Eine rechtsvergleichende Untersuchung nach US-amerikanischem und deutschem Recht
Dissertation
zur Erlangung des Doktorgrades der Rechtswissenschaft an der Universität Konstanz
Fachbereich Rechtswissenschaft
vorgelegt von Mario Weiss
Tag der mündlichen Prüfung: 07. Juli 2003
Erstgutachten: Prof. Dr. Andreas Fuchs
Zweitgutachten: Prof. Dr. Rainer Hausmann
Meiner Mutter
Vorwort
Diese Arbeit lag der Universität Konstanz im Wintersemester 2001/2002 als Dissertation vor. Neuere Entwicklungen in Rechtsprechung und Literatur konnten bis Februar 2002 berücksichtigt werden.
Danken möchte ich an erster Stelle meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Andreas Fuchs, LL.M., der die Anregung zu dem Thema gegeben und das Fortkommen der Arbeit in vielfältiger Weise gefördert hat. Herrn Prof. Dr. Rainer Hausmann bin ich für die Erstellung des Zweitgutachtens ebenfalls zu großem Dank verpflichtet.
Ganz besonders Danken möchten ich meinem Freund Peter Jochen, meiner Freundin Sintje Lessner sowie ihrer Mutter Barbara Lessner, die die Mühen des Korrekturlesens auf sich genommen haben und der Arbeit dadurch zu einem deutlich besseren Erscheinungsbild verholfen haben. Ihnen und vielen anderen Freunden, die sich beim Lesen dieses Vorwortes angesprochen fühlen, habe ich darüber hinaus viel Motivation und Energie zu verdanken.
Nur schwer in Worte zu fassen ist der Dank an meine Mutter, die zur Fertigstellung dieser Arbeit nicht nur durch unermüdliches nächtelanges Formatieren sondern vor allem durch ihre stetige liebevolle Unterstützung seelischer, geistiger und finanzieller Art wesentlich beigetragen hat. Ihr ist das Werk gewidmet.
Stuttgart, im August 2003 Mario Weiss
Inhaltsverzeichnis
1. Teil
Einführung und Grundlagen
A. Der Ausschluss von Aktionären: Problemstellung ... 2
B. Wirtschaftliche Hintergründe und Motive für den Ausschluss... 4
I. Zweistufige Unternehmensübernahmen bzw. Unternehmenszu- sammenschlüsse... 5
II. Übernahme der Tochter- durch die Muttergesellschaft (Parent-Subsidiary Merger bzw. Merger of long-term Affiliates)... 8
III. Going Private ... 8
IV. Weitere Einzelmotive... 12
V. Gemeinsamer Nenner ... 13
2. Teil Der Ausschluss von Aktionären im US-amerikanischem Recht
A. Auswahl des Landesrechts ... 15B. Ausschlusstechniken ... 18
I. Dissolution ... 19
II. Sale of Assets ... 21
III. Reverse Stock Split ... 24
IV. Merger ... 25
1. Statutory bzw. Straight Merger... 26
a) Long-Form-Verfahren... 26
b) Short-Form-Verfahren ... 28
2. Triangular Merger ... 28
a) Forward Triangular Merger ... 29
b) Reverse Triangular Merger... 30
3. Ausgestaltung des Ausschlusses... 31
a) Ausschluss durch Debt Merger... 33
b) Ausschluss durch Cash-out Merger... 33
c) Ausschluss durch Short-Form Merger ... 34
C. Schutzinstrumente der Minderheitsaktionäre gegen einen Freeze-out... 34
I. Rechtsbehelfe der Minderheitsaktionäre im Überblick ... 36
II. Bundesrecht ... 39
1. Überblick über das Federal Securities Law ... 39
a) Securities Act 1933 (SA 1933)... 41
b) Securities Exchange Act 1934 (SEA 1934)... 42
2. SEC Rule 10b-5 ... 43
a) Überblick über den Anwendungsbereich ... 44
aa) Purchasers an Sellers... 44
bb) Material Information... 44
cc) Scienter ... 45
dd) Reliance and Causation... 45
ee) Rechtsfolgen und Privatklagerecht ... 46
b) Entwicklung von Rule 10b-5 ... 47
c) Verstoß gegen Rule 10b-5 ... 49
3. SEC Rule 13e-3 ... 51
a) Überblick über den Anwendungsbereich ... 52
b) Publizität aller bedeutsamen Informationen ... 53
c) Nutzen von Rule 13e-3... 55
4. Zusammenfassung ... 56
III. Einzelstaatliches Recht ... 57
1. Das gesetzliche Abfindungs- und Austrittsrecht (Appraisal Right)... 58
a) Regelungsziel... 60
b) Anwendungsbereich ... 60
aa) De Facto Merger Doctrin ... 61
bb) Merger ... 62
cc) Triangular Merger ... 63
dd) Sales of Assets... 64
ee) Reverse Stock Split bzw. Dissolution... 64
c) Ausnahmen – Market-out Exception... 65
d) Verfahren ... 67
e) Bewertung der Beteiligung ... 70
aa) Delaware Block Valuation Method (Delaware Block Method)... 71
aaa) Net Asset Value Method (Substanzwertmethode) ... 72
bbb) Market Value Method (Marktwertmethode) ... 74
ccc) Earnings Value Method (Ertragswertmethode)... 76
bb) Neuere Ansätze... 78
cc) Ausgewählte besondere Bewertungskriterien ... 79
aaa) Minderheitenabschlag ... 79
bbb) Einbeziehung von Synergieeffekten... 80
f) Die Exklusivität des Abfindungsrechts (Exclusivity of Statutory Appraisal Rights) ... 81
aa) Exklusivität bei unangemessener Anteilsbewertung infolge von Treuepflichtverletzungen ... 85
bb) Stellungnahme... 86
g) Kosten ... 88
h) Zusammenfassung... 90
2. Umfassende Fairness gegenüber den Minderheitsaktionären (Entire Fairness) ... 91
a) Die Ausformung der fiduziarischen Treuepflichten ... 92
b) Inhalt und Umsetzung des Fairnessgedankens ... 93
c) Entire Fairness Test ... 95
aa) Fair Dealing ... 95
bb) Fair Price ... 95
d) Fairnesskriterien... 96
e) Folgen einer Nichtbeachtung der Fairness ... 99
3. Legitimer wirtschaftlicher Zweck (Business Purpose)... 100
4. Zusammenfassung ... 102
D. Gesamtbetrachtung ... 103
3. Teil Der Ausschluss von Minderheitsaktionären im deutschen Recht
A. Bestandsaufnahme ... 107B. Ausschlusstechniken ... 109
I. Auflösung ... 109
1. Beurteilung durch Rechtsprechung und Literatur ... 109
2. Folgerungen ... 112
II. Verkauf des gesamten Gesellschaftsvermögen, § 179a AktG... 115
1. Beurteilung durch Rechtsprechung und Literatur ... 115
2. Folgerungen ... 121
III. Zusammenlegung von Aktien (Reverse Stock Split)... 124
1. Voraussetzungen ... 125
2. Folgerungen ... 127
IV. Mehrheitseingliederung, § 320 AktG ... 128
1. Voraussetzungen ... 128
2. Folgerungen ... 130
V. Verschmelzung, §§ 2 ff. UmwG ... 131
1. Voraussetzungen ... 131
2. Folgerungen ... 133
VI. Formwechsel; §§ 190 ff. UmwG ... 134
1. Voraussetzungen ... 134
2. Folgerungen ... 135
VII. Unternehmensvertrag; §§ 291 ff AktG... 136
C. Zusammenfassung ... 137
4. Teil Der Ausschluss von Minderheitsaktionären nach dem §§ 327a ff. AktG
A. Hintergrund des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz ... 140I. Bisherige Rechtslage in Deutschland ... 140
II. Vorgaben auf europäischer Ebene ... 142
B. Vorteilhaftigkeit – juristische gesamtwirtschaftliche Implikationen... 144
C. Verfassungsmässigkeit... 155
I. Beeinträchtigung des mitgliedschaftlichen Bestandsinteresses... 155
II. Schutz des Vermögensinteresses ... 158
D. Ablauf des Ausschlussverfahrens im Überblick... 160
E. Einzelne tatbestandliche Voraussetzungen... 161
I. Hauptaktionär i. S. d. § 327a AktG ... 162
II. Anwendung auf die KGaA ... 162
III. 95%-ige Beteiligungsquote... 163
1. Pflichtangebot (§§ 35 ff. WpÜG) ... 166
2. Freiwilliges Übernahmeangebot (§§ 29 ff. WpÜG)... 167
3. Kein Übernahmeangebot, kein öffentliches Angebot oder öffentliches Angebot zum Erwerb von Wertpapieren (§§ 10 ff. WpÜG) ... 168
F. Erreichen der Beteiligungsquote ... 169
I. Berechnung der Beteiligungsquote, § 327a Abs. 2 i.v.m. § 16 Abs. 2, 4. AktG... 169
