• Keine Ergebnisse gefunden

2 Der Möbelproduzent Wilkhahn in Bad Münder

2.1 Aspekte der Unternehmensgeschichte

2.2.2 Ideelle Einflüsse auf das Unternehmen

sondern auch auf den Produktionsprozess, die Betriebsverfassung und die Architek-tur des Unternehmens beziehen. In der Würdigung heißt es weiter:

»Seine Handlungsmaximen ›Wahrhaftigkeit in der Produktgestaltung‹, ›Fairness in der Zusammenarbeit‹ und ›ökologische Verantwortung‹ verbanden die Traditi-onen des 1907 gegründeten Deutschen Werkbundes mit den großen gestalteri-schen, sozialen und ökologischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.«289

Fritz Hahne ist als Unternehmer, als Geschäftsführer und Vorsitzender des Verwal-tungsrates der Vordenker und Entscheider der wichtigsten Angelegenheiten von Wilkhahn gewesen. Er ist nach eigenem Bekunden ein »Suchender« und daher of-fen für ideelle Einflüsse geblieben.

Walter Heyn beeinflusst.293 Das gilt vor allem für seinen Designanspruch, die Art der Zusammenarbeit mit unabhängigen Möbelgestaltern und deren Honorierung und seine ethischen Maßstäbe. Seine Werkstätten unterschieden sich von anderen Werkstätten für Kunst und Handwerk durch »ihren breiten kulturpolitischen An-satz, der soziale, pädagogische, organisatorische und siedlungsbauliche Ansprüche einschloss.«294

Die Deutschen Werkstätten boten exklusiv in eigens eingerichteten Verkaufsstel-len in deutschen Großstädten ihr umfassendes Programm aus Möbeln, Tafelgerät, Textilien, Leuchten und Tapeten an.295 Sie lieferten darüber hinaus per Fracht deutschlandweit und ins Ausland.296 Die Kundschaft war damit nicht nur in den Städten mit Verkaufsstellen zu finden. Die von Künstlern gestalteten Produkte soll-ten gleichzeitig auch preisgünstig sein.297 Neu war die Nennung des Künstlers oder der Künstlerin an erster Stelle und des Herstellers erst an zweiter Stelle sowie ihre Beteiligung am Verkaufserlös für jedes Stück. Sie waren nicht geschäftliche Teilha-ber der Werkstätten, wie es in anderen Werkstätten für Handwerkskunst üblich war, sondern Vertragspartner in gleicher Weise wie Buchautor und Verleger. Die Namen der Urheber waren mit ihren Werken erkennbar verbunden.298

Karl Schmidt erlebte mit seiner Firma in kurzer Zeit einen rasanten wirtschaftli-chen und künstleriswirtschaftli-chen Aufschwung. Sie konnte sich bereits 1899 wie auch die Ver-einigten Werkstätten für Kunst im Handwerk München an der Deutschen

293 Walter Heyn war als Innenarchitekt 1922 in die Firma eingetreten und 1937 neben Karl Schmidt und Wilhelm Mundt in den Vorstand der Deutsche Werkstätten A. G. Rähnnitz-Hellerau berufen worden (Deutsche Werkstätten A. G. Rähnitz-Hellerau: Geschäftsbericht 1937, in: Presse-mappe 20. Jahrhundert, ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft, Hamburg. URL siehe Internetquellen.

294 Wichmann 1992, S. 14.

295 Der Zusammenschluss von Handelshäusern und Herstellern als Verein für neuzeitliche Woh-nungskunst (WK-Möbel) war direkte Folge der wirtschaftlichen Erfolge der Deutschen Werkstätten und deren Geschäftspolitik, die eigenen Verkaufsstellen durch Exklusivrechte zu schützen. Einer der Gründer hatte mehrfach vergeblich versucht, in seinem Möbelgeschäft in Dresden auch die Mö-bel der Werkstätten anbieten zu dürfen (Wichmann 1992, S. 142).

