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3. PRÄEXISTIERENDE FEINDBILDER UND PROPAGANDISTISCHE INDOKTRI- NATION

3.3. Mentale Kriegsbereitschaft: geschichtliches Deutschlandbild

3.3.1. Deutschlandbild in der Sowjetunion

Der Rolle Russlands im System der außenpolitischen Beziehungen maßen die im Oktober 1917 die Macht ergriffenen Bolschewiken zunächst keine große Bedeutung bei. Das läßt sich durch ihre Erwartung einer unvermeidlichen Erweiterung der Revolution auf Länder mit einem höheren Wirtschaftspotential erklären. Die russische Revolution sollte an solche Dimension gewinnen, die die besten Bedingungen für eine Weltrevolution vorbereitete.64 Die künftige Außenpolitik wurde folgendermaßen formuliert: ”Im Bündnis mit Revolutionären der fortschrittlichen Länder

59 Senjavskaja, Elena S., ½elovek na vojne. Istoriko-psichologiÝeskie oÝerki(Der Mensch im Krieg.

Geschichtlich-psychologische Studien). Moskau, Institut für die Geschichte Russlands an der Russländischen Akademie der Wissenschaften (Hrsg.) 1997, S. 67-68.

60 Borisov J., Golubev A., Kudjukina M., NeveÌin V., Rosija i zapad, S. 57.

61 Ebenda, S. 58-59.

62 Ebenda, S. 61.

63 Ebenda, S. 67.

64 Lenin W.I., Gesammelte Werke, Moskau 1696, Bd. 26, S. 254, 325 ff.

und mit allen unterdrückten Völkern gegen jegliche und alle Imperialisten”.65 Unter diesem Standpunkt stand Deutschland näher zu den Bolschewiken als z.B. England, da die innenpolitische Situation in Deutschland eine nahe Revolution erwarten ließ.

Der bolschewistischen Weltanschauung war eine Globalisierung des Feindbildes eigen. Die Feindbilder bildeten sich jetzt nicht nach Nationen, sondern nach Klassen: ”Die ganze Welt läßt sich in zwei Lager aufteilen”: ”Wir”, die Werktätigen, und ”Die da”, die Ausbeuter”, schrieb Lenin im Sommer 1917.66 Nach der Oktoberrevolution wurde diese Formel zur ideologischen Begründung einer neuen Gesellschaft. Der Begriff ”Wir, die Werktätigen” tendierte zu ”Wir, der Arbeiter- und Bauernstaat”, und das Pendant dieses Begriffes ”Die da, die Ausbeuter” zu ”Die da, die Bourgeoisie-Staaten”, also der Rest der Welt. Der vollständige Austausch der politischen Elite in Russland sowie eine krasse Änderung der sozialen Gesellschaftsstrukturen führte zu einer Änderung des Westen- und Deutschlandsbildes. Die vom Staat streng kontrollierten Massenmedien spielten dabei die wichtigste Rolle in Bildung der außenpolitischen Stereotype sowie Freund- und Feindbilder.

Bereits 1919 erschienen in den Bezirken und Gouvernements der Russischen Föderation und in der Ukraine ca. 800 Zeitungen; die Gesamtauflage der zentralen Zeitungen ”Prawda”,

”Isvestija”, und ”Bednota” betrug über 1 Mio. 1932 erschienen in der Sowjetunion 7 500 Zeitungen und 2 000 Zeitschriften; 1940 stieg die Anzahl der Zeitungen auf 8 800 mit der Tagesauflage 38,4 Mio.67 Wie viele russische Forscher feststellen, waren die Zeitungen und Zeitschriften für die Sowjetbürger die Hauptquelle für außenpolitische Informationen.68

Eine konsequente Isolierung des Landes erforderte eine Selektion der Informationen von der Außenwelt. Fast alle Zeitungen und Zeitschriften unterlagen einer strengen ideologischen Zensur. Zuständig dafür war die Glavlit - Hauptverwaltung für Literatur und Verlage bei dem Volkskomitee für Bildung, gegründet 6. Juni 1922 per Dekret des Rats der Volkskomissare (SNK).69 Befreit von der Zensur waren: Ausgaben des Komintern, der Kommunistischen Partei, des Gosizdat (Staatsverlag), des Glavpolitprosvet (Verwaltung für politische Aufklärungsarbeit) und der Russländischen Akademie der Wissenschaften. Nach einer Reorganisation 1930

