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4. Feindbilder und Motivationen „von oben“

4.4. Motivationen zum Kampf „von oben“

5.4.1. Motivationen „von oben“ in Deutschland

113 Flohr, Anne K., Feindbilder in der internationalen Politik, S. 30-33.

114 Giesen, Bernhard, Kollektive Identität. Die Intellektuellen und die Nation 2, S. 100-101.

Unter den von der offiziellen Propaganda verbreiteten Motivationen wurden Sieges- bzw.

Zukunftserwartungen betont: „Das deutsche Volk und seine Soldaten arbeiten und kämpfen heute nicht nur für sich und ihre Zeit, sondern für kommende, ja, fernste Generationen“.116 Dabei stand die Wichtigkeit des militärischen Sieges im Vordergrund: „Der Sieg Deutschlands bedeutet die Erhaltung Europas und der Sieg Sowjetrußland seine Vernichtung“,117 die deutschen Soldaten retten „die ganze europäische Kultur vor der bolschewistischen Vernichtung“; „wenn wir alle gemeinsam in Treue unsere Pflicht tun, wird sich das Schicksal so erfüllen, wie es die Vorsehung bestimmte. Wer für das Leben seines Volkes, für dessen tägliches Brot und für seine Zukunft kämpft, wird siegen!“118

Eigene Stärke der Deutschen, die ein Überlegenheitsgefühl hervorrief, bildete noch eine Motivationskategorie: „Denn hinter diesen Zahlen (Kriegsgefangene, vernichtete und erbeutete Panzer usw.) verbergen sich die Leistungen, Opfer und Entbehrungen, stehen der Heldenmut und die Todesbereitschaft von Millionen der besten Männer unseres eigenen Volkes“;119 der Reichspropagandaminister hob seinerseits hervor: „Wir Deutschen sind gewappnet gegen Schwäche und Anfälligkeit. Und Schläge und Unglücksfälle des Krieges verleihen uns nur zusätzliche Kraft, feste Entschlossenheit und eine seelische und kämpferische Aktivität, die bereit ist, alle Schwierigkeiten und Hindernisse mit revolutionärem Elan zu überwinden.“120 Die militärische Stärke der deutschen Wehrmacht wurde auch im Neujahrsaufruf Hitlers zum 1.01.43 hervorgehoben: „Als Kämpfer selbst seid ihr ohnehin jedem anderen euerer Feinde überlegen. (...) Von Nordnorwegen bis zur spanischen Grenze warten deutsche Divisionen auf den Angriff unserer Feinde. Ob sie kommen und wo sie kommen, können wir nur vermuten. Daß sie aber, wann und wie sie kommen, geschlagen werden, das wissen wir.“121

Der ‘gerechte’ Charakter des Krieges bildete auch ein Motivationsargument: „Im Fall eines Krieges, der dem deutschen Volk ... aufgezwungen werden sollte...“122 muss derselbe „...

gegen alle Gründe der Vernunft und der Notwendigkeit mit den Waffen bis zum Ende

115 Vgl. dazu Gerndt, Helge, Stereotypvorstellungen im Alltagsleben. Beiträge zum Themenkreis

„Fremdbilder - Selbstbilder - Identität“, München 1988, S. 10-11.

116 Hitler in seiner Reichstagsrede vom 11. Dezember 1941, in: Klöss, Erhard, Reden des Führers, S.

117260

Hitler in seiner Rede vom 11. Dezember 1941, ebenda, S. 284.

118 „Stalingrad - der größte Heroenkampf unserer Geschichte“, in: „Völkischer Beobachter“ vom 2.2.

1943. Dazu auch Dimarus, Max, Hilter. Reden und Proklamationen 1932-1945, Band II „Unter-gang“, München, S. 1821.

119 Hitler, ebenda, S. 265.

120 Goebbels in seiner Rede im Berliner Sportpalast am 18. Februar 1943, Text in: Fetscher, Iring, Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast 1943 „Wollt ihr den totalen Krieg?“, S. 64.

121 Dimarus, Max, Hilter. Reden und Proklamationen 1932-1945, Band II „Untergang“, München, S. 1969.

122 Klöss, Erhard, Reden des Führers, S. 261

durchgekämpft werden.“123 „Dieser Kampf ist nicht ein Angriff gegen die Rechte anderer Völker“, behauptete Hitler in seinem ‘Neujahrsaufruf’ zum 1.01.1941, „sondern nur gegen die Anmaßung und Habgier einer dünnen kapitalistischen Oberschicht, die nicht einsehen will, daß die Zeit vorbei ist, in der das Gold die Welt regiert, daß im Gegenteil eine Zukunft anbricht, in der die Völker, d.h. die Menschen, die bestimmende Kraft im Leben der Nation sind.“124