296 Deutsche Werkstätten Hellerau. Berlin. Dresden. München. Hamburg. Hannover (Hg.): Preis-buch Dresdener Hausgerät, 8. Aufl., Dresden 1912. Das Ortsverzeichnis der gelieferten Möbel auf den Seiten S. 88–93 gibt darüber Auskunft. Aufgeführt sind z. B. auch Hameln und Bad Nenndorf in der Nachbarschaft des Deister-Süntel-Raums. Ins Ausland lieferten die Deutschen Werkstätten z. B. in die Niederlande, nach Argentinien und in die USA.

297 Tulga Beyerle: Die Deutschen Werkstätten oder der Visionär aus Sachsen, Karl Schmidt, in: Eine Klasse für sich. Historischer Schiffsinnenausbau der Deutschen Werkstätten, hg.

von: Deutsche Werkstätten, Dresden 2018, S. 24–34 (25).

298 Vgl. Hermann Muthesius: Kunst und Volkswirtschaft, in: Dokumente des Fortschritts, 1 (1908), Heft 3, Januar 1908, S. 115–120 (118); vgl. Wichmann 1992, S. 15. Das Urheberrecht bzw. die Kunstschutzwürdigkeit von qualifizierten Erzeugnissen des Kunstgewerbes wurde im deutschen Kaiserreich 1907 gesetzlich anerkannt.

Kunstausstellung Dresden in ihrer Abteilung für Kunstgewerbe und danach an wei-teren nationalen und internationalen Ausstellungen beteiligen. Prämierungen bei der Weltausstellung 1900 in Paris und der Internationalen Kunstausstellung 1901 in Dresden trugen zur Verbreitung des Gedankens des neuen Kunstgewerbes und zur Steigerung der Nachfrage bei.

Der Anspruch an die formale Qualität der Produkte wurde auch auf das visuelle Erscheinungsbild des Betriebes und seiner Niederlassungen übertragen.299 Ver-kaufsstellen, Schaufenster, Werbeschriften, Preisbücher, Präsentationen in Ausstel-lungen, die Fabrikanlage und die Wohnungen und Häuser der Mitarbeiterschaft, alles wurde mit besonderen Ansprüchen an die Gestaltung belegt (Abb. 220–224).

Eine herausragende Stellung bei der Entwicklung der sogenannten Maschinenmö-bel und Gestaltung von Raumausstattungen, aber auch des visuellen Erscheinungs-bildes nahm ab 1902 der an der Münchener Kunstakademie ausgebildete Künstler Richard Riemerschmid aus München ein. Er war wie Schmidt davon überzeugt, dass die Menschen durch eine bessere Qualität der ihnen dienenden Dinge zum Guten beeinflusst und erzogen werden können.300

Als zukunftsweisend für die deutsche Möbelindustrie stuft Klaus-Peter Arnold die Anfang der 1930er-Jahre von Josef Hillerbrand entworfenen An- und Aufbau-regalwände und das 1937 auf den Markt gebrachte Programm »Wachsende Woh-nung« von Bruno Paul ein. Ihre Etablierung wurde durch die auf Rentabilität und hohe Gewinne orientierte Politik des von der Sächsischen Staatsbank beherrschten Aufsichtsrates und später durch die Beteiligung des Betriebes an der 1939 einset-zenden Kriegswirtschaft verhindert.301 Die Aktiengesellschaft wurde 1946 aufgelöst, das verstaatlichte Werk bis 1953 zu Reparationen an die Sowjetunion herangezo-gen.302 Karl Schmidt wurde der Zutritt zum Betriebsgelände verboten. Er starb 1948 in Hellerau.

299 Wichmann 1992, S. 19.

300 Wichmann 1992, S. 19. Riemerschmid hat 1898 die Ausstattung eines Musiksalons für die Ver-einigten Werkstätten für Kunst und Handwerk München entworfen, die in der Deutschen Kunst-ausstellung in Dresden 1899 gezeigt wurde. Dazu gehören ein Musikzimmer-Stuhl und ein dem-entsprechender Armlehnstuhl, der von der Dunbar Furniture Manufactoring Corp. in den USA seit 1951 produziert wurde und im selben Jahr in die ständige Schausammlung des Museum of Mo-dern Art in New York aufgenommen wurde (Nerdinger 1982, S. 144f. u. 552f.).

