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5. Feindbilder und Motivationen „von unten“

5.4. Feindbilder „von unten“

5.4.2. Feindbilder in russischen Feldpostbriefen

47 russische Feldpostbriefe von 63 enthalten Erwähnungen des deutschen Gegners, was 74,60

% ausmacht. In den Feindbildkategorien verteilen sich die Erwähnungen des deutschen Gegners wie folgt:

Propagandistische Ausdrücke bzw. Propagandaklischees 26 Negative emotionelle Bezeichnungen bzw. Schimpfwörter 12 Dehumanisierung bzw. Entmenschlichung des Feindes 8

Feind/ Gegner 20

Fritz/ Hans 10

Der Deutsche/ die Deutschen 10

Besonders häufig kommen dabei propagandistische Ausdrücke bzw. Propagandaklischees vor wie „Faschisten“ oder die in Verbindung mit dem Namen ‘Hitler’ gebrachten Bezeichnungen wie

„Hitler-Panzer“, „Hitler-Soldaten“, „Hitleristen“, „Hitlerismus“ u.ä., welche oft im Zusammenhang mit den primären militärischen Belastungen - Kampftätigkeit - erwähnt werden:

23.07.1942

„... In den ersten Juli-Tagen war ich in erbitterten Kämpfen mit dem verdammten Feind, mit dem bösesten Feind der ganzen Menschheit. Vova, in dieser Zeit habe ich alles gesehen, erfahren und vieles erlebt. Wir haben Tausende von Faschisten vernichtet...“64

In einem Feldpostbrief vom 8.08.1942 erfährt das frühere Bild des ‘kultivierten Westens’

Veränderungen durch Kriegserlebnisse des Briefschreibers und wird revidiert. Ausserdem sind die Wirkung des Faktors „Boden“ („die Feinde treten unsere Erde mit Füssen“) sowie historische Parallelen (Kampf gegen die Goldene Horde) deutlich zu sehen. Einzigartig ist, dass der Soldat seinen Kampf gegen die Deutschen mit seinen schulischen Beschäftigungen vergleicht, was auf die Persönlichkeit des Empfängers zurückzuführen sei (Empfänger des Briefes ist eine ehemalige Schullehrerin des Soldaten):

8.08.1942

„...Bald wir Ihr Zögling die Heimat gegen Hitler, gegen die wilden Horden verteidigen, die unsere Erde mit Füssen treten. Elena Grigor’jewna! Was tut dieses Ekelpack! Und das

64 Briefschreiber: Semenow, Alexej, Dienstgrad - Garde Oberfeldwebel, Jahrgang 1907, Quelle:

„Poslednie pis’ma s fronta“ (Die letzten Briefe von der Front), Band 3 (1943), S. 319.

ist der „kultivierte“ Westen! Erbarmungslos muss man die schlagen, ohne sie zu schonen! Und werden sie bald einheizen! Und ich verspreche, dass ich Hitler so schlagen werde, wie ich mich bei Ihnen 4 Jahre lang mit Physik beschäftigt habe.“65

Neben den propagandistisch gefärbten Feindbildern in den russischen Briefen kommen solche Ausdrücke vor, welche die eigenen Siegeshoffnungen darstellen. Dabei wurden auch diese Siegeshoffnungen der offiziellen sowjetischen Propaganda entnommen (Vgl. mit den Schlussworten in Stalins Rede zum 24. Jahrestag der Oktoberrevolution am 6. November 1941

„Unsere Sache ist gerecht - der Sieg wird unser sein!“, Quelle: Stalin, Werke, Bd. 14, S. 258.):

20.11.1942

„...Wir lösen ein und dieselbe Aufgabe: So schnell wie möglich unsere geliebte Heimat von den deutsch-faschistischen Raubhorden zu befreien. (...) Der Feind wird zerschlagen, der Sieg wird unser sein.“66

Das propagandistische Bild der „hitlerschen Raubarmee“ wird in einem Feldpostbrief vom 15.12.1942 gleich nach der Beschreibung von Problemen des Schreibers mit seiner Wohnung in Moskau verwendet, verbunden mit Hoffnungen auf ein besseres Leben (Feind als

‘Störfaktor’):

15.12.1942

„Seitdem ich zur Armee gegangen bin, passt die Miliz auf meine Wohnung auf. (...) Als ich im September auf Dienstreise war, hatte ich die Möglichkeit mich davon zu überzeugen, wie die Rechte der sowjetischen Kämpfer geschützt werden. (unleserlich) jetzt wird es anscheinend erst nach der vollständigen Zerschlagung der hitlerschen Raubarmee die Möglichkeit geben, noch besser zu leben...“67

20.08.1942

„Meine Lieben!

