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4. Feindbilder und Motivationen „von oben“

4.3. Zusammenfassung „Feindbilder“

Offizielle klischeehafte Feindbilder auf der deutschen Seite lassen sich somit wie folgt zusammenfassen: Das russische Volk sei „primitiv, rückständig und minderwertig“ und verfüge über eine „niedrige Kulturstufe“; sein Nationalcharakter sei „asiatisch“ bzw.

„barbarisch“, das russische Lebensbild sei dem westlichen vollkommen entgegengesetzt.

Die „Eroberungslust“ der Russen stelle eine „Bedrohung“, ja eine „tödliche Gefahr“ für Deutschland und ganz Europa dar; die Völker der Sowjetunion seien vom „jüdischen Bolschewismus“ regiert. Die „Minderwertigkeit“ der Russen und der „jüdische Charakter“

des Sowjetstaates hatten zur Folge eine Dehumanisierung des russischen Feindbildes.

Aus der russischen Sicht sei der Krieg durch einen „unerwarteten und wortbrüchigen Überfall“ Deutschlands entfesselt worden; das deutsche Feindbild enthielt dabei

100 Stalin, Bericht in der Festsitzung des Moskauer Sowjets der Deputierten der Werktätigen, ebenda, S. 18, 30-31.

101 Stalin, Über den Grossen Vaterländischen Krieg der Sowjetunion, S. 5.

anitfaschistische und gleichzeitig antideutsche Aspekte; solche Bezeichnungen wie z.B.

die „Hitlerleute“, „Hitlersoldaten“, „Hitleristen“, „Faschist“ oder die „Faschisten“ hatten oft auch eine nationale ‘Färbung’, wie z.B. das Propagandaklischee „die faschistische deutsche Armee Hitlers“. Die militärische Stärke der deutschen Wehrmacht bedeutete eine äusserst grosse Gefährlichkeit des deutschen Gegners für die Sowjetunion. Verbunden mit den „Eroberungsbestrebungen“ der Deutschen sowie Attacken auf unerlaubte Kampfobjekte, rief dies eine Dehumanisierung des deutschen Feindbildes hervor.

Häufig weisen die Vorstellungen, die politische Kontrahenten voneinander haben, zahlreiche Gemeinsamkeiten auf, sind oft nahezu Spiegelbilder. So beschuldigen sich z.B. verfeindete Staaten gegenseitig gern ungezügelten Expansionsdranges, mangelnden Interesses an Abrüstungsverhandlungen oder der Nichteinhaltung bestehender Verträge.

Im Zusammenhang mit der Spiegelbildlichkeit der Feindbilder muss auf die Spiegelbildlichkeit der Selbstbilder politischer Kontrahenten hingewiesen werden. Ebenso wie die jeweiligen Feindbilder weisen auch die jeweiligen positiven Selbstbilder verfeindeter Staaten zahlreiche Gemeinsamkeiten auf. Viele Menschen neigen dazu, sich selbst, ihr Volk und ihren Staat überwiegend mit positiven, andere hingegen mit abwertenden Attributen zu versehen (Schwarz-weiss-Denken).102 Diese Spiegelbildlichkeit in bezug auf die gegenseitigen Feindbilder in der Sowjetunion und im Dritten Reich ist deutlich zu sehen. Auf beiden Seiten waren die politischen Führer sowie die Propagandisten bemüht, einen aufgezwungenen Charakter des Krieges zu betonen, die gegnerische Seite der Eroberungslust zu beschuldigen und sie als Aggressor darzustellen.

Die Entscheidung zum Krieg obliegt zumeist wenigen Individuen, nämlich der politischen Führungselite eines Landes. Zur Durchführung desselben ist jedoch die Bereitschaft großer Bevölkerungsschichten nötig, Entbehrungen hinzunehmen, ihre geographischen Nachbarn auf dem Schlachtfeld zu töten oder gar ihr eigenes Leben zu opfern. Darum liegt es im Interesse politischer Entscheidungsträger, die Bevölkerung von der vermeintlichen Notwendigkeit eines Krieges zu überzeugen. Als probates Mittel bietet sich die Konstruktion von Feindbildern an.

Mit Hilfe politischer Propaganda wird der Bevölkerung z.B. eine bevorstehende Aggression aussenpolitischer Kontrahenten suggeriert. Da diese die physische Existenz vieler Menschen unmittelbar gefährden würde, ist die Behauptung eines bevorstehenden gegnerischen Angriffs ein wirksames Mittel, um die Bevölkerung von der Unvermeidbarkeit eines „Präventivkrieges“

102 Flohr, Anne K., Feindbilder in der internationalen Politik: ihre Entstehung und ihre Funktion, Bonner Beiträge zur Politikwissenschaft, Münster/ Hamburg 1991, S. 42-43, 58ff. Dazu auch Klineberg, Otto, Die menschliche Dimension in den internationalen Beziehungen, Bern 1966, S. 102- 103.

zu überzeugen. War die Bevölkerung nur schwer von der vermeintlichen Bedrohung durch den Gegner zu überzeugen, so inszenierte man selbst kurzerhand einen „gegnerischen“ Angriff und erwarb so in den Augen der Bevölkerung die Legitimation, militärisch gegen den

„Aggressor“ vorzugehen.103

Wenn für die Sowjetunion diese Aufgabe nach dem bereits stattgefundenen Überfall leicht war, bediente sich dabei die deutsche Seite der Präventivkriegsthese: Der militärische Schlag seitens Deutschlands sei notwendig, um Stalin zuvorzukommen.