301 Arnold 1993, S. 116.

302 Vgl. Katrin Schreiter/Davide Ravasi: Institutional Pressures and Organizational Identity: The Case of Deutsche Werkstätten Hellerau in the GDR and Beyond, 1945–1996, in: The Business His-tory Review 92 (2018), Issue 3 v. November 2018, S. 453–481 (462).

II. Deutscher Werkbund und Rat für Formgebung

Der von Gottfried Semper Mitte des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der Londoner Weltausstellung eingeleitete und zum Ende desselben Jahrhunderts sich in Secessionsbewegungen verdichtende, grundlegende Wertewandel in Kunst und Handwerk führte u. a. zur Gründung des Deutschen Werkbundes 1907.303 Die Welt-ausstellungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und von 1900 hatten den deutschen Industriellen die Defizite in der Gestaltung ihrer Waren vor Augen ge-führt. Im Interesse der Konkurrenzfähigkeit auf den Weltmärkten wurde eine »neue kulturelle Grundhaltung im Hinblick auf die gestaltete Umwelt« gefordert, die der Werkbund in seiner Satzung festschrieb.304

Um die in der Satzung genannten Ziele »Erziehung und Propaganda« zu verfol-gen, wurde 1922 die Werkbund-Zeitschrift Die Form gegründet, die sich u. a. dem

»Neuen Bauen« widmete. Ein explizites Motto war der Name der 1924 vom Werk-bund initiierten Ausstellung »Die Form ohne Ornament«.305 Exemplarisch für das Neue Bauen war die Werkbund-Ausstellung »Siedlung am Weißenhof« 1927 in Stuttgart, der sich 1929 die Bauausstellung »Wohnen und Werkraum« in Breslau anschloss.

Mit der Machtergreifung des nationalsozialistischen Regimes wurden »völki-sche« Geschmacksvorstellungen bestimmend, die den Auffassungen der den Werk-bund prägenden Mitglieder widersprachen. Es deutete sich das baldige Aus des re-formerischen Zusammenschlusses an. Der in der ursprünglichen Satzung des Deutschen Werkbundes von 1908 im § 2 formulierte Zweck wurde faktisch am 10. Juni 1933 außer Kraft gesetzt. In ihm hieß es, dass der Verein der Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie, Handwerk und Handel dienen will. Im Laufe des Jahres wurde die Satzung unter dem Druck des Kampfbundes für deutsche Kultur geändert und der § 2 neu formuliert:

»Der Zweck des Bundes ist die Schaffung und Pflege einer deutschen Werkgesin-nung im Sinne der deutschen Kulturüberlieferung auf allen Gebieten der

303 Nerdinger 1982; Nerdinger 2007.

304 Markus Jager: Das Continental-Verwaltungsgebäude von Peter Behrens. Büro- und Unterneh-mensarchitektur in der Ära des frühen Werkbundes, in: Peter Behrens. Continental Hannover, hg. v. Markus Jager, Berlin 2020, S. 23–71 (23); vgl. Deutscher Werkbund (Hg.): Die Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk. Verhandlung des Deutschen Werkbundes zu München 11. und 12. Juli 1908, Leipzig 1908, S. 184.

305 Wolfgang Pfleiderer: Die Form ohne Ornament. Werkbundausstellung 1924, hg. v. Walter Riezler, 3. und 4. Tausend, Stuttgart/Berlin/Leipzig 1925 (= Bücher der Form).

Gestaltung im Zusammenwirken aller auf diesem Gebiet Tätigen durch Erziehung und Werbung in der deutschen Öffentlichkeit.«306

Gegen die Stimmen von Martin Wagner, Wilhelm Wagenfeld und Walter Gropius wurde 1934 die Gleichschaltung des Deutschen Werkbundes mit der Reichskultur-kammer von den Nazis betrieben, die das faktische Ende des Werkbundes bedeu-tete.307

