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5. Feindbilder und Motivationen „von unten“

5.4. Feindbilder „von unten“

5.4.1. Feindbilder in deutschen Feldpostbriefen

41 deutsche Feldpostbriefe von 109 enthalten Erwähnungen des russischen Gegners, was 37,61% ausmacht. (In seiner Untersuchung „Das Bild des russischen Feindes“, veröffentlicht im Sammelband „Stalingrad. Mythos und Wirklichkeit einer Schlacht“, stellt Peter Knoch 34,5%

Feinderwähnungen des russischen Feindes fest). In den Feindbildkategorien verteilen sich die Erwähnungen wie folgt:

1. Propagandistische Ausdrücke bzw. Propagandaklischees 2 2. Negative emotionelle Bezeichnungen bzw. Schimpfwörter 1 3. Dehumanisierung bzw. Entmenschlichung des Feindes 1

4. Feind/ Gegner 1

5. Ivan 2

6. Der Russe/ die Russen 34

Nur zwei Feldpostbriefe (4,88 % von 41) enthalten solche Erwähnungen vom Feind, die unter der Kategorie ‘Propagandaklischees’ zusammenzufassen sind: Der russische Gegner wird in einem Brief vom 21.01.1943 als eine ‘Übermacht’ dargestellt; in einem anderen Brief vom 18.11.1942 bezeichnet der Briefschreiber seine russischen Gegner als ‘Bolschewisten’ bzw.

‘Kommunisten’:

18.11.1942

„...Mit dem Ausbruch der Kälte sind wir, Gott sein Dank, die Fliegen losgeworden.

Natürlich schwirren einige, diese Fliegen haben jedoch vor keiner Jahreszeit Angst, und erst recht nicht vor den Bolschewisten. ... Ihr wundert euch wahrscheinlich, dass Stalingrad immer noch nicht eingenommen ist. Wir wundern uns nicht, denn wir befinden uns genau in der Hölle. ... Stalin hat hierher Eliteeinheiten geschickt, da sind sicher fast nur Kommunisten und Offiziere...“32

21.01.1943

„... Ich liege nun seit einigen Monaten bei Stalingrad. Was sich hier so tat, wirst Du öfters in den Wehrmachtsberichten gehört haben. ... Die Lage hier ist sehr ernst. (...) Mit fanatischer Kraft wehrt sich der deutsche Landser gegen eine Übermacht die einzig dasteht.“33

32 Briefschreiber: ?, Ernst, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: „Po obe storony fronta - Auf beiden Seiten der Front“, S. 202-203, eigene Übersetzung. In solchen Fällen, wo Dienstgrad bzw.

Jahrgang des Briefschreibers unbekannt war, erfolgte eine Zuordnung der entspechenden Kategorie durch eine inhaltliche Analyse des Brieftextes - A.P.

33 Briefschreiber: ?, Franz, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: „Ich will raus aus diesem Wahnsinn“, S. 234.

Zu bemerken ist, dass auch das Selbstbild des Briefschreibers im Feldpostbrief vom 21.01.1943 mit dem propagandistischen Selbstbild des deutschen Soldaten übereinstimmt: „Der deutsche Landser“, der sich „mit fanatischer Kraft“ gegen eine „Übermacht“ wehrt, gehörte zu typischen Attribuierungen der nationalsozialistischen Propaganda: Deutsche Soldaten, dargestellt als

„unermüdliche Kämpfer“ (Völkischer Beobachter vom 1.02.1943), kämpfen „mit ungebrochenem Mut, und doch zum Teil erschöpft, (...) gegen eine gewaltige Übermacht.. (...) Und wenn es nur wenige sind: solange ein deutscher Soldat steht, wird gekämpft“ (Aus dem Artikel „Stalingrad - der größte Heroenkampf unserer Geschichte“, in: Völkischer Beobachter vom 2.02.1943).