65 Lenin W.I., Ebenda, Bd.32, S. 337, eigene Übersetzung.

66 Lenin W.I., Ebenda, Bd.34, S. 323, eigene Übersetzung.

67 Borisov J. u.a.: Rosija i zapad, S. 75.

68 Ebenda, S. 135-136. In seiner Ansprache an die Propagandisten Ende September 1938 in Moskau betonte Stalin: ”Es gibt keine bessere Propaganda auf der Welt als die Presse - Zeitschriften, Zeitungen und Broschüren. Die Presse ist so eine Sache, die uns ermöglicht, diese oder jene Wahrheit zum Gemeingut für alle zu machen.” Zitat aus: NeveÌin, Vladimir A., Sindrom nastupatel’noj vojny. Sovetskaja propaganda v preddverii ”svjašÝennych bojev.” (Syndrom des Angriffskrieges. Die sowjetische Propaganda am Vorabend der ”heiligen Kämpfe”). Moskau 1997, S. 37, eigene Übersetzung.

wurden die Befugnisse der Glavlit wesentlich erweitert (erweitert wurde z.B. die Liste der Angaben, deren Verbreitung in der Sowjetunion verboten war; Militärgeheimnisse in der Presse lagen jetzt auch im Verantwortungsbereich der Glavlit).70

Außerdem kontrollierte die Massenmedien sowie die Kaderpolitik in diesem Bereich die Verwaltung für Propaganda und Agitation (UPA) des ZK der VKP(b). Die Glavlit und die TASS (Telegraphenagentur der Sowjetunion) wurden auch von dieser Verwaltung kontrolliert. Die TASS wurde 1925 gegründet; laut Verordnung des ZK (November 1934) bekam die TASS das exklusive Recht, die Informationen über die Sowjetunion im Ausland zu unterbreiten. Der zentral gesteuerte Propagandaapparat unterlag der persönlichen Kontrolle Stalins.71

Dem derzeit noch jungen Medium Rundfund maß die Kommunistische Partei auch eine große Bedeutung bei. Der Rundfunk war auch zentral verwaltet und kontrolliert, zuständig dafür war das Unionskomitee für Rundfunk (gegründet 1931).

Mit der Ausstrahlung aktueller Informationssendungen waren 1932 53 Funkstationen beschäftigt, die Anzahl der Funkanschlüsse wuchs rasch - von 32 000 im Jahre 1928 bis auf 2 Mio. 1932 und auf 5,8 Mio. 1941. Außerdem gab es ca. 1,1 Mio. Kleinempfänger (1941).72 Insgesamt hatte ca. 30 Mio. Sowjetbürger die Möglichkeit, Rundfunksendungen zu empfangen.73

Entlehnung und Nachahmung sowie die Verwendung der landläufigen Begriffen und Klischees, die von Stalin sowie von seinen nächsten Mitarbeiter stammten (das waren vor allem Molotov,

¬danov, Kalinin und ŠÝerbakov) waren für die Sprache der Presse und des Rundfunks in der Sowjetunion typisch.74 Die Reden und Ansprachen von Stalin wurden sofort in den Medien zitiert, in den Propagandamaterialien waren Zitaten von Stalin obligatorisch.75 Die Auflage der

”Geschichte der Kommunistischen Unionspartei (der Bolschewiken). Verkürtze Auslage” unter Stalins Redaktion überstieg 1938-39 15 Mio. Die Anzahl anderer Arbeiten und Texten Stalins

69 KorÌichina T., Isvol’te byt’ blagonadeÌnym! (Sie sollen loyal sein!), Moskau 1997, S. 114-117.

70 Gorjaeva T.M., Sovetskaja politièeskaja zensura: Istorija, dejatek’nost’, struktura (Sowjetische politische Zensur: Geschichte, Tätigkeit und Struktur), in: Iskljuèit’ vsjakie upominanija. Oèerki istorii sovetskoj zensury (Alle Erwähnungen sind auszuschließen. Studien zur Geschichte der sowjetischen Zensur). Minsk 1995, S. 20, 27ff.