II. Special Purpose Vehicles... 171
1. Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss – schrittweise Annäherung an den Schwellenwert ... 172
2. Holding, Pool und Stimmrechtsbindung ... 174
G. Mitteilungspflichten entsprechend §§ 20 AktG, 21 WpHG ... 177
H. Beschränkung auf börsennotierte Gesellschaften... 178
I. Vorheriges öffentliches Übernahmeangebot ... 182
J. Beschluss der Hauptversammlung... 183
I. Grundlagen oder Strukturentscheidung... 183
II. Sinn und Zweck eines Hauptversammlungsbeschlusses... 188
III. Vergleich zur Eingliederung... 190
IV. Problem: Art. 14 GG... 192
V. Alternativen ... 194
1. Entscheidung des Landgerichts am Sitz der Gesellschaft... 194
2. Antragsvoraussetzungen ... 195
3. Rechtsschutz ... 196
VI. Zusammenfassung... 198
K. Sachliche Rechtfertigung des Ausschlusses... 198
L. Angemessene Abfindung der Minderheit ... 200
I. Art der Abfindung ... 201
II. Bemessung der Höhe der Barabfindung – Unternehmensbewertungsgutachten... 202
1. Berücksichtigung des Börsenkurses ... 203
2. Die Sondersituation der §§ 327a ff. AktG... 205
III. Exkurs: Bemessung der Höhe der Barabfindung -
die Regelung des § 327b Abs. 1 Satz 3 AktG-RegE... 208
1. „Angebot“ nach dem WpÜG... 212
2. Erlangung der Hauptaktionärsstellung „aufgrund“ eines Angebots nach dem WpÜG ... 213
3. Verfassungskonformität nach § 327b Abs. 1 Satz 3 AktG... 215
4. Gesetzestechnische Alternative ... 218
5. „Als angemessene Barabfindung anzusehen“... 219
6. Fazit ... 223
IV. Einbeziehung von Synergieeffekten ... 223
M. Sicherung der Abfindung, § 327b Abs. 3 AktG... 228
N. Angemessenheitsprüfung der Barabfindung ... 229
O. Ergänzende steuergesetzliche Regelung... 232
P. Spruchverfahren ... 232
Q. Rechtsübergang ... 240
R. Übertragung anderer Wertpapiere und Ansprüche ... 241
S. Verhältnis der neuen Ausschlussregelung zu anderen Gestaltungsvarianten ... 244
I. Verhältnis zu § 179a AktG... 244
II. Verhältnis zur Eingliederung... 245
T. Zusammenfassung und Ausblick ... 246
5. Teil
Rechtsvergleichende Schlussbetrachtung
Rechtsvergleichende Schlussbetrachtung... 248Abkürzungsverzeichnis
A. Atlantic Reporter/Annotated
a. A. anderer Ansicht
A. 2d Atlantic Reporter, Second Series a. a. O. am angegebenen Ort
ABA American Bar Association
abgedr. abgedruckt
abl. ablehnend
Abs. Absatz (Absätze)
abw. abweichend
a. F. alte Fassung
aff´d affirmed
AG Aktiengesellschaft; Die Aktiengesellschaft
(Zeitschrift); Amtsgericht
AktG Aktiengesetz
ALI American Law Institute
allg. allgemein
allgM allgemeine Meinung
Alt. Alternative
Am. American
Am.B.Found.Res.J. American Bar Foundation Research Journal
Amend. Amended/Amendment
Am.J.Comp.L. American Journal of Comparative Law
amtl. amtlich
Amtl. Begr. Amtliche Begründung
Anh. Anhang
Anm. Anmerkung
Ann. Annotated/Annotation
Ann.Surv.Am.L. Annual Survey of American Law
App. Appelate/Appeal(s); Appendix
App.Div. Appellate Division
Ark. Arkansas
Art./art Artikel; Article(s)
Aufl. Auflage
BayOLG Bayerisches Oberstes Landesgericht BayOLGZ Entscheidungen des Bayerischen Obersten
Landesgerichts in Zivilsachen
BB Der Betriebsberater
Bd. Band (Bände)
Begr. Begründung
Bek. Bekanntmachung
bes. besondere(r), besonders
BGBl. Bundesgesetzblatt
BGH Bundesgerichtshof
BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen
Bl. Blatt
BörsZulV Börsenzulassungsverordnung
BörsG Börsengesetz
BöZ Börsenzeitung
BR-Drucks Bundesrats-Drucksache
Bsp. Beispiel(e)
BT-Drucks Bundestags-Drucksache
Bus. Business
Bus.Law. The Business Lawyer
BVerfG Bundesverfassungsgericht
BVerfGE Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts
bzgl. bezüglich
bzw. beziehungsweise
C. Code
C.A. Court of Appeal(s)
ca. circa
Cal. California; California Reports Cal. 2d California Reports, Second Series Cal. App. California Appelate Reports
Cal. App. 2d California Appelate Reports, Second Series Cal.Corp.Code California Corporation Code
Cal.L.Rev. California Law Review Cal.Rep. California Reporter
CCA Capital Consumption Adjustment
C.C.D… Circuit Court for the District of …
CCH Commerce Clearing House
C.D. Central District
cert. certioari
C.F.R. Code of Federal Regulation
Ch. Chancery/Chancery Court/Chancery Division
ch. Chapter
Chi.Kent L.Rev. Chicago Kent Law Review
Cir. Circuit
Civ./civ. Civil
Cl./cl. Claims/clause
Co. Company
Colo. Colorado
Colum.L.Rev. Columbia Law Review
Cong. Congress
Conn. Conneticut Cons. Consolidated
Const. Constitution
Cornell L.Rev. Cornell Law Review Corp. Corporation(s)
Ct. Court
Ct.App. Court of Appeals
Ct.Cl. Court of Claims
D. District, (Federal) District Court
DB Der Betrieb
D.C. District Court
Dec. Decision(s)
Del. Delaware; Delaware Reports
Del.Ch. Delaware Chancery Court
Del.Code Ann. Delaware Code Annotated
Del.Gen.Corp.L. Delaware General Corporation Law Del.J.Corp.L. Delaware Journal of Corporate Law Del. Sup. Delaware Supreme Court
dens. denselben dergl. dergleichen
Ders./ders. derselbe
d. h. das heißt
Dies./dies. dieselbe(n)
DiskE Diskussionsentwurf
Diss. Dissertation
Distr. District
Div. Division
DnotZ Deutsche Notar-Zeitschrift
Dok. Dokument(e)/Dokumentation
DStR Deutsches Steuerrecht
Duke L.J. Duke Law Journal
E. East(ern)
Ed./ed. Edition/Editor(s)
E.D. Eastern District
EG Europäische Gemeinschaften
Einf. Einführung
Einl. Einleitung
Emory L.J. Emory Law Journal
entspr. entsprechen(d), entspricht
Entw. Entwurf
ErgBd. Ergänzungsband
EU Europäische Union
evtl. eventuell
EWiR Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht
ex rel. ex relatione
F. Federal/Federal Reporter
f., ff. folgende(r)/(s)
F. 2d Federal Reporter, Second Series
Fed.Reg. Federal Register
Fed.Sec.L.Rep. Federal Securities Law Report
FGG Gesetz über die Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit
Fla. Florida
Fn. Fußnote
FR Federal Register
F.R.D. Federal Rules Decisions
FS Festschrift
F.Supp. Federal Supplement
Ga. Georgia
GAAP Generally Accepted Accounting Principles
gem. gemäß
Geo. George
Geo.Wash.L.Rev. George Washington Law Review GesR Gesellschaftsrecht
ggf. gegebenenfalls
GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbHG Gesetz betreffend die Gesellschaften mit
beschränkter Haftung
GmbHR GmbH-Rundschau
Gov. Government
grdsl. grundsätzlich
Grosskomm. Großkommentar
Harv.L.Rev. Harvard Law Review Haw. Hawaii
Hdb. Handbuch
h. L. herrschende Lehre
h. M. herrschende Meinung
Hrsg. Herausgeber
hrsgg. herausgegeben
HS Halbsatz
HV Hauptversammlung
i.d.F. in der Fassung
i.d.R. in der Regel
i.E. im Ergebnis
i.e. im einzelnen
i.e.S. im engeren Sinne
Ill. Illinois
Ill.B.J. Illinois Bar Journal
Ill.Bus.Corp.Act Illinois Business Corporation Act
Inc./inc. Incorporated
Ind. Indiana
insbes. insbesondere
Int./int. international
i.R. im Rahmen
I.R.C. Internal Revenue Code
I.R.S. Internal Revenue Service
i.R.d. im Rahmen des (der)
i.S.d. im Sinne des (der)
i.S.v. im Sinne von
i.ü. im übrigen
i.V.m. in Verbindung mit
i.w.S. im weiteren Sinne
J. Journal
JR Juristische Rundschau
Jur. Jurisprudence
jur. juristisch
