• Keine Ergebnisse gefunden

5. Feindbilder und Motivationen „von unten“

5.6. Motivationen „von unten“

5.6.1. Motivationen in deutschen Feldpostbriefen

Die Anzahl von unterschiedlichen Motivationskategorien verteilten sich in den deutschen Feldpostbriefen wie folgt:

1. Politischmilitärische Ziele der Regierung/Lebensraum im Osten 8 2. Sieges- und Zukunftserwartungen/Überlegenheitsgefühl/Eigene Stärke 71 3. Politischmilitärische Führung eigenen Landes 5

4. Beförderung / militärische Auszeichnung 4

5. Kriegslage / Kämpfe/ Vernichtung des Feindes 46

6. Schutz der Familie/ Sorge um Angehörige 22

7. Heimweh / Sehnsucht 27

8. Religion / Gott 28

9. Sterben / Tod, Sinn oder Unsinn des Todes 14 10. Sinn des Krieges bzw. des Kriegsgeschehens 3

11. Essen und Verpflegung 44

12. Gesundheit und körperliche Strapazen 54

13. Seelische Strapazen 8

14. Rache 2

15. Überleben 6

16. Stimmung 14

17. Kameradschaft 6

18. Gefangenschaft / Angst vor der Gefangenschaft 5

19. (Un)Beschreiblichkeit der Realität 13

20. Zensur / Angst vor der Zensur 4

21. Feldpost, ihre Bedeutung 68

22. Heldentum 6

Acht deutsche Feldpostbriefe enthalten solche Erwähnungen, die der Kategorie „politische bzw. militärische Ziele der Regierung“ zuzuordnen sind. Dabei handelt es sich vor allem um taktische Ziele ausgedrückt mit solchen Parolen wie „seine Stellungen bzw. Stalingrad halten“, „Kampf für Führer und Vaterland“ u.ä.; auch das Propagandaklischee „Festung Stalingrad“ wurde von manchen Soldaten übernommen und in ihren Feldpostbriefen

benutzt. Dabei handelt es sich in einem Fall um einen sog. „letzten Brief“, wo der Briefschreiber sicher war, dass der Brief erst nach seinem Tod abgeschickt werden wird:

30.12.1942

„... Einen Sonntag kennen wir nicht mehr. Wenn wir nicht vorn sind, dann sind wir so 10 km zurück, aber Ruhe gibt es keine, denn dann werden Stellungen gebaut. Und Tag und Nacht Bomben und Granaten.

Der Russe hat jedoch eingesehen, dass er die Festung Stalingrad nicht mit Waffengewalt zu Fall bringt...“1

13.01.1943

„Dies ist der letzte Brief, den ich an Euch richten kann. Wir haben halt mal Pech gehabt. Wenn diese Zeilen zu Hause sind, so ist Euer Sohn nicht mehr da, ich meine auf dieser Welt. Aber da ist er doch, immer, und ist glücklich, sein Leben für unser Vaterland und seien Führer opfern zu müssen.“2

Es ist zu bemerken, dass deutsche Soldaten vor allem taktische Ziele der Regierung behandeln; strategische Ziele (wie z.B. „Vernichtung der bolschewistischen Gefahr“,

„Lebensraum im Osten“ u.ä.) werden kaum erwähnt. Eher eine Ausnahme bildet ein Zitat aus dem folgenden Feldpostbrief, wo der Briefschreiber sich mit dem Thema

„Nationalsozialismus als Weltanschauung“ auseinandersetzt:

13.01.1943

„Eines zeigt aber die Wandlung der Gemüter, wie leicht die Stimmung der Massen umschlagen kann, und wie wenig die meisten unserer Volksgenossen und leider auch Parteigenossen den Nationalsozialismus als Weltanschauung erfaßt haben...“3

Einige Briefschreiber bestätigen dabei auch ihre Opfer- und Einsatzbereitschaft, was mit den Erwartungen der Propaganda bzw. des militärischen Kommandos übereinstimmte:

17.01.1943

„Liebe Käte!