71 NeveÌin, Vladimir A., Sindrom nastupatel’noj vojny. Sovetskaja propaganda v preddverii

”svjaßennych bojev.” (Syndrom des Angriffskrieges. Die sowjetische Propaganda am Vorabend der

”heiligen Kämpfe”). Moskau 1997, S. 50.

72 Istorija SSSR s drevneišich vremen do našich dnei. (Geschichte der UdSSR vom Altertum bis zur Gegenwart), Moskau 1967, Bd. 9, S. 371-372.

73 NeveÌin, Vladimir A., Sindrom nastupatel’noj vojny, S. 40.

74 Borisov J., Golubev A., Kudjukina M., NeveÌin V. Rosija i zapad, S. 101.

75 NeveÌin, Vladimir A., Sindrom nastupatel’noj vojny. S. 28.

betrug 1938 ca. 26,7 Mio., dabei betrug die Gesamtauflage der Werke Lenins, Stalins und Engels’ ca. 10,4 Mio.76

Die Möglichkeiten, Informationen aus dem Ausland zu bekommen, waren auch durch den niedrigen Ausbildungsgrad der zuständigen Mitarbeiter beschränkt: Der größte Teil der politischen ‘Elite’ der Sowjetunion in den 20er - 30er Jahren konnten keine Fremdsprachen.

Diejenigen, die über gute Ausbildung und entsprechende Sprachkenntnisse verfügten, gehörten zur ‘vorrevolutionären’ Generation und waren für die Sowjetregierung nicht loyal genug. Das Politbüro des ZK verabschiedete im Juni 1922 eine Verfügung, wo z.B. folgendes erklärt wurde:

”...es ist zu beschließen, dass kein Kongreß bzw. keine allrussländische Konferenz der Fachleute (Ärzte, Agronomen, Ingenieure, Anwälte usw. ) ohne entsprechende Erlaubnis der Volkskommissariat für innere Angelegenheiten einberufen werden darf... ”77

Teilweise wurde die fremdsprachige Presse durch russischsprachige Emigrantenausgaben ersetzt. Die Möglichkeit, solche Ausgaben zu abonnieren, wurde jedoch ständig eingeschränkt.

Wenn z.B. 1922-23 alle Mitarbeiter der ”Prawda” die Emigrantenpresse lesen durften, wurde 1924-25 zur Lektüre der kontrrevolutioneren Literatur” bereits eine spezielle Erlaubnis der Redaktion erforderlich. 1927 wurde das Abonnieren der Emigrantenpresse verboten; statt dessen bereitete die Informationsabteilung des ZK eine Presseschau vor, die mit dem Vermerk

”Nur für Dienstgebrauch” an die Parteikomitees in Gebieten, Regionen, Bezirken usw. geschickt wurde.78

Der Ausbildungsgrad der Zensoren senkte auch; während der Säuberungen der 30er Jahre wurden 44 aus 144 Mitarbeiter der Glavlit festgenommen; als Ergebnis entstand ein Mangel an qualifizierten Mitarbeiter (1938 besaßen 75,7% Zensoren der Glavlit einen Hochschulabschluß, 1939 waren es 73%, und 1940 - 55%).79

3.3.2. Propagandistische bzw. politische Vorbereitung der Truppe

76 NeveÌin, Vladimir A., Sindrom nastupatel’noj vojny. S. 26-27.

77 Krasil’nikov, C.A., Politbjuro, GPU i intelligenzija v 1922-23 gg. (Das Politbüro, die GPU und die Intelligenz in den 1922-1923 er Jahren ), in: Intelligenzija, obšèestvo, vlast’: opyt vsaimootnošenij 1917 - konez 1930 gg. (Die Intelligenz, die Gesellschaft und die Macht: Erfahrungen der Wechselwirkungen in den 1917 - 1930er Jahren), Novosibirsk 1995, S. 38, eigene Übersetzung.

