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3 Die Bauten des Wilkhahn-Werkes

3.3 Fertigungspavillons und Lagerspange von Frei Otto 1985 bis 1988

3.3.8 Zeitgenössische Würdigungen und Kritiken

abgehängten Seilspann-Segeln nicht gelöst hatte. Um Schlagschatten und Blendung zu vermeiden und der Überhitzung im Sommer noch stärker entgegenzuwirken, er-hielten die Glasflächen zwischen den Holzbindern eine transluzente Folierung (Abb. 126).718 Die zehn von der Dachkonstruktion abgehängten Pendelstrahler wur-den mit untergehängten Schirmen zur besseren Lichtverteilung ergänzt; im Pavillon der Näherei wurden kurz nach der Inbetriebnahme zur ausreichenden Arbeitsplatz-beleuchtung in mehreren Reihen Langfeldleuchten als Ergänzung der Strahler in-stalliert (Abb. 127).719

Den eigenen Anspruch der baulichen Anpassungsfähigkeit, die Otto für Indust-riegebäude als bedeutend ansah, konnte er bei seinem einzigen realisierten Fabrik-bau, den Fertigungspavillons in Bad Münder, nicht erfüllen. Der Gedanke stand für Wilkhahn nicht im Vordergrund. Allerdings stellte sich zehn Jahre nach der Inbe-triebnahme heraus, dass die Pavillons auch für andere anspruchsvolle Nutzungen geeignet sind. Für ein dezentrales Projekt zur Weltausstellung 2000 in Hannover wurde im vierten Pavillon eine temporäre Ausstellung zum Thema »Zukunft der Ar-beit« präsentiert (Abb. 128). Drei Jahre später wurde dort ein Gruppenbüroraum mit der Bezeichnung »Gläserne Manufaktur« für die Betriebsstelle Auftragsab-wicklung eingerichtet (Abb. 129).720 Eine Büronutzung war in der Phase der Ent-wurfsplanung im ersten Pavillon bereits vorgesehen gewesen.

Zweckbauten gegangen sei. »Vielmehr spiegelt sich hier der hohe Anspruch des Un-ternehmens an das Design der hergestellten Sitzmöbel nach außen.«721

In der Zeitschrift glasforum ist ein siebenseitiger Artikel mit Fotos und Zeich-nungen abgedruckt worden, in dem die Interviews mit Fritz Hahne, Frei Otto und Holger Gestering aus dem Kundenmagazin Der Wilkhahn in gekürzter Fassung den wesentlichen Inhalt ausmachen. Den Text für die Beschreibung der Dachkonstruk-tion haben die Statiker Martin Speich und Franz-Josef Hinkes geliefert. Die Gesamt-konzeption der Pavillons und der Lagerspange wird vom Redakteur als ein »bei-spielhafter Beitrag zur Corporate Identity des Unternehmens« bewertet.722

Die Redaktion des Fachmagazins Baumeister stellte die Produktionspavillons in Bad Münder auf sechs Seiten vor. Das Konzept von Otto und der Entwurf der PG Gestering werden im Hinblick auf ihre architektonischen Besonderheiten treffend beschrieben. Im Artikel heißt es, dass hier nicht die »totale Zeltkonzeption« herr-sche wie beim Münchener Olympiagelände, sondern eine im Äußeren wirksame Dreiteilung aus gekrümmter Dachfläche, senkrecht verglaster Zwischenzone und Sockel aus lederfarbenem Ziegelmauerwerk. »Das hat nichts mit Inkonsequenz zu tun, sondern zeigt, wie Konzepte von Dach, Holzskelett und unterem Abschluss auch aussehen können.«723 Abschließend wird die Arbeitsatmosphäre in den durch die Flächenbeschränkung, wie in einem kleinen Gewerbebetrieb, überschaubaren Bereichen hervorgehoben, die für die Produktion optimal seien. »Das Innere sugge-riert nicht ›Industrie‹, sondern ist sinnvoll organisierte Großwerkstätte.«724 Die Konstruktion der Dächer wird von den Statikern Martin Speich und Franz-Josef Hinkes umfassend erläutert. Fotos und Ausführungspläne veranschaulichen den Text der Statiker.