JW Juristische Wochenschrift
JZ Juristenzeitung
Kan. Kansas
KfH Kammer für Handelssachen
KG Kammergericht; Kommanditgesellschaft
KGaA Kommanditgesellschaft auf Aktien
Komm. Kommentar
KonTraG Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich
krit. kritisch
Ky. Kentucky
L. Law(s) Law & Contemp.Probl. Law and Contemporary Problems
LBO Leveraged Buyout
Leg./leg. Legal/Legislation/Legislature
LG Landgericht
lit. litera
L.J. Law Journal
L.Q. Law Quarterly
L.Rev. Law Review
Ltd./ltd. limited
M & A Mergers and Acquisitions Man. Manual
Marq.L.Rev. Marquette Law Review
Mat. Materials
Mass. Massachusetts
M.B.C.A. Model Business Corporation Act
MBO Management Buyout
Md. Maryland
M.D. Middle District
Me. Maine
Mich. Michigan
Mich.L.Rev. Michigan Law Review Minn. Minnesota
Miss. Mississippi
Mo. Missouri
Münch. Münchener
m.w.N. mit weiteren Nachweisen
N. North(ern)
Nachw. Nachweis(e)
NASD National Association of Securities Dealers NASDAQ National Association of Securities Dealers
Automated Quotations Systems
N.C. North Carolina
N.C.L.Rev. Northern Carolina Law Review
N.D. Northern District/North Dakota
N.E. North Eastern Reporter
N.E.2d North Eastern Reporter, Second Series
Neb. Nebraska Nev. Nevada
n.F. neue Fassung
N.H. New Hampshire
N.J. New Jersey
NJW Neue Juristische Wochenschrift
N.Ky.L.rev. Northern Kentucky Law Review
No. Number
Nr. Nummer
N.W. North Western Reporter
N.W.2d North Western Reporter, Second Series Nw.U.L.Rev. Northwestern University Law Review
N. Y. New York; New York Reporter
N. Y. 2d New York Reporter, Second Series N.Y.Bus.Corp.L New York Business Corporation Law
N.Y.S. New York Supplement
N.Y.S.2d New York Supplement, Second Series N.Y.U.L.Rev. New York University Law Review NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht
obj. objektiv
öffentl. öffentlich
OHG Offene Handelsgesellschaft
OLG Oberlandesgericht
OLGZ Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen
P. Pacific Reporter
p. page(s)
P.2d Pacific Reporter, Second Series
Pa. Pennsylvania
Pa.Bus.Corp.L. Pennsylvania Business Corporation Law
Pol. Politics
pub. Public
Pub.L. Public Law
Q. Quarterly
Rec. Record(s)
Ref./ref. Reference
RefE Referentenentwurf
Reg. Regulation(s)
RegBegr. Regierungsbegründung RegE Regierungsentwurf reh´g denied rehearing denied
Rep. Reporter/Reports
Rev. Review
rev´d revised
RG Reichsgericht
RGBl. Reichsgesetzblatt
RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in
Zivilsachen
RIW Recht der internationalen Wirtschaft R.M.B.C.A. Revised Model Business Corporation Act
Rnr. Randnummer
Rspr. Rechtsprechung
S. Satz/Seite(n)/South(ern) s. siehe/section(s)/sentence(s)
SA / S.A. Securities Act of 1933
S.C. South Carolina
S.Cal.L.Rev. Southern California Law Review
S.Ct. Supreme Court/Supreme Court
Reporter/Superior Court
S.Ct.Rev. Supreme Court Rev.
S.D. Southern District/South Dakota
S.E. Southern Reporter
S.E.2d Southern Reporter, Second Series
SEA / S.E.A. Securities Exchange Act of 1934
SEC Securities and Exchange Commission
Sec./sec. Section(s)/Securities
seq. sequi
Ser. Series
Serv. Service
Sess. Session
s.o. siehe oben
So. Southern Reporter
So.2d Southern Reporter, Second Series
sog. sogenannt
Sp. Spalte
Stanford L.Rev. Stanford Law Review
stdg. ständig(e)
str. streitig
st.Rspr. ständige Rechtsprechung
s.u. siehe unten
subj. subjektiv
Sup.Ct. Supreme Court/Superior Court
Super. Superior
Super.Ct. Superior Court
Supp. Supplement
S.W. South Western Reporter
S.W.2d South Western Reporter, Second Series Sw.L.J. Southwestern Law Journal
Sw.U.L.Rev. Southwestern University Law Review
teilw. teilweise
Tenn. Tennessee
Tex. Texas
Tit./tit. Title(s)
U. University/Uniform
u. unten
u.a. unter anderem
U.Chi.L.Rev. University of Chicago Law Review UCLA L.Rev. University of California at Los Angeles
Law Review
U.Ill.L.Rev. University of Illinois Law Review
U.L.A. Uniform Laws Annotated
UmwBerG Umwandlungsbereinigungsgesetz
UmwG Umwandlungsgesetz
UmwR Umwandlungsrecht
Unif./unif. Uniform/unified
unstr. Unstreitig
U.Pa.L.Rev. University of Pennsylvania Law Review US/U.S. United States/United States Reports USC/U.S.C. United States Code
USCA/U.S.C.A. United States Code Annotated
usw. und so weiter
u.U. unter Umständen
v. von, vom; versus
Va. Virginia
Va.L.Rev. Virginia Law Review
Vand.L.Rev. Vanderbilt Law Review
Var. Variante
Vgl./vgl. vergleiche
Vol. Volume(s)
Vorb. Vorbemerkung(en)
W. West(ern)
Wash. Washington
Wash.Lee L.Rev. Washington and Lee Law Review
Wash.U.L.Q. Washington University Law Quarterly
W.D. Western District
Wis. Wisconsin
Wis.L.Rev. Wisconsin Law Review
WM Wertpapiermitteilungen
w.N. weitere Nachweise
WpHG Wertpapierhandelsgesetz
Yale L.J. Yale Law Journal
z.B. zum Beispiel
ZBB Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft ZGR Zeitschrift für Unternehmens- und
Gesellschaftsrecht
ZHR Zeitschrift für das gesamte Handels- und
Wirtschaftsrecht
Ziff. Ziffer(n)
ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
zit. zitiert
z.T. zum Teil
zust. zustimmend
zutr. zutreffend
1. Teil
Einführung und Grundlagen
Zum 01.01.2002 ist das am deutschen Kapitalmarkt mit Spannung erwartete Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unterneh- mensübernahmen (Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz; kurz WpÜG) in Kraft getreten.
Mit dieser immense wirtschaftliche Interessen berücksichtigenden Neuregelung versucht die Bundesregierung der dynamischen Marktentwicklung im Bereich mergers & acquisiti- ons Rechnung zu tragen und verbindliche Rahmenbedingungen für die (vollständige) Übernahme von Publikumsgesellschaften zu schaffen, wie sie in den USA und in vielen europäischen Ländern bereits seit langem explizit reglementiert sind.
Die wesentlichen Regelungskomplexe dieses Gesetzes betreffen die Einführung eines Pflichtangebots bei Kontrollerwerb, die Kodifizierung von Verhaltenspflichten der Verwal- tungsorgane in der Situation einer tender offer und nicht zuletzt das Recht des Hauptaktionärs, Minderheitsgesellschafter gegen Zahlung einer angemessenen Barabfin- dung aus der Gesellschaft auszuschließen.
In dem vorliegenden Beitrag wird der dieses Ausschlussrecht betreffende Regelungskom- plex den bislang de lege lata bestehenden Möglichkeiten zur Durchführung einer vollständigen Übernahmen von Aktiengesellschaften gegenübergestellt und mit den auf dem größten Markt für corporate control, den USA, zur Verfügung stehenden Techniken verglichen.
Dabei wird vor allem auf die noch bestehenden Defizite der Ausschlussregelung sowie auf die ihr immanenten Risiken hinsichtlich einer möglichen Übervorteilung der auszuschlies- senden Aktionäre fokussiert.
In diesem Zuge wird auch auf die möglichen Auswirkungen und Konsequenzen des
Ausschlussrechts für den deutschen Kapitalmarkt und Markt für corporate control, ebenso wie auf die Implikationen für gesamtwirtschaftliche Effizienz, Vorteilhaftigkeit und den Schutz von Aktionärsminderheiten in Deutschland und den USA einzugehen sein.