1 Briefschreiber: Paulus, Bertold, Dienstgrad - Soldat, Jahrgang -1923, Quelle: „Es grüsst Euch alle Bertold“, S. 114. Solche Ziele der Regierung wir „Erweiterung des Lebensraum“ waren nicht festzustellen. Vgl. : “Nicht nur die bloße Raumerweiterung ist das Entscheidende, sondern das Entscheidende wird die Erfüllung dieses Raumes mit einem geschossenen starken Volk sein...“, Hitler, Rede vom 30. September 1942 im Sportpalast zu Berlin, Text in: Klöss, Erhard, Reden des Führers. Politik und Propaganda Adolf Hitlers 1922 - 1945, S. 294.

2 Briefschreiber: Wallau, ?, Dienstgrad - Gefreiter, Jahrgang unbekannt, Quelle: Kempowski, Walter,

‘Das Echolog. Ein kollektives Tagebuch’, Band I, München 1993, S. 559.

3 Briefschreiber: N.N., Dienstgrad - Obergefreiter, Jahrgang unbekannt, Quelle: Kempowski, Walter,

‘Das Echolog. Ein kollektives Tagebuch’, Band I, München 1993, S. 560-561.

Erst heute finde ich wieder Gelegenheit, Dir einen Gruss zu übermitteln. Seit dem 20.

November 42 stehe ich in einem Einsatz, der von jedem Mann, das letzte an Opfer und Einsatzbereitschaft fordert (...) An der Front tobte zu dieser Zeit ein unbarmherziges Ringen um die Festung St., das gerade an den Feiertagen besonders hart war und uns furchtbare Opfer gekostet hat. Trotz Schnee und bitterster Kälte hielten wir aus...“4

Die Intensität der Kämpfe in Stalingrad führte dazu, dass die Motivation, Stellungen gegen

„eine Übermacht“ zu halten, oft zusammen mit Beschreibungen der Kämpfe und des Gegners vorkommt:

21.01.1943

„Tausende und abertausende von Bomben prasseln auf unseren Stützpunkt nieder.

Tag und Nacht halten die Angriffe zu Land und in der Luft an. Panzer mit Schlitten, in denen je 10 Mann sitzen, fahren sie auf die deutschen Linien zu um sie zu durchbrechen.

Mit fanatischer Kraft wehrt sich der deutsche Landser gegen eine Übermacht die einzig dasteht...“5

Die zahlreichste Motivationskategorie mit 71 Erwähnungen bilden Sieges- und Zukunftserwartungen der deutschen Soldaten, bzw. ihre Äusserungen über eigenes Überlegenheitsgefühl sowie eigene Stärke, welche ihnen die Hoffnung auf bessere Zukunft bzw. nahen Sieg sichern sollten. Oft werden solche Erwartungen mit einem kurzen Satz geäussert, verbunden manchmal mit dem Wunsch, sind an dem Gegner zu rächen.

Dominierend sind dabei auch eher „taktische Zukunftserwartungen“ (nahe Zukunft) wie das Warten auf den nächsten Urlaub; „strategische Zukunftserwartungen“ (entfernte Zukunft) wie „ganz nach Hause kommen“ werden selten ausgesprochen:

18.11.1942

„... Zu essen haben wir genug u. sonst wäre es gar nicht so übel, wenn alles gut ausgeht...“6

6.01.1943

4 Briefschreiber: Wagner, Heinz, Dienstgrad - Leutnant, Jahrgang unbekannt, Quelle: Ebert, Jens,

‘Zwischen Mythos und Wirklichkeit. Die Schlacht um Stalingrad in deutschsprachigen authentischen und literarischen Texten’, S.4-5.

5 Briefschreiber: ?, Franz, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: Golovachansky, Anatoly u.a.

(Hrsg.), „Ich will raus aus diesem Wahnsinn“, S. 234.

6

Briefschreiber: ?, Fredi, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: Golovachansky, Anatoly u.a.