Die Redakteurin Cornelia Krause stellte in der deutschen bauzeitung 1989 die Fertigungspavillons unter der Überschrift »Zelte aus Holz« in einem zweiseitigen Artikel mit einigen Abbildungen vor. Sie bezeichnete sie als »ungewöhnliche Indust-riearchitektur« und beschreibt ihre Erscheinung wie folgt: »Vier geschwungene, sil-bergraue Zeltdächer nimmt der Betrachter zunächst wahr. Sie schauen aus wie ge-parkte Ufos. Beim Näherkommen kann man allerdings sehen, daß sie fest mit der

721 Martin Speich/Franz-Josef Hinkes: Rahmen und Hängerippen bilden das Dach, in: bauen mit holz 90 (1988), Heft 3, S. 144–146 (144). Auf diesen Artikel wird im Bericht über die Fertigungspa-villons im Holzbau-Atlas Zwei hingewiesen (Julius Natterer/et al.: Holzbau-Atlas Zwei, durchges.

Nachdruck der Ausgabe von 1991, Düsseldorf 1994, S. 263).

722 Krewinkel 1989; vgl. Rudolf Schwarz: Gebaute Zukunft, in: Der Wilkhahn 5, März 1988, S. 6–13.

723 Anonym 1989b: Produktionspavillons in Bad Münder, in: Der Baumeister 86 (1989), Heft 3, S. 24–29 (25).

724 Ebd.

Erde verbunden sind.«725 Gegenstand des Artikels ist in erster Linie die Konstruk-tion. Als Grund für die Ausbildung eines gespreizten Doppelrahmens nennt sie die Belichtung: »Somit wird das Tragelement gleichzeitig zum Belichtungselement.«726 Abschließend stellt sie eine Beziehung zwischen den »Zelten« und dem hohen An-spruch des Unternehmens an seine Produkte her und lobt die menschliche Ar-beitsumgebung, die sich »wohltuend von der üblichen Industriehallenatmosphäre«

unterscheide.727

In derselben Zeitung stellte Rudolf Schwarz zwei Jahre später die Grundsätze des Bauens für Wilkhahn im Zusammenhang mit den vier Pavillons von Otto dar. Ein Foto von Süden mit dem blühenden Mais im Vordergrund wird vom Text begleitet:

»Wilkhahn von ferne: vier Zipfelmützen in der Landschaft«.728 Schwarz zeigt auch Frei Ottos Skizze der Gesamtkonzeption des Firmengeländes, ohne auf deren Inhalt näher einzugehen. Mit der Pavillon-Lösung sah Schwarz den Beweis erbracht, dass anspruchsvolle Industriearchitektur keineswegs unverhältnismäßig kostspielig sei.

Der zusätzliche Aufwand von knapp fünfzehn Prozent sei nicht nur moralisch ge-rechtfertigt, sondern werde durch den Werbeeffekt aufgewogen. Geist und Haltung des Unternehmens und seiner Menschen würden glaubwürdig signalisiert.729

Die Fachzeitschrift AIT – Architektur, Innenarchitektur, Technischer Ausbau berichtete im Märzheft 1989 unter dem Titel »Hängestabkonstruktion. Produkti-onspavillons der Firma Wilkhahn« über die Ansprüche der Geschäftsleitung an die Architektur sowie über das Ergebnis. »Diese Architektur, die nicht mit der Meßlatte der billigsten Lösung entstand, hat hier schon nach so kurzer Zeit bewiesen, daß nur die Berücksichtigung seiner Würde den arbeitenden Menschen motiviert und glück-licher macht.« Der Redakteur oder die Redakteurin würdigte die Entwicklungspla-nung und den Gedanken der Lagerspange in Verbindung mit einer »Fußgänger-zone« in Ost-West-Richtung als Rückgrat und Verbindung zwischen Produktion und Geschäftsleitung.730

725 Cornelia Krause: Zelte aus Holz, in: deutsche bauzeitung 123 (1989), Heft 4, S. 16–17 (16). Zelt-bau im Sinne von Otto bedeutet Bauen mit gespannten Membranen, die ein vornehmlich zugbean-spruchtes und biegeunsteifes Flächentragwerk bilden. Die Dächer der Fertigungspavillons sind keine Zelte in diesem Sinn.

726 Ebd.

727 Ebd.

728 Rudolf Schwarz: Mit Moral. Grundsätze des Bauens für Wilkhahn in Bad Münder, in: deutsche bauzeitung 125 (1991), Heft 3, S. 30–33 (32). Rudolf Schwarz war zu dieser Zeit Pressesprecher der Firma Wilkhahn.