A. Der Ausschluss von Minderheitsaktionären: Problemstellung
Der Terminus „Ausschluss von Minderheitsaktionären“ beschreibt in dieser Arbeit eine Strategie, der sich die Kontrollmehrheit (Hauptaktionär, Mehrheitsaktionär) einer Aktien- gesellschaft bedient, um vorhandene Minderheitsaktionäre unter Ausnutzung gesetzlich zulässiger Mittel der Strukturveränderung gegen ihren Willen aus der Gesellschaft hin- auszudrängen.1 Ziel des Ausschlusses ist es, dass die Minderheitsaktionäre ihre Beteili- gung an der Gesellschaft zwangsweise verlieren, mithin also den Mehrheitsaktionär zum Alleinaktionär zu machen.2 Als wirtschaftliches Endresultat wird die alleinige Kontrolle des früheren Hauptaktionärs über die Gesellschaft angestrebt.
Im US-amerikanischen Rechtskreis werden derartige Transaktionen unter dem prägnan- ten Begriff des „freeze-out“ (wörtlich: hinausfrieren) oder auch „squeeze-out“3
(wörtlich: hinausquetschen) abgehandelt.4
1 Choper/Coffee/Gilson, Cases and Materials on Corporations, S. 1068; Solomon/Schwartz/Bauman/Weiss,
Corporations-Law and Policy, S. 1266; Clark, Corporate Law, S. 499; Brudney/Chirelstein, A Restatement of Corporate Freezeouts, 87 Yale L.J. 1354, 1357 (1978); Cary/Eisenberg, Corporations, S. 1517; Land/Hasselbach, DB 2000, 557, 561; Kossmann, NZG 1999, 1198; Ebke, in: Mestmäcker/Behrens (Hrsg.), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im in- ternationalen Vergleich, S. 279, 312; Peltzer, DB 1987, 973, 974; Peters, BB 1999, 801;
2 Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 578; Clark, Corporate Law, S. 500; Land/Hasselbach, DB 2000, 557, 561
3 Die Schreibweise variiert: in der amerikanischen Literatur ist bisweilen „freezeout“ bzw. „squeezeout” oder „freeze out“
bzw. squeeze out" vorzufinden. In dieser Arbeit wird dieselbe Schreibweise wie in Black`s Law Dictionary, nämlich
„freeze-out“ bzw. „squeeze-out“ zugrunde gelegt.
4 Die Begriffe „freeze-out“ bzw. „squeeze-out“ werden überwiegend synoym verwendet, vgl. z.B. Cox/Hazen/O`Neal, Cor porations, S. 610; Borden, Going Private – Old Tort, New Tort or No Tort?, 49 N.Y.U.L.Rev., 987, 988 (1974); Lip- ton/Steinberger, Takeovers and Freeze-outs, Vol. IA, § 9.01 Fn. 1; Land/Hasselbach, DB 2000, 557, 561;
O´Neal, Oppression of Minority Shareholders, S. 2, Fn. 2
Nach der Definition anderer Autoren meint der Begriff „squeeze-out“, dass der Minderheitsgesellschafter nicht auf juris- tisch-technischem Weg zum verlassen der Gesellschaft gebracht wird, sondern man gestaltet ihm den Verbleib in der Gesellschaft rein faktisch so unattraktiv, z.B. durch Verhinderung von Gewinnausschüttungen, dass er die Gesellschaft
„freiwillig“ verlässt, vgl. z.B. Clark, Corporate Law, S. 500; Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 578; Peters, BB 1999, 801; Solomon/Schwartz/Baumann/Weiss, Corporations - Law and Policy, S. 497, Fn. 1; umfassend zum squeeze-out O´Neal, Oppression of Minority Shareholders. Bisweilen werden die squeeze-out- bzw. freeze-out- Techniken noch unter dem neutraleren Begriff „take-out“ zusammengefasst, vgl. etwa Borden, Going Private – Old Tort, New Tort or No Tort?, 49 N.Y.U.L.Rev., 987, 989 (1974); Weiss, The Law of Take Out Mergers: A Historical Perspective, 56 N.Y.U.L.Rev., 624, 625, Fn. 3 (1981)
Nicht zu verwechseln mit einem so verstandenen Ausschlussbegriff ist die Situation, dass die auszuschließenden Aktionäre durch eigenes pflichtwidriges Verhalten oder in ihrer Person begründete Umstände, wie z.B. Säumnis oder Konkurs, einen Grund für ihren Ausschluss gesetzt haben.5
Die so abzugrenzenden Vorgänge zum Ausschluss von Minderheitsaktionären sind von einem massiven Interessenkonflikt zwischen Management bzw. Kontrollmehrheit einer- seits und den Minderheitsgesellschaftern andererseits geprägt. Das Management bzw. die Kontrollmehrheit verfolgt das Ziel, zu einem möglichst geringen Kaufpreis und vorteilhaf- ten Bedingungen in den Besitz sämtlicher Gesellschaftsanteile zu gelangen.6 Konträr hierzu steht das Interesse der Minderheit, ihre Investition in "ihrer" Gesellschaft nicht ge- gen ihren Willen aufgeben zu müssen, zumal sie befürchten muss, dass eine in diesem Fall zu zahlende Abfindung unter Umständen nicht dem wahren Wert ihrer Anteile ent- spricht. Noch weiter verschärft wird diese Interessenkollision dadurch, dass auf beiden Seiten derartiger Transaktionen dieselben Akteure auftreten und diesen somit fast schon automatisch der "Makel des Insichgeschäfts" (self-dealing) anhaftet bzw. der Verdacht oder auch das tatsächliche Risiko einer Übervorteilung der Minderheit besteht (conflict of interests).7 Aufgrund dieser potentiellen Missbrauchsgefahr besteht eine der Haupt- problematiken solcher Ausschlussvorgänge zunächst darin, die Grenzen der im Grund- satz zulässigen Wege der Strukturveränderung einer Gesellschaft auszuloten. Weiter- gehend wird im Kontext mit der Beurteilung eines Ausschlusses von Aktionären damit aber auch stets die Frage nach der Zulässigkeit eigennütziger Transaktionen der Kon- trollmehrheit, letztlich also die Problematik von Umfang und Grenzen der Mehrheitsherr- schaft in Aktiengesellschaften aufgeworfen.
In dieser Konstellation ist es Aufgabe der Rechtsordnung, die widerstreitenden Interessen einem Ausgleich zuzuführen.
5 Für die deutsche Aktiengesellschaft bestehen ausdrückliche gesetzliche Regelungen nur in Form der Kaduzierung,
§ 64 AktG, sowie der Einziehung von Aktien, § 237 AktG. Inwieweit in der AG entsprechend dem Grundgedanken der §§
737, 723 Abs. 1 BGB ein Recht zum Ausschluss aus wichtigem Grund anerkannt werden kann, ist umstritten, vgl. hierzu Grunewald, Der Ausschluss aus Verein und Gesellschaft, S. 52 ff.; Reinisch, Der Ausschluss von Aktionären aus der Ak- tiengesellschaft, 1992; Grunewald, in: FS Claussen, 1997, S. 111 ff., m.w.N.; Becker, ZGR 1986, 383; Röhricht, in: FS Kellermann, S. 361
6 Solomon/Palmiter, Corporations - Examples and Explanations, S. 284; Seiler, Freeze-out von Minderheitsaktionären,
S. 2
7 Solomon/Schwartz/Bauman/Weiss, Corporations - Law and Policy, S. 1267; Solomon/Palmiter, Corporations - Examples and Explanations, S. 284; Clark, Corporate Law, S. 513; Greene, Corporate Freeze-out Mergers: A Proposed
Analysis, 28 Stanford L.Rev., 487, 490 (1976). Grundlegend zum “conflict of interest” und “self-dealing” Clark, Corporate Law, S. 141 ff., 159 ff.
In den USA findet schon seit ca. 30 Jahren eine eingehendere Beschäftigung mit diesem Problemkreis statt. Dies hat seine Gründe in der amerikanischen Unternehmens- landschaft, in der der „market for corporate control“ durch Übernahmen ( takeovers), leve- raged (management)-buyouts, going privates und Restrukturierungen von Gesell-schaften in ständiger Bewegung gehalten wird.8 Hieraus resultieren in den USA fast zwangsläufig eine große Zahl von Rechtsstreitigkeiten und Gesetzesinitiativen, die Probleme des Aus- schlusses zum Gegenstand haben.
In Deutschland hingegen scheint sich erst in den letzten Jahren ein entsprechendes Prob- lembewusstsein zu entwickeln. Kapitalmarkt und Unternehmenslandschaft in Deutschland konnten sich in den letzten Jahren der immer stärker anwachsenden Woge nationaler und internationaler Unternehmenskonzentrationen und der zunehmenden Globalisierung nicht entziehen. Die daraus resultierende Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingun- gen und die damit einhergehende Neu- bzw. Restrukturierung von Unternehmen, Konzer- nen und teilweise ganzer Wirtschaftszweige haben oder werden immer öfter einen Aus- schluss als notwendig erscheinen lassen.