(Hrsg.), „Ich will raus aus diesem Wahnsinn“. Deutsche Briefs von der Ostfront 1941-1945. Aus sowjetischen Archiven. Wuppertal 1991, S. 127-128.

„Eines schönes Tages kommt auch für uns wieder die Befreiung aus dem Kessel und damit wird wohl der Russe seinen letzten vernichtenden Schlag erhalten“.7

20.11.1942

„Wir müssen uns eben so durchschlagen und auf eine bessere Zukunft warten. Ja, das Leben im Krieg ist hart und wo man hin gestellt ist, muß man seine Pflicht tun. Ich bin noch gesund und hoffe, wenn nichts dazwischen kommt, bald in Urlaub zu fahren.

Noch besser wäre es, wenn wir hier fertig und ganz nach Hause könnten. (...) Ja Ihr Lieben für uns gibts nur eine Lösung, raus aus diesem Land.

Und wir Landser beten überall zugleich

Lieber Herr im Himmel schik uns heim ins Reich.“8

7.01.1943

„Mir geht es trotz allem noch immer sehr gut dabei. Unsere Hoffnung auf Entsatz, mag er noch einen oder vier Monate auf sich warten lassen, ist unerschütterlich.“9

Es ist eher eine Seltenheit, jedoch keine Ausnahme, dass Zukunftshoffnungen deutlichen negativ gefärbt sind; der Briefschreiber versucht dabei manchmal, mögliche Zukunftsszenarien

„durchzuspielen“:

31.12.1942

„Meine Lieben!

Jetzt ist Sylvesterabend und wenn ich an zu Hause denke, dann will mir fast das Herz brechen. (...) Wenn nicht in absehbarer Zeit ein Wunder geschieht, gehe ich hier zugrunde. (...) Manchmal bete ich und manchmal fluche ich über mein Schicksal.

Dabei ist alles sinn- und zwecklos. - Wann und wie kommt die Erlösung? Ist es der Tod durch eine Bombe od. Granate? Ist es Krankheit und Siechtum? Alle diese Fragen beschäftigen uns unauslässllich...“10

7 Briefschreiber: ?, Rudolf, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: Kempowski, Walter, ‘Das Echolog. Ein kollektives Tagebuch’, Band I, München 1993, S. 182.

8 Briefschreiber: (Mat)T[h]ias, ?, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: Golovachansky, Anatoly u.a. (Hrsg.), „Ich will raus aus diesem Wahnsinn“, S. 137.

9 Briefschreiber: Tjaden, Enno, Dienstgrad unbekannt, Jahrgang 1923, Quelle: Kempowski, Walter,

‘Das Echolog. Ein kollektives Tagebuch’, Band I, S. 294.

10 Briefschreiber: Kaliga, Bruno, Dienstgrad unbekannt, Jahrgang - 1906, Quelle: Ebert, Jens,

‘Zwischen Mythos und Wirklichkeit. Die Schlacht um Stalingrad in deutschsprachigen authentischen und literarischen Texten’, S.6-7.

7.01.1943

„...Kaum eine irdische Hoffnung mehr, den sichern Tod vor Augen oder ein Schrecken ohne Ende in Gefangenschaft, irgendwo im Raum aller Unbarmherzigkeit. Wir wissen nun, was sich um uns herum ereignet hat, anfängliche Hoffnung auf eine baldige Wende hat sich zerschlagen, wir wissen, daß wir noch lange aushalten müssen.“11

Zur Einschätzung der möglichen Zukunftsszenarien gehört manchmal auch eine Einschätzung der Stärke des Feindes bzw. dessen militärischen Möglichkeiten:

21.01.1943

„Es hängt alles am seidenen Faden. Ich bin bestimmt kein Schwarzseher, aber dieser Laden kann ohne baldige Hilfe nicht mehr gehalten werden. Falls der Russe mit starken Panzerkräften nochmals versucht durchzubrechen, so kann unter Umständen unser letzter Flughafen, der als letzte Bastion anzusehen ist, genommen sein.