Ich schreibe an Euch von diesem historischen Ort und zu diesen historischen Zeiten.

Unsere Kompanie hat bereits ihr Konto der abgeschossenen Hitler-Panzer eröffnet. 4 Kameraden wurden zur Auszeichnung vorgeschlagen...“68

65 Briefschreiber: Aseev, Dmitrij, Dienstgrad unbekannt, Jahrgang 1923, Quelle: A. Prokof’ew (Hrsg.),

‘Pis’ma s fronta rjazancev - uÝastnikov Velikoj oteÝestvennoj vojny 1941-1945gg’ (Briefe von der Front von den Rjazanern - Teilnehmern des Grossen Vaterländische Krieges 1941-1945), Rjazan’

1998, S. 430, eigene Übersetzung.

66 Briefschreiber: Dolshikow, Nikolaj, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: Zentralmuseum des Grossen Vaterländischen Krieges Moskau (ZM GVK), OF-20212, eigene Übersetzung.

67 Briefschreiber: Stein, G., Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: Zentralmuseum des Grossen Vaterländischen Krieges Moskau (ZM GVK), OF-16097, S.3, eigene Übersetzung.

68 Briefschreiber: Barsow, Viktor, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: Schindel, Alexander (Hrsg.), „Po obe storony fronta - auf beiden Seiten der Front“, S. 43.

Propagandaklischees werden auch benutzt, damit der Briefschreiber sich mit der Möglichkeit seines eigenen Todes nicht auseinandersetzen muss. So erwähnt ein Briefschreiber in seinem Brief vom 23.10.1942 zunächst eine Option: „Wenn ich am Leben bleibe, dann sehen wir uns“, die weitere Option - wenn der Briefschreiber ums Leben kommt - wird jedoch nicht behandelt.

Dabei folgt auf ein beschönigtes Selbstbild („die tapferen und kühnen Kavalleristen“) ein progagandistisch gefärbtes Feindbild:

23.10.1942

„... Lina, Ihr schreiben, dass Ihr sehr niedergeschlagen seid wegen mir. Lina und Vera, wieso sollt Ihr niedergeschlagen seid? Wenn ich am Leben bleibe, dann sehen wir uns, und die tapferen und kühnen Kavalleristen haben keine Angst von feindlichen Kugeln und Granaten, weil wir uns mit der Militärtechnik auskennen, und unser ganzes Ziel ist, die blutrünstigen Faschisten zu vernichten...“69

Propagandaklischees in den Feldpostbriefen werden neben Hoffnungen auf einen nahen Sieg verwendet:

29.11.42

„...Ihr hört wahrscheinlich im Radio, wie unsere erfreulichen Erfolge sind. Und ich kann Euch noch erfreuen, dass die Stunde nahe ist, wenn der Hitlerismus vernichtet werden wird. Und ich bin sicher, wenn Ihr diesen Brief bekommt, gibt es noch mehr erfreuliche Nachrichten.“70

Vor dem propagandistisch gefärbten Feindbild ‘des Faschisten’ kommt in einem anderen Brief ein euphorisches Selbstbild („ruhmreiche junge Garde-Regimenter“), was die Funktion haben könnte, die ‘Unverwundbarkeit’ des Schreibers zu manifestieren:

?.08.42

„Ich schreibe von der Front, vom Don. Meine Ankunft hier stimmte mit meinem 19.

Geburtstag überein. Die Kämpfe sind hart und erbittert. Unsere ruhmreichen jungen Garde-Regimenter vollbringen die Wunder der Tapferkeit. Der Faschist hat Angst vor unserem Garde-Abzeichen wie vor dem Feuer. Stalingrad war und bleibt sowjetisch!“71

69 Briefschreiber: Borisow, Jegor, Dienstgrad - Oberfeldwebel, Jahrgang unbekannt, Quelle: „Pos-lednie pis’ma s fronta“ (Die letzten Briefe von der Front), Band 2 (1942), S. 403.