78 Borisov J., Golubev A., Kudjukina M., NeveÌin V. Rosija i zapad, S. 130-131.

79 Gorjaeva T.M., Sovetskaja politiÝeskaja zensura: Istorija, dejatel’nost’, struktura (Sowjetische politische Zensur: Geschichte, Tätigkeit und Struktur), in: ”Iskljuèit’ vsjakie upominanija...” Oèerki istorii sovetskoj zensury (”Alle Erwähnungen sind auszuschließen...” Studien zur Geschichte der sowjetischen Zensur). Minsk 1995, S. 31.

Für die propagandistische und politische Arbeit in der Roten Armee war die Politische Verwaltung der Roten Arbeiter- und Bauernarmee (PURKKA) zuständig, die 1929 gegründet wurde und über die Befugnisse und Rechte der Militärabteilung des ZK der VKP(b) verfügte.

Am 15. August 1937 haben das Zentrale Exekutivkomitee und der Rat der Volkskommissare der UdSSR die ”Verfügung über die Kriegskommissare” verabschiedet. Kriegskommissare wurden für ihr Amt von der Politischen Verwaltung der RKKA nominiert und von dem Volkskommissar der Verteidigung ernannt; sie waren für politische Verwaltung und Propaganda in den Militäreinheiten sowie in den Bildungsanstalten, Organisationen und Verwaltungen der Roten Armee verantwortlich. 29. Juli 1940 wurde die PURKKA in die Hauptverwaltung für politische Propaganda der Roten Armee (GUPPKA) umbennant.

Laut ”Verordnung über die politische Verwaltung der RKKA” des Volkskommissariats für Verteidigung (22. November 1934) hatte der Leiter der PURKKA breite Rechte und Kompetenzen; er leitete die Tätigkeit aller Politorgane sowie der Partei- und Komsomolorganisationen in der Roten Armee, der Politischen Militärakademie, der Fortbildungsseminare für politische Kommissare, für die politische Bildung der Offiziere und Offiziersanwärter; außerdem kontrollierte der Leiter der PURKKA die Verlagstätigkeit und die Presse in der Roten Armee.80

In den Verlagen der Roten Armee erschienen 1941 15 militärische Zeitschriften mit der Jahresauflage ca. 450 000 - 600 000, die größten dabei waren ”Propagandist und Agitator der RKKA”, ” Politische Bildung der Rotarmisten”, ”Parteipolitische Arbeit in der RKKA” und ”Der Rotarmist”. Unter den größten Zeitungen sind ”Krasnaja zwezda” (Der rote Stern) und ”Boevaja podgotovka” (Kampfausbildung) mit der Auflage je 500 000 bis 600 000 zu erwähnen. Nach dem Beschluß des ZK der VKP(b) im April 1939 wurden Armeezeitungen gegründet, 1941 waren es bereits 15 Zeitungen; mit der Herausgabe waren über 2 000 Propagandisten und Kommandeure beschäftigt. 1940 existierten auch 18 Militärbezirkszeitungen . Vor dem Aufbruch des Krieges gab es insgesammt ca. 500 Divisions- und Armeezeitungen, die Jahresauflage erreichte 1 725 000.81

80 NeveÌin, Vladimir A., Sindrom nastupatel’noj vojny, S. 33-34.

81 KloÝkov V.F, Krasnaja armija - Þkola kommunistièeskogo vospitanija molodeÌi 1918 - 1941 (Die Rote Armee als Schule der kommunistischen Jugenderziehung 1918 - 1941), Moskau 1984, S. 44 - 45.

Mit der politischen und propagandistischen Tätigkeit für die Truppe waren 1940 über 70 000 Mitarbeiter beschäftigt (zum Vergleich: die Anzahl der Kommandeure der Roten Armee betrug zum 1.01.1941 540 000).82

Nach der Unterzeichnung des Nicht-Angriffs-Paktes vom 23. August 1939 wurde die antifaschistische Propaganda in den sowjetischen Massenmedien verboten. Die Erwartung eines ”Großen Krieges”, die von der ‘feindselige kapitalistische Umgebung’ ausgehen könnte, wurde jedoch ständig durch die gezielte Propaganda stimuliert.83 Feindbilder wurden in der Sowjetunion in den Propaganda-”Wellen”84 produziert, dabei standen manche dieser ”Wellen” in Widerspruch miteinander.