Inwieweit uns Hilfe zugesagt ist, wissen wir nicht. Parolen schwirren umher, ob sie sich bewahrheiten bleibt dahingestellt.“12

Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft kann eine grosse moralische Unterstützung für die Soldaten bedeuten, negative Gedanken werden durch positive vertrieben, um die durch negative Erwartungen entstehende psychische Belastung zu vermeiden. So ist bei vielen Briefschreibern festzustellen, dass die Beschreibung der ungünstigen militärischen Lage oft recht schnell zur Hoffnung auf schnelle Befreiung aus „dieser Position“ bzw. zur Erwartung eines „grossen Schlages“ gegen den Feind wechseln kann:

28.12.1942

„...Paketpost ist schon seit 1 Monat eingestellt worden. Da die Lage es nicht erlaubt, Pakete zu befördern. Doch andererseits müssen wir uns einschränken. In welcher Beziehung könnt Ihr Euch denken. Wenigstens am hl. Abend konnten wir uns satt essen. Darf ich noch einmal nach Hause kommen, werde ich das Versäumte

11 Briefschreiber: Reuber, Kurt, Dienstgrad unbekannt, Jahrgang 1906, Kempowski, Walter, ‘Das Echolog. Ein kollektives Tagebuch’, Band I, S. 295.

12 Briefschreiber: ?, Franz, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: Golovachansky, Anatoly u.a.

(Hrsg.), „Ich will raus aus diesem Wahnsinn“, S. 149.

nachholen. Für uns Landser ist die Lage hier sehr ungünstig. Trotzdem hoffe ich mit festem Glauben auf eine baldige Befreiung aus dieser Position.“13

13.01.1943

„Lieber Vater!

Ich will Dir nun kurz wider ein paar Zeilen schrieben. Zuletzt schrieb ich Dir am 7.1.

Hast Du den Brief schon erhalten? Ja, lieber Vater, nun sitzen wir schon anderthalb Monat in diesem Loch und es besteht fast keine Hoffnung, daß wir in absehbarer Zeit hier herausgehauen werden. Ja, ich will Dir gleich reinen Wein einschenken, es ist nämlich eher das Gegenteil der Fall. (...) Hoffen wir, daß uns das Schicksal noch einmal gnädig ist.“14

17.01.1943

„...Hat sich an der Lage noch nichts geändert, Ernst, aber nicht hoffnungslos ist unser Wahlspruch. (...) Unsere Lage hier kann sich täglich zu unseren Gunsten ändern, denn es ist, glaube ich, bereits zum großen Schlag ausgeholt. Mir geht es soweit gut...“15

Die Erwartungen eines Sieges zeigen, dass viele Soldaten ihn als einen „verdienten Sieg“

betrachten; unausstehlich wäre der Gedanke, dass alle Strapazen und Opfer umsonst gewesen waren:

13.01.1943

„... Aber trotz allem gibt man nicht die Hoffnung auf, denn in diesem Kriege müssen wir ja die Sieger sein, weil sonst ja alle Not und die Opfer der vielen Kameraden umsonst gewesen wären! Von mir kann ich schreiben, daß ich gesund bin und wie immer den festen Glauben habe, auch mal wieder nach Hause zu kommen und hoffentlich recht bald!..“16

Im Einklang damit stehen Hoffnungen auf eine bessere Zukunft, vor allem Rückkehr, welche die deutschen Soldaten als eine Art Lohn für die durchgemachten Strapazen betrachten, also als eine Art „verdiente Zukunft“:

08.01.1943

13 Briefschreiber: Macher, H., Dienstgrad - Obergefreiter, Jahrgang unbekannt, Quelle: Ebert, Jens,

„Zwischen Mythos und Wirklichkeit.“, S. 24.