B. Wirtschaftliche Hintergründe und Motive für den Ausschluss
Die wirtschaftlichen Hintergründe und Motive für den Ausschluss sind so vielfältig wie ver- schieden. Grundsätzlich beherrschen aber dieselben Interessenlagen und Hintergründe das Handeln der Kontrollmehrheit sowohl in den USA als auch in Deutschland, so dass eine gemeinsame Abhandlung als gerechtfertigt erscheint.
Hauptanwendungsbereiche für Ausschlussvorgänge sind insbesondere konzerninterne Umstrukturierungen und Unternehmenskäufe – hierbei vor allem die zweistufige Über- nahme und der management buyout -, sowie going private Transaktionen.
8 Während beispielsweise die going private-Bewegung in den 70er Jahren in den USA ihren ersten Höhepunkt erreichte, die in den 80er Jahren von management buyout-Transaktionen überholt wurde, stellt in Deutschland das going private noch eine absolute Ausnahme dar. Vgl. Ebke, ZHR 1991, 132, 134; Richard/Weinheimer, BB 1999, 1613; Lowenstein, Management Buyouts, 85 Colum.L.Rev. 730, 735 f. (1985)
Es lassen sich von daher mehrere wirtschaftliche Konstellationen9 unterscheiden, in de- nen es typischerweise zu einem Ausschluss kommt.
I. Zweistufige Unternehmensübernahmen bzw.
Unternehmenszusammenschlüsse
Der entscheidende Schritt eines Zusammenschlusses oder einer Übernahme, unabhängig davon, ob es sich um eine freundliche Übernahme (friendly takeover), feindliche Über- nahme (hostile takeover) oder einen Zusammenschluss unter Gleichen (merger among equals) handelt, ist die Zusammenführung der Kontrolle über die beteiligten Unternehmen in einer Hand, regelmäßig vermittelt durch die Aktienmehrheit.10 Diese Aktienmehrheit an der Zielgesellschaft (target) gewinnt die übernehmende Gesellschaft entweder selbst oder mittels einer von ihr beherrschten Holdinggesellschaft. Für das Gelingen einer Übernah- me ist somit entscheidend, ob die Aktionäre - im Fall der einseitigen Übernahme die der Zielgesellschaft, im Fall des Zusammenschlusses unter Gleichen die Aktionäre beider Gesellschaften - in genügender Zahl dazu bewogen werden können, ihre Aktien zu ver- äussern beziehungsweise gegen Aktien der neuen Gesellschaft einzutauschen. Befinden sich die benötigten Aktien nicht bereits in der Hand eines verkaufsberechtigten Mehrheits- aktionärs und wären so durch Paketerwerb zu erlangen, ist ein öffentliches Übernahme- oder Umtauschangebot (tender offer) erforderlich.11 Derartige Übernahmeangebote führen
9 Vgl. Greene, Corporate Freeze-out Mergers: A Proposed Analysis, 28 Stanford L.Rev. 487, 491 f. (1976);
Brudney/Chirelstein, A Restatement of Corporate Freezeouts, 87 Yale L.J., 1354, 1356 f. (1978). Zwar standen die ame- rikanischen Gerichte einer typisierten Betrachtung von freeze-outs bisher eher ablehnend gegenüber, vgl. Roland Inter- national Corp. v. Najjar, 407 A.2d 1032, 1034 (Del.1979) während hingegen sowohl der kalifornische Gesetzgeber, als auch die SEC einem typspezifischen Ansatz den Vorzug geben, vgl. § 13e-3g(1) SEA, §§ 1001, 1101, 407 Cal.Corp.
Code. Dennoch ereignen sich freeze-outs zumeist in ähnlichen oder gleichen Fallvarianten, so dass eine typisiertere Betrachtungsweise als gerechtfertigt erscheint (was nicht gleich zu einer Einebnung der von Fall zu Fall bestehenden Unterschiede und Einengung der Flexibilität führen muss, wie wohl von Teilen der amerikanischen Rechtsprechung be- fürchtet), vgl. auch Clark, Corporate Law, S. 514, 515 (siehe dort auch Fn. 7)
10 Zum Komplex der freundlichen, wie feindlichen Unternehmensübernahmen vgl. z.B. Cox/Hazen/O´Neal, Corporations, S. 615 f.; Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 592 f.; Strothmann, Feindliche Unternehmensübernahmen in den USA, 1994; Watter, Unternehmensübernahmen, S. 285 ff.; Herkenroth, Konzernierungsprozesse im Schnittfeld von Konzernrecht und Übernahmerecht, S. 79 ff.
11 In den USA ist das bei tender offers einzuhaltende Verfahren und die bestehenden Publizitätspflichten (nicht dagegen die materiellrechtlichen Rechte und Pflichten der Aktionäre) bundesgesetzlich durch den sog. Williams Act, einem Zu- satz zum Securities Exchange Act von 1934 geregelt, vgl. Securities Exchange Act §§ 13 (d) - (f) und 14 (d) - (f); 15 U.S.C. §§ 78m (d) - (f) und 78n (d) - (f). In Deutschland besteht eine umfassende und verbindliche Regelung dieser Ma- terie erst seit Einführung des Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen (WpÜG) am 1.1.2002.
allerdings fast durchweg nicht dazu, dass sich alle Aktionäre beteiligen und ihre Aktien veräußern oder umtauschen.12 Wesentliches Ziel vieler Zusammenschlüsse ist jedoch, dass der Bieter die Zielgesellschaft als 100 %ige Tochter und in aller Regel als „normale"
Konzerngesellschaft fortführen kann.13 Es besteht häufig somit der Wunsch des Über- nehmers, die Zielgesellschaft vollständig unter seine Kontrolle zu bringen.14 Dies vor al- lem auch deshalb, weil sich viele Unternehmensstrategien15 und sinnvolle, wirtschaftlich notwendige unternehmerische Entscheidungen gegen den Willen von Minderheitsaktionä- ren nicht oder nur äußerst schwer durchsetzen lassen.16
Exemplarisch können in diesem Zusammenhang aufgeführt werden:17
· Die Durchführung riskanter Investitionen oder Transaktionen, die die Verwaltung bzw. der Mehrheitsaktionär mit vorhandenen Minderheitsgesellschaftern nicht wa- gen möchte. In diesem Zusammenhang spielt insbesondere auch in den USA die Haftung des Mehrheitsaktionärs, der Verwaltung und des Übernehmers, nament- lich wegen Verletzung ihrer Treuepflichten (breach of fiduciary duties) gegenüber den Minderheitsaktionären und der Gesellschaft, eine gewichtige Rolle.18 Auch in Deutschland ist das Bestehen einer Treuepflicht der Aktionäre untereinander höchstrichterlich anerkannt worden.19
· Die Hauptaktionärin möchte an den Wertzuwächsen der Gesellschaft zu 100 % partizipieren und sog. "Trittbrettfahrer" ausschließen, die bewusst oder ungewollt
12 Dokumentation über Kaufangebote nach dem Übernahmekodex, WM 1997, 1409 ff.
13 Than, in: FS Claussen, S. 422
14 Solomon/Palmiter, Corporations - Examples and Explanations, S. 284; Ebke, in: Mestmäcker/Behrens (Hrsg.), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, S. 297, 312; Greene, Corporate Freeze-out Mergers:
A Proposed Analysis, 28 Stanford L.Rev. 487, 488 (1976);
15 Vgl. Allgemein zu M&A Aktivitäten: Achleitner, Handbuch des Investment Banking, S. 138 ff.
16 Standpunktpapier der Börsensachverständigenkommission zur künftigen Regelung von Unternehmensübernahmen, Jan. 1999, S. 26. Zur Problematik der Anfechtungsklage im deutschen Recht vgl. unten 4. Teil, B.
17 Vgl. Solomon/Palmiter, Corporations - Examples and Explanations, S. 284, Gilson, The Law and Finance of Corporate Acquisition, S. 854 ff. und die Aufzählung bei: Lipton/Steinberger, Takeovers and Freezeouts, Vol. IA, § 9.01
18 Booth, Management Buyouts, Shareholder Welfare and the Limits of Fiduciary Duty, 60 N.Y.U.L.Rev., 630, 638 ff.;
Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, S. 206 ff.; Hill, The Sale of Controlling Shares, 70 Harv.L.Rev., 986 (1956/57); Sherwin, Creditors Rights against Participants in a Leveraged Buyout, 72 Minn.L.Rev., S.
449, 461 (1988); Insuranshares Corp. V. Northern Fiscal Corp., 35 F.Supp. 22, 25 (E.D. Pennsylvania 1940); Doleman v.
Meiji Mut. Life Ins. Co., 727 F.2d 1480, 1483 f. (9th Cir. 1984); Swinney v. Keebler Co., 329 F. Supp. 216, 224 (D.S.C.