Nur in einem einzigen Brief (2,44% von 41) wird der russische Gegner mit solchen Ausdrücken bezeichnet, welche unter die Kategorie ‘Gefühlsbetonte Ausdrücke / Schimpfwörter’ fallen (dabei stehen solche Ausdrücke neben normalen alltäglichen Mitteilungen, wie Beginn eines Studiums o.ä.):

07.01.1943

„... Nun zu was anderem, ich gratuliere auch noch herzlichst dem großen Paule zu seinem Langemark-Studium, aber jetzt ist er wohl erst noch Soldat geworden u. wird mich hier bald mal besuchen, aber wünschen tue ich es Ihm nicht, denn hier in diesem kalten verlausten Land u. bei diesen Mordgesindel ist nichts los.“34

Das russische Feindbild bekommt auch nur in einem einzigen Brief vom 07.01.1943 entmenschlichte Züge und wird unter der Kategorie „Dehumanisierung des Gegners“ erfasst:

07.01.1943

„... Auf welcher Seite im Augenblick die größeren Chancen sind, kann ich nicht sagen.

Menschen sind es nicht, die uns im Augenblick noch gegenüber liegen. Es sind heimatlose Geschöpfe, die so stur gegen uns stehen, weil sie nicht wissen, wo sie sonst noch hin sollen“.35

Die neutrale Bezeichnung „Feind / Gegner“, die auch ein einziges Mal vorkommt, lässt sich zudem mit einem sachlichen Ton der Beschreibung verbinden, der ohne wertende Zusätze das Feindbild beschreibt:

19.11.1942

„...Wieder will ich ein Weilchen plaudern. Gestern abends warf der Iwan ziemlich viele Brandbomben. Auch vor unserem Eingang blieb eine liegen u. spritzte umher. Ich wollte

34 Briefschreiber:?, Menne, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: „Ich will raus aus diesem Wahnsinn“, S. 183.

35 Briefschreiber: Tjaden, Enno, Dienstgrad unbekannt, Jahrgang 1923, Quelle: „Das Echolot“, Band 1 1.01.-17.01.1943, S. 294.

dem Posten behilflich sein u. im Nu hatte ich diese Phosphorschmiere auf der ganzen Hand u. wollte nicht weggehen. Erst mit öl wurde ich davon los. Es machte mir aber gar nichts...“36

21.12.1942

„...War wieder, wie schon so oft, 12 Tage und Nächte vorn in Stalingrad. Wenn man so nach 14 Tagen rauskommt, sieht man aus wie ein Wilder. Nur gut, dass Ihr es nicht seht.

Bekommen auch hier Tag und Nacht Artilleriefeuer. Und sobald es dunkel ist, kommt der

„Iwan“ mit seinen Fliegern, und dann regnet es Bomben.“37

17.01.1943

„Seit dem 6. Januar stehe ich nun wieder im Einsatz in vorderster Front. Tag und Nacht war ich unterwegs vom Bataillonsgefechtsstand zu den Kompanien, um Befehle zu überbringen, Überblick über die Lage zu bekommen, dringende Entscheidungen zu treffen. Jeden Tag lief der Feind mit stärksten Kräften gegen unsere schwachen Linien an...“38

Die Bezeichnung des russischen Feindes als „Ivan“ (auch „Iwan“) wird beide Male in Verbindung mit Bombenangriffen bzw. deren Folgen gebracht:

Die zahlreichste Feindbildkategorie (34 Erwähnungen bzw. 82, 92 % aller Feinderwähnungen) bildet die Bezeichnung „Der Russe/ die Russen“, wie z.B. in einem Brief vom 13.11.1942, wo dieses Feindbild zusammen mit der Beschreibung hoher Intensität der Kämpfe bzw. der Widerstandskraft des Gegners verwendet wurde (der Briefschreiber verschweigt dabei seine persönliche Einschätzung der Fähigkeiten der Russen als Soldaten und beschränkt sich auf eine Feststellung der Tatsache: „Kein Russe ergab sich“):

13.11.1942

„Morgens um halb 3 Uhr stellten wir uns in der Geschützfabrik „Roter Oktober“ zum Angriff bereit. Um halb 4 stieg der Angriff. (...) Da gings mit MGs, Geballten Ladungen,

36 Briefschreiber: ?, Fredi, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: „Ich will raus aus diesem Wahnsinn“, S. 129.