70 Briefschreiber: Stein, G., Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: Zentralmuseum des Grossen Vaterländischen Krieges Moskau (ZM GVK), OF-11437.

71 Briefschreiber: Aseev, Dmitrij, Dienstgrad unbekannt, Jahrgang 1923, Quelle: A. Prokof’ew (Hrsg.), ‘Pis’ma s fronta rjazancev - uÝastnikov Belikoj oteÝestvennoj vojny 1941-1945gg’

Das propagandistische Feindbild „die deutschen Räuber“ stimmt mit den von Stalin mehrmals erwähnten Feindbildern wie „die deutschen faschistischen Räuber“ bzw. „die deutschen Landräuber“ überein:

12.02.1943

„... Ja, Tanjuscha, es ist angenehm und erfreulich zu sehen, daß das von uns reichlich vergossene Blut nicht umsonst war. Stalingrad ist von nun an für immer frei von den deutschen Räubern. Wir kamen hier während der erbittersten Kämpfe an, bereits 60 km weit sahen wir den Rauch der brennenden Stadt...“72

Eine relativ zahlreiche Feindbildkategorie (12 Erwähnungen) bilden negative emotionale Ausdrücke bzw. Schimpfwörter. Dabei werden solche Attribuirungen wie „blutige Bande“,

„Menschenfresser“ u.ä. neben einem Lebenszeichen an die Familie sowie neben Schwierigkeiten mit dem Zustellen von Briefen der Möglichkeit, überhaupt Briefe schreiben zu können, verwendet:

28.09.1942

„Liebe Panja, wie ich glücklich bin, dass ich die Möglichkeit habe, von mir etwas mitzuteilen. Diese Minute, diese Zeit stärkt mich noch mehr in der Standhaftigkeit des Widerstandes der blutigen Bande...“73

15.11.1942

„... Liebe Frau, schon seit 5 Monaten bekomme ich von Dir keine Briefe. Der Grund dafür ist mir bekannt. Als mir bekannt wurde, dass die Menschenfresser an Pjatigorsk heranrücken, habe ich aufgehört, Briefe zu schreiben. Ich wusste schon, dass die Briefe zum Bestimmungsort nicht zugestellt werden...“74

25.12.1942

(Briefe von der Front von den Rjazanern - Teilnehmern des Grossen Vaterländische Krieges 1941-1945), S. 431.

72 Briefschreiber: Keberow, I., Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle:„Stalingrad. Materiealien zur Ausstellung ‘Stalingrad - Briefe aus dem Kessel’ vom 20. Juni - 4. August 1991 im Kunstamt Kreuzberg - Bethanien“, S. 57. Das o.g. Zitat: Stalin in seiner Rundfunkrede am 3. Juli 1941, Text auf Deutsch in: J.W. Stalin, Werke, Band 14, Dortmund1976, S. 245) bzw. Stalin, Befehl des Volkskommissars für Verteidigung vom 1.05.1942, in: ebenda, S. 269-270.

73 Briefschreiber: Samarin, Semjon, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: „Poslednie pis’ma s fronta“ (Die letzten Briefe von der Front), Band 2 (1942), S. 412-423.

74 Briefschreiber: Pilkin, Jakov, Dienstgrad - Oberleutnant, Jahrgang unbekannt, Quelle: „Poslednie pis’ma s fronta“ (Die letzten Briefe von der Front), Band 2 (1942), S. 404-405, eigene Übersetzung.

„...Bisher hatte ich keine Zeit zu schreiben während der Kämpfe. Ich habe die Deutschen für meine liebe Ukraine geschlagen, ich habe sie, die Schurken, für unsere ganze Heimat geschlagen. (...) Ich operierte in der Gegend von Stalingrad...“75

Schimpfwörter können ausserdem als ein Faktor der Gruppenbildung benutzt werden.