Das Feindbild der sowjetischen Militärelite war nicht homogen. In führenden Positionen in der Roten Armee waren M. Tucha

Ý

evskij, I. Uborevi

Ý

, M. Frunze, S. Budennyj, A. Jegorov u.a.;

dabei standen vor allem Tucha

Ý

evskij und Uborevi

Ý

im Vordergrund. Marschall Michail Tucha

Ý

evskij stand unter dem Einfluß des russischen Generals Skobelev und war in der deutschen Gefangenschaft im Ersten Weltkrieg, was seine antideutschen Stimmungen stärkte.

1925 - 1928 war er Generalstabschef, 1925 - 1928 bildeten seine geostrategischen Einsichten die offizielle Militärdoktrin der Roten Armee. Einsichten Tucha

Ý

evskijs beinhalteten eine Dualität: einerseits seien Erzfeinde England und Frankreich, andererseits orientiert sich der Marschall auf Bündnis mit Frankreich (ab 1932 teilten seine Ansichten auch Voroschilov, Budennyj, Egorov u.a.). Ieronim Uborevi

Ý

war in seinen Einsichten eher deutschlandorientiert (Aufenthalt in Deutschland 1927-29), mit seiner Unterstützung studierten ca. Hundert sowjetische Kommandeure an der deutschen Militärakademie 1927 - 33; später unterstützte Uborevi

Ý

Konzeption Tucha

Ý

evskijs.85

Die Palette der Feindbilder der Militär in den 20-30er Jahren beinhaltete somit nicht nur Deutschland, sondern auch England, Frankreich, Finnland, die baltischen Staaten und Polen

82 NeveÌin, Vladimir A., Sindrom nastupatel’noj vojny, S. 48.

83 Golubev A.V., Zapad glazami sovetskogo obšÝestva (Der Westen mit den Augen der sowjetischen Gesellschaft): Osnovnye tendenzii formirovanija vnešnepolitiÝeskich sterotipov v 30-ych godach (Haupttendenzen der Bildung außenpolitischer Stereotype in den 30er Jahren), in:

OteÝestvennaja istorija, 1996, Nr. 1, S. 112-116.

84 NeveÌin, Vladimir A., Sindrom nastupatel’noj vojny, S. 256-257.

85 Siehe dazu: Dejateli SSSR i revoljuzionnogo dviÌenija Rossii (Staatsfunktionäre der UdSSR und der revolutionären Bewegung Russlands). EnziklopediÝeskij slovar’ ”Granat” (Lexikon ”Granat”), Moskau 1989. Beide - TuchaÝevskij und UboreviÝ - waren Opfer der ‘Säuberungen’ in der Militärelite 1937-38.

sowie Staaten im nahöstlichen Kriegsschauplatz, die unter dem Einfluß Englands und Frankreichs standen, und im Fernen Osten - Japan.86

Nach den Säuberungen in der Armee erfolgte eine Vereinheitlichung der Militärdoktrin, wo Einsichten Stalins dominierten.87 Dabei wurden Gedanken von Stalin oft von seinen engsten Mitarbeitern artikuliert (das waren vor allem Molotov und ¬danov),88 was ihm Möglichkeiten zum Dementieren oder taktischen Manövrieren überlies.

