Vorschriften auf die sog. "pseudo-foreign corporations" aus, vgl. §§ 1315-1320 N.Y.Bus.Corp.L., § 2115 Cal.Corp.Code - für Einzelheiten siehe Halloran/Hammer, Section 2115 of the New California General Corpration Law, 23 U.C.L.A.L.Rev., 1282 (1976); Latty, Pseudo-Foreign Corporations, 65 Yale L.J., 137 (1955); Note, Corporations: Do-mestic Regulation of Foreign Corporations, 47 Cornell L.Q., 273 (1962); auch Conard, an Overview of the Laws of Cor-porations, 71 Mich.L.Rev., 623, 635 (1973); Loss, The Conflict of Laws and the Blue Sky Laws, 71 Harv.L.Rev., 209, 216 ff. (1957); Das Recht des Inkorporationsstaates wird insoweit verdrängt, vgl. Western Air Lines, Inc. v. Sobieski, 191 Cal.App. 2d 399 (1961). Zu den dabei auftretenden gesetzestechnischen, kollisionsrechtlichen und verfassungsrechtli-chen Schwierigkeiten vgl. Halloran/Hammer, Section 2115 of the New California General Corpration Law, 23 U.C.L.A.L.Rev., 1282, 1294 f. (1976); Latty, Why are Business Corporation Laws largely “Enabling”, 50 Cornell L.Q. 599, 612 ff. (1965); Bungert, Die GmbH im US-amerikanischen Recht – close corporation, S. 106 ff.

61 Zu der Entwicklung und den Gründen hierfür vgl. Reimann, Einführung in das US-amerikanische Privatrecht, S. 238;

Seiler, Freezeout von Minderheitsaktionären, S. 27, 53; Cary, Federalism and Corporate Law, 83 Yale L.J., S. 663, 666 ff. spricht von einem "race for the bottom" (1974); Jennings, Federalization of Corporation Law, 31 Bus.Law., S. 991 (1976); Conard, An Overview of the Law of Corporations, 71 Mich.L.Rev., 623 (1973); Comment, Law for Sale, 117 U.Pa.L.Rev., 861 (1969), vgl. auch schon Ligget Co. v. Lee, 288 U.S. 517, 559 (1933), wo von Judge Brandeis von einem "race of laxity" gesprochen wird. Demgegenüber aber Bebchuk, Federalism and the Corporation: The Desirable Limits on State Competition in Corporate Law, 105 Harv.L.Rev., 1437 (1992); Winter, The “Race for the Top” Revisited, 89 Colum.L.Rev., 1526 (1989)

freundlich angesehen werden62, gilt das Aktienrecht von Kalifornien als besonders innova-tiv und eher minderheitenfreundlich.63 Demgegenüber wird dem Bundesstaat New York ein modernes, hinsichtlich des Beteiligungsschutzes zwischen diesen beiden Extremen stehendes, relativ ausgewogenes Aktienrecht bescheinigt.64

Mit der Auswahl dieser einzelstaatlichen Aktiengesetze können insoweit alle für den Aus-schluss von Aktionären bedeutsamen Entscheidungen und Entwicklungen bzw. Tenden-zen abgedeckt werden, weshalb es weder erforderlich, noch im Rahmen dieser Arbeit möglich ist, auf die in den Regelungen der 50 Staaten zum Ausdruck kommende Vielfalt des amerikanischen Aktien- bzw. Gesellschaftsrechts einzugehen. Die für diese Arbeit er-forderliche und nützlicherweise einheitliche bzw. exemplarische Behandlung soll aller-dings nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der Praxis eine exakte und strenge Beach-tung der zahlreichen einzelstaatlichen Ausprägungen und Besonderheiten unverzichtbar ist.