729 Ebd., S. 33.

730 Anonym 1989a: Hängestabkonstruktion. Die Produktionspavillons der Firma Wilkhahn, in: AIT – Architektur, Innenarchitektur, Technischer Ausbau 97 (1989), Heft 3, S. 46–48.

Die Deutsche Bauzeitschrift hat einen sechsseitigen bebilderten Artikel veröf-fentlicht. Die Beschreibung stützt sich zum Teil wörtlich auf die Inhalte der Inter-views aus dem Magazin Der Wilkhahn. Die Redaktion stellte fest, dass die große Höhe zwar für die Produktion an sich nicht erforderlich sei, aber lüftungstechnisch große Vorteile und die Möglichkeit des Einbaus einer zweiten Ebene biete. Den vier Produktionspavillons wird aufgrund der Höhe der Dächer der »Charakter eines Zei-chens« zugesprochen.731

Matthias Schreiber lieferte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 2. Feb-ruar 1989 folgende Interpretation in Verbindung mit einer Abbildung der vier Pa-villons von Süden hinter dem Feld, das im Vordergrund die Fassaden der PaPa-villons verdeckt:

»Vom Feld aus wirken die vier neuen Fertigungspavillons der auf moderne Büro-einrichtungen, vor allem Stühle und ›Sitzgruppen‹, spezialisierten Firma Wilk-hahn im norddeutschen Bad Münder wie Beduinenzelte, wie eine architektonische Fata Morgana am ›falschen Ort‹. Im Inneren der Pavillons fühlt man sich dann an eine kühne Mischung von Atelieratmosphäre, Scheune, altem Segelschiffbauch und skandinavischer Holzkirche erinnert. [...] Mut zur Form im Gewerbegebiet, Abschied von der Allmacht der Kiste – wir brauchen mehr davon.«732

Hans Ottomann wandte sich in seinem zur Orgatec in Köln 1990 erschienenen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung »Auf der Suche nach Identität« ge-gen die Versuchung, die firmenintegrierte Architektur als Effekthascherei zu kriti-sieren. Es sei eine »ungewöhnlich glückliche Konstellation, wenn Architektur, Am-biente, Umfeld, interne Kommunikation und Unternehmenskultur eine Einheit bil-den« würden. Wilkhahn habe die Konsequenzen gezogen und mit Professor Frei Otto, dem Schöpfer des Olympia-Parks in München, vier zeltartige Pavillons für die Näherei und Polsterei in Betrieb genommen. Frei Otto wird zitiert: »Es macht mir Freude, zu sehen, daß die Mitarbeiterschaft – nicht allein der Betriebsrat – sich mit dem Bau identifiziert.«733

Manfred Sack erwähnte in seinem Artikel in der Zeit »Suche nach der schöneren Arbeitswelt« anlässlich des achten Bundeswettbewerbs Industrie, Handel und Handwerk im Städtebau neben anderen Bauten die »wunderbar in der Landschaft

731 Anonym 1989c: Wilkhahn-Produktionspavillon [sic] in Bad Münder, in: DBZ 37 (1989), Heft 5, S. 599–604.

732 Mathias Schreiber: Ohne Titel, Bildunterschrift, in: FAZ 41 (1989), Nr. 28 v. 2.2.1989, S. 21.

733 Hans Ottomann: Auf der Suche nach Identität. »Integrierte Architektur« ist sehr viel mehr als Effekthascherei, in: FAZ 42 (1990), Nr. 247 v. 23.10.1990, S. B 4.

stehenden, hervorragend funktionierenden Pavillons mit ihren geschwungenen Zeltdächern aus Holz« von Frei Otto.734

Der Spiegel interpretierte die Wilkhahn-Produktionspavillons neben anderen beispielhaften Bauten als ein »Hoffnungszeichen in der Gewerbesteppe« und als Beleg dafür, dass bundesdeutsche Unternehmer die Industrie-Architektur entdeckt hätten.735

In der 1989 u. a. vom Deutschen Werkbund und vom Bund Deutscher Architek-ten herausgegebenen erweiterten Dokumentation des Deubau-Kongresses 1987 Bauen und Ökologie: Herausforderung für Planer, Hersteller und Nutzer wird un-ter dem Titel »Industriefertigung im Pavillon« über den Erweiun-terungsbau auf dem Gelände in Eimbeckhausen berichtet.736 Die weitere Überschrift des Artikels lautet:

»Ein Unternehmer baut seine Philosophie«. Die von Fritz Hahne formulierten vier Erfordernisse für die Planung werden dargestellt, Frei Otto wird mehrfach zitiert.