Zahlreiche Dokumenten und Untersuchungen russischer Historiker89 bestätigen, dass auch nach dem Pakt Molotov-Ribbentrop Deutschland als wahrscheinlicher Gegner von Stalin und der sowjetischen Regierung betrachtet wurde. So betonte Stalin in einem Gespräch mit General I. Petrov, der im März 1940 mit einem staatlichen Ausschuß nach Deutschland geschickt wurde, um Muster der Militärtechnik kennenzulernen, folgendes: ”Merken Sie sich: Obwohl wir den Pakt mit Deutschland unterzeichnet haben, ist und bleibt das faschistische Deutschland unser Erzfeind.”90

In den sowjetischen Medien wurde jedoch die antifaschistische Propaganda nach dem Pakt Molotov-Ribbentrop abgebaut. Ab Herbst 1940 waren die propagandistischen Materialien, in denen Deutschland als Feind dargestellt wurde, nur in Dokumenten für einen engen Kreis von Parteifunktionären, Mitarbeitern der Propagandaorgane und Kommandeuren der Roten Armee zugänglich. Im März-April 1941 bereitet sich die TASS zum ‘Propagandakrieg’ gegen das Propagandaministerium unter Goebbels vor. Als Propagandamaterialien wurden Auszüge aus

”Mein Kampf”, Artikel über den Nazi-Willkür in Polen und Jugoslawien u.ä. gesammelt; solche

86 Repko C., Zena illjusij (Preis der Illusionen): Propaganda na vojska i naselenie protivnika v pervye mesjazy vojny (Propaganda gegen die Truppen und Zivilbevölkerung des Gegners in den ersten Monaten des Krieges), in: Boenno-istoriÝeskij Ìurnal (Militärhistorische Zeitschrift), 1992, Nr. 11, S. 8-15.

87 Merzalov A., Merzalova L., Stalinism i vojna (Stalinismus und Krieg), Moskau 1998, S. 40-71.

88 NeveÌin, Vladimir A., Sindrom nastupatel’noj vojny, S. 117.

89 Siehe dazu z.B.: Mel’tjuchov, M., Predystorija Velikoj OteÝestvennoj vojny v sovremennych diskussijach ( Vorgeschichte des Großen Vaterländischen Krieges in gegenwärtigen Diskussionen), in: Bordjugov, G., IstoriÝeskie issledovaniy v Rossii: Tendenzii poslednich let.

(Geschichtliche Untersuchungen in Russland: Tendenzen der letzten Jahre), Moskau 1996;

Mel’tjuchov, M., Spory vokrug 1941 goda: opyt kritiÝeskogo osmyslenija odnoj diskussii (Meinungsstreite um das Jahr 1941: Erfahrungen des kritischen Erfassens einer Diskussion), in.

OteÝestvennaja istorija 1994, Nr. 3, S.4-22.; NeveÌin, Vladimir, Vystuplenie Stalina 5 maja 1941 goda i povorot v propagande: analis direktivnych materialov (Rede Stalins am 5. Mai 1941 und der Wendepunkt in der Propaganda: eine Analyse der Direktivmaterialien), in: Gotovil li Stalin nastupatel’nuju vojnu protiv Gitlera (Hat Stalin ein Angriffskrieg gegen Hitler vorbereitet)?

Nesaplanirovannaja diskussija. Sbornik materialov (Ungeplante Diskussion. Sammelwerk).

Moskau 1995, S. 147 - 168; NeveÌin, Vladimir, Metamorfosy sovetskoj propagandy v 1939 - 1941 godach (Metamorphosen der sowjetischen Propaganda in den 1939 - 1941 Jahren), in: Voprosy istorii, 1994, Nr. 8, S. 164-171 u.a.

90 NeveÌin, Vladimir A., Sindrom nastupatel’noj vojny, S. 129

Vorbereitungen blieben bis zum Ausbruch des Krieges geheim.91 Oft waren es verschleierte Propagandamaßnahmen, die in der öffentlichen Meinung das deutsche Feindbild ‘auf dem laufendem’ halten mußten. So wurde im April 1941 der Stalin-Preis für den Film ”Alexander Newskij” (Drehbuchautor S. Eisenstein) verliehen, der eindeutig deutschlandfeindliche Tendenzen92aufwies.93