Zu den erklärten politisch-militärische Zielen der nationalsozialistischen Regierung gehörte auch Landesverteidigung, die entsprechend global zu verstehen war: Die deutschen Soldaten kämpfen im Osten, um den „Ansturm der Steppe gegen unseren ehrwürdigen Kontinent“125 abzuwehren. Die Ressourcen-Sicherung und Raumerweiterung gehörten dabei auch zu den erklärten Zielen: Durch diesen Krieg bringen die Deutschen „die Donezkohlen in unserer Besitz, bekommen 67 oder 70 vom Hundert russischen Eisens, erschließen „das größte Getreidegebiet der Welt dem deutschen Volk“ und sichern uns „die kaukasischen Ölquellen“.126 Und noch dazu: „Nicht nur die bloße Raumerweiterung ist das Entscheidende, sondern das Entscheidende wird die Erfüllung dieses Raumes mit einem geschlossenen starken Volk sein.“127

Die Erfüllung seiner Pflicht bzw. Opferbereitschaft trat als Motivation in der Propaganda vor allem da in den Vordergrund, wenn sich die militärische Lage verschlechterte. Vor allem die Schlacht um Stalingrad rief solche Parolen ins Leben: „Vergeßt nicht, dass dazu den vornehmsten Grundtugenden des ganzen Soldatentums neben Kameradschaft und Pflichttreue vor allem die Opferbereitschaft gehört“;128 in Goebbels’ Auslegung will das deutsche Volk „alle, auch die schwersten Belastungen auf sich nehmen und ist bereit, jedes Opfer zu bringen, wenn damit dem Siege gedient wird.“129 Aber auch bereits im Januar 1942 rief die nationalsozialistische Führung das deutsche Volk zur Opferbereitschaft auf: „Wie groß die Opfer, die Entbehrungen und über allem der Todesmut aber gewesen sind, die diese Siege ermöglichten, kann nur der ermessen, der selbst - sei es in diesem Krieg oder im Ersten Weltkrieg - Soldat und Kämpfer seines Volkes war. (...) Die Heimat wird als nationalsozialistische Volksgemeinschaft - wenn notwendig - jedes, auch das letzte Opfer

123 Klöss, ebenda, S. 260.

124 Dimarus, Max, Hilter. Reden und Proklamationen 1932-1945, Band II „Untergang“, München, S.

1652.

125 Goebbels in seiner Rede im Berliner Sportpalast am 18. Februar 1943, Text in: Fetscher, Iring, Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast 1943 „Wollt ihr den totalen Krieg?“, S. 65.

126 Hitler, Rede vom 30. September 1942, in: Klöss, ebenda, S. 287.

127 Hitler, ebenda, S. 294.

128 „Stalingrad - der größte Heroenkampf unserer Geschichte“, „Völkischer Beobachter“ vom 2.2.

1943.

bringen.“130 Im Befehl vom 17. November 1942, der allen in Stalingrad eingesetzten Kommandeuren mündlich bekanntgegeben wurde, sprach Hitler: „Die Schwierigkeiten des Kampfes um Stalingrad und die gesunkenen Gefechtsstärken sind mir bekannt. Die Schwierigkeiten für den Russen sind jetzt aber bei dem Eisgang auf der Wolga noch größer.

Wenn wir diese Zeitspanne ausnützen, sparen wir uns später viel Blut. Ich erwarte deshalb, dass die Führung nochmals mit aller wiederholt bewiesener Energie und die Truppe nochmals mit dem gezeigten Schneid alles einsetzen, um wenigstens bei der Geschützfabrik und beim Metallurgischen Werk bis zur Wolga durchzustoßen und diese Stadteile zu nehmen. Luftwaffe und Artillerie müssen alles tun, was in ihren Kräfte steht, diesen Angriff vorzubereiten und zu unterstützen.“131 In der Tagesparole vom 23.1.1943, die zum ersten Mal den Kampf um Stalingrad als verloren ankündigt, wird auch hervorgehoben: „Der deutschen Presse fällt hierbei die besondere publizistische Aufgabe zu, durch ergreifende Schilderungen der einzigartigen Opferbereitschaft der Helden von Stalingrad auch den letzten Volksgenossen aufzurütteln, damit er sich einreiht in die große Front des entschlossenen Widerstandes und Siegeswillens“.132

Wie bereits erwähnt, wurde im Krieg die Militärzensur als eine Art ’Stimmungsbarometer’

eingesetzt. (Siehe Einführung bzw. Kap.I, S. 8-10). Mit der Aufgabe, Kampfmoral und Motivation der Truppe sowie deren Schwankungen zu kontrollieren, waren die Feldpostprüfstellen beschäftigt. Die Feldpostprüfstellen gehörten dabei nicht zu den Institutionen der deutschen Feldpost, die mit ihren etwa 4000 Feldpostämter den umfangreichen Postverkehr zwischen Heimat und Front und umgekehrt bewerkstelligen.