Die Pavillons werden als »riesige Nomadenzelte«, die aus der Landschaft wachsen, charakterisiert. Herausgestellt werden die Beteiligung der Mitarbeiterschaft am Entwurf und die von Otto geschaffene Atmosphäre. »Unter den hohen Holzdecken mit dem breiten Fensterband sind Arbeitsplätze entstanden, die mit dem gewohn-ten Bild eines Industriearbeitsplatzes nichts mehr gemein haben.«737

Gunther A. Luedecke berichtete in seinem 1991 erschienenen Buch Mehr Produk-tivität durch gute Räume, das sich an künftige Bauherren aus dem Kreis der Wirt-schaft richtet, auch über die Pavillons der Firma Wilkhahn. Er charakterisiert sie als luftig und lichtdurchflutet und als Ausdruck von Flexibilität und Innovation. »Hier wurde etwas geschaffen, das den Produkten von Wilkhahn adäquat ist, das die pri-märe Idee des Unternehmens unterstreicht: Sitzmöbel herzustellen, die sich selbst-tätig jeder Körperhaltung des Benutzers anpassen.«738 Dem Leser wird das Urteil vermittelt, dass die Fertigungspavillons Ausdruck der Unternehmensidentität und sichtbare Signale des unternehmerischen Denkens und Handelns seien und den ökonomischen, ökologischen, sozialen und ästhetischen Ansprüchen in hoher Weise gerecht geworden seien.739

734 Manfred Sack: Suche nach der schöneren Arbeitswelt, in: Die Zeit 44 (1989), Nr. 40 v. 29.9.1989, S. 44–45.

735 Anonym 1989d: Hoffnungszeichen in der Gewerbesteppe, in: Der Spiegel 44 (1989), Nr. 18, S. 198–203.

736 Anonym 1989f.

737 Ebd.

738 Gunther A. Luedecke: Mehr Produktivität durch gute Räume: Manager entdecken die Wirkung der Architektur, 2. Aufl., Düsseldorf/Wien/New York/Moskau 1992, Bildteil o. P. Weitere beschrie-bene vergleichbare Beispiele waren Rimowa in Köln (Architekten Dahlbender, Gatermann und Schossig) und Tetra Pak in Hochheim (Architekten Novotny, Mähner und Assozierte).

739 Ebd., S. 113.

Sabine Schanz, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Leichte Flächen-tragwerke, beschrieb die Dächer der Pavillons für die 1992 vom Werkbund Bayern anlässlich der Preisverleihung an Frei Otto und Bodo Rasch ausgerichtete Ausstel-lung prägnant wie folgt:

»Der Erweiterungsbau der Fa. Wilkhahn in Bad Münder zeigt einen neuen Ansatz in der architektonischen Gestaltung industrieller Produktionsstätten. [...]. Die Hängedächer über den Pavillons bestehen aus je zwei Dreigelenkrahmen als Hauptträger, von denen tragende Dachlatten abgehängt sind. Die Dreigelenkrah-men sind in der Mitte so angeordnet, daß zwischen diesen Hauptträgern eine ebene Dachfläche entsteht, die mit Glas eingedeckt wurde. Der lichtdurchflutete Innenraum sorgt für eine angenehme Arbeitsatmosphäre. Aufgereiht an einem langgestreckten Flachdachbau bilden die Pavillons kleine überschaubare Einhei-ten, die bei Bedarf mit weiteren Bauten ergänzt werden können, ohne die architek-tonische Gesamtkonzeption zu beeinträchtigen.«740

Der Text begleitet ein Modellfoto und zwei Fotos der fertiggestellten Dächer. Ein Foto zeigt die vier Pavillons von einem entfernten südlichen Standpunkt, auf dem sie sich über der Wiese im Vordergrund schwebend zu erheben scheinen. Die Fas-saden sind auf den Fotos nicht zu sehen. In die Ausstellung des Werkbundes wurden neben den Pavillons von Wilkhahn zwei weitere realisierte Hängekonstruktionen von Otto aufgenommen. Das waren die Schwergewichtshängedächer über den Sälen des Konferenzzentrums in Mekka von 1975, das Frei Otto und Rolf Gutbrod gemein-sam entwarfen, und das Institutsgebäude in Stuttgart-Vaihingen.741