1971); Mc Daniel v. Painter, 418 F.2d 545, 547 (10th Cir. 1970); Estate of Hooper v. Virgin Islands, 427 F.2d 45, 47 (3d Cir. 1969); Swinney v. Keebler Co., 329 F.Supp. 216, 225 (D.S.C. 1971)
19 Vgl. BGHZ 103, 184 = NJW 1988, S. 1579; BGH NJW 1992, S. 3167, 3171; BGHZ 127, 101, 111 = NJW 1994, 3094;
BGHZ 129, 136, 142 f. = NJW 1995, 1739
in der Zielgesellschaft ausharren, um an diesen teilzuhaben (sog. free rider prob- lem20).
· Der ungehinderte Zugriff auf den Gewinn, gegebenenfalls auf die stillen Reserven und den Cash-flow der Zielgesellschaft zwecks Fremdkapitalbesicherung-, bedie- nung und -tilgung zur Finanzierung der Kosten der Übernahme.21 Dies kommt vor allem im Rahmen der sog. (leveraged) management buyouts (mbo´s) zum Tragen, bei denen unter primärem Einsatz von Fremdkapital die Alteigentümer des Unter- nehmens durch das amtierende Management, sowie institutionelle und private In- vestoren substituiert werden.22
· Die Reduzierung von Verwaltungskosten und die Verbesserung des Zugangs der Hauptaktionärin zu den Angelegenheiten der Zielgesellschaft.
· Die Durchführung von Umschuldungsmaßnahmen, wie z.B. das Ersetzen hoher Kapitalkosten durch billigeres Fremdkapital.
· Das Optimieren der Steuerplanung der Zielgesellschaft, einschließlich der Ände- rung der Gesellschaftsform der Zielgesellschaft.
· Die Vermeidung von Veröffentlichungspflichten, insbesondere unter dem Ge- sichtspunkt der Durchführung wichtiger Transaktionen.
· Das Zusammenführen der Zielgesellschaft in ein Joint Venture, welches nur durch eine begrenzte Anzahl von Gesellschaftern geführt werden soll.
Diese beispielhaft aufgeführten unternehmenspolitischen Entscheidungen und Maßnah- men liegen naturgemäß nicht immer im Interesse der verbliebenen Restminderheit der Zielgesellschaft, weshalb häufig versucht wird, sich dieser Minderheit in einem sich an die Akquisition anschließenden zweiten Schritt, z.B. mittels eines back-end merger, zu entle- digen (two-step acquisition).
20 Gilson, The Law and Finance of Corporate Acquisition, S. 855
21 Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, Rnr. 178; Lerbinger, Die Bank 1986, 133; Ebke, ZHR 1991, 132, 134 ff.;
Peltzer, DB 1987, 973; Hitschler, BB 1990, 1877; Lutter/Wahlers, AG 1989, 1 ff. Zu einer erheblichen Steigerung des Cash-flow kommt es dabei durch den wesentlich erhöhten Fremdkapitalanteil und die durch eine Verschmelzung erziel- baren Buchwertaufstockungen (step-up), mit denen erhöhte Abschreibungsmöglichkeiten einhergehen, vgl. zur Buch- wertaufstockung: Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, Rnr. 49 ff.
22 Lowenstein, Management Buyouts, 85 Colum.L.Rev., 730, 732 ff. (1985); Booth, Management Buyouts, Shareholder Welfare and the Limits of Fiduciary Duty, 60 N.Y.Univ.L.Rev., 630 ff.; Peltzer, DB 1987, 973; Hauschka, BB 1987, 2169 ff.; siehe auch die Literaturnachweise in Fn. 21
II. Übernahme der Tochter- durch die Muttergesellschaft (Parent-Subsidiary Merger bzw. Merger of long-term Affiliates)
Neben den schon unter I. genannten Aspekten spielen in der Konstellation der Übernah- me der Tochter- durch die Muttergesellschaft noch weitere Erwägungen eine Rolle, die ei- nen 100%-tigen Erwerb der Anteile der Tochter als wünschenswert erscheinen lassen.
Insbesondere die Verringerung von Interessenskonflikten zwischen der Mutter- und der Tochtergesellschaft und das damit einhergehende Risiko einer unfairen Behandlung der Tochtergesellschaft, die in der Regel mit Blick auf das Wohl der Mutter bzw. des Konzerns praktiziert wird, die Reduzierung von Kosten (z.B. für doppelt besetzte Unternehmens- funktionen) und die je nach Gestaltungsart vorhandenen Steuereinsparungsmöglichkeiten sind in diesem Zusammenhang zu nennen.23
Hinzu kommt, dass aus Synergieerwägungen die in einem Konzern anfallenden Aufgaben typischerweise von der konzernzugehörigen Gesellschaft erledigt werden sollten, die die- se am effizientesten bewältigen kann. Sollte nun das Management der Obergesellschaft verpflichtet sein, konzernzugehörigen Gesellschaften ungeachtet von Wirtschaftlichkeits- erwägungen nur deshalb Aufgaben zu übertragen, weil in ihnen Minderheitsaktionäre mit Dividendenerwartungen vorhanden sind, dann können zumindest aus der Sicht des Kon- zerns gewichtige Gründe dafür sprechen, Minderheiten baldmöglichst auszuschließen.24
III. Going Private
Zu einem Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern kommt es auch häufig in den Fällen des sog. going private. Der Terminus „going private“ bezeichnet dabei den vollständigen25 Rückzug eines Unternehmens von der Börse, also die Überführung eines börsennotierten Unternehmens (public corporation) in eine nicht an der Börse notierte Gesellschaft (priva-
23 Achleitner, Handbuch Investment Banking, S. 138 ff.; Clark, Corporate Law, S. 516, 517;
Brudney/Chirelstein, A Restatement of Corporate Freezeouts, Yale L.J., S. 1354, 1371 (1978)
24 Gilson, The Law and Finance of Corporate Acquisition, S. 863; Sinclair Oil Corporation v. Levien, 280 A.2d 717 (Del. 1971)
25 Dies ist umfassend zu verstehen: in Deutschland meint es sowohl eine Notierung im amtlichen Handel, im
geregelten Markt, als auch im Freiverkehr; in den USA ist damit eine Notierung an jeglichen Börsen und im over-the counter-Handel gemeint.
te oder close corporation26) unabhängig von einer Liquidation oder einer Umwandlung in eine nichtkapialmarktfähige Rechtsform.27 Zwangsläufig geht mit einem going private da- her ein Delisting, d.h. die Einstellung der Börsennotiz einher.28
Weiterhin wird unter diesem Begriff auch das Herauslösen einer selbständigen oder un- selbständigen Einheit (z.B. einer Tochtergesellschaft) aus einem börsennotierten Unter- nehmen und deren Einbringung in ein nicht notiertes Unternehmen verstanden.29
Von Interesse ist ein solches going private insbesondere für diejenigen Gesellschaften, bei denen die wirtschaflichen oder operativen Nachteile einer Börsennotiz die hiermit ver- bundenen Vorteile überwiegen.30
Mit eines der wichtigsten Motive eines going public ist die Nutzung des Kapitalbeschaf- fungs-, Liquiditäts-, Bewertungs- und Kontrollmechanismus der Börse.31 Wird dieser mit einem Börsengang verschaffte Zugang zu den Kapitalmärkten, der regelmäßig mit einem hohen Verwaltungs- und Managementaufwand einher geht, aufgrund einer fundamentalen Änderung der Unternehmenssituation nicht mehr benötigt, weil sich das Unternehmen selbst finanzieren kann (z.B. aus seinem eigenen cash-flow), oder weil die Börsennotiz wegen einer dauerhaften Unterbewertung des Unternehmens ihre Kapitalbeschaffungs- funktion nicht mehr erfüllen kann, rechtfertigen die direkten wie indirekten Kosten der Bör- sennotierung den damit erzielten Nutzen nicht mehr.32
26 Der Begriff „private“- bzw. „close corporation“ lässt sich nicht abschließend definieren. Als Wesensmerkmale der close corporation werden genannt: relativ geringe Mitgliederzahl, fehlende Börsennotierung der Anteile, Geschäftsführung durch die Anteilseigner, strukturelle Ähnlichkeit mit der partnership, Bestimmung als close corporation in den Statuten der Gesellschaft, vgl. Henn/Alexander, Corporations, S. 694 ff.; Hamilton, Corporations, S. 11 ff.; O´Neal, Oppression of Minority Shareholders, S. 2 Fn. 1. Ausführlich aus der deutschen Lit. zur close corporation Bungert, Die GmbH im US-amerikanischen Recht – close corporation, m.w.N.