14 Briefschreiber: Schorn, R., Dienstgrad - Obergefreiter, Jahrgang unbekannt, Quelle: Ebert, Jens, ebenda, S. 37.

15 Briefschreiber: Hütten, K., Dienstgrad - Feldwebel, Jahrgang unbekannt, Quelle: Ebert, Jens, ebenda S. 47.

16 Briefschreiber: Grün, E., Dienstgrad - Obergefreiter, Jahrgang - 1915, Quelle: Ebert, Jens, ebenda S. 35.

„... Damit Du Dir keine sorgen machst um mich, will ich Dir auch mitteilen, daß ich immer noch gesund und munter bin, was ich auch von Dir hoffe. Lange wir es nicht mehr dauern, mein Herzchen, und wir werden mit unserer ganzen letzten Kraft den Ring um uns zerschlagen und wer das durchhalten und aushalten wird, kommt gesund nach Hause. Ich komme gesund nach Hause. Es sieht sehr bitter und böse um uns aus, aber Deine Liebe und Deine Treu geben mir die Kraft, um all das durchzumachen, was uns noch bevorsteht... “17

19.01.1943

„...Mir persönlich geht es so ‘la la’! (...) Aber so schnell geben wir ja nicht klein bei.

Jedenfalls bin ich heilfroh, wenn ich hier mit gesunden Knochen heraus komme! Aber es wird schon klappen. Lieber Oskar, wenn der Krieg aus ist und wir beide kommen gesund nach Hause, dann setze Du dich man sofort mit einer Sektkellerei in Verbindung. Du wirst ja wohl wissen, warum. Ich denke aber auch, daß wir uns dann einen gemütlichen Abend ehrlich verdient haben...“18

Zeitliche Anknüpfungen in Bezug auf die nähere Zukunft wie z.B. das bereits gefeierte oder künftige Weihnachtsfest, Hoffnungen auf den baldigen Frühling o.ä. führen oft dazu, dass in den Gedanken des Briefschreiber ein Übergang von der näheren zur entfernten Zukunft stattfindet: sie bekommt der Wunsch, das nächste Weihnachtsfest in seinem vertrauten Kreis zu feiern eine Fortsetzung - dass der Briefschreiber „immer wieder“ bei seiner Familie

„verweilen kann“:

13.01.1943

„... Das Weihnachtsfest konnte ich ja leider nicht mit Euch feiern, so gerne ich in Eurem Kreise gewesen wäre. Ich hoffe, daß das nächste Weihnachtsfest ein Fest des Friedens sein wird und ich für immer wieder bei Euch verweilen kann, und was nicht zu vergessen ist, ich übe dann wieder in alter Frischen mit etwas mehr Liebe meinen Beruf aus...“19

13.01.1943

17Briefschreiber: Wehne, ?, Dienstgrad - Obergefreiter, Jahrgang unbekannt, Ebert, Jens, ebenda, S.

46.

18 Briefschreiber: Dürrkopf, F., Dienstgrad - Oberfeldwebel, Jahrgang unbekannt, Ebert, Jens, ebenda, S. 38.

19

Briefschreiber: Heinrich, E., Dienstgrad - Obergefreiter, Jahrgang unbekannt, Quelle: Ebert, Jens, ebenda, S. 31-32.

„Der Februar wird bestimmt wieder ansteigende Temperaturen bringen und der März, da beginnt wieder der Frühling, eine von jedem Beteiligten wohl begeistert begrüßte Jahreszeit. Und dann sind wir wieder in unserem Element und es wird ganz gewaltig im Karton brummen.“20

Oft zu treffendes Motiv in der Kategorie „Zukunftserwartung“ bildet Urlaub. Die Erwähnungen des nächsten Urlaubs werden oft mit Einschätzungen dieser Möglichkeit (also mit Zukunftsszenerien) verbunden; manche Briefschreiber schildern in diesem Zusammenhang auch ihren psychologischen Zustand bzw. ihre Emotionen:

01.01.1943

„... An Urlaub ist ja auch noch kein Gedanke. Man wartet von einem Tag zum andern, daß sich die Lage bald ändert. Möge es Gott geben, daß es bald was wird. Der Winter war bisher noch mäßig. Wenn es nicht kälter wird, können wir gut zufrieden sein.“21