37 Briefschreiber: Paulus, Bertold, Dienstgrad - Soldat, Jahrgang -1923, Quelle: „Es grüsst Euch alle Bertold“, S. 108.

38 Briefschreiber: Wagner, Heinz, Dienstgrad - Leutnant, Jahrgang unbekannt, Quelle: Ebert, Jens,

‘Zwischen Mythos und Wirklichkeit. Die Schlacht um Stalingrad in deutschsprachigen authentischen und literarischen Texten’, Berlin 1989, S. 5.

Handgranaten und Flammenwerfer. Dann ging ein furchtbarer Kampf los. Immer im Nahkampf. Kein Russe ergab sich. Es wurden keine Gefangenen gemacht...“39

Manchmal kommt die Bezeichnung „Der Russe/ die Russen“, verbunden sogar mit gewissem Respekt vor der Widerstandsstärke des Gegners (was der Briefschreiber zugleich propagandistisch zu erklären versucht - „ ... da sind sicher fast nur Kommunisten“), neben den Propagandaklischees in einem und selbem Brief vor, wie z.B. im bereits zitierten Brief vom 18.11.1942 (dabei wird die Beschreibung des Feindbildes sowohl im Plural (die Russen) als auch im Singular (der Russe) verwendet) :

18.11.1942

„... Wir wundern uns nicht, denn wir befinden uns genau in der Hölle. Stalin hat hierher Eliteeinheiten geschickt, da sind sicher fast nur Kommunisten und Offiziere (...) Der Russe kämpft hartnäckig und erbittert um jeden Meter. (...) Die Russen tarnen sich geschickt und verteidigen sich in Trümmern. Diese Kämpfe kosten uns viel Blut...“40

Das Feindbild der „Russe“ wird im allgemeinen relativ oft im Zusammenhang mit primären Belastungen des Krieges - militärischen Kämpfen - beschrieben, die auch in Verbindung mit Beschreibungen von Verlusten bzw. körperlichen Strapazen gebracht werden:

25.12.1942

„Heute abend vor einer Stunde hatte wir wieder schwerstes Feuer von der Stalinorgel.

Hatte wieder, wie schon so oft, einen Kameraden, der durch Volltreffer zerrissen wurde.

Hoffentlich greift der Russe nicht an, denn dann müßten wir wieder raus.“41

04.01.1943

„Ihr Lieben

Ein Gruß von Stalingrad sendet Euch Theo. Bin noch gesund was ich auch von Euch hoffe. Wie Ihr wol wisst sind wir seit 7 Wochen von den Russen eingekeßelt und werden aus der Luft versorgt. Diesmal ist es umgedreht aber ich denke das balt wieder der Kessel offen ist...“42

39 Briefschreiber: Paulus, Bertold, Dienstgrad - Soldat, Jahrgang -1923, Quelle: „Es grüsst Euch alle Bertold“, S. 112.

40 Briefschreiber: ?, Ernst, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: „Po obe storony fronta - Auf beiden Seiten der Front“, S. 202-203, eigene Übersetzung. Da verschiedene Kategorien des öfteren im selben Absatz, manchmal sogar im selben Satz erwähnt wurden, werden einige Feldpostbriefe mehrmals zitiert; die entsprechende Attribuierung des Feindbildes wurde dabei unter der angemessenen Kategorie einmalig aufgefasst -A.P.

41 Briefschreiber: Paulus, Bertold, Dienstgrad - Soldat, Jahrgang -1923, Quelle: „Es grüsst Euch alle Bertold“, S. 112.

42 Briefschreiber: ?, Theo, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: „Echolot I“, S. 182, Orthographie und Rechtschreibung des Originals.