27 Borden, Going Private – Old Tort, New Tort or No Tort, 49 N.Y.U.L.Rev., 987 ff. (1974); Brudney, A Note on Going Private, 61 Va.L.Rev., 1019 ff. (1975); Cary/Eisenberg, Corporations, S. 1201; Mayerson/Crawford, Fairness to Minority Shareholders in “Going Private” Transactions, 67 Ill.B.J., 484 ff. (1979); Note, Going Private, 84 Yale L.J., 903 (1975);
Steck, AG 1998, 460; Land/Hasselbach, DB 2000, 557; Vollmer/Grupp, ZGR 1995, 459, 471; Richard/Weinheimer, BB 1999, 1613
28 Ein Delisting kann aber nicht mit einem going private gleichgesetzt werden, da sich das Delisting auch nur auf einzelne regionale Börsenplätze oder Börsen bestimmter Länder beziehen kann, vgl. Land/Hasselbach, DB 2000, 557; Steck, AG 1998, 460; Richard/Weinheimer, BB 1999, 1613; Schwark/Geiser, ZHR 1997, 739, 742 ff.; Vollmer/Grupp,
ZGR 1995, 459, 471
29 Vgl. die Literaturnachweise in Fn. 28
30 Zu den Motiven eines „going private“ vgl. z.B. Note, Going Private, 84 Yale l.J., 903, 906 f. (1975); Holman, Going Private, 1978 Ann. Survey Am.L., 279, 281 ff.; Mayerson/Crawford, Fairness to Minority Shareholders in Going Private Transactions, Ill.B.J., 484 ff. (1979); Borden, Going Private – Old Tort, New Tort or No Tort, 49 N.Y.U.L.Rev., 987, 1006 f.
(1974); Richard/Weinheimer, BB 1999, 1613; Hohn, Going Private: Vorteilhaftigkeitsanalyse und Gestaltungsformen, 2000
31 Schanz, Börseneinführung, S. 10 ff.; Rödl/Zinser, Going Public, S. 89 ff.; Löhr, Börsengang, S. 21 ff.; zu Verfahren und Folgen des going public, vgl. z.B. Schanz, Börseneinführung, S. 185 ff.
32 Richard/Weinheimer, BB 1999, 1613 f.; Land/Hasselbach, DB 2000, 557; Vollmer/Grupp, ZGR 1995, 459, 463, 473
Die mit einer Börsennotiz verbundenen direkten Kosten, wie die Kosten des Listings ( § 5 Abs. 1 Nr. 3 und 4 BörsG i.V.m. den Gebührenordnungen der jeweiligen Börsen), die Kos- ten für Investor Relations (z.B. Roadshows, Analystenkonferenzen), zusätzliche Kosten für die Durchführung der Hauptversammlungen, die Erstellung und Produktion von Ge- schäfts- bzw. Quartalsberichten und anderen Publikationen sowie eventuelle Kosten für kurspflegende Maßnahmen bewegen sich bei einer mittelgroßen AG in Deutschland leicht im siebenstelligen DM-Bereich.33
Neben diesen quantifizierbaren Kosten sind vor allem die Opportunitätskosten, die aus der Beanspruchung von Managementressourcen für investor relations und die Erfüllung aller mit einer Börsennotiz einhergehenden Verpflichtungen resultieren, ins Kalkül zu zie- hen.34
An Bedeutung gewinnen diese Kosten und Verpflichtungen insbesondere auch im Hinblick auf die zwingenden Publizitätspflichten, deren Verringerung eines der vordringensten Zie- le eines going private darstellt.
In den USA verpflichtet der Security Exchange Act von 1934 Gesellschaften mit einem Ak- tienkapital von mehr als 10.000.000 US $35 und mit mindestens 500 Aktionären sich bei der Security Exchange Commission (SEC) registrieren zu lassen.36 Als Folge des hier- durch begründeten Statuses einer public corporation wird der Gesellschaft unter anderem auferlegt, die SEC, die Aktionäre sowie die Öffentlickeit fortlaufend über zahlreiche Wirt- schaftsdaten des Unternehmens zu informieren.37
In Deutschland sind in diesem Zusammenhang die kapitalmarktrechtlichen Informations- pflichten nach den Vorschriften des WpHG (z.B. Ad-hoc-Publizität (§§ 15, 21 WpHG), Verbot von Insidergeschäften (§ 14 WpHG), Mitteilungspflichten bei Erreichen bestimmter Beteiligungsgrenzen (§§ 20 ff. AktG, 21 ff. WpHG), die Verpflichtung des Emittenten zur Veröffentlichung eines Zwischenberichts (§§ 44 ff. BörsG, §§ 53 ff. BörsZulV.), die weite- ren Mitteilungspflichten der §§ 63 ff. BörsZulV, die Publizitätspflichten aus den Regelwer- ken und Teilnahmebedingungen der Wertpapierbörsen (z.B. Regelwerk Neuer Markt, Teil-
33 Vgl. die Auflistung der einzelnen Positionen bei Rödl/Zinser, Going Public, S. 99 ff.
34 Schanz, Börseneinführung, S. 18, 19
35 Zur Bestimmung des erforderlichen Aktienkapitals vgl.: 17 C.F.R. § 240.12g-1
36 Securities Exchange Act § 12 (g) (1), 15 U.S.C. § 78 l (g) (1)
37 Securities Exchange Act § 13 (a), 15 U.S.C. § 78m (a) bis (d); zu den erforderlichen Angaben vgl. Securities Exchange Act § 12 (a), 15 U.S.C. § 78 l (b)
nahmebedingungen SMAX) sowie das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unter- nehmensbereich (KonTRaG)38 von Bedeutung.
Für nicht-börsennotierte Unternehmen entfallen diese Publizitätspflichten weitestgehend.
Der Effekt einer weitgehenden Einschränkung der Publizität besteht indes nicht aus- schließlich in einer Verringerung des finanziellen und organisatorischen Aufwandes, viel- mehr kann dadurch auch erreicht werden, dass den Wettbewerbern in den jeweiligen Produktmärkten weitaus weniger wertvolle Informationen frei zugänglich zur Verfügung stehen.
Von den aus einer Börsennotiz resultierenden Kosten abgesehen, entstehen in börsenno- tierten Unternehmen zudem häufig unausgeschöpfte Wertpotenziale, die bei einer kapi- talmarktorientierten Unternehmenspolitik nicht oder nur eingeschränkt genutzt werden können.39 Um die identifizierten Wertpotenziale zu heben, wird die Kontrollmehrheit da- nach streben, möglichst unmittelbar Einfluss auf die Organe der (Ziel-)Gesellschaft aus- üben zu können.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Hauptaktionär, das Management oder ein In- vestor kaum daran interessiert sein dürfte, eine Restrukturierung oder Refokussierung der Gesellschaft im Lichte der Öffentlichkeit voranzutreiben, weshalb sich auch in diesem Zu- sammenhang ein Rückzug vom Kapitalmarkt empfehlen kann.40
Vor diesem Hintergrund werden die ein going private betreibenden Gesellschafter versu- chen, mittels Initiierung eines Ausschlusses in den Besitz sämtlicher sich im Streubesitz befindlichen Anteile zu gelangen oder jedenfalls eine weitestgehende Verringerung der Anzahl an außenstehenden Aktionären zu erreichen.
38 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 27.4.1998, BGBl I, 786; zum KonTraG vgl. auch Schindler/Rabenhorst, BB 1998, 1886; Lingemann/Wasmann, BB 1998, 853
39 Vgl. hierzu Land/Hasselbach, DB 2000, 557; Richard/Weinheimer, BB 1999, 1613; Richard, Rückzug von der Börse auch möglich, BöZ vom 22. 5. 1999, S. B 3
40 Steck, AG 1998; Land/Hasselbach, DB 2000, 557
IV. Weitere Einzelmotive
Besonders in kleineren Gesellschaften (close corporations) kann es als Folge innergesell- schaftlicher Machtkämpfe oder persönlicher Differenzen geschäftlicher, wie privater Art einzelner Gesellschafter oder Gesellschaftergruppen untereinander zu einem Ausschluss kommen.41
Weiterhin können auch die Anteile der Minderheit für den Mehrheitsaktionär, das Mana- gement oder einen Investor eine lohnende Anlagemöglichkeit darstellen, wenn die Aktien des Unternehmens aufgrund eines Kursrückganges, der nicht auf eine schlechtere Er- tragslage des Unternehmens zurückzuführen ist, oder einer generellen Unterbewertung zu einem günstigen Kurswert gehandelt werden und mit einer zukünftigen positiven Ge- schäftsentwicklung gerechnet werden kann.42 Insbesondere im Kontext von management buyouts wird die Gesellschaft teilweise dann in eine private corporation umgewandelt (going private), um dann die Aktien nach einer Besserung der wirtschaftlichen Situation oder der Kapitalmarktaussichten wieder an der Börse einzuführen und mit teilweise be- trächtlichem Gewinn zu veräußern.43
In dieser Situation trifft die Aktionäre ein Ausschluss besonders hart, da sie die Aktien der Gesellschaft unter Umständen zu einem höheren Kurswert erworben und die Verluste der Vergangenheit mitgetragen haben und nun befürchten müssen, mit einer an dem niedrige- ren Marktpreis orientierten Abfindung ausgeschlossen zu werden. Alleiniger Nutznießer einer positiven Entwicklung des Unternehmens ist in diesem Fall die Kontrollmehrheit.44
41 Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 579; O´Neal, Oppression of Minority Shareholders, S. 11 ff;
Blackman v. Las Vegas-Tonopah-Reno Stage Line Inc., 86 Nev. 754, 755, 476 P.2d 964, 965 (1970)
42 Note, Going Private, 84 Yale L.J., 903, 905 f. (1975); Holman, Going Private, 1978 Ann. Survey Am.L., S. 279, 281 ff.;
Greene, Corporate Freezeout Mergers: A Proposed Analysis, 28 Stanford L.Rev., S. 478, 496 (1976); Note, Rule 13e-3 and the Going Private Dilemma, 58 Wash.U.L.Q., 883, 886 (1980)
43 Lerbinger, Die Bank 1986, 133, 139; Peltzer, DB 1987, 973; Lowenstein, Management Buyouts, 85 Colum.L.Rev., 730 ff. (1985)