Ehemalige Werkbundmitglieder begannen wenige Monate nach Kriegsende da-mit, sich regional neu zu organisieren. Anders als in Berlin und Dresden standen in der westlichen Trizone den Neugründungen keine politisch motivierten Hinder-nisse im Wege. Die Wiederbegründung des Deutschen Werkbundes wurde im Rah-men eines Werkbundtages im Kloster Ettal im September 1950 beschlossen. Er wurde als Dachverband der regionalen, selbständigen Landeswerkbünde konstru-iert. Eine der ersten Forderungen war die Etablierung eines Gremiums, das die

»gute industrielle Formgebung« mit Unterstützung der Industrie fördern sollte, ohne von einzelnen Unternehmen abhängig zu werden. Ein gewichtiges Argument waren die Defizite westdeutscher Industrieunternehmen bei der Gestaltung ihrer Erzeugnisse, die bei der von der amerikanischen Militärregierung initiierten Ex-portmesse in New York 1949 offensichtlich geworden waren.308 Einerseits spielten bei und nach der Gründung des Werkbundes 1907 Industrielle eine führende Rolle, andererseits wurde die vom Werkbund vorangetriebene Reformbewegung durch den Stand der Technik in der Industrie beeinflusst. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg ging es in der Wirtschaft vorrangig um die Schaffung der materiellen Vo-raussetzungen für die Wiederaufnahme der Produktion. Erst im Herbst 1951 schlos-sen sich mehrere Verbände innerhalb des Bundesverbandes der Deutschen Indust-rie zusammen und gründeten den Geschmacksgüter-Arbeitskreis. Damit reagierten interessierte Industrieverbände auf die Bemühungen um die Gestaltungsfrage in der Industrie.309 Die Interessen der dem Werkbund angehörenden Gestalter und Architekten auf der einen Seite und Unternehmer und Politiker auf der anderen Seite waren nicht deckungsgleich. Eine Forderung des Deutschen Werkbundes fand schließlich politisches Gehör. Der Bundestag hat 1953 den Rat für Formgebung auf

306 Zit. n. Maria Wüllenkemper: Richard Riemerschmid: »nicht die Kunst schafft den Stil, das Le-ben schafft ihn« (= Diss. Univ. Regensburg), Regensburg 2009 (= Regensburger Studien zur Kunstgeschichte, Bd. 6), S. 262; vgl. Nerdinger 2007, S. 201.

307 Nerdinger 2007, S. 202.

308 Oestereich 2000, S. 257. Die Produkte von mehr als 400 Firmen in New York 1949 und bei der IX. Triennale in Mailand 1951 haben nach den Worten von Theodor Heuss »die geschmackli-chen Unzulänglichkeiten der deutsgeschmackli-chen Erzeugnisse« deutlich gemacht (ebd.).

309 Oestereich 2000, S. 217.

den Weg gebracht, gestiftet von zwei Zentralverbänden der deutschen Industrie und acht Firmen, gefördert von seinen Kooperationspartnern. Er sollte dazu beitragen, Formgebung zu fördern und als Wirtschaftsfaktor zu stärken.310 Zur Geschäftsfüh-rerin wurde Maria Seeger berufen, die seit 1924 für den Deutschen Werkbund ar-beitete und an der Gestaltung der Werkbundausstellung Die Form ohne Ornament 1924 in Stuttgart mitgewirkt hat.

Das erste große Projekt war die Beteiligung an der X. Mailänder Triennale im Jahr 1954. Auf rund 500 Quadratmeter Fläche wurde vom Architekten Egon Eiermann eine Ausstellung formiert, die die Konkurrenzfähigkeit der Bundesrepub-lik Deutschland innerhalb der dort vertretenen Staatengemeinschaft aufzeigen sollte. Präsentiert wurden nicht nur die Entwicklungen von Industriedesign, Archi-tektur und Kunsthandwerk, sondern auch Arbeiten der freien Kunst. Mitglieder des Deutschen Werkbundes erhielten Einfluss auf die Auswahl der Objekte des deut-schen Beitrages, so Maria Seeger311, die als Kommissarin auch über die Berücksich-tigung von Georg Leowald mit dem von Wilkhahn produzierten Stuhl 353 mitent-scheiden konnte.