07.01.1943

„...Wie ist das Wetter bei Euch? Hier ist es mittelmässig. Es ist kalt, Schnee gibt es nicht besonders viel. Die Kämpfe, die wir führen, sind ein ständiges Hin- und Her, der Russe lässt uns keine Ruhe...“43

20.01.1943

„... Auch heute will ich Dir einen recht herzlichen Gruß senden. Immer wieder greifen die Russen bei uns an. Nur stauen kann ich, wo sie all die Munition her haben.“44

Auch bei der Beschreibung propagandistischer Bemühungen des Gegners, die deutschen Soldaten in Stalingrad zur Gefangenschaft aufzufordern, wird die Bezeichnung „Der Russe“

verwendet:

30.12.1942

„Der Russe hat jedoch eingesehen, daß er die Festung Stalingrad nicht mit Waffengewalt zu Fall bringt. Und deshalb versucht er es halt mit Flugblättern, worin er unsere Lage als hoffnungslos bezeichnet und uns zur Gefangenschaft unter allerlei Versprechungen auffordert...“45

Die ständige Präsenz des russischen Feindes führte dazu, dass auch alltägliche Angelegenheiten, wie z.B. die verlorengegangene Adresse von einem Bekannten oder die Schwierigkeiten mit der Feldpostversorgung u.ä. im Zusammenhang mit dem Feind stehen:

05.01.1943

„... Liebe Wally sei doch so gut und schreibe mir mal die Adresse von Erwin ich habe meine ganze Briefsachen nicht mehr meine Kameraden habe sie verbrennen müssen sonst werden sie dem Rußen in die Hände gefallen...“46

Die innere Zensur wird in einigen Briefen offensichtlich eingesetzt. So beschreibt ein Obergefreiter im Januar 1943 den Feind mit der Kategorie „Russe/ Russen“ als eine Art

„Störfaktor“, ohne welchen das Ganze eigentlich recht gut wäre, was deutlich einen Versuch zeigt, das Kriegsgeschehen zu verharmlosen:

10.01.1943

43 Briefschreiber: K.?, Heinz, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: „Po obe storony fronta - Auf beiden Seiten der Front“, S. 211, eigene Übersetzung.

44 Briefschreiber: Heintges, Rudolf, Dienstgrad - Feldwebel, Jahrgang unbekannt, Quelle: Ebert, Jens, „Zwischen Mythos und Wirklichkeit. Die Schlacht um Stalingrad in deutschsprachigen authentischen und literarischen Texten“, S. 5.

45 Briefschreiber: Paulus, Bertold, Dienstgrad - Soldat, Jahrgang -1923, Quelle: „Es grüsst Euch alle Bertold“, S. 114.

46 Briefschreiber: Sch.?, Herbert, Dienstgrad - Obergefreiter, Jahrgang - unbekannt, Quelle: „Ich will raus aus diesem Wahnsinn“, S. 174, Orthographie des Originals.

„...Komme heute mal wieder dazu, Dir ein paar liebe Zeilen zu schreiben. Kann Dir noch immer schreiben, daß es mir noch sehr gut geht. Von Dir hoffe ich auch noch das gleiche. Wie geht es Mama, Vater und den Kindern? Denke doch, genau so gut wie Dir und mir. Heute hat es mal wieder ganz nett hier oben geschneit. Wenn wir hier nicht vorm Russen ständen, könnte man glauben, wir wären hier auf Wintersport...“47

13.01.1943

„... Die Lage ist eben so, daß ich genau wie damals im Oktober, als ich zur Kompanie kam, auch keine Post erhalten habe wie jetzt, bloß sind die Umstände heute anders.

Damals griffen wir an in dem großen Ringen um die Stadt und heute versuchen die Russen, die eingeschlossene Festung in ihre Hand zu bringen...“48

Das Feindbild „Russe“ kann auch in Verbindung mit einem Lebenszeichen an die „Lieben daheim“ gebracht werden:

11.01.1943

„... Ich will Dir schnel wieter mal schreiben da ich noch gesund und munter bin was ich von Dir liebe Muttel u. liebe Kinder hoffe. Da wir wieter ein paar schwere tage haben hir und müßen die Nächte zu hin schlagen denn der Russe hat uns wieder mal wolle überraschen aber es ist ihn nicht gelungen, denn er wolte uns fein aufreiben und uns vernichten und das Heist es Augen auf und die Kugeln pfeiffen aber uns um den Kopf...“49