22.01.1943

„Nun etwas was uns ... alles am meisten interessiert, und zwar der Urlaub, ich habe und hatte ja damit gerechnet das ich jetzt im Januar fahren kann aber leider haut das nicht mehr ganz hin. Ich habe mich schon damit abgefunden, das es vor März nichts gibt. Es ist ja auch nicht schlimm, dann wird die Freude noch größer sein, und die Urlaubstage werden schöner werden, denn ein Urlaub im Sommer ist ja bedeutend schöner wie im Winter oder meinst Du nicht auch? Also Du mußt Dir auch noch ein wenig gedulden bis nun endgültig mein Urlaubszug fährt.“22

Fünf Erwähnungen enthält die Kategorie „Politische bzw. militärische Führung eigenen Landes“. Das unten angeführte Briefbeispiel zeigt dabei, dass negative Einschätzung der Möglichkeit eines schnellen Sieges gleichzeitig mit dem festen Glauben an die politische Führung verbunden sein können; dem „Führer“ wird dabei ein Wahrheitsanspruch zugewiesen:

19.11.1942

„Daß der Krieg bald aus sein wird glaube ich nicht. Es kommen ja immer unvorhergesehene Ereignisse dazu, wie jetzt mit Frankreich und Spanien. Aber wir

20 Briefschreiber: A., Frank, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: Kempowski, Walter, ‘Das Echolog. Ein kollektives Tagebuch’, Band I, S. 556.

21

Briefschreiber: Vornbrock, H., Dienstgrad - Obergefreiter, Jahrgang unbekannt, Quelle: Ebert, Jens, „Zwischen Mythos und Wirklichkeit.“, S. 48.

22 Briefschrieber: Ruhrus, H., Dienstgrad - Gefreiter, Jahrgang unbekannt, Quelle: Ebert, Jens,

„Zwischen Mythos und Wirklichkeit.“, S. 21.

wissen ja, Gott sei Dank das eine, was der Führer macht ist schon immer richtig und wir können uns darauf 100 Prozentig verlassen.“23

Der feste Glaube an die Fähigkeiten der eigenen militärischen Führung verbinden einige Militärangehörigen in ihren Feldpostbriefen mit positiv gefärbten Zukunftserwartungen:

8.01.1943

„Sind jetzt seit dem 18. November eingeschlossen, und der Führer hat jetzt die Verpflegung der Truppen in Stalingrad dem Reichsluftmarschall Göring übertragen.

Glaube bestimmt, daß es in ein paar Tagen besser wird. Wenn nur mal Post kommt, und der Ring ist offen, daß man mal die Weihnachtspäckchen erhalten würde.“24

Selten entspricht die Beschreibung der politischen Führung („unser Führer“) Erwartungen der Regierung (Kampf „Für Führer, Volk und Vaterland“ u.ä.):

13.01.1943

„Ich meine alles bitter ernst, und mit Kopfhörer und Gewehr kämpfen wir. Alles für unsere Heimat, für unsere liebe Vaterstadt und unseren Führer. Grüßt alle recht herzlich von mir, denkt alle in meinem Namen, wie siegen doch noch!“25

Sehr selten, in diesem Fall viermal, wird die Kategorie „Beförderung/ Militärische Auszeichnung“ beschrieben. Eine ausführliche Beschreibung der eigenen Beförderung sowie deren Voraussetzungen und Vorteile in einem Brief kann in einem anderen mit gewissem Stolz in Bezug auf die Möglichkeit, sich in der Heimat mit einem höheren Dienstgrad und zwei Auszeichnungen „schon sehen lassen“ zu können verbunden sein;

dieselbe Kategorie kann auch nur beiläufig erwähnt werden (mit der Bemerkung, dass der Briefschreiber diese Auszeichnung sich „sauer verdient“ hat):

20.11.1942

„... Und dann liebe Mutter hätte ich noch eine Sache zu erörtern. So hatte ich z.B. in einem meiner letzten Briefe für Dich eine große Überraschung in Aussicht gestellt. Da diese Sache nun leider nicht Wirklichkeit werden kann, so kann ich jetzt den Schleier des Geheimnisses lüften. Ich sollte also am 1. Dezember zum Feldwebel befördert

23 Breifschreiber: ?, Toni, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Golovachansky, Anatoly u.a. (Hrsg.),

„Ich will raus aus diesem Wahnsinn“. Deutsche Briefs von der Ostfront 1941-1945. Aus sowjetischen Archiven. Wuppertal 1991, S. 131.