Meinungsverschiedenheiten und Spannungen innerhalb der Gruppe treten angesichts gemeinsamer Bedrohung in den Hintergrund. Je gefühlsbetonter das Feindbild dargestellt wird, desto stärkere Kohäsion wird von den Angehörigen eigener Gruppe erwartet:

23.01.43

„...Jetzt diene ich an einem Ort zusammen mit Ihrem Bruder German, der mir Ihre Adresse gegeben hat. (...) Kirotschka, es war mir natürlich unangebracht zu schreiben, ohne einander zu kennen, die Sowjetmenschen - wie an der Front so auch im Hinterland - leben aber nur mit einem Gedanken, die hitlerschen Dreckskerle zu zerschlagen...“76

Acht russische Feldpostbriefe enthalten solche Feindbilder, die unter der Kategorie

„Dehumanisierung bzw. Entmenschlichung des Feindes“ zusammenzufassen sind. Das Bild des

„vertierten Feindes“ sowie die Beschreibung des Feindes als „Unholde“ wird dabei oft in bezug auf schwere Kampfgeräte, vor allem auf feindliche Panzer, angewendet. Solche Beschreibungen des Gegners stehen dabei in Verbindung mit einem starken ‘Kundgabezwang’

bzw. mit dem Bedürfnis, das Erlebte (vor allem militärische Kämpfe) an die Familienangehörigen im Hinterland mitzuteilen:

?.08.1942

„... Ich habe mich für die in Brest gefallene Frusa und die Kinder gerächt, ich habe die geschändete Heimat gerächt. Die Geschosse gehen aus, aber die Unholde kommen immer näher, das heißt, die Panzer. Verstärkung ist nicht in Sicht. Drei Tage und Nächte keinen Tropfen im Hals, und die Wolga fließt nebenan...“77

25.09.1942

„... Meine liebe Familie und alle Verwandten!.. Heute bin ich seit 25 Tagen im Feuer und in der Lawine aus Stahl und Eisen. Ich und Tausende von anderen wehren den Drang des vom Faschisten Hitler geleiteten vertierten Imperialismus ab. Panja! Hätte ich etwa Hundert Blätter, hätte ich alle ausgefüllt, damit alle von diesem schrecklichen Kampf

75Briefschreiber: Schwezow, Sergej, Dienstgrad - Soldat, Jahrgang - 1917, Quelle: „Poslednie pis’ma s fronta“ (Die letzten Briefe von der Front), Band 3 (1943), S. 214, eigene Übersetzung.

76 Briefschreiber: Petruk, Andrej, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: Zentralmuseum des Grossen Vaterländischen Krieges Moskau (ZM GVK), OF-20210, eigene Übersetzung. Der Briefempfänger war die Schwester eines Frontkameraden.

wissen und es weiterleiten. Wie du siehst, bin ich aber durch Zeit und Papier eingeschränkt...“78

20.01.1943

„... Seit dem 11. Januar bin ich der vordersten Linie, wie jagen die deutschen Unholde.

Dreimal haben wir angegriffen. Vorläufig ist die ganze Besatzung am Leben. Lediglich die Maschinen sind beschädigt und werden gerade repariert. Nach der Reparatur werden wir wieder angreifen. (...) Es ist nur noch ein kleiner Kessel geblieben, der vernichtet werden muß, etwa 20 km, und die deutschen Unholde sind in der Stalingrader Steppen kaputt...“79

Das Feindbild „Feind/Gegner“ bildet eine zahlreiche Kategorie, insgesamt sind es 20 Erwähnungen (was 42, 55% ausmacht). Diese Feindbildkategorie wird mit einer relativ sachlichen Beschreibung militärischer Ereignisse verbunden; in Verbindung mit einem aufgewerteten Selbstbild des Briefschreibers sollte dies dem Empfänger das Gefühl der Sicherheit vermitteln:

23.10.1942, Nr. 3

„Meine Lieben! Mutti, ich habe Deinen Brief bekommen, wo Du richtig schreibst, dass ich die geschichtliche Stadt, die ehemalige Zaryzin, und jetzt Stalingrad, verteidige. Und sei sicher, dass Dein Sohn keinen Fussbreit des Bodens und kein Haus an den Feind gibt!