Die gleiche Feindbildkategorie wird neben den Hoffnungen verwendet, bald „hier herausgeschlagen“ zu sein, und dass „unsere die Stellung halten“, damit der Feind - bezeichnet als „der Russe“ - „nicht weiter vorkommt“:

20.01.1943

„...Wir haben jetzt schon 60 Tage ausgehalten und werden noch einmal 60 Tage aushalten, denn dann werden wir bestimmt hier herausgeschlagen sein, und Hunger haben wir bis jetzt noch nicht gelitten. Ich bin bis jetzt immer noch beim Tross gewesen, habe mich immer noch im warmen Bunker aufhalten können. Die Front ist aber schon

47 Briefschreiber: Bartels, W.?, Dienstgrad - Obergefreiter, Jahrgang - 1918, Quelle: „Zwischen Mythos und Wirklichkeit“, S. 49.

48 Briefschreiber: Grün, E.?, Dienstgrad - Obergefreiter, Jahrgang - 1915, Quelle: Ebert, Jens,

‘Zwischen Mythos und Wirklichkeit. Die Schlacht um Stalingrad in deutschsprachigen authentischen und literarischen Texten’, S. 35.

49 Briefschreiber: ?, Martin, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: „Das Echolot“, Band I 1.01.-17.01.1943, S. 473, Orthographie des Originals.

ziemlich nahe herangekommen. Wir wollen aber hoffen, daß unsere die Stellung halten, daß der Russe nicht weiter vorkommt...“50

Das Feindbild „Russe“ steht auch mit Erwähnungen von schweren Opfern bzw. mit dem Ernst der Lage in Verbindung:

13.01.1943

„... Ja, ich will Dir gleich reinen Wein einschenken. Es ist nämlich eher das Gegenteil der Fall. Seit dem 10.1. greift der Russe unablässig an. Er versucht jetzt mit aller Macht, eine Entscheidung zu seinen Gunsten herbeizuführen. Hin und wieder belegt er unseren Flugplatz mit weitreichenden Geschützen. Alles in allem, lieber Vater, unsere Lage ist ernst...“51

14.01.1943

„... Unser Bunker ist nun wieder überfüllt. Viele Kameraden, die mit leichten Verwundungen, od. Erfrierungen im Lazarett lagen, mußten den Schwerverletzten Platz machen, und 9 Mann zogen in unserem Wohnbunker dazu: Ja, ja, der gr. Angriff der Russen am 10.1. ist abgeschlagen worden, hat aber auch bei den Deutschen Opfer gekostet“.52

15.01.43

„... Hoffentlich seit Ihr noch alle gesund was auch ich Gott sei Dank schreiben kann.

Liebe Mama ich kann Dir blos schreiben wie es uns geht das ist schlimm, wir sind seit dem 21. Nov. eingeschlossen hinter an großen Donbogen haben die Russen zu gemacht u. wir werden mit den Flugzeugen verpflegt wir haben alle noch kein Weihnachts Paket erhalten, habe im ganzen von Dir 2 Briefe erhalten...“53

Zu bemerken ist, dass in den meisten deutschen Feldpostbriefen, welche Feinderwähnungen enthalten, nur eine einzige Feindbildkategorie zur Beschreibung des Gegners verwendet wird.

Nur in drei Feldpostbriefen, wie z.B. in dem bereits zweimal zitierten Brief vom 18.11.1942 aus der Sammlung „Po obe storony fronta - Auf beiden Seiten der Front“, ist ein ‘Feindbild-Konglomerat’ - eine Verbindung aus zwei oder mehreren Kategorien - festzustellen. Neben der

50 Briefschreiber: Beesbrink, Bernhard, Dienstgrad - Obergefreiter, Jahrgang - 1916, Quelle: Ebert, Jens, ‘Zwischen Mythos und Wirklichkeit. Die Schlacht um Stalingrad in deutschsprachigen authentischen und literarischen Texten’, S. 42-43.

51 Briefschreiber: Schorn, Rudolf, Dienstgrad - Obergefreiter, Jahrgang unbekannt, Quelle: Ebert, Jens, ‘Zwischen Mythos und Wirklichkeit. Die Schlacht um Stalingrad in deutschsprachigen authentischen und literarischen Texten’, S. 37.