24 Briefschreiber: Paulus, Bertold, Dienstgrad - Soldat, Jahrgang 1923, Quelle: Wiesen, Wolfgang, Es grüßt Euch alle, Bertold, S. 119.

25 Briefschreiber: Wallau, ?, Dienstgrad - Gefreiter, Jahrgang unbekannt, Quelle: Kempowski, Walter,

‘Das Echolog. Ein kollektives Tagebuch’, Band I, S. 559.

werden. Die Sache, vom Adjutanten des Kommandeurs persönlich angeregt, mußte aber in Hinblick auf die bestehenden Bestimmungen, vorläufig (unlerserlich) werden.

In dieser Verordnung über die „Beförderung während des Krieges“ kann nur der zum Feldwebel befördert werden, der mindestens ein Jahr als Unteroffizier tätig war. Bei Unteroffizieren mit 12-jähriger Dienstverpflichtung ist die Beförderung zum Feldwebel schon nach 6 Monaten möglich. Da ich nun einmal nie daran denken werde, mich auf 12 Jahre zu verpflichten, im anderen Falle erst aber seit 1.7.42 Unteroffizier bin, so muß ich eben noch eine Zeitlang warten.“26

12.01.1943

„Wenn ich dann auf Urlaub komme, dann gehst Du mit einen Obergefreiten spazieren. In zwei Monaten werde ich wohl so weit sein. Und zwei Auszeichnungen habe ich auch schon. Also kann sich Dein Fritz schon sehen lassen. Nur sehe ich jetzt ein bißchen wild aus. Aber das wird beseitigt...“27

13.01.1943

„Wir haben schon schwere Kämpfe zu bestehen gehabt. Schon 2mal haben wir ausreissen müssen ohne noch etwas mitnehmen zu können. Einmal bin ich verwundet worden aber zum Glück nicht schlimm. Am 13.12.42 habe ich das E.K. 2 erhalten. Ich kann Euch sagen, das habe ich mir sauer verdient.“28

Zu einer relativ zahlreichen Kategorie gehören die Beschreibungen von primären Belastungen des Krieges - „Kriegslage / Kämpfe / Vernichtung des Feindes“, die insgesamt 46 Erwähnungen enthält. Solche Beschreibungen stehen oft im Zusammenhang mit Erwähnungen vom Feind und mit Erwartungen und Hoffnungen auf eine baldige Befreiung aus der ungünstigen Situation im Kessel:

19.11.1942

„Stalingrad ist immer noch nicht gefallen. Obwohl es nur einige 100 m Breite und einige 100 m Länge noch sind, können wir dies Stück nicht nehmen, obwohl unzählige Divisionen gegen die Russen fast jeden andern Tag angreifen. Doch jeder Angriff kommt zum Stehen und wird abgeschlagen. Tagelang wird manchmal um ein einziges Haus gekämpft.“29

26 Briefschreiber: ?, Herbert, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: Golovachansky, Anatoly u.a. (Hrsg.), „Ich will raus aus diesem Wahnsinn“. Deutsche Briefs von der Ostfront 1941-1945.

Aus sowjetischen Archiven. S. 139-140.

27 Briefschreiber: ?, Fritz, Dienstgrad - Gefreiter, Jahrgang unbekannt, Quelle: Golovachansky,

27 Briefschreiber: ?, Fritz, Dienstgrad - Gefreiter, Jahrgang unbekannt, Quelle: Golovachansky,