Den Wendepunkt für eine Wiederbelebung der Propaganda gegen das Dritte Reich bildete die Rede Stalins, die er vor den Absolventen der Militärakademien der Roten Armee am Mai 1941 in Moskau abhielt. Der vollständige Text dieser Rede wurde in der Sowjetzeit nie veröffentlicht, der Inhalt der Rede wurde erst in der ersten Hälfte der 90er Jahren rekapituliert.94 In dieser Rede meinte Stalin, dass es Zeit ist, von der Friedenspolitik zur ”Militärpolitik der Offensive”

überzugehen bzw. dementsprechend die Propaganda umzubauen. Außerdem enthielt diese Rede eine positive Einschätzung der Kampfbereitschaft der Roten Armee, dabei wurde als realer Feind das faschistische Deutschland genannt. Als Grunde für die Siege der Wehrmacht in Europa bezeichnete Stalin die Schwachheit ihrer Gegner.95

Ab Mai 1941 lief propagandistische und politische Vorbereitung zum Krieg somit auf Hochtouren; deutsche Feindbilder waren jetzt nicht nur in den Materialien ‘für Dienstgebrauch’

sondern auch in der Presse präsent. Dabei erfolgte auch eine Dosierung sowie Differenzierung der Informationen; so waren Publikationen in den Gebiets-, Stadt- und Bezirkszeitungen offener als die in den Zentralzeitungen ”Prawda”, ”Isvestija”, ”Trud” und ”Krasnaja Zvezda”, da die Informationen aus den Regionen für Deutschland weniger zugänglich waren.

3.4. Zusammenfassung

Nur in einem konkreten historischen Kontext entfalten Ideologien sowie ideologisch geprägte Gesellschaftssysteme ihre Wirksamkeit und erfahren ihre konkrete Ausgestaltung. Der

91 NeveÌin, Vladimir A., Sindrom nastupatel’noj vojny S. 148

92 Der russische Fürst Alexander Newskij schlug 1242 die Ritter des Deutschen Ordens unter dem Bischof Hermann von Dorpat auf dem Eis des Peipus-See vernichtend aufs Haupt.

93 Bagramjan,I., Tak naÝinalas’ vojna (So begann der Krieg), Moskau 1971, S. 55-56.

94 NeveÌin, Vladimir A., Sindrom nastupatel’noj vojny S.148 - 251; dazu auch: Besymenskij L., Osobaja papka ”Barbarossa”: Dokumental’naja povest’ (Die besondere Aktenmappe ”Barbarossa”:

Dokumentarische Großerzählung), Moskau APN Verlag 1972; Krumacher F., Lange G., Planiroval li Stalin vojnu protiv Germanii (Hat Stalin den Krieg gegen Deutschland geplant)?, in: Voenno-istoriÝeskij Ìurnal, 1991 Nr. 6, S. 26-33.

95 NeveÌin, Vladimir A., Sindrom nastupatel’noj vojny, S. 168 - 196. Dazu auch: Besymenskij, L., ½to Ìe skazal Stalin 5 maja 1941 goda (Was hat denn Stalin am 5. Mai 1941 gesagt)?, in: Novoe vremja, 1991, Nr. 19, S.36-40. Besymensij, L., Die Rede Stalins am 5. Mai 1941: dokumentiertund interpretiert, in: Osteuropa, 1992, Nr. 3, S. 262-282; Besymensij, L., Der Kreig Stalijns oder Krieg Hitlers?, in: Wostok, 1995, Nr. 3, S. 36-42; Danilov V., Hat der Generalstab der Roten Armee einen Präventivschlag gegen Deutschland vorbereitet?, in: Osterreichische Militärische Zeitschrift, 1993,

Bolschewismus war ein spezifisch russisches, der Nationalsozialismus ein spezifisch deutsches Phänomen. Im einen wie im anderen Falle war es keine historische Notwendigkeit, aber auch kein bloßer Zufall, dass in Rußland die Bolschewiken gesiegt haben und in Deutschland der Nationalsozialismus an die Macht kam. Man könnte sich, auch und gerade im historischen Rückblick, das Umgekehrte nur schwer vorstellen. Ein ‚Vergleich‘ zwischen Bolschewismus bzw. Stalinismus und Nationalsozialismus muß darüber hinaus berücksichtigen, dass es sich um zwei spezifische Machtkomplexe in einem multipolaren Weltsystem handelte, welches sich insgesamt in einer Phase jahrzehntelanger Imperial- und Bürgerkriege befand.96