Die Beteiligung an Designausstellungen in aller Welt gehörte seit der Gründung zum Kerngeschäft des Rates für Formgebung. Ihnen kam eine erhebliche Bedeutung in der Verbreitung dessen zu, was als »Gute Form« gelten sollte. Bei den Vorberei-tungen der deutschen Beiträge zu den Triennale-VeranstalVorberei-tungen in Mailand zeigte sich, dass mit dem Rat für Formgebung ein Instrument geschaffen worden war, mit dem faktisch »die gestaltungsreformerischen, modernen Kräfte das Darstellungs-monopol deutscher gewerblicher Gestaltung nach außen erlangen konnten«.312 Mit der Beteiligung an der Stiftung zur Förderung der Formgestaltung und ihrem Enga-gement im Rat für Formgebung hat sich die Industrie durch ihre Vertreter mit dem Werkbund und seiner Programmatik zunächst arrangiert. Das änderte sich im Laufe der 1960er-Jahre, was mit der Etablierung des Vereins Gestaltkreis im Bundesver-band der Deutschen Industrie 1965 offenkundig wurde.313

Der 1969 eingeführte Preis Gute Form war der jährlich vergebene offizielle De-signpreis der Bundesrepublik Deutschland, vergeben durch das Bundeswirtschafts-ministerium in der Zeitspanne von 1969 bis 2001. Die Auswahl und Auszeichnung erfolgten durch eine vom Rat für Formgebung eingesetzte Kommission.Hans Peter

310 Vgl. Rat für Formgebung: Über uns. Der Rat für Formgebung, o. D. URL siehe Internetquellen.

311 Oestereich 2000, S. 68, Fn. 113; ebd., S. 304; vgl. Museum der Dinge: Maria (Mia) Seeger, Bio-grafie. URL siehe Internetquellen.

312 Oestereich 2000, S. 307. Diese Aussage bezieht sich auf die Nachkriegszeit. Oestereich bezieht sie auch auf den deutschen Beitrag für die Weltausstellung 1958 in Brüssel (ebd., S. 307, Fn. 208).

313 Johann Klöcker: Die Industrie übernimmt die Verantwortung selbst, in: Süddeutsche Zeitung 21 (1965), Nr. 89 v. 14.4.1965, Beilage: zeitgemäße form, S. 158–159.

Piehl entwickelte 1966 das Wilkhahn-Programm 300 mit Tischen, Stühlen und Ses-seln aus massivem Buchenholz, das mit dem Bundespreis Gute Form ausgezeichnet wurde.314

Im Werkbund gab es seit seiner Gründung kritische Stimmen gegenüber dem technischen Fortschritt und dem wirtschaftlichen Wachstum. Der Vorstand des DWB setzte sich im Sommer 1957 mit dem Vorschlag einer Tagung mit dem Thema

»Die große Landzerstörung« auseinander. Im von Hans Schmitt-Rost vorgelegten Memorandum zur Vorbereitung der Tagung heißt es: »Es gilt, die Ideologie abzu-bauen, daß die Natur nichts sei als ein Rohstoff, den man grenzenlos ausbeuten und abbauen kann. Die Grenze, wo eine allgemeine Lebensgefährdung eintritt, scheint bereits überschritten.«315 Mit der Tagung in Marl im Oktober 1959 und dem resul-tierenden Manifest »Die Landschaft muß das Gesetz werden« hat der Werkbund frühzeitig den Umweltschutz aufgegriffen, lange bevor sich in Deutschland in den 1980er-Jahren eine breite Bewegung und Institutionalisierung herausgebildet hat.