Die Feinde haben vor uns, Marineinfanteristen, Angst, sie nennen uns ‘schwarze Kommissare’. Auf unserem Frontabschnitt ist der Feind nicht nur keinen Schritt vorangekommen, sondern sogar zurückgewichen. Von nun an wird es so sein!..“80

Unter diese Kategorie fallen auch solche Bezeichnungen wie z.B. „feindliche Divisionen“ o.ä.:

21.12.1942

„... Wahrscheinlich verfolgt Ihr jetzt mit Freude und Begeisterung den heroischen Kampf der Roten Armee, wie geschickt sie die Offensive führt, und Ihr wünscht, dass die 22

77 Briefschreiber: ?, Sergej, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle:„Stalingrad. Materiealien zur Ausstellung ‘Stalingrad - Briefe aus dem Kessel’ vom 20. Juni - 4. August 1991 im Kunstamt Kreuzberg - Bethanien“, S. 54.

78 Briefschreiber: Samarin, Semjon, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: „Poslednie pis’ma s fronta“ (Die letzten Briefe von der Front), Band 2 (1942), S. 412, eigene Übersetzung.

79 Briefschreiber: Norizyn, N., Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle:„Stalingrad. Materialien zur Ausstellung ‘Stalingrad - Briefe aus dem Kessel’ vom 20. Juni - 4. August 1991 im Kunstamt Kreuzberg - Bethanien“, S. 56.

80 Briefschreiber: Barsow, Viktor, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: Schindel, Alexander (Hrsg.), „Po obe storony fronta - auf beiden Seiten der Front“, S. 44.

feindlichen eingekesselten Divisionen möglichst bald vernichtet werden, und dass wird von uns in der nächsten Zeit getan und erfüllt...“81

Die Feindbildkategorie „Fritz/Hans“ wird seltener als die Kategorie „Feind/ Gegner“ verwendet (insgesamt zehn Erwähnungen), und steht oft auch mit Beschreibungen von primären militärischen Belastungen (Kämpfe, Vernichtung des Feindes) in Verbindung:

20.08.1942

„...Die Verbindung wurde unterbrochen, ein Zug deutscher MP-Schützen ging direkt auf uns zu, die Kugeln schwirrten über den Köpfen. Ohne entdeckt zu werden, bereiteten wir uns auf den Empfang. Wir hatten uns auf beiden Seiten der Beobachtungsstelle verteilt, unsere MPs vorbereitet und warteten auf das Signal des Divisionskommandeurs. Als die Fritze uns 50 m näherten, haben wir das Feuer eröffnet, mit dem wir mehr als 10 Fritze niedergemäht hatten, zugleich hat der Divisionskommandeur 3 Handgranaten geworfen, nach dem von diesem Zug nur ein Klacks übrig geblieben ist; wir erreichten sprungweise ein Roggenfeld, und von da aus schossen wir auf die uns begegneten Fritze und kamen zu unseren Stellungen.“82

11.10.1942

„...Jetzt kämpfen wir täglich und kommen voran. Ich kann stolz sein, ich habe bis zu 300 Fritze vernichtet, viele verwundet. Das Schlachtfeld ist mit den Fritzen bedeckt, die ich persönlich vernichtet und gezählt habe, ich habe auch viele Kampfgeräte und Zugmaschinen herausgebracht, wofür ich zur Auszeichnung vorgeschlagen wurde. Ich weiss nicht, was aus all dem werden wird, im nächsten Brief teile ich über alles mit...“ 83

Dieselbe Feindbildkategorie kann auch in Verbindung mit Schimpfwörtern verwendet werden;

zugleich kommt zu Vorschein, dass der Briefschreiber nicht alles aus „seiner Wirklichkeit“

beschreiben will oder kann:

15.10.1942

„Panja! Trotz der Schwierigkeiten meines Lebens in einer - da muss ich sagen:

besonderen - Kriegssituation, vergesse ich Dich nicht. Die Nacht heute war für mich und viele meine Kameraden besonders gefährlich. Schwer zu sagen, warum.

81 Briefschreiber: Tschernobaj, Michail, Dienstgrad - Feldwebel, Jahrgang unbekannt, Quelle:

„Poslednie pis’ma s fronta“ (Die letzten Briefe von der Front), Band 3 (1943), S. 317.

82 Briefschreiber: Afanasjew, Konstantin, Dienstgrad - Soldat, Jahrgang - 1918, Quelle: Schindel, Alexander (Hrsg.), „Po obe storony fronta - auf beiden Seiten der Front“, S. 26.

83 Briefschreiber: Rumjanzew, Vitalij, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: „Poslednie pis’ma s fronta“ (Die letzten Briefe von der Front), Band 2 (1942), S. 403.