52 Briefschreiber: ?, Hans, Dienstgrad - Soldat, Jahrgang unbekannt, Quelle: „Das Echolot“, Band I 1.01. - 17.17.01.1943, S. 606.

53 Briefschreiber: Name unbekannt, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: „Ich will raus aus diesem Wahnsinn“, S. 221, Orthographie des Originals.

Verbindung zwischen der Kategorie „Propagandistische Ausdrücke bzw. Propagandaklischees“

mit der Kategorie „der Russe/ die Russen“ kommen noch die Verbindung „Feind/Gegner“ (in dem Fall - „feindliche Abwehr“) mit der Kategorie „der Russe/ die Russen“ bzw. noch ein

„Feindbild-Konglomerat“ aus den „Propagandaklischees“ mit der Kategorie „der Russe / die Russen“ vor:

17.01.1943

„... Ich erhielt dabei gestern Abend den Auftrag, mit einem schnell zusammen gestellten Zuge, den eingebrochenen Feind zurückzuschlagen und die Haupkampflinie wieder zu besetzen. Leider konnte ich den Auftrag nicht durchführen, da ich schon sehr frühzeitig verwundet wurde und nicht mehr mit vor konnte. Die feindliche Abwehr war dermassen stark, daß wir vor einem von Russen besetzten Graben auf der freien Fläche liegenbleiben mussten und mein Zug dadurch erhebliche Ausfälle hatte. Erst mit Unterstützung von Schützenpanzerwagen konnten wir wieder in unsere alten Stellungen eindringen.“54

21.01.1943

„...Über die neueste Lage bist Du sicher seit einigen Tagen ebenfalls informiert, sei es durch Rundfunk oder aus direkter Quelle. (...) Mit fanatischer Kraft wehrt sich der deutsche Landser gegen eine Übermacht die einzig dasteht. Die nötigste Versorgung kommt durch die Luft. (...) Vorläufig halten wir noch aus und tun unsere Pflicht bis zum letzten. Wehe aber dem Russen wenn sein Operationen schief gehen. Wehe ihm!..“55

Bei einem Versuch, die Anzahl von Feinderwähnungen in eine zeitliche Anknüpfung mit militärischen Ereignissen um Stalingrad in Verbindung zu bringen, hat sich folgendes herausgestellt: Nach massiven russischen Gegenangriffen, die am 11.11.1942 anfingen, wächst die Anzahl von Feinderwähnungen von null am 09.11.1942 auf zwei am 11.11.1942 und erreicht einen Hochpunkt mit drei Erwähnungen am 13.11.1942. Am 19.11.1942 gehen die russischen Gegenangriffe in eine grosse Gegenoffensive „Uranus“ über, die am 23.11.1942 zur Einkreisung der 6. Armee führt. Gleich danach sinkt die Anzahl der Gegnererwähnungen von zwei am 19.11.1942 auf null am 23.11.1942; die ab diesem Datum angetretene

„Schweigepause“ (keine Feinderwähnungen) hält bis zum 20.12.1942 an, was nach einer

‘Frust-Reaktion’ aussieht. Am 21.12.1942 endete ohne Erfolg der Einsatzversuch der 6. Armee, worauf die Kurve der Feinderwähnungen mit einem kurzen Aufstieg auf eins am 21. und 24.12.1942, und mit einem Abwärtssteigen auf null am 28.12.1942. reagiert. Während der

54 Briefschreiber: Wagner, Heinz, Dienstgrad - Leutnant, Jahrgang unbekannt, Quelle: Ebert, Jens,

„Zwischen Mythos und Wirklichkeit“, S. 5.

55 Briefschreiber: ?, Franz, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: „Ich will raus aus diesem Wahnsinn“, S. 234 - 235.

Weihnachts- und Silvesterzeit bleibt die Kurve mit einer Erwähnung stabil, es folgt ein Aufstieg auf drei Erwähnungen am 7.01.1943 und ein Abstieg auf ‘Null-Punkt’ am 9.01.1943. Eine Reaktion auf sowjetische Offensive am 10.01.1943 ist mit einem Aufstieg auf zwei gekennzeichnet; Erfolge der Sowjetarmee rufen zweimal (am 13.01.1943 und 17.01.1943) einen absoluten Höhepunkt mit vier Erwähnungen hervor, die Erwähnungen-Kurve ist dabei instabil, die Erwähnungen sinken zweimal auf null (am 12.01.1943 und am 16.01.1943).