Deutschland spielte in der bolschewistischen Globalstrategie eine fast konstitutionelle Schlüsselrolle - wie Sowjet-Russland in den Konzeptionen der deutschen Nationalisten,

”konservati-ven Revolutionäre” und Nationalsozialisten. Die Bolschewiken setzten auf ein revolutioniertes oder alliiertes Deutschland, die deutschen Nationalisten auf ein alliiertes, die Nationalsozialisten auf ein kolonisiertes Russland.97

Die Propaganda erwies sich auf beiden Seiten als Instrument für die Untermauerung der politischen Ziele der Regierungen; den Änderungen taktischer politischer Ziele folgend, erfolgte propagandistische Indoktrination in Propagandaaktionen, oder - mit anderen Worten -

‘Propaganda-‘Wellen’, die manchmal miteinander im Gegenspruch standen. Die Außenpolitik beider Staaten in der Zeitspanne zwischen dem Ersten Weltkrieg und Überfall auf die Sowjetunion kann als ‘Schaukelpolitik’ bezeichnet werden: Die Konfrontationsphase nach dem Frieden von Brest-Litovsk 1918 wurde nach dem Rapallo-Vertrag von 1922 durch eine Annäherungsphase abgelöst, die auch eine militärische Zusammenarbeit einschloß; nach der Machtergreifung von den Nationalsozialisten 1933 erfolgte erneut die Zeit der Konfrontation, die bis August 1939 (Pakt Molotov-Ribbentrop) andauerte.

Beide Hauptakteure des künftigen Krieges - Deutschland und Russland - waren außerdem am Spanischen Bürgerkrieg 1936-1939 beteiligt, was gegenseitige Feindbilder stärkte. Der Spanische Bürgerkrieg erregte von Anfang an in der europäischen Öffentlichkeit heftige Anteilnahme, die von literarisch-publizistisch Parteinahme bis zu persönlichem Kriegsdienst reichte. „Internationalisiert“ wurde der Krieg aber vor allem durch das Eingreifen ausländischer Mächte. Deutschland und Italien unterstützten seit Kriegsbeginn die Aufständischen, Italien war

Nr. 1, S. 41-1; Wehner M., Der letzte Sowjetmythos. Ein russischer Historikerstreit: Die Debatte über Stalins Angriffspläne 1941, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. April 1996 (Nr. 84), S. 6.

96 Vgl. dazu: Koenen, Gerd, Bolschewismus und Nationalsozialismus. Geschichtsbild und Gesellschaftsentwurf, in: Vetter, Matthias (Hrsg.), Terroristische Diktaturen im 20. Jahrhundert, Opladen 1996, S. 172-176.

nachweislich an der materiellen Vorbereitung des Putsches beteiligt, die UdSSR half ab Spätherbst 1936 der Republik, England und Frankreich bekannten sich zum Prinzip der sog.

„Nichteinmischung“.98

Im Zeichen einer gemeinsamen antibolschewistischen Ideologie kam es sehr früh zur Koinzidenz von öffentlicher italienisch-faschistischer und vatikanischer Parteinahme für die Rebellen. Mussolini verfolgte in Spanien einerseits das Ziel, langfristig seine Interessen im Mittelmeerraum abzusichern; andererseits führte das gemeinsame deutsch-italienische Vorgehen zur „Achse Rom-Berlin“. Zu den wichtigsten Motiven und Zielen gehörten die

Im Zeichen einer gemeinsamen antibolschewistischen Ideologie kam es sehr früh zur Koinzidenz von öffentlicher italienisch-faschistischer und vatikanischer Parteinahme für die Rebellen. Mussolini verfolgte in Spanien einerseits das Ziel, langfristig seine Interessen im Mittelmeerraum abzusichern; andererseits führte das gemeinsame deutsch-italienische Vorgehen zur „Achse Rom-Berlin“. Zu den wichtigsten Motiven und Zielen gehörten die