Die Tagung führte jedoch nicht dazu, dass sich eine »Fortschritts- und Technolo-gieskepsis« im Werkbund verbreitete. Das Gegenteil war der Fall, was angesichts der Zusammensetzung seiner Mitglieder und seiner Zielsetzung nicht erstaunlich ist.316 Gleichwohl sieht Oestereich in der programmatischen Aufnahme des Prob-lems der Naturzerstörung einen Beleg für die gesamtgesellschaftliche Verantwor-tung, in der sich der Werkbund sah.317

Gemeinsame Interessen hinsichtlich der Formgebung ihrer Erzeugnisse haben einzelne Firmen unabhängig vom Werkbund zusammenarbeiten lassen. Wilkhahn war an einem dieser Kreise beteiligt. Peter Frank vom Haus Industrieform Essen lud 1978 einige »Design-Unternehmer« zum Gespräch ein. Zu dem Kreis gehörten u. a. Fritz Hahne, Carl Pott, Gerd Bulthaup, Klaus Jürgen Maack und Manfred Lamy. Man traf sich einmal im Jahr, jeweils bei einem der Mitglieder. 1988 wurde in Wilkhahn aktuell vom zweitägigen Treffen im Werk in Eimbeckhausen berichtet.

314Rat für Formgebung (Hg.): Wilkhahn: Dokumente der Gestaltung: Fritz Hahne Bundespreis Förderer des Design 1999, 4. überarb. und erw. Aufl., Stuttgart 1999 (= Edition Wilkhahn), S. 38.

Die Entwerfer von Wilkhahn-Möbeln haben zwischen 1967 und 2000 insgesamt fast 80 Auszeich-nungen (iF product design awards) des Industrie Forum Design Hannover errungen (if: Internatio-nales Forum Design: Wilkhahn, Website, o. D. URL siehe Internetquellen).

315 Hans Schmitt-Rost, zit. n. Oestereich 2000, S. 121; vgl. Hans Schmitt-Rost: Die große Landzer-störung, in: werkundzeit 8 (1959), Nr. 10, S. 1; vgl. Deutscher Werkbund (Hg.): »Die große Land-zerstörung«, Vorträge der Tagung, in: werkundzeit 8 (1959), Nr. 12; vgl. Andrea Koenecke: Walter Rossow (1910–1992): »Die Landschaft im Bewußtsein der Öffentlichkeit« (= Diss. TU Darm-stadt 2011), München 2014 (= AVM-Edition).

316 Oestereich 2000, S. 123. Die praktizierenden Architekten waren eine zahlenmäßig große Gruppe.

317 Oestereich 2000, S. 453.

Zentrale Themen der Zusammenkunft waren Internationales Marketing, Kommu-nikation für Designprodukte und Wege zur Produktfindung.318

III. Bauhaus und Hochschule für Gestaltung in Ulm

Die Produkthaltung bei Wilkhahn gründet nach Firmenangaben weitgehend auf dem Gedankengut des Bauhauses und der Hochschule für Gestaltung in Ulm. Deren Ansprüche schließen es aus, Produkte auf den Markt zu bringen, die den Maßstäben nicht genügen, auch wenn sie Gewinne versprechen würden. »Die Erzeugnisse sol-len möglichst ein Beitrag zur Kultur unserer Zeit, also prägend sein. Wenn diese Kriterien erfüllt werden, sind die Produkte in der Regel eigenständig und unver-wechselbar […].«319

Die Ansätze der Lehren der beiden Hochschulen waren nicht deckungsgleich und unterschieden sich durch die von den jeweiligen Direktoren gesetzten Akzente.

Wollte das Bauhaus unter Gropius die Lücke zwischen Kunst und Industrie über-brücken und »einen neuen und modernen Begriff der Schönheit«320 entwickeln, wollte die Hochschule in Ulm unter Tomás Maldonado nicht die künstlerische, son-dern eine breit angelegte wissenschaftliche Schulung als Grundlage für die Gestal-tung der technischen Umwelt, »die einen neuen Menschen zu formen imstande ist.«321

Die gedankliche Verbindung mit dem Bauhaus wurde bei Wilkhahn in erster Li-nie von Herbert Hirche bewirkt. Hirche hat zur Produktgestaltung bei Wilkhahn al-lerdings nur etwa vier Jahre lang beigetragen. Wichtiger und langlebiger sind Hirches Bauten für Wilkhahn, auf die im Kapitel 3 eingegangen wird. Es stellt sich die Frage, was Wilkhahn für die eigene Produktgestaltung vom Bauhaus übernom-men hat. Das Bauhaus war eine heterogene und vielgestaltige Einrichtung, die in ihrer knapp vierzehnjährigen Existenz eine langanhaltende und breite Wirkung ent-faltete. Der Begriff steht für »ornamentlose, sachliche Gestaltung aller Lebensberei-che, für funktionales, geometrisch strukturiertes Produktdesign sowie ganz generell für moderne Architektur.«322 Schon in den 1920er-Jahren etablierte sich aufgrund

318 Rudolf Schwarz: »Design Gespräch« diesmal in Eimbeckhausen, in: Wilkhahn aktuell 88, De-zember 1988, o. P., in: Archiv des Deutschen Stuhlmuseums Eimbeckhausen.