Die Tatsache ist, dass ich am Leben bin und gebe mir jetzt Mühe, Dir das mitzuteilen.

Die Dreckskerle-Fritze kriegen anscheinend keine Luft mehr. Eine lange Zeit drangen sie wie der Teufel, jetzt merkt man, dass ihnen die Puste ausgeht...“84

Im Unterschied zu den deutschen Feldpostbriefen ist die Feindbildkategorie „Der Deutsche/ die Deutschen“ mit 10 Erwähnungen nicht die zahlreichste (21, 27 % aller Erwähnungen). In dem unten zitierten Brief sieht man unter anderem, dass die Tötungshemmungen praktisch aufgehoben wurden: Die Frage nach der Zahl der getöteten Feinden scheint eine alltägliche Angelegenheit zu sein. Das Feindbild „der Deutsche“ wird dabei auch neben den Beschreibungen der primären Belastungen des Krieges, bezeichnet z.B. als „erbitterte Kämpfe“

u.ä. verwendet:

22.11.1942

„... Die letzten Kämpfe waren sehr erbittert. Ihr fragt, wie viele Deutsche ich getötet habe. O weh und ach, aus meiner persönlichen Waffe habe ich keinen einzigen erschlagen. Jedoch viele von denen kamen auf den von uns gelegten Mienen ums Leben. Die Pioniere sind ja unsichtbare Helden, sie zeichnen sich nicht in den kühnen Bajonett-Angriffen aus, sondern in stillen und auf den ersten Blick unmerklichen, jedoch für den Feind empfindlichen Operationen. Ausführlicher erzähle ich das aber, wenn ich neben Dir sitzen werde...“85

Das gleiche Feindbild kann auch im Zusammenhang mit sachlicher Beschreibung des Gegners und sogar mit gewissem Respekt vor dem Feind bzw. von dessen militärischen Fertigkeiten stehen:

23.07.1942

„...Die Deutschen benutzen sehr meisterhaft das Manövrieren und verschanzen sich geschickt. Jetzt fing die Schlacht um Stalingrad an. Besser als ich verstehen Sie, welche strategische und wirtschaftliche Bedeutung diese Stadt für uns hat. Stalingrad zu halten heisst den Krieg zu gewinnen...“86

Das Feindbild „Der Deutsche/die Deutschen“ kann in einem und selbem Brief, ja in einem Satz in Plural und Singular verwendet werden. Dabei kann dieses Feindbild in Verbindung mit Rachegefühlen des Schreibers gebracht werden. So liest man in dem Feldpostbrief eines

84 Briefschreiber: Samarin, Semjon, Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: „Poslednie pis’ma s fronta“ (Die letzten Briefe von der Front), Band 2 (1942), S. 414.

85 Briefschreiber: Adlivankin, M., Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: Zentralmuseum des Grossen Vaterländischen Krieges Moskau (ZM GVK), OF-19100/2, eigene Übersetzung.

86 Briefschreiber: Rodjakow, I., Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: Schindel, Alexander (Hrsg.), „Po obe storony fronta - auf beiden Seiten der Front“, S. 34.

Rotarmisten vom 30.01.1943, dass der Briefschreiber zu „den Deutschen“ (Plural) sehr hart sei und dass er mit „ihm“ (also mit „dem Deutschen“, Singular) „abrechnen“ wird:

30.01.1943

„... Ich schicke Euch mein Foto, ich wurde bereits im September aufgenommen, das Foto habe ich erst jetzt erhalten (unleserlich) ... dass ich sehr hart aussehe. Ich bin überhaupt nicht so ein harter Typ, jedoch bin ich zu den Deutschen sehr hart und schaffte es schon, mit ihm abzurechnen für unsere und für Eure Qualen und Leiden...“87

20.01.1943

„... Die Deutschen fliehen nur so, lassen alles zurück. (...) Das Wetter hier ist sehr kalt, Fröste. Zwei Tage und Nächte haben wir uns ausgeruht, wir haben im Unterstand geschlafen, vorher hatten wir keine Zeit dazu. Vorläufig wäre das alles von mir. Ich wünsche Euch alles Gute.“88

Mehr als die Hälfte - 26 (was 55,31% ausmacht) von 47 russischen Feldpostbriefen, in denen der deutsche Feind überhaupt erwähnt wird, enthält Feindbilder-Konglomerate aus zwei oder mehreren Feindbildkategorien.