Vielmehr waren diese Prüfstellen dem Oberkommando der Wehrmacht (OKW), Amt Ausland/

Abwehr zugeordnet, und gehörten somit zum Bereich der Spionageabwehr; sie nahmen somit ungefähr jene Funktion wahr, die der Sicherheitsdienst (SD) der SS im Inland hatte, indem er die politischen Führung des NS-Staates laufend über die „Stimmung und Haltung“ in der deutschen Bevölkerung informierte.133

Die Feldpostprüfstellen hatten die folgenden Aufgaben:

129 Goebbels, Rede im Berliner Sportpalast am 18. Februar 1943, in: Fetscher, Iring, Joseph Goebbels, S. 78.

130 Dimarus, Max, Hilter. Reden und Proklamationen 1932-1945, Band II „Untergang“, München, S.

1821.

131 „Führerbefehl vom 17. November 1942 betr. Fortführung de Eroberung Stalingrads durch die 6.

Armee“, Text in: Kurowski, Franz, Stalingrad. Die Schlacht, die Hilters Mythos zerstörte, München 1992, S. 240.

132 Südholt, Gert, Tagesparolen, S. 236.

133 Wette, Wolfram, „Unsere Stimmung ist auf dem Nullpunkt angekommen“. Berichte von Feldpostprüfstellen über die „Kessel-Post“, in: Wette, Wolfram, Ueberschär, Gerd R., Stalingrad.

Mythos und Wirklichkeit einer Schlacht. Frankfurt/M., S. 90.

1.

den gesamten Feldpostverkehr stichprobenartig zu prüfen, also Briefzensur für militärische Zwecke auszuüben;

2.

zu verhindern, dass unerwünschte Infromationen, d.h. „geheimzuhaltende Nachrichten“ und

„Nachrichten zersetzenden Inhalts“, durch Feldpostbriefe verbreitet wurden, also

„Spionage“ und „Zersetzung“ zu verhindern;

3.

auf der Grundlage der Erkenntnisse, die durch die Stichproben-Zensur gewonnen wurden, monatlich ein „unverfälschtes Bild über die Stimmung der Truppe und der Heimat“ zu zeichnen und der vorgesetzten Dienststellen - bis hinauf zum Oberkommando der Wehrmacht - entsprechende Berichte vorzulegen.134

Die Berichte der FPP enthalten zahlreiche Hinweise darauf, nach welchen Kriterien Motivationen der Truppe zu überprüfen waren. Die wichtigsten darunter sind „Stimmung und Haltung“ (manchmal bezeichnet als „seelische Verfassung“) der Soldaten bzw. „Stand der Disziplin“. Zur Motivation der Truppe gehörten aus der Sicht der FPP „Vertrauen zur Führung“135 „Treue, Glauben und Vertrauen auf den Führer“,136 „Pflichtbewußtsein“, „Treue und Heldenmut“, „Opferbereitschaft“137 bzw. steigende oder sinkende „Mut und Hoffnung“138 und „Kampfeswillen“139 der Soldaten.

So meldete die Feldpostprüfstelle des Panzer-Armeeoberkommandos 4 am 7. Januar 1943 an das Oberkommando der Heeresgruppe ‘Don’:

„Die Post ist mit sehr geringen Ausnahmen auffallend diszipliniert. (...) Die Stimmung ist zu 90%:

gefasst: Überraschungen der Einschließung weicht bald nüchterner Beurteilung, weil Bewahrung der Nerven;

zuversichtlich: Durch Vertrauen auf eigene Kraft; durch Tagesbefehl des Führers wird sofortige Hilfe versprochen; infolge hervorragender Führung; in Erwartung von Brief- und Päckchenpost aus der Heimat;

134 Wette, Wolfram, „Unsere Stimmung ist auf dem Nullpunkt angekommen“, ebenda.

135 Bericht der Feldpostprüfstelle (F.P.P.) des Panzer-Armeeoberkommandos 4 über die Feldpost aus dem Kessel von Stalingrad 22. Dezember 1942 - 9. Januar 1943, Text in: Wette, Wolfram, ebenda, S. 94.

136 Bericht der Feldpostprüfstelle (FPP) des Panzer-Armeeoberkommandos 4 über die Feldpost aus dem Kessel von Stalingrad 30. Dezember 1942 - 16. Januar 1943, Text in: Wette, Wolfram, ebenda, S. 97.