Auch eine Dehumanisierung des Feindes erfolgte auf beiden Seiten, jedoch aus unterschiedliche Gründe bzw. mit unterschiedlichen propagandistischen Begründungen.

Die Vorstellung vom Feind als nichthumanem Wesen findet sich bis in die heutige Zeit bei allen menschlichen Kulturen. Auch mit der Hilfe politischer Propaganda wird der Feind entmenschlicht, als minderwertiges oder gar unwertes Wesen dargestellt. Der Feind als Barbar, Teufel, Tod, Bestie, Ungeziefer, Drachen, Krankheitserreger oder destruktive Vernichtungskraft sind typische Attribuierungen.104

Die Dehumanisierung des Feindes ist auf eine Dehumanisierung des ‘Fremden’

zurückzuführen. Fremde und Aussenstehende werden aus primordialer Perspektive häufig als dämonisch bzw. mit einer starken und feindlichen Identität versehen betrachtet, welche die eigene Gemeinschaft bzw. deren Existenz (Lebenskraft, Reinheit usw.) bedroht. Zum Schutz gegen das ‘Fremde’ gehören in vielen Kulturen Reinigungsrituale - durch die werden die Spuren der Außenwel bzw. des ‘Fremden’ an den Angehörigen der primordialen Gemeinschaft

103 Beispiel: Der deutsche Überfall auf Polen wurde mit dem am 31. August 1939, angeblich von polnischen Freischärlern durchgeführten Anschlag auf den Sender Gleiwitz gerechtfertigt, der in Wirklichkeit von der SS inszeniert war. Seit 5.45 Uhr wurde „zurückgeschossen“, so war anschliessend Hitlers Interpretation des deutschen Angriffs. Diese Version fand in der deutschen Bevölkerung Glauben, da die Stimmung gegen Polen durch vorausgegangene Propagandaberichte über angebliche massive Diskriminierung der in Polen lebenden Deutschen angeheizt worden war. Vgl. Kühnl, Reinhard, Über die politische Funktion von Feindbildern, in:

Blätter für deutsche und internationale Politik, Jg. 28, Nr. 10, 1983, S.1302-1312. Zum Thema

„Präventivkrieg“ gegen die Sowjetunion siehe z.B. Ueberschär, Gerd R., Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion 1941: die Kontroverse um die Präventivkriegsthese, Darmstadt 1998; Pietrow-Ennker, Bianka (Hrsg.): Präventivkrieg? Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion, Franfurt/M.

2000.

104 Keen, Sam, Bilder des Bösen. Wie man sich Feinde macht, Weinheim / Basel 1987; dazu auch Flohr, Anne Katrin, Feindbilder in der internationalen Politik. Ihre Entstehung und ihre Funktion.

Bonner Beiträge zur Politikwissenschaft, Bd.2, Münster/Hamburg 1991, S. 40-42. Eine Dämonisierung des Feindes war z.B. in China bis in die jüngste Vergangenheit ein beliebtes Mittel, Angehörige der weissen Rasse, die als „fremde Teufel“ bezeichnet wurden, zu diskriminieren. Eine einfache und kompromißlose Methode, dem Feind oder allgemein jedem Fremden menschliche Eigenschaften abzusprechen, ist bei einigen Naturvölkern zu beobachten. Die Namen, mit denen sie ihren eigenen Stamm bezeichnen, bedeuten in ihrer Sprache oft „Mensch“, so etwa bei den Zulus, einem Bantustamm in Südafrika. Ein „Nicht-Zulu“ ist somit ein „Nicht-Mensch“. Siehe dazu

ausgelöscht (durch zeremoniale Waschungen, Fasten, sexuelle Enthaltsamkeit, Schweigegebote, Isolation usw.).105 Die Vermeidung jeglicher Kontakte zu, ‘Fremden’ führte zu einer „kulturellen Abstoßung“106 desselben, was eine Dehumanisierung zusätzlich erleichterte.

Den Feind zu dehumanisieren bedeutet, ihn aller menschlichen Eigenschaften zu berauben.

Der Grund für den immer wiederkehrenden Versuch, den Feind gesichtslos zu machen, ist offenkundig: Dadurch, dass wir entmenschlichende Stereotype für die Objekte unserer Gewaltanwendung einsetzten, entschuldigten wir unsere Aggression, verdrängen den beklemmenden Gedanken, dass unser Feind ein Mensch ist, senken oder gar eliminieren unsere Hemmschwellen.107