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Sozialhistorische Grundlagen des Feindbildes und seine Funktion im Dritten Reich

2. THEORIE UND METHODE

2.4. Interaktionsrahmen und Kommunikation

2.5.1. Sozialhistorische Grundlagen des Feindbildes und seine Funktion im Dritten Reich

Der Volksgemeinschaft im Dritten Reich waren Bedeutungen inhärent, die durch ihre Überführung in Allgemeinwissen 'Sinn machen' und die soziale Ordnung legitimieren. Die Volksgemeinschaft stand für die nationale Integration bei gleichzeitiger Ausgrenzung der Nichtdazugehörigen, die a priori als Fremde, Feinde und „Untermenschen“ stigmatisiert wurden.

17 Vgl. Srubar, Ilja: Lob der Angst vorm Fliegen. Zur Autogenese sozialer Ordnung, in: Sprondel, Walter (Hrsg.), Die Objektivität der Ordnungen und ihre kommunikative Konstruktion, Frankfurt/M. 1994, S.

95-118.

Es kann von einem 'asymmetrischen' Begriff gesprochen werden.18 Weitere, auf den militärisch-expansionistischen Bereich rekurrierende Stützkonzepte waren:

1. Die gemeinsamen Mythen

Ein besonders fruchtbares Reich der Mythen und Legendenbildung waren die Geschichtswissenschaft und die Volkskunde im Dritten Reich. Deutsche Historiker phantasierten über die "unberührte germanische Abstammung Karls des Großen",19 um ihn der historischen Legitimation einer französischen Expansionspolitik zu entreißen, wohingegen die Volkskundler sie mit der ideologischen Aufwertung des Bauerntums und der rassisch-mythischen Interpretation von Bräuchen und Traditionen auf die NS-Ideologie einließen.

2. Die gemeinsame rassische Abstammung mit all ihren Ausgrenzungsmechanismen: Die apriorische Annahme der Ungleichwertigkeit der Rassen, gepaart mit der sozialdarwinisitschen These vom Daseinskampf, fand in der NS-Rassenideologie einen festen Platz. Das bipolare Rassenschema des Nationalsozialismus war ein unkompliziertes Deutungsschema, das für die Konstruktion von Stereotypen und Feindbildern wie geschaffen war und auf fast alle gesellschaftlichen Phänomene angewendet werden konnte. Rasse bzw. Rassendifferenz wurden zur zentralen Kategorie, die aber die Teilnahme an der Volksgemeinschaft entschied und den Rang in ihr festlegte.20

3. Das in der Geschichte verankerte Recht auf Ostexpansion: Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war der Glaube an einen slawisch-germanischen Ausscheidungskampf in Europa im national-imperialistischen Gedankengut der Kaiserzeit verankert.21 Die Forderung nach Lebensraum im Osten war integraler Bestandteil der Weltanschauung Hitlers, der sie mit quasireligiösen und demographisch-ökonomischen Begründungen unterfütterte.

Die Mechanismen, die zur Lösung von Krisen in der Sinnwelt einer Gesellschaft eingesetzt werden können, haben im Feindbild einen ihrer destruktivsten, aber auch effektivsten Träger von Plausibilitäten.

Die Sinnwelten bestehen aus Perzeptionen, die als subjektiv wahrgenommene Realität durch Gedächtnisleistung und neue Informationen konstruiert, rekonstruiert und dekonstruiert werden.

Es entsteht als kognitive Leistung eine Dopplung, die sich durch Assimilation neuer

18 Koselleck, Reinhart: Zur historisch-politischen Semantik asymetrischer Gegenbegriffe, in: ders., Ver-gangene Zukunft, S. 211-259.