137 Bericht der FPP über die Feldpost aus dem Kessel von Stalingrad, ebenda, S. 98.

138 Ebenda, S. 100.

139 Buchbender, Ortwin, Sterz, Reinhold, Das andere Gesicht des Krieges. Deutsche Feldpost 1939-1945, München 1982, S. 21.

opferbereit: Für Führer, Volk und Vaterland.“140

Solche Auslegungen wurden in den Berichten der Feldpostprüfstellen durch zahlreiche Zitaten aus den Feldpostbriefen untermauert: „Das Vertrauen zum Führer und auf die von ihm versprochene Hilfe ist felsenfest und wird in fast jedem Brief erwähnt: „Aber allem zum Trotz, wir halten aus, denn der Führer haut uns raus, und was er verspricht, das hält er (OGefr. v.

20.12.).“141

Die Äußerungen zu kontrollieren, wie die deutschen Militärangehörigen sekundäre Belastungen des Krieges vertragen, gehörte auch zu den Aufgaben der FPP. Darunter waren die Erwähnungen von ungenügender Verpflegung und Kälte, bezeichnet als

„Schreckenskomponenten des russischen Winters“;142 ihr Gesundheitszustand beschrieben auch viele Soldaten: Erwähnungen von Erfrierungen, Ohnmachtsanfällen und vielen Todesfällen, steigernden körperlichen Schwächezustand, Hunger, Ungezieferplage, Magen- und Darmerkrankungen u.ä. kommen laut Berichte der FPP in vielen Briefen vor. Das Fehlen und Ausbleiben von Post „nimmt einen breiten Raum der Briefe ein“;143 die Wichtigkeit des Postverkehrs war den FPP besonders in der Schlacht um Stalingrad bewusst, „da die briefliche Aussprache bei vielen der einzige und letzte seelische Anker“144 war. Besonders in der „Kesselpost“ galten viele Briefen durch ihren Inhalt - neben den Erwähnungen von

„familiären und privaten Dingen“145 - als Abschiedsbriefe, aus diesem Grund läßt „Postdisziplin beträchtlich nach und „Abänderung“ seien „wohl kaum möglich“.146

Wenn bei Stichproben Verstöße gegen die Zensurregeln entdeckt wurden, reagierte die zuständige Feldpostprüfstelle je nachdem, ob diese Verstöße als „leicht“ der „schwer“

einzustufen waren. Bei „leichten Verstößen“, zu welchen Benennungen des Standortes und der Waffen, „beunruhigende Nachrichten“, Ortsangaben und „militärische Angaben leichter Art“147 gehörten, wurden „Stellen zersetzender oder die Heimat stark beunruhigenden Inhalts

140 Bericht der FPP des Panzer-AOK 4 über die Feldpost aus dem Kessel von Stalingrad 14. - 22.

Dezember 1942, ebenda, S. 92-93.

141 Bericht der FPP des Panzer-AOK 4 über die Feldpost aus dem Kessel von Stalingrad 22.

Dezember 1942 - 9. Januar 1943, ebenda, S. 94.

142 Bericht der FPP des Panzer-AOK 4 über die Feldpost aus dem Kessel 30. Dezember 1942 - 16.

Januar 1943, ebenda, S. 97.

143 Bericht der FPP des Panzer-AOK 4 30. Dezember 1942 - 16. Januar 1943, ebenda, S. 99.

144 Ebenda, S. 97, 100-101.

145 Buchbender, Ortwin, Sterz, Reinhold, Das andere Gesicht des Krieges, S. 21-22.

146 Bericht der FPP des Panzer-AOK 4 über die Feldpost aus dem Kessel 22. Dezember 1942 - 9.

Januar 1943, S. 96.

147 Buchbender, Ortwin, Sterz, Reinhold, Das andere Gesicht des Krieges, S. 23-24.

(...) mit Tinte, Blei und Tintenstift oder Gummi (je nach Schreibart) unleserlich gemacht“;148 der Brief wurde weitergeleitet.

Angaben über dienstliche Vorgänge, die der Geheimhaltung unterlagen; Versendung von feindlichen Flugblätter, Äußerungen, die den Verdacht der Spionage, Sabotage und Zersetzung erweckten (siehe dazu auch Kap. I, S. 9-10) unterlagen der Kategorie „schwere Verstöße“. Ein Feldpostbrief, dessen Inhalt solche „Verstöße“ enthielt, wurde mit dem Vermerk

„Zur Weiterverfolgung vorgelegt“ versehen und dem zuständigen Abwehroffizier ausgehändigt.

Es kann dabei aus der Voraussetzung ausgegangen werden, dass in jedem Fall Kriegsgerichtsverfahren folgten. Wenn man die rigorosen Urteile der Militärstrafjustiz dieser Zeit berücksichtigt, waren Todesurteile in solchen Fällen keine Seltenheit.149