In einem bereist zitierten Feldpostbrief vom 20.08.1942 findet der Leser eine Verbindung sogar aus 4 Feindbildkategorien in einem und selbem Brieftext: Eine untrennbare Verbindung aus Propagandaklischees mit Schimpfwörtern, die der Briefschreiber zusammen mit zwei weiteren Feindbildkategorien - „Fritz/Hans“ und „Deutscher/Deutsche“ verwendet:

20.08.1942

„Grüsse von der Front!

Guten Tag, lieber Bruder Kolja!.

(...) Deinen Brief vom 17./VI. habe ich erhalten, ich bin Dir dafür sehr dankbar.

Ich habe ihn grade erhalten, als die Deutschen unsere Kampfstellungen in der Nähe vom Fluss Oskol (Gebiet Charkov) unter Beschuss nahmen.(...) Ich beschreibe Dir nun eine kleine Episode aus unserem Kampfleben. Wir standen in der zweiten Verteidigungslinie in der Nähe vom Dorf G. Wir waren 7 Mann auf dem Beobachtungspunkt 5 km von unseren Kampfstellungen entfernt, vorne. Einmal beim

87 Briefschreiber: Stein, G., Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle: Zentralmuseum des Grossen Vaterländischen Krieges Moskau (ZM GVK), OF-16102, eigene Übersetzung.

88 Briefschreiber: Norizyn, N., Dienstgrad und Jahrgang unbekannt, Quelle:„Stalingrad. Materiealien zur Ausstellung ‘Stalingrad - Briefe aus dem Kessel’ vom 20. Juni - 4. August 1991 im Kunstamt Kreuzberg - Bethanien“, S. 56.

Sonnenaufgang hatten die deutschen Panzer mit Unterstützung der Luftwaffe unsere vorderste Verteidigungslinie durchbrochen und kamen auf uns zu. (...) Wir wurden abgeschnitten, von da aus haben wir per Telefon das Artilleriefeuer gegen die Stellen gelenkt, wo der Anlauf besonders gross war. Viele Schufte-Hitleristen haben von ihrem Leben Abschied genommen.

Die Verbindung wurde unterbrochen, ein Zug deutscher MP-Schützen ging direkt auf uns zu, die Kugeln schwirrten über den Köpfe. Ohne entdeckt zu werden, bereiteten wir uns auf den Empfang. (...) Als die Fritze uns 50 m näherten, haben wir das Feuer eröffnet, mit dem wir mehr als 10 Fritze niedergemäht hatten, zugleich hat der Divisionskommandeur 3 Handgranaten geworfen, nach dem von diesem Zug nur ein Klacks übrig geblieben ist; wir erreichten sprungweise ein Roggenfeld, und von da aus schossen wir auf die uns begegneten Fritze und kamen zu unseren Stellungen.“89

So ein Feindbild-Konglomerat wird auch neben ‘Galgenhumor’ des Briefschreibers (Austausch von „Gefälligkeiten“ mit dem Feind) und saloppen Ausdrücken verwendet:

1.11.1942

„... Wir setzten alle Kräfte und alle Energie ein, um den Willen des Kommandos für die Zerschlagung des Feindes auszuführen - und wir schlagen den Feind, diese frech gewordenen Faschisten. (...) Manchmal tauschen wir mit den Fritzen „Gefälligkeiten“ aus - indem wir zu ihm als ‘Mitbringsel’ Tonnen von Blei ’rüberschmeissen. Die Scharfschützen spüren nach wie vor diese Dreckskerle auf und schaffen sie beiseite...“90

„... Wir setzten alle Kräfte und alle Energie ein, um den Willen des Kommandos für die Zerschlagung des Feindes auszuführen - und wir schlagen den Feind, diese frech gewordenen Faschisten. (...) Manchmal tauschen wir mit den Fritzen „Gefälligkeiten“ aus - indem wir zu ihm als ‘Mitbringsel’ Tonnen von Blei ’rüberschmeissen. Die Scharfschützen spüren nach wie vor diese Dreckskerle auf und schaffen sie beiseite...“90