19 Wippermann, Wolfgang, Der konsequente Wahn: Ideologie und Politik Adolf Hitlers, Gütersloh 1989, S. 103.

20 Bock, Gisela: Gleichheit und Differenz in der nationalsozialistischen Rassenpolitik, in GG 19 (1993), S. 277 - 312.

21 Wette, Wolfram, Rußlandsbilder der Deutschen im 20. Jahrhundert, in: 1999/10 (1995), S. 38-64.

Informationen an alte Schemata und Akkomodation alter Schemata an neue Informationen auszeichnet. Das daraus resultierende 'Informationssystem' tritt in einen Spannungszustand mit neuen Erfahrungen und Erlebnissen. Fällt mit der Konfrontation mit dem Fremden eine symbolische Gefährdung der eigenen Weltdeutung zusammen, wird das fragile System von geteilten Bedeutungen, Überzeugungen und unbeweisbaren, unbewußten, aber dennoch verbindlichen Prägungen der verinnerlichten kulturellen Ausstattung destabilisiert. Diese Konstellation bringt Bedrohung und kann Aggressionen und Feindschaft auslösen, denen rational nur bedingt beizukommen ist, weil auch das eigene Weltbild nur bedingt rational ist. Um diese Spannung zu vermindern, wird die neue Information mit einer vorhandenen Orientierung sinnhaft verknüpft, um auf diese Weise das emotionale Gleichgewicht wiederherzustellen.

Orientierungmuster waren bei den Soldaten vor allem ein Produkt der Propaganda, die dafür sorgte, daß der Bezug zur Realität möglichst einseitig wahrgenommen und gespeichert wurde.

Dies geschah durch das Etikettieren der Sowjetunion als ‘Hort des Bösen’, das Volk wurde mit der 'judisch-bolschewistischne Führungsclique' und Stalin personifiziert.22 Jede Empathie, prosoziale Konsensbereitschaft und Gemeinschaftsfiktion23 wurde suspendiert. Dem Feindbild widersprechende Informationen wurden umgedeutet, abgewertet, oder es wurde ihnen mißtraut.

Im Zusammenspiel mit der NS-Ideologie brachten Feindbilder Entlastung für verdrängte Wünsche und Ängste durch ihre Projektion auf 'Sündenböcke', die meistens auch noch unter Konspirationsverdacht fielen.

Um das Selbst aufzuwerten, Gruppenidentität und -stabilität zu erzeugen, wurde seit 1933 die Integration der Deutschen bei gleichzeitiger Ausgrenzung bzw. Abgrenzung des Fremden vorangetrieben. Der deutsche Maurer, weil arisch, sollte nicht nur 'de iure' rassisch wertvoller sein, sondern sich auch überlegener fühlen als ein britischer Plutokrat oder ein jüdisch-bolschewistischer Politiker. Diese Aufteilung in Arten, in sich grundsätzlich unterscheidende Gruppen dehumanisierte das Fremde, sie reduzierte den Feind lediglich auf das durch die Kriegspropaganda erstellte Bild und ermöglichte damit, ihn als "kulturell vermittelte Symbolkombination"24 zu materialisieren, ohne daß er physisch anwesend war.

22 Eine Ausnahme war der Hitler-Stalin-Pakt, der für die Periode Mai 1939 bis zum Überfall auf die So-wjetunion eine propagandistische Zäsur darstellte.

23 "Die Tendenz, Opfern unfairerweise die Schuld an ihrem Schicksal zuzuschieben, ist ein Mittel, um die Vorstellungen von Gerechtigkeit zu erhalten, und scheint besonders häufig in Fällen auf zu tre-ten, wo es nicht möglich ist, dem Opfer Gerechtigketi widerfahren zu lassen". Zitat in: Krech, David u.a. (Hrsg.): Grundlagen der Psychologie, Bd.7: Sozialpsychologie, Weinheim 1992, S. 16.

24 Gladigow, Burkhard: Homo publice necans. Kulturelle Bedingungen kollektiven Tötens, in: Saeculum 37 (1986), S. 150-165.