319 Hahne 1990a, S. 191.

320 Walter Gropius zit. n. Rübenach/Meurer 1987, S. 16f.

321 Ebd., S. 14.

322 Winfried Nerdinger: Das Bauhaus: Werkstatt der Moderne, Originalausgabe, München 2018 (= C. H. Beck Wissen 2883), S. 6.

des wiedererkennbaren Erscheinungsbildes der Produkte mit der Reduktion auf Grundformen und -farben der Begriff »Bauhaus-Stil«.323

Hahne hat das Epochale des Bauhausschaffens der 1920er-Jahre und dessen Be-deutung für sein Unternehmen gesehen: »Sie wollten Produkte schaffen, die ›ehr-lich‹ sind, denen man ihre Herkunft, ihren Zweck ansehen kann, die ihre Konstruk-tion nicht zu verstecken haben, bei denen die gezeigte KonstrukKonstruk-tion gar ästhetisches Element zu sein hat.«324 Der Begriff Bauhaus wurde von Wilkhahn über den Jahr-tausendwechsel hinaus, vor allem im Zusammenhang mit der Person Herbert Hirche und als Vorläufer der Hochschule für Gestaltung in Ulm in der Firmenkom-munikation eingesetzt. Hahne hat später an Gropius und dem Bauhaus, bezogen auf das Design, Kritik geübt: »Die Bauhaus-Künstler haben offensichtlich einen ent-scheidenden Faktor unterschätzt. Das dem Menschen innewohnende, natürliche Prestigebedürfnis.«325 Daher würde die Masse der Käufer Produkte bevorzugen, die

»was hergeben«, die »vordergründiger zeigen, wer man ist«.326 Hahne hat mehrfach folgendes Zitat von François Burkhardt in seinen Vorträgen und Artikeln verwen-det, das auf die Notwendigkeit einer Erweiterung eines strengen, dogmatischen und damit defizitären Funktionalismus hinweist:

»Heute wissen wir, daß es eine der vordringlichsten Aufgaben des Design ist, den verkürzten Weg von der Funktion zur Form durch übergeordnete Aspekte zu er-weitern [...]. Der Vorgang der Stimulation der menschlichen Sinne ist komplex, wobei Erziehung, Wissen, Erfahrung im Umgang mit Objekten sowie Traditionen und Ästhetik eine Rolle spielen.«327

Diese auf das Industrie-Design bezogene Aussage trifft gleichermaßen auf die Ar-chitektur zu. Auf die Notwendigkeit der Befriedigung der psychologischen neben den materiellen Bedürfnissen hat Gropius eindringlich hingewiesen.328 In einem

323 Ebd., S. 8.

324 Fritz Hahne: Design als Marktfaktor, in: Design – Schnittpunkt – Essen: 1949–1989: von der Folkwangschule für Gestaltung zur Universität Essen: 40 Jahre Industriedesign in Essen, hg. v. Stefan Lengyel/Hermann Sturm, Berlin 1990, S. 130–134 (130).

325 Fritz Hahne: Faktum Produktdesign – sein Stellenwert im Unternehmen, im Markt und in der Gesellschaft, Vortrag in der Reihe Unternehmergespräche am 11.3.1987 im Rahmen der Hannover Messe, Typoskript o. D., in: Ordner SO2153 Dokumente 1979–1995, a. a. O.

326 Hahne 1990b, S. 130.

327 François Burkhardt: Design in der Bundesrepublik Deutschland, in: Heinz Fuchs/François Burkhardt: Produkt. Form. Geschichte, 2. Aufl., Berlin 1988, S. 68–105 (84).