Generell rufen feindliche militärische Erfolge eine grössere Zahl der Feinderwähnungen hervor als in der Zeit eigener Erfolge, zudem ist eine deutliche Reaktion auf die Einkesselung als eine Art lange anhaltender ‘Schweigepause’ (23.11.1942 bis 20.12.1942) zu sehen.

Ein anderes Bild in bezug auf Feindbildkategorien ergibt sich bei der Analyse der Feldpostbriefe an offizielle Adressen. In den zehn ausgewählten Feldpostbriefen an den Osnabrücker Regierungspräsidenten erhalten sechs Briefe (60%) Erwähnungen des Feindes, dabei wurden nur 4 von 6 Feindbildkategorien verwendet (solche Feindbildkategorien wie „Negative emotionelle Bezeichnungen bzw. Schimpfwörter“ und „Ivan“ kommen überhaupt nicht vor):

Propagandistische Ausdrücke bzw. Propagandaklischees 2 Negative emotionelle Bezeichnungen bzw. Schimpfwörter 0 Dehumanisierung bzw. Entmenschlichung des Feindes 1

Feind/ Gegner 1

Ivan 0

Der Russe/ die Russen 6

Die Feindbildkategorie „Propagandaklischees“ ist in zwei Feldpostbriefen an offizielle Adressen vorhanden, die russischen Gegner werden als „Bolschewiken“ bzw. „Sowjets“ bezeichnet (die letzte Bezeichnung war typisch für die Wehrmachtsberichte, wie. z.B. im Wehrmachtsbericht vom 4.12.1942: „In Fortsetzung der erbitterten Abwehrkämpfe zwischen Wolga und Don brachen am gestrigen Tage wiederholte starke Angriffe der Sowjets unter hohen Verlusten zusammen.“)56:

20.08.1942

„...Vor einigen Tagen kam ich an eine Stelle, wo ein großes Getreidelager, mehrere 1000 Zentner aus dem vorigen Jahr, von den Bolschewiken in Brand gesteckt war. Die zerstören alles, was sie nur können.“57

56 Die Wehrmachtberichte 1939-1945, Band 2, 1. Januar 1942 bis 31. Dezember 1943, Köln 1989, S.

344.

57 Briefschreiber: H.H., Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: „Der Krieg hier ist hart und grausam!“ Feldpostbriefe an den Osnabrücker Regierungspräsidenten, S. 104-105.

18. Mai 1942

„...Wir haben es immer erleben müssen, mit welch erbarmungsloser tierischer Sturheit die Kommissare der Sowjets ihre Soldaten in das deutsche Abwehrfeuer hetzten, wie immer neue Massen von Russen gegen unsere Linien stürmten und wie es trotz aller Anstrengungen (...) den Russen nicht gelang, an Raum zu gewinnen...“58

Nur in einem Feldpostbrief ist eine Dehumanisierung des Feindbildes festzustellen, wo dieselbe neben den bereits zitierten Propagandaklischees verwendet wird. Zugleich wird diese Dehumanisierung verwendet, um Widerstandskraft des Gegners abzuwerten - das, was in einer anderen Situation als z.B. „Tapferkeit“ oder „Hartnäckigkeit“ bezeichnet werden könnte, wird im folgenden (bereits zitierten) Brief als „erbarmungslose tierische Sturheit“ dargestellt:

18. Mai 1942

„...Wir haben es immer erleben müssen, mit welch erbarmungsloser tierischer Sturheit die Kommissare der Sowjets ihre Soldaten in das deutsche Abwehrfeuer hetzten...“59

„...Wir haben es immer erleben müssen, mit welch erbarmungsloser tierischer Sturheit die Kommissare der Sowjets ihre Soldaten in das deutsche Abwehrfeuer hetzten...“59