Eis substantieller Bestandteil der NS-Ideologie waren Heroismus und im besonderen Verehrung von Kriegshelden; die Verehrung nationaler Kriegshelden wurde dabei als ein wesentlicher Faktor geistiger Mobilmachung angesehen. Bereits 1933 wurde der Heldenkult in den von Reichsinnenminister Frick erlassenen reichseinheitlichen Schulrichtlinien verankert. Der in der Weimarer Republik vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge initiierte „Volkstrauertag“ für die gefallenen Soldaten des Ersten Weltkrieges wurde 1934 durch einen Beschluß der Reichsregierung in „Heldengedenktag“ umbenannt und zum gesetzlichen Feiertag erklärt.

Während der gefallenen „Helden“ der Partei am 9. November in München gedacht wurde, hatte die Wehrmacht mit dem Heldengedenktag ihren festlichen Höhepunkt.25

Begreift man die Heldenkult als ein kulturelles Deutungsmuster, das Wahrnehmungen präformiert, Erfahrungen interprätiert und Verhalten motiviert, so muss berücksichtigt werden, dass gesellschaftlich breit verwurzelte Deutungsmuster nicht kurzfristig durchsetzbar und instrumentell gänzlich verfügbar sind. Die durch das Deutungsmuster des Heroismus entworfenen Erfahrungsräume und Erwartungshorizonte können nur dann handlungsleitend werden, wenn auf bereits bestehende und länger überlieferte Deutungen im kulturellen Gedächtnis der Gesellschaft26 zurückgegriffen wird.

Allen im Dritten Reich heroisierten Personen war eigen, dass sie den „Heldentod“ starben. Im Heldenbild wird eine Gesellschaftsordnung entworfen, die auf den Faktoren der individuellen Opferbereitschaft, der Kameradschaft und des charismatischen Führertums basierte.27

Der Held ist dadurch definiert, dass er einen Dienst für ein Kollektiv leistet und seine autonome Individualität zugunsten der Gemeinschaft aufgibt. Im Idealfall war der „Held“ ein unbedingt loyaler Soldat, der individuelle Bedürfnisse nicht kannte und Erfüllung nur im Dienst für das Kollektiv fand. Untersucht man die bezeichneten sozialen Formationen, für welche die „Helden“

zu sterben bereit waren, so fällt auf, dass hier unterschiedlich Begriffe gewählt wurden:

Vaterland, Nation, oder Gesamtheit bzw. Gemeinschaft lauten die Bezeichnungen.28 Zu den Besonderheiten des „Helden“ gehören seine überlege militärische Begabung, hinzu kommt die Anziehungskraft und charismatische Aura des „Helden“.29

25 Schilling, René, Die „Helden der Wehrmacht“ - Konstruktion und Rezeption, in: Müller, Rolf Dieter, Volkmann, Hans-Erich (Hrsg.), Die Wehrmacht. Mythos und Realität, S. 550.

26 Dazu auch Bollenbeck, Georg, Bildung und Kultur: Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters, Frankfurt /M. 1994, S. 19 ff.

27 Schilling nennt darunter Manfred von Richthofen, Otto Weddigen, Friedrich Friesen und Günther Prien, siehe ders., Die „Helden der Wehrmacht“, S. 555 - 556.

28 Schilling, René, Die „Helden der Wehrmacht“, S. 559.

29 Charisma, verstanden im Sinne Max Webers „als außeralltäglich geltende Qualität einer Per-sönlichkeit [...], um derentwilen sie als mit übernatürlichen oder übermenschlichen oder mindestens spezifisch außeralltäglichen, nicht jedem andern zugänglichen Kräften oder Eigenschaften (begabt),

In der NS-Propaganda standen heldenhafte Führer an der Spitze des Staates, die im Geiste des Helden handelten. Das Monopol auf die Massenmedien im Dritten Reich bedeutete auch das Deutungsmonopol; es trug erstens zur sozialen und politischen Integration des Regimes bei, zweitens stabilisierte es den Führermythos und damit die Legitimität des NS-Regimes, drittens stellte es eine wichtige Form der geistigen Mobilmachung für den Krieg dar.

2.5.2. Sozialhistorische Grundlagen des Feindbildes und seine Funktion in der