328 Walter Gropius: The New Architecture and the Bauhaus, (Originalausgabe 1935), 2. Auflage, Glasgow 1955, S. 23f. Gropius hat in seiner Rede zur Einweihung des Schulgebäudes der HfG in Ulm 1955 geäußert: »Funktionalismus war für uns nicht gleichbedeutend mit rationellem Vorgehen allein, er umfasste ebenso die psychologischen Probleme. In unserer Vorstellung soll die Gestaltung im physischen wie im psychologischen Sinne ›funktionieren‹. Wir waren uns klar darüber, dass

anderen Punkt räumte Gropius einen Irrtum ein: eine international gültige Bauform zu propagieren, erklärte er vor den versammelten Architekten eines von Rudolf Hillebrecht eingeladenen Kreises aus Anlass der Bauausstellung Constructa 1951 in Hannover für falsch. In der Aufzeichnung des anwesenden Architekten Rudolf Wolters über den Verlauf der Zusammenkunft und die Inhalte der Wortbeiträge heißt es zum Beitrag von Gropius:

»In seinem Leben, besonders in Amerika, habe er so manches erfahren, was alte Grundsätze umgestoßen habe. So habe er früher geglaubt, man könne eine inter-nationale Bauform schaffen. Er habe in seinem langen Leben erfahren, dass dies ein Irrtum sei. Alles Bauen müsse aus den jeweiligen Gegebenheiten, der Land-schaft, dem Volk, den Gewohnheiten usw. erarbeitet werden.«329

Max Bill hat das Etikett der guten Form bereits 1949 in einer Ausstellung in der Schweiz geprägt und später an die Hochschule für Gestaltung in Ulm transferiert, die die Tradition des Bauhauses nach dem Krieg in Westdeutschland fortzusetzen versuchte.330 In einem 1955 veröffentlichten Essay definierte er:

»Als FORM bezeichnen wir das, was wir im Raum sehen können. Doch wenn wir über den Begriff Form nachdenken, oder wenn wir das Wort Form hören, dann verbinden wir das mit der Vorstellung von etwas, das charakteristische Merkmale aufweist, die übereinstimmen mit den typischen Eigenarten seiner Funktion.«331

Max Bill hat Schönheit als ebenbürtig mit der praktischen Funktion, sie als eigen-ständige Funktion angesehen.332 Es ist offensichtlich, dass die praktische Funktion die Form nicht abschließend bestimmt. Gleichbleibende Funktionen, wie z. B. die Tauglichkeit eines Stuhles zum Sitzen, können mit mannigfaltigen Formen erfüllt werden. Bills Vorstellung von guter Form zielt auf Standard und Typisierung, greift aber zugleich den Gedanken des künstlerischen Entwurfs alltäglicher Gegenstände

emotionelle Bedürfnisse ebenso zwingend sind, wie praktische und ebenso nach Erfüllung verlan-gen. Aber die Idee des Funktionalismus wurde und ist noch heute missdeutet von denjenigen, die nur seine mechanistische Seite sahen« (Anonym 1961: Zitate aus fünf Jahren: Gropius, Einweihung der Schule 1955, in: output 1, März 1961, hg. von: Studentenselbstverwaltung der Hochschule für Gestaltung in Ulm, S. 4).

329 Walter Gropius, zit. n. Werner Durth: Deutsche Architekten: biographische Verflechtun-gen 1900–1970, 3. Aufl., Braunschweig 1988, S. 323.

330MartinPapenbrock: Von der »radikalen Gestaltung« zur »guten Form«. Zur Semantik der Sachlichkeit im Produktdesign des frühen 20. Jahrhunderts, in: theologie.geschichte 12 (2017) Bei-heft 9, S. 123–150 (142).

331 Max Bill: Form, Funktion, Schönheit, in: Tomás Maldonado: Max Bill, Buenos Aires 1955, S.119.

332 Max Bill: Schönheit aus Funktion und als Funktion, in: Das Werk: Architektur und Kunst (36) 1949, Heft 8, 272–274.