44 Note, Going Private, 84 Yale L.J., 903, 905 f. (1975); vgl. auch schon Theis v. Spokane Falls Gaslight Co., 34 Wash.
23, 74 P. 1004, 1007 (1904)
V. Gemeinsamer Nenner
Bringt man den hinter all den Gründen und Motiven stehenden Grundgedanken auf einen gemeinsamen Nenner, so geht es letztlich fast immer darum, den den Minderheitsgesell- schaftern zugeschriebenen "Lästigkeitswert"45 zu beseitigen.
Der überwiegende Teil der Minderheitsaktionäre betrachtet heutzutage seine Beteiligung an der Gesellschaft als Kapitalanlage, dementsprechend herrscht ein spekulatives Inte- resse vor, welches auf die Maximierung des Kurswertes und der Dividende gerichtet ist.46 Eine konstruktive Einflussnahme eines Minderheitsaktionärs auf die Unternehmenspolitik ist kaum denkbar, zumal bei den meisten Minderheitsaktionären diesbezüglich eher Inte- ressenlosigkeit und Passivität vorherrscht.47
Es genügt aber schon die Opposition einzelner Minderheitsaktionäre, um die Leitung einer Gesellschaft bei einer Vielzahl ihrer unternehmenspolitischen Maßnahmen und Entschei- dungen empfindlich zu stören. Dieser "renitenten Minderheit" sind in den USA mit den im amerikanischen Aktienrecht verankerten Kontrollrechten, insbesondere der „derivative suit“48 und in Deutschland mit der „Anfechtungsklage“49 auch die entsprechenden "Waffen" an die Hand gegeben.
Demgegenüber verfolgt die Kontrollmehrheit häufig das Ziel einer mittel- bis langfristigen Sicherung des Unternehmenserfolges.50 Die Umsetzung der hierzu eingesetzten Unter- nehmensstrategie stellt aus ihrer Sicht im Interesse der Erhaltung und Förderung des Un- ternehmens eine wirtschaftliche Notwendigkeit dar. Die Kontrolle durch vorhandene Min- derheitsaktionäre wird dabei häufig als lästig oder unangenehm empfunden. Um sich die- ser unangenehmen Kontrolle zu entledigen wird die den Ausschluss betreibende Mehrheit bestrebt sein, die Gesellschaft direkt zu kontrollieren und wirtschaftliche Entscheidungen
45 Boujong, in: FS Kellermann, S. 1, 3; Kühn, BB 1992, 291
46 So auch BGHZ 120, 141, 151 = ZIP 1992, 1728; dazu Martens, EWiR 1993, 323; Land/Hasselbach, DB 2000, 557, 562;
Kossmann, NZG 1999, 1198, 1200; Kühn, BB 1992, 291; Schiessl, AG 1999, 442, 451; Großfeld, Aktiengesellschaft, Unternehmenskonzentration und Kleinaktionär, S. 19 f.; Eisenberg, The Legal Roles of Shareholders and Management in Modern Corporate Decisionmaking, 57 Cal.L.Rev., 1, 27 (1969); Borden, Going Private – Old Tort, New Tort or No Tort, 49 N.Y.U.L.Rev., 987, 1007 (1974)
47 BGHZ, 120, 141, 151; Kühn, BB 1992, 291; Großfeld, Aktiengesellschaft, Unternehmenskonzentration und
Kleinaktionär, S. 25; Carney, Fundemental Corporate Changes, Minority Shareholders and Business Purposes, 69 Am.B.Found.Res.J., 107 (1980); Sinclair Oil Corporation v. Levien, 280 A.2d 717 (Del. 1971)
48 Zur derivative suit vgl. statt vieler Cox/Hazen/O´Neal, Corporations, S. 395 ff.; Merkt US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, S. 473 ff.
49 Allgemein zur Anfechtungsklage vgl. statt vieler Hüffer, in: Münch. Komm. AktG, §§ 243 ff.. Ausführlich zur Problematik der Anfechtungsklage vgl. auch unten 4. Teil, B.
50 Unter anderem wird deshalb auch häufig die Thesaurierung des Gewinns einer Dividendenausschüttung vorgezogen.
flexibel und unabhängig von den Interessen der Minderheitsaktionäre treffen zu können.
Von diesem Standpunkt aus betrachtet kann somit schon die bloße Existenz von Minder- heitsgesellschaftern zu einem Schaden der Gesellschaft führen.51
Obwohl es bei Ausschlussvorgängen regelmäßig zu einer erheblichen Belastung des Un- ternehmens aufgrund eines hohen Organisations- und Kostenaufwandes, sowie eines großen Prozessrisikos kommt, kann es aus den dargelegten Gründen trotz alledem güns- tiger sein den Ausschluss der Minderheitsgesellschafter zu betreiben, als dieselben in der (übernommenen) Gesellschaft dulden.52
51 Kossmann, NZG 1999, 1198, 1200
52 Gilson, The Law and Finance of Corporate Acquisition, S. 857 hierzu: „There is a reason to believe that the freezeout price may be higher than the implicit price of allowing the minority to remain.“
2. Teil
Der Ausschluss von Aktionären im US-amerikanischen Recht
Das US-amerikanische Aktien- und Gesellschaftsrecht eröffnet der Kontrollmehrheit ver- schiedene Wege, um sich unliebsamer Minderheitsaktionäre zu entledigen. Im folgenden sollen die wichtigsten zum Zwecke des Ausschlusses erdachten und angewandten Me- thoden erläutert und ihre Beurteilung insbesondere durch die Rechtsprechung sowie ihre Auswirkungen auf die Stellung der Minderheitsaktionäre dargestellt werden. Entsprechend der praktischen Relevanz wird der Schwerpunkt hierbei vor allem in der Betrachtung des US-amerikanischen Fusionsverfahrens, der zum Schutz der Minderheit heranziehbaren bundesrechtlichen Vorschriften Rule 10b-5 und Rule 13e-3, sowie der einzelstaatlichen Schutzinstrumente "appraisal right" und "entire fairness test" liegen.
A. Auswahl des Landesrechts
Das förderale System der USA sieht eine verfassungsmäßige Teilung der Regelungskom- petenzen zwischen Bund und Einzelstaaten vor.53 Das die Gesellschaften (business orga- nizations) betreffende Recht liegt dabei genau im Grenzbereich zwischen bundesstaatli- cher und einzelstaatlicher Regelungskompetenz. Während die Regelungen des zwi- schenstaatlichen und internationalen Handels und damit auch die Kontrolle des Kapital- marktes und die Regelungen des Wertpapierhandels dem Bund obliegen,54 haben die Einzelstaaten die Regelungskompetenz im Bereich des eigentlichen Gesellschaftsrechts und regeln demzufolge die Rechtsverhältnisse der in ihrem Bundesstaat inkorporierten Gesellschaften, insbesondere deren Satzung, sowie die Rechte und Pflichten ihrer Orga-
53 Zur förderalen Kompetenzverteilung in den USA vgl. Abernathy, Law in the United States, S. 315 ff.
54 Diese Regelungskompetenz des Bundes wird auf die sog. „commerce clause“ der amerikanischen Verfassung gestützt (U.S. Const. Art. 1 § 8, cl. 3); dazu auch Abernathy, Law in the United States, S. 327 ff. und 787 ff.; Merkt,
Der Bund hat hiervon auch wiederholt Gebrauch gemacht: wichtige Beispiele sind u.a. der
Securities Act von 1933 ( 15 U.S.C.A. §§ 77a – 77aa) und der Securities Exchange Act von 1934 (15 U.S.C.A.
§§ 78 – 78jj)